LAG Hamm, Urteil vom 30.3.2023, 11 Sa 878/22
Bricht ein öffentlicher Arbeitgeber ein Stellenbesetzungsverfahren ab und ist aufgrund des Abbruchs keine Stelle mehr zu besetzen, dann besteht weder die Notwendigkeit zur Einladung schwerbehinderter Bewerber noch zur Einladung nicht schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch. Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Abbruchs kommt es bei der Prüfung von Ansprüchen auf Entschädigungszahlungen nach dem AGG nicht an.
Sachverhalt
Die Beklagte schrieb eine Stelle als Sachbearbeiter/in im Bereich des Jugendamtes aus. Entsprechend den Vorgaben des § 164 Abs. 1 SGB IX informierte sie die Agentur für Arbeit über die zu besetzende Stelle. Auf diese Ausschreibung bewarb sich der Kläger unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung. Da sich im Folgenden herausstellte, dass die Stelle aus personalwirtschaftlichen Gründen intern besetzt werden konnte, brach die Beklagte unter Benachrichtigung der Agentur für Arbeit und sämtlicher Bewerber/innen das Stellenbesetzungsverfahren ab, ohne den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Stelle wurde dann mit einem der Auszubildenden besetzt. Da sich der Kläger durch den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens aufgrund seiner Schwerbehinderung diskriminiert fühlte, klagte er auf eine Entschädigung in Höhe von 11.984,94 EUR. Er begründete dies damit, dass die Beklagte ihre Pflicht zur rechtzeitigen Information über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens und den dafür maßgeblichen Grund verletzt habe. Zudem habe sie den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes dadurch verletzt, dass sie die Agentur für Arbeit unzureichend bzw. zu spät über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens informiert hatte.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das LAG Hamm führte aus, dass Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG sei. Nach § 3 Abs. 1 AGG liege eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfahre, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahre, erfahren habe oder erfahren würde. Es bedürfte hierbei eines Kausalzusammenhangs. Dieser sei dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 AGG genannte Gründe anknüpfe oder dadurch motiviert sei.
Dieser Kausalzusammenhang sei vorliegend jedoch nicht feststellbar; denn aufgrund des Abbruchs des Stellenbesetzungsverfahrens habe keine Notwendigkeit mehr zur Einladung für ein Vorstellungsgespräch bestanden, da keine Stelle mehr zu besetzen gewesen sei. Auch habe die Beklagte aufgrund des Abbruchs mit keinem Bewerber ein Vorstellungsgespräch geführt, so dass der Kläger keine ungünstigere Behandlung als die übrigen, nicht schwerbehinderten Bewerber erfahren habe. Der Abbruch des Bewerbungsverfahrens durch den Arbeitgeber stelle dagegen einen Gegenbeweis dafür dar, dass für die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch andere Gründe als die Schwerbehinderung erheblich gewesen seien. Entgegen der Ansicht des Klägers lag auch kein Indiz für eine potentielle Diskriminierung darin, dass die Beklagte die Agentur für Arbeit nicht über den Abbruch ausreichend informiert habe. Auch wenn eine Verletzung der Mitteilungspflichten durch den Arbeitgeber geeignet sein könne, die tatsächliche Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung zu begründen, sei der Arbeitgeber gem. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nur verpflichtet, vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Stattdessen sehe die Vorschrift keine Mitteilungspflicht über den Abbruch einer Stellenausschreibung vor. Für die Frage des Entschädigungsanspruchs komme es auf die Rechtmäßigkeit des Stellenabbruchs nicht an. Auch wenn Fehler im Besetzungsverfahren Schadensersatzansprüche auslösen könnten, seien diese ausschließlich im Rahmen eines Konkurrentenverfahrens (welches jedoch bei vorzeitigem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens nicht in Betracht komme) unter Berufung auf die Verletzung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs, und nicht im Rahmen eines Entschädigungsanspruchs nach dem AGG, geltend zu machen. Zuletzt sei es nach Auffassung des Gerichts für die Frage des Entschädigungsanspruchs irrelevant, dass dem Kläger der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens nicht rechtzeitig mitgeteilt worden war.