Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Rechtmäßigkeit der Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen in Form eines Summenbeitragsbescheids für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschläge in Fällen, in denen die Beschäftigten die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit wegen Urlaubs, Feiertagen oder Krankheit tatsächlich nicht geleistet haben. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
1. Die Führung von personenbezogenen Aufzeichnungen zu den SFN-Zuschlägen (auch) bei Abwesenheit der Arbeitnehmer wegen Krankheit, Urlaub oder Feiertagen wird nicht durch das Angebot ersetzt, die Unterlagen, die eine solche personenbezogene Zuordnung nachträglich ermöglichen können (Krankmeldungen, Urlaubsanträge bzw andere Nachweise über in Anspruch genommenen Urlaub uä) noch einzureichen, denn dies ist etwas anderes als die Vorlage von Unterlagen, aus denen sich - konkret verzeichnet für bestimmte Arbeitnehmer und bestimmte Zeiträume und in einer bestimmten Höhe - die tatsächliche (Weiter-)Zahlung von SFN-Zuschlägen ergibt, was einer ordnungsgemäßen Aufzeichnung entsprechen würde, sondern ermöglicht nur, dies nachträglich - mit erheblichem Aufwand - noch zu ermitteln und einzelnen Arbeitnehmern zuzuordnen. In solchen Fällen liegt ein Verstoß gegen die gesetzliche Aufzeichnungspflicht vor und es darf ein Summenbeitragsbescheid erteilt werden.
2. Vom Arbeitgeber geschuldete aber tatsächlich nicht gezahlte Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit in Fällen, in denen die Beschäftigten die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit wegen Urlaubs, Feiertagen oder Krankheit tatsächlich nicht geleistet haben, unterliegen der Steuer- und Sozialversicherungspflicht.
3. Die deutschen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung und zur Steuerpflicht und somit Beitragspflicht von bestimmten Zuschlägen sind nicht europa-rechtskonform dahingehend auszulegen, dass sich die Steuerfreiheit von SFN-Zuschlägen nach § 3b EStG nicht nur auf Zuschläge bezieht, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, sondern auch auf Zuschläge, die wegen früher tatsächlich geleisteter Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit während arbeitsfreien Zeiten fortgezahlt werden.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.05.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.084,55 € festgesetzt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen in Form eines Summenbeitragsbescheids für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschläge in Fällen, in denen die Beschäftigten die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit wegen Urlaubs, Feiertagen oder Krankheit tatsächlich nicht geleistet haben, aber Anspruch auf die Zuschläge hatten.
Die Klägerin ist ein Unternehmen, in dem Tierfutter, insbesondere Hunde- und Katzenfutter, hergestellt wird. Die Klägerin ist nicht tarifgebunden. Aktuell beschäftigt sie 133 Mitarbeiter, wovon 25 geringfügig beschäftigt sind. Im strittigen Zeitraum waren bei der Klägerin durchschnittlich 123 Mitarbeiter beschäftigt, davon etwa 25 im Schichtdienst. Die im Schichtdienst beschäftigten Mitarbeiter erhielten von der Klägerin, zusätzlich zu dem Grundlohn, Zuschläge für Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit und Nachtarbeit. Während diese Zuschläge bei tatsächlicher Erbringung der Arbeit von der Klägerin gezahlt wurden, erfolgte keine (Fort-) Zahlung der Zuschläge, wenn die Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit tatsächlich nicht erbracht wurde und stattdessen eine Lohnfortzahlung erfolgte, so u.a. bei urlaubsbedingter oder krankheitsbedingter Abwesenheit der Beschäftigten. Dementsprechend ergibt sich aus den Aufzeichnungen der Klägerin nicht, wann an welchen Mitarbeiter welche Zuschläge in welcher Höhe bei Lohnfortzahlung geleistet wurden, sondern es sind nur die Zahlungen von Zuschlägen bei tatsächlicher Arbeitsleistung im Einzelnen verzeichnet und es gibt Aufzeichnungen über die Krankheitstage und Urlaubstage der jeweiligen Mitarbeiter.
Im Zeitraum vom 02.03.2017 bis zum 06.10.2017 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) bei der Klägerin durch. Der Prüfzeitraum für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfasste den Zeitraum vom 01.10.2013 bis 31.12.2016.
Im Anhörungsschreiben vom 06.10.2017 wies die Beklagte die Klägerin u.a. darauf hin, dass steuerfrei und somit beitragsfrei nur die Zuschläge seien, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit (SFN-Arbeit) gezahlt würden. Im Übrigen seien die Zuschläge nicht steuerfrei und somit beitragspflichtig. Die gesetzlichen Regelungen sähen eine Weitergewährung des bisher gezahlten Arbeitsentgelts und damit auch der Zuschläge bei SFN-Arbeit (SFN-Zu...