2.8.1 Das Beschwerderecht des Arbeitnehmers
Der von Benachteiligungen tatsächlich oder vermeintlich betroffene Beschäftigte hat nach § 13 Abs. 1 AGG das Recht, sich wegen einer eingetretenen Benachteiligung bei "den zuständigen Stellen" des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren. Welches die "zuständigen Stellen" sind, sagt das Gesetz nicht. Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, eine besondere AGG-Beschwerdestelle einzurichten. Vielmehr kann sich der Arbeitnehmer an alle betrieblichen Institutionen wenden, die die Aufgabe haben, Beschwerden entgegenzunehmen. Das hängt von der innerbetrieblichen Organisation ab.
Sofern der Arbeitgeber nichts anderes geregelt hat, sind alle betrieblichen Stellen, zu deren Aufgaben die Personalführung gehört, solche Stellen, z. B.
- Vorgesetzte,
- Personalabteilung oder
- Geschäftsführung.
Daneben kann sich der Arbeitnehmer auch immer an die Arbeitnehmervertretungen wenden, wie z. B.
- Betriebs- oder Personalrat,
- Schwerbehindertenvertretung,
- Frauen-/Gleichstellungsbeauftragte.
Die Vorschrift ist letztlich überflüssig, denn dasselbe steht bereits in § 84 BetrVG.
Wie mit der Beschwerde umzugehen ist, ist rechtlich nicht weiter geregelt. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis dem sich beschwerenden Beschäftigten mitzuteilen. Inhaltliche Vorgaben gibt es aber nicht. Der Betriebsrat ist über die Behandlung der Beschwerde nach § 85 Abs. 3 BetrVG zu informieren.
Daneben ist in der Praxis in Betrieben mit Betriebsräten von weit größerer Bedeutung, dass sich der Arbeitnehmer auch nach § 85 Abs. 1 BetrVG beim Betriebsrat beschweren kann. Hält der Betriebsrat die Beschwerde für berechtigt, hat er beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken. Bestehen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde, so kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Diese entscheidet dann über die Berechtigung der Beschwerde – hat aber nicht die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu konkreten Abhilfemaßnahmen zu verpflichten. Das Einigungsstellenverfahren ist verhältnismäßig kostenintensiv, hat aber den Vorteil, dass der Arbeitgeber außerhalb des Gerichts und ohne die Gefahr von erheblichen Schadensersatzforderungen Konfliktsituationen einer Klärung durch einen neutralen Dritten, nämlich die Einigungsstelle durchführen kann.
Darüber hinaus kann sich der betroffene Arbeitnehmer auch an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden (§ 27 Abs. 1 AGG). Diese hat neben einer beratenden Funktion für den Betroffenen auch die Aufgabe, eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten zu versuchen (§ 27 Abs. 2 S. 2. Nr. 3 AGG). Dazu kann sie, wenn der Betroffene damit einverstanden ist, auch den Arbeitgeber oder andere Beschäftigte um eine Stellungnahme ersuchen, kann diese aber nicht erzwingen.
Das hört sich alles nach weiterem bürokratischem Aufwand an, sollte aber als Chance begriffen werden. Angesichts der erheblichen Risiken, die Rechtsstreitigkeiten für den Arbeitgeber in sich bergen, ist alles, was zu einer frühen innerbetrieblichen Konfliktlösung führt, als Instrument zur Prozessvermeidung zu begrüßen und zu nutzen und den daraus resultierenden zusätzlichen Aufwand wert. Aus diesem Grund sollten die Arbeitgeber, ggf. gemeinsam mit dem Betriebsrat, ein Konzept für ein "Beschwerde-Management" entwickeln.
Den Arbeitgebern ist zu raten, diese Beschwerdestelle zur Veränderung der Streitkultur in ihrem Unternehmen zu nutzen. Wie in den USA werden auch in Deutschland Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung (alternative dispute resolution, ADR) zunehmend an Bedeutung gewinnen. Vor dem Hintergrund ungerechtfertigter Diskriminierungsprozesse, die für die Unternehmen langwierig, teuer und rufschädigend sind, werden von US-Konzernen weltweit interne Konfliktmanagementsysteme implementiert bzw. ADR-Programme aufgelegt. Die Arbeitnehmer werden kraft Tarifvertrags, Betriebsvereinbarung oder Individualabrede verpflichtet, im Streitfall zunächst ein betriebsinternes Konfliktmanagementsystem zu durchlaufen. Das deutsche Betriebsverfassungsrecht bietet über § 86 BetrVG den Rahmen für derartige Systeme. Durch Kollektivvereinbarungen können gem. § 86 S. 1 BetrVG die Einzelheiten des in den §§ 84 und 85 BetrVG vorgesehenen Beschwerdeverfahrens geregelt werden. Zulässig ist insbesondere die nähere Ausgestaltung von Zuständigkeits-, Verfahrens-, Form- und Fristfragen. Getroffen werden können Regelungen über die für die Beschwerdeeinreichung zuständige Stelle, Verfahrensschritte, die Errichtung eines betrieblichen Instanzenzugs, die Besetzung und das Verfahren der Einigungsstelle, die Einschaltung externer Vermittler usw.
Eckpunkte einer solchen Betriebsvereinbarung sollten sein:
- Sinn und Zweck des Beschwerderechts
- Recht der Arbeitnehmer zur Beschwerde
- Ansprechpartner für Beschwerden im Betrieb
- Verfahrensregeln: Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit, Schweigepflicht aller Beteiligten, keine Angst vor Repressalien, Recht des Arbeitnehmers, interne oder externe Berater hinzuzuziehen
- Verfahr...