Dr. Cornelia Feldmann, Dr. Dieter Bremecker
5.1 Grundsätzliches
Zunächst werden einige Grundbegriffe geklärt, um die komplexen Ausführungen zur Tarifgeltung verständlicher zu gestalten.
5.1.1 Normative, schuldrechtliche Tarifbindung
Eine sog. normative – d. h. zwingende und unmittelbare – Tarifbindung ist gegeben, wenn beide Vertragsparteien Mitglied in den tarifschließenden Verbänden sind. Dies bedeutet, der Arbeitgeber ist entweder Mitglied im Arbeitgeberverband, z. B. im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) oder schließt einen Haus- bzw. Firmentarifvertrag. Zugleich ist der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft, z. B. der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di oder der dbb beamtenbund und tarifunion.
Sind beide Arbeitsvertragsparteien an den Tarifvertrag – normativ – gebunden und wird die Einrichtung in eine nicht tarifgebundene Firma ausgelagert, z. B. GmbH, AG, so bestimmt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, dass die betroffenen Arbeitsverhältnisse unter Fortgeltung des Tarifvertrags übergehen. Der Tarifvertrag gilt allerdings nur eingefroren auf dem Stand des Auslagerungsdatums.
Eine sog. schuldrechtliche Tarifbindung ist gegeben, wenn im Arbeitsvertrag auf die Geltung des Tarifvertrags verwiesen wird. Im Regelfall verweist der Arbeitgeber, der Mitglied im Arbeitgeberverband ist, in sämtlichen Arbeitsverträgen – sowohl der Gewerkschaftsmitglieder wie der Nichtgewerkschaftsmitglieder – auf die "jeweils gültige Fassung des TVöD/TV-L". Der Tarifvertrag gilt in diesen Fällen für die Nichtgewerkschaftsmitglieder schuldrechtlich, als Bestandteil des Arbeitsvertrags.
Tarifverträge können auch für "allgemeinverbindlich" erklärt werden. Dies ist z. B. der Fall beim Tarifvertrag der Gebäudereiniger, der dann unabhängig von der Mitgliedschaft der Arbeitsvertragsparteien in den jeweiligen Verbänden für alle Mitarbeiter normativ gilt.
Der TVöD ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt.
5.1.2 Arten von Bezugnahmeklauseln
In der Praxis werden verschiedene Formen von Bezugnahmeklauseln verwendet.
Am häufigsten findet sich in Arbeitsverträgen die sog. kleine dynamische Verweisung auf den Tarifvertrag. So wird im öffentlichen Dienst meist folgende Bezugnahme vereinbart:
"Für das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des TVöD (TV-L) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung."
Das BAG spricht diesbezüglich auch von einer "unbedingten zeitdynamischen Verweisung" auf die jeweils gültige Fassung des Tarifvertrags.
Davon zu unterscheiden ist die – allerdings wenig verbreitete – große dynamische Verweisung, auch Tarifwechselklausel genannt:
"Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des jeweils für den Arbeitgeber gültigen Tarifvertrags Anwendung."
Möglich ist auch die Vereinbarung einer sog. statischen Verweisung, in der auf eine bestimmte Fassung des Tarifvertrags verwiesen wird.
"Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des TVöD in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31.3.2008 Anwendung." (des TV-L in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 1.3.2009 Anwendung).
Das BAG hält es für zulässig, die Inbezugnahme des Tarifvertrags auch bedingt zu vereinbaren:
"Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des TVöD (TV-L) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Dies gilt jedoch nur, solange der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband bzw. Partei eines Haustarifvertrags ist."
5.1.3 Die verschiedenen Fallgestaltungen des § 613a BGB
Im Falle eines Betriebsübergangs gehen die Arbeitsverhältnisse der in dem betroffenen Bereich beschäftigten Arbeitnehmer kraft Gesetzes auf den neuen Betriebsinhaber über. § 613a BGB unterscheidet hinsichtlich der Fortgeltung der bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen zwischen 3 Alternativen:
Alternative 1:
Der bisherige Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden. Der neue Betriebsinhaber tritt in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen bleiben unverändert bestehen.
Alternative 2:
Beim bisherigen Arbeitgeber findet ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis normativ Anwendung. Der neue Betriebsinhaber ist nicht tarifgebunden bzw. an einen mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag gebunden. Die Rechtsnormen des bisherigen Tarifvertrags werden transformiert in den Arbeitsvertrag, gehen mit ihrem Status quo zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf den neuen Betriebsinhaber über und unterliegen einer 1-jährigen Veränderungssperre, sog. statische Tarifbindung (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB).
Alternative 3:
Beim bisherigen Arbeitgeber findet ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis normativ Anwendung. Der neue Betriebsinhaber ist an einen mit derselben Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag gebunden. Die Rechtsnormen des Tarifvertrags des neuen Betriebsinhabers lösen die bisherigen Tarifregelungen ab, selbst zuungunsten der Arbeitnehmer (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB).
5.2 Die bisherige Rechtsprechung des BAG
5.2.1 Früher: "Gleichstellungsabrede"
Nach der früheren Rechtsprechung des BAG waren bei Tarifbindung des Arbeitgebers dynamische Verweisungsklauseln in aller Regel als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen.
Dies bedeutete: Für die Gewerkschaftsmitglieder galt nach einem Betriebsü...