1.1 Entstehung des AGG
Die BRD hatte durch die nicht ausreichende Umsetzung der Antirassismusrichtlinie RL 2000/43/EG (v. 29.6.2000), der Rahmenrichtlinie Beschäftigung 2000/78/EG (v. 27.11.2000), der Genderrichtlinie 2002/73/EG (v. 23.9.2002, Überarbeitung der RL 76/207/EWG) und der Dienstleistungsrichtlinie 2004/113/EG (v. 13.12.2004) Vertragsverletzungen begangen. Die Umsetzung in bestehenden Regelungen (die damaligen §§ 611a, b BGB, 612 Abs. 3 BGB; §§ 75, 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG, BeschSchG und § 81 Abs. 2 SBG IX) war unzureichend und das nach mehreren Anläufen am 17.6.2005 von der rot-grünen Bundestagsmehrheit beschlossene Antidiskriminierungsgesetz (BT-Drs. 15/4538) war der Diskontinuität zum Opfer gefallen. Der EuGH hatte mittlerweile Vertragsverletzungen festgestellt, sodass die Verhängung von Zwangsgeldern nach Art. 228 Abs. 2 EG drohte. Die Umsetzung im Gesetzentwurf der BReg v. 18.5.2006 ("Gesetz zur Umsetzung europäischer RL zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung", BT-Drs. 16/1780) wurde auf Intervention des Bundesrats (v. 16.6.2006, BT-Drs. 16/1852) in einzelnen Punkten geändert und passierte nach 2. und 3. Lesung am 29.6.2006 den Bundestag. Das Gesetz, das in Art. 1 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthält, ist am 18.8.2006 in Kraft getreten.
Mit Inkrafttreten des AGG sind die damaligen Vorschriften §§ 611a und b, 612 Abs. 3 BGB, das BeschSchG und § 81 Abs. 2 SGB IX aufgehoben worden.
1.2 Überblick
Die EU-Richtlinien verpflichten den Gesetzgeber dazu, im Bereich Beschäftigung und Beruf Schutz vor Diskriminierung wegen
- Rasse,
- ethnischer Herkunft,
- Religion,
- Weltanschauung,
- Behinderung,
- Alter,
- sexueller Identität und
- Geschlecht
sicherzustellen. Bezogen auf die Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft ist nach den Richtlinien eine Umsetzung auch im zivil- und sozialrechtlichen Bereich erforderlich.
Das AGG enthält im Allgemeinen Teil Bestimmungen, die für alle betroffenen Rechtsgebiete gelten: das Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG), den sachlichen Anwendungsbereich (§ 2 AGG, Arbeitsleben, Sozialrecht, Bildung, Zivilrecht), Begriffsbestimmungen (§ 3 AGG) und Regelungen zur Mehrfachdiskriminierung (§ 4 AGG) sowie zu positiven Maßnahmen (§ 5 AGG).
Der folgende ausschließlich arbeitsrechtliche 2. Abschnitt des Gesetzes ist vom (übrigen) zivilrechtlichen Teil im 3. Abschnitt getrennt und dem Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung gewidmet. § 6 AGG bestimmt die Anwendung auf Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Darunter fallen zudem Personen, deren Arbeitsverhältnis beendet ist (betriebliche Altersversorgung, vgl. aber § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG). Dreh- und Angelpunkt des Beschäftigtenschutzes ist § 7 AGG. Diese Norm enthält ein ausdrückliches Benachteiligungsverbot gegenüber Beschäftigten und ordnet die Unwirksamkeit von individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen an, die gegen dieses Prinzip verstoßen. Benachteiligungen können nur ausnahmsweise und unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig sein (§§ 5, 8–10 AGG). Dem Arbeitgeber werden in § 12 AGG umfassende Organisations- und Informationspflichten aufgegeben. Er muss – auch präventiv – die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen treffen und darauf hinwirken, dass unzulässige Benachteiligungen (sei es durch ihn selbst, durch seine Beschäftigten oder durch Dritte gegenüber seinen Beschäftigten) unterbleiben. Bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot haben die Arbeitnehmer im Wesentlichen 3 Arten von Rechten:
- das Beschwerderecht (§ 13 AGG),
- die Möglichkeit der (bezahlten) Leistungsverweigerung (§ 14 AGG),
- die Geltendmachung von Entschädigung und Schadensersatz (§§ 15,16 AGG).
Unter bestimmten Umständen muss der Arbeitgeber auch für Verstöße seiner Beschäftigten und Dritter Entschädigung und Schadensersatz leisten. § 17 AGG enthält neben einem gesetzlichen Appell das Recht des Betriebsrats oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, bei groben Verstößen des Arbeitgebers das Arbeitsgericht anzurufen.
Der relativ kurze 3. Abschnitt des AGG betrifft den Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr.
Der Rechtsschutzteil (4. Abschnitt) enthält Beweiserleichterungen für Benachteiligte in Form einer abgestuften Beweislastregelung (§ 22 AGG). Ferner können sogenannte "Antidiskriminierungsverbände" die Benachteiligten bei der Wahrnehmung ihrer (gerichtlichen) Interessen unterstützen (§ 23 AGG). Die Benachteiligten können ihre aus dem AGG folgenden Vermögensforderungen an diese Verbände abtreten, die dann befugt si...