0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist seit dem 1.1.1997 in Kraft und wurde zuletzt durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (3. SGB IV–ÄndG) v. 5.8.2010 (BGBl. I S. 1127) ergänzt (vgl. Rz. 14).
1 Allgemeines
Rz. 2
Inhaltlich ist die Vorschrift mit den Regelungen in §§ 553, 554 RVO vergleichbar. Grundsätzlich schließt verbotswidriges Verhalten einen Versicherungsfall nicht aus (§ 7 Abs. 2). § 101 regelt die Sonderfälle, in denen der eigentlich Berechtigte gleichwohl keine Leistungen verlangen kann, weil er durch ein Verhalten, das die Rechtsordnung grob missbilligt, den Versicherungsfall herbeigeführt hat. Für diesen Fall soll er durch die Unfallversicherung nicht noch "belohnt" werden (BSG, SozR 4-3200 § 81 Nr. 2). Abs. 1 schließt die Leistung an Hinterbliebene bei vorsätzlicher Tötung zwingend aus. Abs. 2 gibt dem Unfallversicherungsträger ein Ermessen, Leistungen ganz oder teilweise nicht zu gewähren oder wieder zu entziehen, wenn der Versicherungsfall bei einem vorsätzlichen Vergehen oder Verbrechen des Versicherten eingetreten ist. Vergleichbare Regelungen finden sich für die Krankenversicherung in § 52 SGB V und für die Rentenversicherung in §§ 104, 105 SGB VI.
Rz. 3
Fälle der Selbsttötung sind von der Vorschrift nicht erfasst. Eine Selbsttötung schließt eine Entschädigung nicht von vornherein aus (vgl. Rz. 6a). Bis auf ganz wenige Ausnahmefälle (dazu bei Hauck/Freund, SGB VII, § 101 Rz. 8) liegt hier jedoch bereits kein Versicherungsfall i. S. d. § 7 vor.
2 Rechtspraxis
2.1 Leistungsausschluss bei vorsätzlicher Tötung (Abs. 1)
Rz. 4
Die praktische Bedeutung des Leistungsausschlusses nach Abs. 1 ist auch nach der Neufassung der Vorgängervorschrift durch das SGB VII gering. Betroffene können nur Hinterbliebene sein, die sonst einen Anspruch nach §§ 63 ff. hätten. Bei Tötungsdelikten dieser Personen fehlt es regelmäßig an dem notwendigen inneren Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit des Versicherten bzw. des Opfers (Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 101 Rz. 3; Lauterbach/Fröde, SGB VII, § 101 Rz. 10), da die persönliche Motivation des Täters den betrieblichen Zusammenhang regelmäßig überlagert (BSG, HV-Info 24/98 S. 2252, für Mordanschlag auf dem Weg zur Arbeit). Es kommt wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Möglich sind Fälle, in denen Familienangehörige zusammenarbeiten und die Tötung anlässlich eines Streits über betriebliche Belange geschieht (Hauck/Freund, SGB VII, § 101 Rz. 3) oder wenn die Tötung erst durch bestimmte betriebliche Umstände möglich wird (BSG, BSGE 78 S. 65 = SozR 3-220 § 548 Nr. 28: Sprengstoffanschlag auf die Ehefrau durch eine Briefbombe in der von ihr zu öffnenden Geschäftspost; LSG Sachsen-Anhalt, Breithaupt 1998 S. 889: Tötung auf dem Weg zur Arbeit, wenn der Arbeitsweg der wesentliche Umstand war, die Tat zu ermöglichen oder wesentlich zu fördern).
Rz. 5
Für den Fall, dass die Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich ist, liegt die objektive Beweislast für das Vorliegen der die Leistung ausschließenden Tatsachen beim Unfallversicherungsträger. Im Gegensatz zu Abs. 2 besteht im Rahmen von Abs. 1 keine Bindung an ein Strafurteil oder die tatsächlichen Feststellungen darin. Der Anspruch auf die Leistung entsteht nicht, so dass er bei der Berechnung der Höchstgrenze nach § 70 nicht mitzuzählen ist.
2.1.1 Vorsätzliche Tötung
Rz. 6
Nur eine vorsätzliche Tötung führt zum Leistungsausschluss. Die Vorgängerregelung, die noch absichtliche Tötung vorsah, ist zu Recht abgeändert worden, da in diesen Fällen der innerer Zusammenhang zu einer beruflichen Beschäftigung regelmäßig fehlt und deshalb schon kein Versicherungsfall vorliegt (BSGE 30 S. 270, 281; BSGE 58 S. 76, 77). Mit Vorsatz ist der strafrechtliche Begriff gemeint. Demnach liegt Vorsatz vor, wenn der Täter mit Wissen und Wollen bezogen auf den Taterfolg handelt. Dabei reicht es aus, wenn der Täter den Erfolg billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Diese Fälle sind gegenüber der bloßen Fahrlässigkeit abzugrenzen. Auch durch Unterlassen kann der Täter vorsätzlich handeln, wenn ihm eine Garantenstellung zukommt (§ 13 StGB). Bei einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) richtet sich der Vorsatz nicht auf den tödlichen Erfolg. Der Tod tritt hier nur fahrlässig ein, so dass die Voraussetzungen für den Ausschlusstatbestand nicht gegeben sind. Hauck/Freund (SGB VII, § 101 Rz. 6) will auch die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) wegen Fehlens eines gleichwertigen Unwertgehalts ausnehmen. Diese Auffassung ist abzulehnen, denn Tötung auf Verlangen beinhaltet das aktive vorsätzliche Töten eines Menschen. Für eine teleologische Reduktion des § 101 Abs. 1 ist hier kein Raum (Reyels, in: JurisPK-SGB VII, § 101 Rz. 25 mit Hinweis auf BSG, SozR 4-2700 § 101 Nr. 2, juris Rz. 31).
Rz. 6a
Handelt der Täter nicht rechtswidrig, etwa weil ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht (Notwehr § 32 StGB, Notstand § 34 StGB), oder kann ihm kein Schuldvorwurf gemacht werden (Schuldunfähigkeit § 20 StGB), liegen die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestands nicht vor.
Rz. 6b
In diesen Kontext sind auch die Fälle de...