Entscheidungsstichwort (Thema)
Chefarzt. Privathandy. Telefonieren im Operationssaal
Leitsatz (redaktionell)
1. Erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen, in deren Folge Schäden an Leib und Leben eines Krankenhauspatienten entstehen können, sind an sich geeignet eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Bei ärztlichen bzw. medizinischen Dienstleistungen stellt im Hinblick auf die dem Arzt anvertraute Gesundheit des Patienten jede Fehlleistung einen gravierenden Vorgang dar. Deshalb kann auch eine fahrlässig begangene Fehlleistung eines Arztes geeignet sein, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden.
2. Ist ein Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsvertrags verpflichtet, die ihm obliegende Arbeit als Chirurg/Operateur unter Anspannung der ihm möglichen Fähigkeiten ordnungsgemäß zu verrichten, d.h. konzentriert, zügig, fehlerfrei und sorgfältig zu arbeiten, so gehört es zu den selbstverständlichen Pflichten des betreffenden Arbeitnehmers, dass er während der Arbeitszeit von der aktiven und passiven Benutzung des Privathandys absieht. Angesichts des Rangs der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und wegen der nachteiligen Folgen, die eine Nutzung des Privathandys für den Patienten und mittelbar auch für den Krankenhausträger haben kann, kann es einem Chirurgen/Operateur nur ausnahmsweise erlaubt sein, während einer Operation sein Privathandy betriebsbereit zu halten und bei Bedarf zu nutzen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es bereits anderweitig gewährleistet ist, dass das OP-Team in OP-internen oder OP-externen Notfällen oder Eilfällen telefonisch erreichbar ist und/oder nach außen telefonieren kann.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 11.03.2009; Aktenzeichen 6 Ca 1752/08) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 11.03.2009 – Az: 6 Ca 1752/08 – teilweise im Kostenpunkt und in der Ziffer 2 des Urteilstenors dahingehend abgeändert, dass der Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen wird.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu ¼ und der Beklagten zu ¾ auferlegt.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 40.000,– EUR festgesetzt.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Der am 01.06.1960 geborene Kläger ist verheiratet. Er hat zwei Kinder im Alter von (derzeit) 8 und 13 Jahren.
Die Beklagte betreibt das St. N.-Stiftshospital in A-Stadt. Am 01.07.2005 hat der Kläger aufgrund des Arbeitsvertrages vom 18.04.2005 (Dienstvertrag; folgend: DV = Bl. 32 ff. d. A.) seine Tätigkeit als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie des St. N.-Stiftshospitals aufgenommen. Gemäß § 4 Abs. 1 DV obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung.
§ 20 DV – Vertragsdauer, Kündigung – lautet wie folgt:
”(1) Der Vertrag tritt am 01.07.2005 in Kraft; er wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die ersten sechs Monate der Beschäftigung sind Probezeit.
(2) Während der Probezeit kann der Vertrag mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.
(3) Nach Ablauf der Probezeit kann der Vertrag fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden.
(4) Der Vertrag endet ohne Kündigung mit Erreichung der in § 19 AVR-Caritas in der jeweils gültigen Fassung festgelegten Altersgrenze oder mit Ablauf des Monats, in welchem dem Arzt der Bescheid über eine vom Rentenversicherungsträger oder von einer anderen Versorgungseinrichtung festgestellte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zugestellt wird und rechtskräftig ist.”
Zunächst war dem Kläger im Rahmen der Vertragsverhandlungen ein Vertragstext vorgelegt worden (s. dazu die Anlage 5 = Bl. 403 ff. d.A.; folgend: DV-E), in dem die Vorschrift des § 20 – Vertragsdauer, Kündigung – aus fünf Absätzen bestand.
§ 20 Abs. 3 DV-E hatte in diesem Entwurf des Dienstvertrages folgenden Wortlaut:
”Nach Ablauf der Probezeit kann der Vertrag von beiden Teilen mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden”
(s. dazu Bl. 423 d.A.).
In den Vertragsverhandlungen bat der Kläger den damaligen Geschäftsführer Dr. F. darum, den Absatz 3 des § 20 DV-E zu streichen. Der Kläger begründete dies damit, dass er nicht vor habe zu kündigen, da er eine Lebensstellung anstrebe.
Auf die weiteren Regelungen des DV (Bl. 32 ff. d. A.) wird verwiesen. Der Kläger operierte im Operationssaal „OP I”. Vor den einzelnen Operationssälen des Krankenhauses verläuft ein Flur (s. dazu die Anlage B 7 = Bl. 211 d. A.; dort angegebene Bezeichnung: „ Geräteflur”; es handelt sich dabei um einen Flur, der nicht als Sterilflur genutzt werden darf). Bei Operationen nahm der Kläger den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons „Arzttelefon”) und sein privates Mobiltelefon „Privathandy”; folgend:...