Dr. Cornelia Feldmann, Dr. Dieter Bremecker
Die folgenden Ausführungen gelten für Arbeitsverhältnisse, die ab dem 1.1.2002 geschlossen wurden und zukünftig geschlossen werden.
5.5.1 Veräußerer und Erwerber sind nicht tarifgebunden
– Bisherige Rechtsprechung des BAG
Wird bei einem nicht tarifgebundenen Veräußerer auf die Bestimmungen eines Tarifvertrags, z. B. des TVöD, in der jeweils gültigen Fassung verwiesen, so wird nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB diese Vertragsgestaltung auf den neuen Arbeitgeber übertragen.
Für Arbeitnehmer, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind, galt bereits beim Betriebsveräußerer der Tarifvertrag nur schuldrechtlich, durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Für diese Arbeitnehmer wirkt die 1-jährige Veränderungssperre nach § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB nicht.
Die einzelvertragliche Vereinbarung des Tarifvertrags entwickelt jedoch eine eigenständige Wirkung. Die vertragliche Verpflichtung des alten Arbeitgebers geht nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den neuen Arbeitgeber über.
Regelmäßig wird in Arbeitsverträgen – um die nicht tarifgebundenen den tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichzustellen – "auf die jeweils gültige Fassung des Tarifvertrags" verwiesen (sog. dynamische Verweisung).
Insbesondere in den Arbeitsverträgen des öffentlichen Dienstes und der TVöD-Anwender wird verwiesen auf die "jeweils gültige Fassung" des Tarifvertrags.
Wird allgemein auf die Geltung des Tarifvertrags verwiesen, ohne eine bestimmte Fassung zu bezeichnen, so ist daraus zu folgern, es sei eine dynamische Verweisung beabsichtigt.
Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB und der bisherigen Rechtsprechung des BAG muss der Betriebserwerber den Tarifvertrag auch nach dem Betriebsübergang unter Zugrundelegung aller Änderungen, vor allem der regelmäßigen jährlichen Tariferhöhungen, anwenden – und zwar ohne die für die Gewerkschaftsmitglieder gültige Jahresbeschränkung.
– Auswirkung der EuGH-Entscheidungen von 2013 und 2017
Das Argument des EuGH, dem Betriebserwerber müsse die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen erhalten bleiben, betrifft naturgemäß auch die Situation der schuldrechtlichen Tarifbindung bei Veräußerer und Erwerber. Die Rechtsprechung des EuGH geht – wenn der Veräußerer aufgrund eigener Entscheidung die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes dynamisch anwendet – von einer dynamischen Wirkung aus. Dafür spricht, dass der Erwerber beim Erwerb sich darüber bewusst ist, wie die Arbeitsverträge des Veräußerers hinsichtlich der Wirkung des Tarifvertrags gestaltet sind. Er hat also das wirtschaftliche Risiko des Erwerbs berücksichtigen müssen.
5.5.2 Veräußerer und Erwerber sind tarifgebunden
– Bisherige Rechtsprechung des BAG
Zugrunde liegen der Fallgestaltung zwei Entscheidungen des BAG. In beiden Fällen war in der abgebenden Einrichtung im Arbeitsvertrag Bezug genommen auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes – damals noch BAT. Zugleich war die abgebende Einrichtung jeweils im Kommunalen Arbeitgeberverband. Der eine Mitarbeiter war vor dem Betriebsübergang tarifgebunden (4 AZR 767/06), also Gewerkschaftsmitglied, der andere dagegen nicht (4 AZR 765/06). Beide Mitarbeiter verrichteten überwiegend Reinigungstätigkeiten. Die neuen Arbeitgeber wendeten nach dem Betriebsübergang die allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Gebäudereinigerhandwerks an.
Das BAG entschied beide Fälle parallel. Der BAT bzw. TVöD ist auch nach dem Betriebsübergang über die entsprechende Auslegung im Arbeitsvertrag weiterhin dynamisch anwendbar. Im Arbeitsvertrag war in beiden Fällen auf die jeweils gültige Fassung des BAT bzw. TVöD verwiesen worden (sog. kleine dynamische Verweisung, vgl. oben Ziff. 5.1). Das BAG stellte klar, dass es sich nicht um einen Fall von Tarifkonkurrenz handele. Es gelte vielmehr das Günstigkeitsprinzip, da ein arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifvertrag neben einem normativ geltenden allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Anwendung finde.
Besonders interessant ist die Begründung des BAG für den tarifgebundenen Arbeitnehmer:
In der Vergangenheit wurde vom BAG eine Ablösung des Tarifvertrags des Veräußerers durch den Tarifvertrag des Erwerbers (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) nur zugelassen, wenn beide Tarifverträge mit derselben Gewerkschaft, z. B. ver.di, abgeschlossen war. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der TVöD mit den Gewerkschaften ver.di und dbb beamtenbund und tarifunion u. a. abgeschlossen war, der Gebäudereinigertarif dagegen nicht. Allerdings findet der Gebäudereinigertarifvertrag wegen seiner Allgemeinverbindlichkeit normative Anwendung.
- Arbeitsvertragliche Ebene:
Auf der arbeitsvertraglichen Ebene konnte ein solcher Tarifwechsel nicht angenommen werden, da die dynamische Verweisung auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes nicht als Tarifwechselklausel ausgelegt werden kann. Das BAG bestätigte, dass die Bezugnahmeklausel auch bei tarifgebundenen Arbeitnehmern (Gewerkschaftsmitgliedern) konstitutive Wirkung entfalte, also Bedeutung habe. Obwohl der Gebäudereinigertarifvertrag – wegen der Allgemeinverbindli...