Bernhard Steuerer, Stefan Seitz
Beispiel 1
Die Parteien schließen in einem Kündigungsschutzprozess am 11.1. vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis im Folgejahr zum Ablauf des 30.4. ende und der Arbeitnehmer so lange unwiderruflich unter Fortzahlung seiner Vergütung und Anrechnung seiner Urlaubsansprüche freigestellt werde.
Ziff. 4 des Vergleiches lautet:
"Die Arbeitgeberin zahlt an den Arbeitnehmer als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG einen Betrag i. H. v. 24.000,00 EUR brutto; Einigkeit besteht darüber, dass der Zahlbetrag erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird."
11 Monate später verstirbt der Arbeitnehmer.
Muss der Arbeitgeber die Abfindungssumme am 30.4. des Folgejahres an die Erben des Verstorbenen bezahlen?
Beispiel 2
Die Parteien schließen einen Auflösungsvertrag zum Ablauf des 30.6. und weisen im Vertrag darauf hin, dass der Arbeitnehmer mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses übergangslos vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nimmt und ihm der Arbeitgeber zur Milderung der Einkommenseinbuße eine Abfindung bezahlt, die mit Ende des Arbeitsverhältnisses fällig ist.
Der Arbeitnehmer verstirbt vor der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Muss der Arbeitgeber die Abfindungssumme am 30.6. an die Erben des Verstorbenen bezahlen?
Wäre in den obigen Fällen der Arbeitnehmer jeweils erst nach Fälligkeit der Abfindung gestorben, hätte es keinen Zweifel an der Zahlungspflicht gegeben. Denn fällige Ansprüche werden vererbt. So liegen die Fälle hier aber nicht.
Nach der Entscheidung des BAG vom 22.5.2003 kommt es auf die Auslegung des Auflösungsvertrags an, wenn in ihm keine Sonderregelung für den Todesfall getroffen wurde:
Über allen Verträgen liegt eine gewisse Unsicherheit über die Lebensdauer des Vertragspartners; da es ein Erbrecht gibt, hängt grundsätzlich der Fortbestand der Verträge nicht davon ab, wie lange der Vertragspartner lebt. Deshalb kann nicht als Regelfall angenommen werden, der Arbeitnehmer müsse davon ausgehen, ein Abfindungsvergleich werde hinfällig, wenn er den Auflösungstermin nicht erlebe. Ein solcher Erfahrungssatz besteht nicht. Etwas anderes gilt nur, wenn sich aus der Parteivereinbarung ergibt, dass das Erleben des vereinbarten Beendigungszeitpunkts Vertragsinhalt geworden ist. Haben die Parteien nicht ausdrücklich vereinbart, dass die Abfindung nur gezahlt werden soll, wenn der Arbeitnehmer den vereinbarten Beendigungszeitpunkt erlebt, ist die im Vertrag verlautbarte Interessenlage der Parteien zu würdigen. Es ist vor allem zu prüfen, welchem Zweck die Abfindung nach dem erklärten Parteiwillen dienen sollte. Stellt die Abfindung in erster Linie eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Mitarbeiters in die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar, spricht dies dafür, dass die Zahlung der Abfindung nach dem Parteiwillen nicht davon abhängig sein sollte, dass der Arbeitnehmer den vereinbarten Beendigungszeitpunkt auch erlebt.
Anders ist es, wenn bei Frühpensionierungsprogrammen die Abfindung vor allem dem Zweck dienen sollte, den Verdienstausfall des Arbeitnehmers zwischen dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt und dem frühestmöglichen Bezug einer gesetzlichen Altersrente auszugleichen. Stirbt bei einem derartigen Abfindungsvergleich der Arbeitnehmer vor dem vorgesehenen Beendigungszeitpunkt, steht fest, dass die Vermögensnachteile, die die Abfindung vor allem ausgleichen sollte, nicht mehr entstehen können. Würde man hier die Zahlung der Abfindung von der tatsächlichen Beendigung durch den Aufhebungsvertrag abkoppeln, so würde der Vertrag nur die Erben begünstigen, was nach dem Ziel der Parteivereinbarung (Milderung der sich aus der Frühpensionierung für den Arbeitnehmer ergebenden finanziellen Folgen) nicht gemeint sein kann. Folglich muss der Arbeitgeber im Beispiel 1 die Abfindung an die Erben zahlen, im Beispiel 2 dagegen nicht.
Praxis-Tipp für eine klare Formulierung
"Die Abfindung wird mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausbezahlt, ist jedoch bereits jetzt schon entstanden und damit vererblich."
Oder: "Die Abfindung dient lediglich dem Ausgleich folgender wirtschaftlicher Nachteile: … Sie entsteht damit nicht, wenn der Arbeitnehmer vor dem … verstirbt."