EuGH, Beschlüsse v. 14.3.2017, C-157/15 und C-188/15 und C-188/15
Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar. Eine Diskriminierung kommt aber in Betracht, wenn in einem Unternehmen keine allgemeine Neutralitätsregelung besteht und der Arbeitgeber das Tragen eines islamischen Kopftuchs nur deshalb untersagt, um damit dem Wunsch eines Kunden nachzukommen.
Sachverhalt
Der EuGH hatte über 2 Vorlagefragen zur Auslegung der Unionsrichtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2007/08/EG) zu entscheiden. In beiden Fällen ging es um Entlassungen von Arbeitnehmerinnen, die am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch tragen wollten.
Im belgischen Verfahren (Rs. C-157/15) erklärte die Arbeitnehmerin, eine Rezeptionistin, dass sie künftig ein Kopftuch bei der Arbeit tragen wolle. Daraufhin nahm der Arbeitgeber ein bislang ungeschriebenes unternehmensinternes Neutralitätsgebot in Abstimmung mit dem Betriebsrat in die Arbeitsordnung auf, wonach es den Arbeitnehmern verboten war, sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen. Das belgische Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob diese Regelung eine unmittelbare Diskriminierung darstellt.
Im 2., französischen, Verfahren (Rs. C-188/15) war eine Software-Designerin der Aufforderung des Arbeitgebers nach Neutralität gegenüber Kunden nicht nachgekommen. Das Gericht legte hier die Frage vor, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht von einer Arbeitnehmerin mit islamischem Kopftuch erbringen zu lassen, als eine Ungleichbehandlungen rechtfertigende "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" i. S. d. Richtlinie gesehen werden kann.
Die Entscheidung
Im 1. Fall hat der EuGH die Vorlagefrage verneint, im 2. Fall jedoch geurteilt, dass der bloße Wille des Arbeitgebers, einem Kundenwunsch zu entsprechen, keine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" i. S. d. Richtlinie darstellt.
Das Gericht entschied zunächst, dass eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbiete, keine unmittelbare Diskriminierung darstelle. Denn auch wenn die Richtlinie 2007/08/EG die Freiheit der Person, ihre religiöse Überzeugung öffentlich zu bekunden, schütze, beziehe sich ein unternehmensinternes Neutralitätsgebot unterschiedslos auf jede Bekundung von Überzeugungen, sodass alle Arbeitnehmer gleichbehandelt und angehalten werden, sich neutral zu kleiden.
Allerdings gibt der EuGH zu bedenken, dass sich aus solch einer internen Regel eine mittelbare Diskriminierung ergeben könne. Eine solche Ungleichbehandlung würde jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien. Eine sachliche Rechtfertigung könne sich z. B. durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden ergeben. Dies zu überprüfen sei jedoch Sache der nationalen Gerichte.
Hinsichtlich des 2. Falls entschied der EuGH, dass der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i. S. d. Richtlinie angesehen werden könne. Er führte hierzu aus, dass in Fällen, in welchen ein Unternehmen kein internes Neutralitätsgebot aufgestellt hat, ein Kopftuchverbot des Arbeitgebers nur dann nicht diskriminierend sei, wenn es eine entscheidende und wesentliche berufliche Anforderung i. S. d. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellt. Hierfür reiche jedoch der Wille des Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht aus.