Entscheidungsstichwort (Thema)
Berifliche Freistellung von Betriebsratsmit gliedern. Aufgaben des Betriebsrats
Leitsatz (amtlich)
1. In welchem Umfang Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt werden müssen, ist eine Frage, bei deren Beantwortung dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden muß.
2. Bei der Feststellung der zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlichen Zeitdauer darf der Tatsachenrichter in analoger Anwendung des § 287 ZPO eine Schätzung vornehmen. Er muß jedoch die Beteiligten anhalten, all' das darzulegen, was für das Ergebnis dieser Schätzung von Bedeutung sein kann, und er muß bei der Schätzung das gesamte für diese wesentliche Vorbringen der Beteiligten würdigen.
3. Die Nichtbeachtung der unter 2 erörterten Grundsätze gibt den Beteiligten die Möglichkeit, im Rechtsbeschwerdeverfahren begründete Prozeßrügen vorzubringen.
4. § 554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO gilt auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren.
5. Abgesehen von begründeten Prozeßrügen kann das Rechtsbeschwerdegericht den Beschwerdebeschluß nur daraufhin nachprüfen, ob in ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind.
6. Zu den in § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG genannten Aufgaben des Betriebsrats gehören nur diejenigen, die dem Betriebsrat durch das Gesetz zugewiesen sind.
7. Die vom Senat zu § 37 Abs. 2 BetrVG ausgesprochenen Grundsätze gelten auch im Fall des § 37 Abs. 3 BetrVG.
8. Wie die Arbeitseinteilung innerhalb des Betriebsrats vorzunehmen ist, ist nicht Sache des Arbeitgebers, sondern des Betriebsrats selbst. Der Betriebsrat muß jedoch bei der Gestaltung seiner Tätigkeit auch die Belange des Betriebes im Auge halten und deshalb die rationellste Gestaltung anstreben.
9. Handelt es sich nicht um die Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden, sondern um die zusätzliche Freistellung eines weiteren Mitglieds des Betriebsrats, so muß eine Gesamtbetrachtung vorgenommen werden.
Normenkette
BetrVG §§ 27-28, 32, 37-38, 49, 51, 54, 56, 60, 67, 82; ArbGG §§ 2, 8, 80; ZPO §§ 287, 554; Rechtsberatungssmißbrauchsgesetz §§ 6-7
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 04.05.1962; Aktenzeichen 3 Ta BV 12/61) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Außenkammern Stuttgart, vom 4. Mai 1962, 3 Ta BV 12/61, aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
I. Der Antragsteller ist der Betriebsrat im Betrieb der Antragsgegnerin. Dieser Betrieb hat sich seit dem Zusammenbruch erheblich vergrößert. Die Betriebsräume, die bis zum Jahre 1945 benutzt worden waren, reichten daher nicht mehr aus, sondern mußten durch Hinzunahme anderer Räume erweitert werden. Diese anderen Räume waren z. T. nicht in unmittelbarer Nachbarschaft des ursprünglichen Betriebs zu beschaffen. In diesem, dem Stammbetrieb oder Werk I, arbeiteten Mitte 1962 etwa 1.200 Arbeitnehmer. Dort befanden sich auch die Räume der Geschäftsleitung und das Betriebsratszimmer. Einige hundert Arbeitnehmer waren im Werk II, das etwa 400 m vom Werk I entfernt ist, beschäftigt; in den ebenfalls räumlich getrennten Werken III und IV arbeiteten damals jeweils weniger als 100 Arbeitnehmer. Das Werk V. diente nur als Unterkunft. Etwa 80 % der gewerblichen Arbeitnehmer arbeiteten in Akkord. Es wurde von montags bis freitags in jeder Woche gearbeitet. Ein Teil der Arbeitnehmer, und zwar etwa 500, arbeitete im Zweischichtenbetrieb, der Rest nur in Tagesschicht. Die tägliche Arbeitszeit betrug acht Stunden und 48 Minuten.
