Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Dienstleistungsfreiheit. Wohnungen für Senioren. Fehlender Erwerbszweck
Beteiligte
Tenor
1. Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 190 EG-Vertrag, stellt keine Anforderungen an die Begründung einer nationalen generellen Regelung, die unter das Gemeinschaftsrecht fällt.
2. Es verstößt nicht gegen die Artikel 52 und 58 EG-Vertrag, wenn ein Mitgliedstaat es allein privaten Wirtschaftsteilnehmern, die keinen Erwerbszweck verfolgen, erlaubt, sich an der Durchführung seines Systems der Sozialhilfe dadurch zu beteiligen, daß sie Verträge schließen, die einen Anspruch auf Erstattung der Kosten von gesundheitsbezogenen Leistungen der Sozialhilfe durch die Behörden vorsehen.
3. Artikel 59 EG-Vertrag erfaßt eine Gesellschaft nicht, die sich in einem Mitgliedstaat niedergelassen hat, um dort Wohnheime für Senioren zu betreiben, und den Heimbewohnern, die sich zu diesem Zweck ständig oder für unbestimmte Zeit in diesen Wohnheimen aufhalten, Dienstleistungen erbringt.
4. Die Artikel 85 und 86 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe g, 5 und 90 EG-Vertrag erfassen eine nationale Regelung nicht, die es nur privaten Wirtschaftsteilnehmern, die keinen Erwerbszweck verfolgen, erlaubt, sich an der Durchführung eines Systems der Sozialhilfe dadurch zu beteiligen, daß sie Verträge schließen, die einen Anspruch auf Erstattung der Kosten von gesundheitsbezogenen Leistungen der Sozialhilfe durch die Behörden vorsehen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-70/95
betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Sodemare SA,
Anni Azzurri Holding SpA,
Anni Azzurri Rezzato Srl,
unterstützt durch Fédération des maisons de repos privées de Belgique (Femarbel) ASBL
gegen
Regione Lombardia
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 3 Buchstabe g, 5, 52, 58, 59, 85, 86, 90 und 190 EG-Vertrag
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida und L. Sevón sowie der Richter C. N. Kakouris, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter), C. Gulmann, P. Jann, H. Ragnemalm, M. Wathelet und R. Schintgen,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- * der Sodemare SA, der Anni Azzurri Holding SpA und der Anni Azzurri Rezzato Srl, vertreten durch Rechtsanwälte G. Conte und G. Giacomini, Genua, sowie G. Tanzella, Mailand,
- * der Fédération des maisons de repos privées de Belgique (Femarbel) ASBL, vertreten durch Rechtsanwalt V. Tavormina, Mailand,
- * der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato D. Del Gaizo,
- * der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers, stellvertretender Rechtsberater, als Bevollmächtigten,
- * der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Sodemare SA, der Anni Azzurri Holding SpA und der Anni Azzurri Rezzato Srl, der italienischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 4. Dezember 1996,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Februar 1997,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1. Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia hat mit Beschluß vom 2. März 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 3 Buchstabe g, 5, 52, 58, 59, 85, 86, 90 und 190 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Klage der Gesellschaft luxemburgischen Rechts Sodemare SA und zweier Gesellschaften italienischen Rechts, der Anni Azzurri Holding SpA und der Anni Azzurri Rezzato Srl, auf Nichtigerklärung zunächst des Artikels 18 Absatz 3 Buchstabe a der Legge regionale Lombardia (Regionalgesetz der Lombardei) Nr. 39 vom 11. April 1980 über Organisation und Arbeitsweise örtlicher Gesundheits- und Fürsorgeämter (Bollettino ufficiale della Regione Lombardia Nr. 15 vom 11. April 1980, dritter Ergänzungsband; im folgenden: Gesetz von 1980), der Entscheidung Nr. 2157 der Region Lombardei vom 3. Dezember 1993, mit der ihr Antrag, sie zum Abschluß von Verträgen über die Kostenerstattung für gesundheitsbezogene Sozialhilfeleistungen zuzulassen, abgelehnt wurde, und schließlich der Stellungnahme Nr. 41 des örtlichen Gesundheits- und Fürsorgeamts vom 7. September 1993. Die Fédération des maisons de repos privées de Belgique trat dem Rechtsstreit zur Unterstützung der drei Klägerinnen bei.
3. Das italienische Dekret vom 8. August 1985 (GURI Nr. 191 ...