Rz. 73
Ob die Befristung eines Arbeitsvertrags unwirksam ist bzw. sich ein Fortsetzungsanspruch des Arbeitnehmers aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ergeben kann, ist bereits seit der Entscheidung des Großen Senats des BAG aus dem Jahre 1960 umstritten. Der Große Senat des BAG hat sich im Beschluss vom 12.10.1960 (BAG, Beschluss v. 12.10.1960, GS 1/59) mit der Frage befasst, ob sich die Berufung des Arbeitgebers auf die Rechtswirksamkeit einer Befristung eines Arbeitsvertrags als Rechtsmissbrauch darstellen kann, wenn die an sich wirksame Befristung das Kündigungsverbot nach § 9 MuSchG leer laufen lässt.
Bislang entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass kein Fall des Rechtsmissbrauchs vorliegt, selbst wenn im Wissen um eine bestehende Schwangerschaft der Arbeitnehmerin ein befristetes Arbeitsverhältnis mit Sachgrund abgeschlossen wird und der Arbeitgeber sich hernach auf den Befristungsablauf beruft.
Spätestens seit den Urteilen des EuGH aus dem Oktober 2001 (EuGH, Urteil v. 4.10.2001, Rs. C-109/00 und EuGH, Urteil v. 4.10.2001, Rs. C-438/99) ist die Problematik der Wirksamkeit einer Befristung mit einer schwangeren Arbeitnehmerin virulent geworden. In den beiden vorgenannten Urteilen des EuGH macht dieser deutlich, dass der Diskriminierungsschutz nach Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG auch die Befristung von Arbeitsverhältnissen erfasst. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil v. 4.10.2001, Rs. C-438/99) nicht entschieden, dass jedwede Befristung eines Arbeitsverhältnisses eine Diskriminierung darstellt.
Nach der hier vertretenen Auffassung – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2001 – ist nicht jede Befristung eines Arbeitsvertrags mit einer schwangeren Arbeitnehmerin unwirksam und der Arbeitgeber nicht verpflichtet diesen über den Befristungsablauf hinaus fortzusetzen.
Rz. 74
Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil v. 4.10.2001, Rs. C-438/99) weist unter Erwägung (46) darauf hin, dass es ständiger Rechtsprechung entspricht, dass eine Weigerung, eine für die betreffende Tätigkeit geeignet gehaltene Arbeitnehmerin einzustellen, weil sie schwanger ist, eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, die gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG verstößt. Deshalb hat das nationale Gericht zu prüfen, ob die Nichterneuerung eines Arbeitsvertrags, der zu einer Abfolge von befristeten Verträgen gehört, nicht tatsächlich ihren Grund in der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hatte. Dies jedoch hat auch das Bundesarbeitsgericht in seinen früheren Entscheidungen als denkbar und möglich angesehen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach § 15 Abs. 6 AGG nicht zu einem Fortsetzungsanspruch führt, sondern zu einem Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG.
Rz. 75
Für den Fall, dass dem Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses eine Schwangerschaft nicht bekannt ist oder diese nicht bestand, ändert sich an der Rechtslage nichts. Eine Umkehrung des Regelausnahmeverhältnisses, wie es das BAG bislang vertritt, nämlich dass die Befristung grundsätzlich wirksam ist, allenfalls bei Hinzutreten ganz besonderer Umstände sich überhaupt ein Fortsetzungsanspruch ergeben kann, bleibt bestehen. Lediglich im Fall einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen wird die Position des Arbeitgebers eine schlechtere sein.