Im Betrieb der Antragsgegnerin wurden in erster Linie Karosserien, für die …-Werke hergestellt, und zwar täglich 90 bis 95 Stück. Vor einiger Zeit hatte die tägliche Produktion noch etwa 125 Stück betragen. Wegen des Auftragsrückgangs vonseiten der …-Werke übernahm die Antragsgegnerin im Winter 1961/1962 auch die Fertigung von Karosserien für einen …-Sportwagen. Diese Produktion befand sich Mitte 1962 erst im Anlaufen. Während die Belegschaftsstärke Ende September 1961 1676 Arbeitnehmer betragen hatte, betrug sie im März 1962 1522 männliche und 60 weibliche Arbeiter sowie 179 Angestellte. Darunter befanden sich 80 gewerbliche und 20 kaufmännische Lehrlinge. 190 Arbeitnehmer waren im März 1962 Ausländer.
Der Vorsitzende des 13-köpfigen Betriebsrats war seit jeher von der Arbeit völlig freigestellt. Der stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats war für drei Stunden am Tage von der Arbeitsleistung befreit. In besonderen Fällen wurde er jeweils auf Antrag in weiterem Umfang für einzelne Verrichtungen freigestellt. Der Betriebsrat ist jedoch der Ansicht, seine Tätigkeit habe einen solchen Umfang, daß die völlige Freistellung auch des stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrats erforderlich sei. Er hat daher beim Arbeitsgericht im Beschlußverfahren beantragt anzuordnen, daß dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden nicht nur bis zu drei Stunden täglich Freistellung von der Berufsarbeit gewährt wird, sondern ganztägig.
Die Antragsgegnerin hat gebeten, den Antrag des Betriebsrats zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Antragsgegnerin verpflichtet sei, den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ganztägig von seiner Berufsarbeit zu befreien. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Unter Zulassung der Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Antragsgegnerin verpflichtet sei, den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden an jedem Arbeitstag sechs Stunden von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen. Gegen diesen Beschluß haben beide Beteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende hat sich der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats angeschlossen. Dieser will mit seinem Rechtsmittel weiterhin die ganztägige Befreiung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden von der Berufsarbeit erreichen. Die Antragsgegnerin erstrebt nach wie vor die Feststellung, daß eine Arbeitsbefreiung von drei Stunden täglich für den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ausreiche.
Entscheidungsgründe
II. 1. Nach § 37 Abs. 3 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsmäßigen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Frage, in welchem Umfang diese Freistellung gerechtfertigt ist, betrifft die Geschäftsführung des Betriebsrats. Zu ihrer Entscheidung sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 i, § 8 Abs. 1, § 80 Abs. 1 ArbGG, § 82 Abs. 1 i BetrVG die Arbeitsgerichte im Beschlußverfahren zuständig.
2. Das Gesetz hat mit der Vorschrift des § 37 Abs. 3 eine typisierende, d. h. eine auf die „Erforderlichkeit” der Freistellung im einzelnen Betrieb abgestellte Regelung getroffene Obwohl der Anfall von Betriebsratsaufgaben nicht immer gleich groß ist, läßt das Gesetz eine ihrem Umfang nach gleichbleibende Zeitdauer der Freistellung zu. Dies setzt gedanklich voraus, daß für den Freizustellenden im einzelnen Betrieb ein regelmäßiger Umfang des laufenden Anfalls von ihm zu erledigender Betriebsratsaufgaben vorliegt. Der zeitliche Umfang der Freistellung muß sich aber gemäß der gesetzlichen Regelung nach Umfang und Art des konkreten Betriebs richten. Hiernach muß im Bereich des BetrVG auf die Umstände des einzelnen Falles abgestellt werden. Bei den Fehlen einer tariflichen typisierenden Regelung (vgl. dazu BAG 4, 192 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG) ist im Bereich des BetrVG nicht, wie das nach einigen früheren Ländergesetzen (Bayern, Saarland) der Fall war, allein die Zahl der Belegschaftsmitglieder entscheidend.
Wenn es das Gesetz als maßgeblich ansieht, welche Zeit nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsmäßigen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist, so handelt es sich dabei also um unbestimmte Rechtsbegriffe. Deshalb ist bei der Entscheidung dieser Frage dem Gericht der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum einzuräumen (so auch BAG 4, 192 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt, daß in Fällen dieser Art das Revisions-(Rechtsbeschwerde-)gericht in materiell-rechtlicher Hinsicht nur prüfen kann, ob das Tatsachengericht Rechtsbegriffe verkannt oder gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat. „Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, im einzelnen sich selbst ein Bild der sachlichen Umstände machen zu wollen” (AP Nr. 1 zu § 43 BetrVG).
