8.6.1 Bisherige Rechtsauffassung
Änderte sich bei einem Beschäftigten die wöchentliche Arbeitszeit während des Urlaubsjahres, indem sich etwa die Wochenarbeitszeit saisonbedingt bis April auf 5 und ab Mai auf 6 Arbeitstage beläuft, so war nach Auffassung des BAG bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs sowohl bezüglich der Urlaubsdauer wie auch des Urlaubsentgelts immer die im Zeitpunkt der Urlaubsgewährung geltende wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen. Der (noch) vorhandene Jahresurlaub war jeweils unter Berücksichtigung der nunmehr für den Arbeitnehmer maßgeblichen Verteilung seiner Arbeitszeit umzurechnen. Er verkürzte oder verlängerte sich entsprechend. Das traf auch für einen auf das folgende Urlaubsjahr übertragenen Resturlaub zu, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des folgenden Jahres in Teilzeit beschäftigt war.
Beispiel 1
Ein Beschäftigter arbeitet dienstplanmäßig bis zum 30.6. in der 6-Tage-Woche und ab dem 1.7. in der 5-Tage-Woche. Nimmt der Beschäftigte im Mai Urlaub, so beträgt sein erhöhter Urlaubsanspruch: 30 × 6 : 5 = 36 Arbeitstage. Nimmt er im September Urlaub, beträgt der Urlaubsanspruch 30 Urlaubstage. Bei der Urlaubseinbringung zählen jeweils alle Wochentage, die dienstplanmäßige Arbeitstage sind, als Urlaubstage. Somit sind bis zum 30.6. bei jeder Kalenderwoche 6 Urlaubstage und ab dem 1.7. nur 5 Urlaubstage pro Kalenderwoche auf den Urlaubsanspruch anzurechnen.
Hat der Beschäftigte nicht seinen gesamten Jahresurlaub in einem der beiden Zeiträume genommen, so war der bereits gewährte Urlaub anteilsmäßig auf die gültige Urlaubszeit anzurechnen.
Beispiel 2
Im vorherigen Beispiel nimmt der Beschäftigte im Juni 12 Tage Urlaub. Der Restanspruch soll im Dezember gewährt werden. Der Urlaubsanspruch des Beschäftigten im Juni betrug 30 × 6 : 5 = 36 Urlaubstage. Hiervon hat der Beschäftigte bereits 12/36 seines Urlaubsanspruchs erhalten, sodass sein Restanspruch im Dezember noch 24/36 des bestehenden Urlaubsanspruchs, mithin (24/36 × 30 Urlaubstage =) 20 Urlaubstage beträgt.
Alternativ vereinfachte Berechnung:
36 – 12 ergeben einen Resturlaub von 24 Urlaubstagen in der 6-Tage-Woche. Dies auf die 5-Tage-Woche umgerechnet: 24 × 5 : 6 ergeben einen Resturlaub von 20 Urlaubstagen in der 5-Tage-Woche.
8.6.2 Neue Rechtslage durch Rechtsprechung des EuGH und BAG
- Die Entscheidungen des EuGH
Diese Berechnungsweise konnte nach der neueren Rechtsprechung des EuGH (EuGH vom 22.4.2010, C-486/08 ["Tirol"-Entscheidung], vom 13.6.2013, C-415/12 [Bianca Brandes gegen Land Niedersachsen], und vom 11.11.2015, C-219/14 [Greenfield]) nicht mehr uneingeschränkt angewandt werden.
So steht nach Feststellung des EuGH "… die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit …" (s. "Tirol" Rn. 32 und "Brandes" Rn. 30). Des Weiteren führt der EuGH in der "Tirol"-Entscheidung (Rn. 35) aus, dass es dem einschlägigen Unionsrecht entgegensteht, wenn "bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann …". Und in Rn. 38 der o. a. "Brandes"-Entscheidung präzisiert der EuGH dahingehend, dass Arbeitnehmer das Äquivalent der vor dem Änderungsstichtag auf Grundlage des bisherigen Beschäftigungsumfangs erworbenen Urlaubstage erhalten sollen. Nach seiner Auffassung verstoßen nationale Bestimmungen oder Gepflogenheiten auch dann gegen unionsrechtliche Bestimmungen, wenn die in der Vollzeitbeschäftigungsphase erworbenen Urlaubsansprüche unter Berücksichtigung der nach dem Arbeitszeitwechsel maßgeblichen Verteilung der Arbeitszeit umgerechnet werden und es so bei einer wochenmäßigen Betrachtung bei der gleichen Anzahl von Urlaubswochen verbleibt. Eine solche Berechnung stelle eine unzulässige Kürzung des erworbenen Urlaubsanspruchs dar.
Dieser Rechtsprechung des EuGH liegt ersichtlich der Gedanke eines durch die Arbeit erworbenen "Wertguthabens" zugrunde; dieses ist bei der späteren Urlaubsgewährung wertgleich wieder auszuzahlen. Für die nicht verbrauchten Urlaubstage bleiben die im Zeitraum des Erwerbs ("fiktiver" Abschn. vor dem Änderungsstichtag) zugrunde liegenden Berechnungsfaktoren (Zeit- und Geldfaktor) maßgebend.
Und in der Greenfield-Entscheidung nimmt der EuGH bei Änderungen des Arbeitszeitmodells im Laufe des Kalenderjahres eine dem jeweiligen Beschäftigungsmodell entsprechende abschnittsbezogene Betrachtung vor. Abweichend vom deutschen Urlaubsrecht ordnet der EuGH dabei die Entstehung des Urlaubsanspruchs anteilig jeweils "fiktiven" Abschnitten vor und n...