Aber selbst das Tatsachengericht ist bei seiner Entscheidung über die für die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben notwendige Zeitdauer in gewissem Umfang auf eine Schätzung angewiesen. Denn der von ihm als angemessen festzusetzenden gleichbleibenden Dauer der Freistellung steht ein nicht gleichbleibender Anfall von durch den Freigestellten zu erledigender Aufgaben gegenüber. Es muß deshalb festgestellt werden, welche Aufgaben für den Freigestellten nachhaltig in gleichbleibendem oder doch nahezu gleichbleibenden Umfang anfallen werden und wieviel Zeit die Erledigung dieses regelmäßigen Arbeitsanfalls für den Freigestellten bei sachgerechter Verteilung der Betriebsratsaufgaben auf alle Mitglieder des Betriebsrats voraussichtlich erfordern wird. Das ist ohne Schätzung nicht zu klären. Deshalb ist auf Fälle dieser Art § 287 ZPO über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden (vgl. zu einem ähnlichen Fall AP Nr. 1 zu § 611 BGB Urlaub und Kur).
Zu dem Fall einer Schätzung nach § 287 ZPO hat der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 14. Dezember 1962, 1 AZB 188/61, Stellung genommen. Er hat dort die Verpflichtungen des eine Schätzung nach § 287 ZPO vorzunehmenden Gerichts auf geführt. Diese Grundsätze müssen auch im Fall einer nur analogen Anwendung des § 287 ZPO beachtet werden.
Sache des nach § 287 ZPO entscheidenden Gerichts ist es danach zunächst, dafür zu sorgen, daß dem Gericht das zur Vornahme der Schätzung notwendige Tatsachenmaterial so vollständig wie möglich vorliegt; denn andernfalls kann die auch im Rahmen des § 287 ZPO anzustrebende Genauigkeit des Ergebnisses nicht erreicht werden. Das gilt erst recht in dem hier vorliegenden Fall des Beschlußverfahrens, da dieses der Offizialmaxime unterliegt.
Weiter muß das Gericht das ihm unterbreitete Material, soweit es für die Schätzung erheblich sein kann, in vollem Umfang würdigen. Denn § 287 ZPO schreibt bei aller Freiheit, die er dem Gericht läßt, eine „Würdigung aller Umstände” vor. Die Beteiligten haben also auch im Rahmen des § 287 ZPO einen Anspruch darauf, daß sich das Gericht mit allen irgendwie wesentlichen Argumenten, die von den Beteiligten vorgebracht werden, auseinandersetzt. Die Begründung der gerichtlichen Entscheidung muß auch erkennen lassen, daß eine solche vollständige Würdigung vorgenomnen worden ist.
Wird eine Entscheidung diesen Anforderungen nicht gerecht, so verstößt das Gericht gegen das Gebot des § 287 ZPO, nach dem alle Umstände gewürdigt werden müssen. Ein solcher Verfahrensverstoß ist allerdings nach § 554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren gilt, nur auf eine ausdrückliche Verfahrensrüge hin zu berücksichtigen (AP Nr. 7 zu § 92 ArbGG). Fehlt es an einer solchen, so besteht für das Rechtsbeschwerdegericht keine Möglichkeit, das Ergebnis der vom Tatsachengericht vorgenommenen Schätzung zu beanstanden.
3. Zur Auslegung des § 37 Abs. 3 BetrVG Stellung zu nehmen, hatte der Senat bisher noch keine Veranlassung. Er hat sich jedoch wiederholt mit Streitigkeiten aus § 37 Abs. 2 BetrVG befaßt (BAG 1, 158 = AP Nr. 1 zu § 37 BetrVG; BAG 1, 145 = AP Nr. 2 zu § 37 BetrVG; BAG 4, 75 = AP Nr. 4 zu § 37 BetrVG; AP Nr. 7 zu § 37 BetrVG). Nach den dort gemachten Ausführungen, an denen festgehalten wird, beurteilt sich die Frage, ob eine Arbeitsversäumnis erforderlich war, nicht nur nach dem subjektiven Ermessen des Betriebsrats. Hinzukommen muß vielmehr, daß ein vernünftiger Dritter die Arbeitsversäumnis bei Berücksichtigung der Interessen des Betriebes einerseits, des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits für sachlich geboten halten würde.
Dieser Maßstab muß auch im Falle eines Streits aus § 37 Abs. 3 BetrVG angelegt werden; denn dieser stellt ebenso wie § 37 Abs. 2 BetrVG darauf ab, was nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsmäßigen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist. Es kommt also auch in Rahmen des § 37 Abs. 3 BetrVG darauf an, wie ein verständiger Außenstehender die Frage der Notwendigkeit einer Freistellung beurteilt.
Bei der Festlegung der Zeitdauer der Freistellung ist zu beachten, daß § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG auf die Betriebsratsaufgaben abstellt. Was nicht zu den Betriebsratsaufgaben gehört, kann hier also nicht berücksichtigt werden. Was der Senat in diesem Zusammenhang in BAG 1, 145 = AP Nr. 2 zu § 37 BetrVG ausgesprochen hat, kann nach den vorstehenden Ausführungen auch für den Bereich des § 37 Abs. 3 BetrVG Geltung beanspruchen.
Eine der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen über den Aufgabenbereich des Betriebsrats ist § 54 Abs. 1 BetrVG. Die dort erwähnte Überwachungspflicht (Buchst. b) kann es mit sich bringen, daß der Betriebsrat in angemessenen Zeitabständen Rundgänge eines seiner Mitglieder durch den Betrieb veranlaßt. Auch sind solche Rundgänge unter Umständen notwendig, damit der Betriebsrat seinen Verpflichtungen aus den §§ 51, 54 Abs. 1 a BetrVG nachkommen kann.
Der Betriebsrat muß jedoch stets im Auge behalten, daß das Gesetz eine Freistellung nur für die Zeit vorsieht, die zur Erledigung der Betriebsratsaufgaben auch wirklich erforderlich ist. Er muß deshalb seine Arbeit so rationell wie möglich einteilen. Auch die Mitglieder des Betriebsrats sind kraft ihres Arbeitsvertrages in erster Linie verpflichtet, die vereinbarte Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu erbringen. § 37 Abs. 3 BetrVG ist demgegenüber als Ausnahmevorschrift anzusehen, die mit den Wort „erforderlich” einen strengen Maßstab anzulegen gebietet.
Deshalb muß der Betriebsrat nicht nur darauf bedacht sein, die Rundgänge eines seiner Mitglieder durch den Betrieb auf das notwendige Maß zu beschränken. Er muß vielmehr auch bei Vorliegen der in § 38 BetrVG vorausgesetzten Betriebsgröße ernstlich prüfen, ob durch die Einrichtung von Sprechstunden der Zeitaufwand verringert werden kann. Wenn die Einrichtung von Sprechstunden nach § 38 BetrVG für den Betriebsrat auch nicht zwingend vorgeschrieben ist, so muß er doch auch hier die rationellste Methode anwenden.
Die weitere Aufgabe des Betriebsrats nach § 54 Abs. 1 c BetrVG bringt es mit sich, daß er den Arbeitnehmern des Betriebs zur Entgegennahme von Beschwerden und im Zusammenhang hiermit zur Erteilung von Rat zur Verfügung stehen muß. Dabei hat der Senat die von Dietz, BetrVG, 3. Aufl., § 54 Anm. 8 vertretene Ansicht, die Arbeitnehmer hätten sich stets zunächst mit ihren Beschwerden an den Arbeitgeber zu wenden, in Übereinstimmung mit der weitaus herrschenden Lehre (Hueck-Nipperdey, Lehrbuch, 6. Aufl., Bd. II S. 812, 822; Maus, Handbuch des Arbeitsrechts, VIII BetrVG, S. 366; Galperin-Siebert, BetrVG, 3. Aufl., § 54 Anm. 7; Fitting-Kraegeloh-Auffarth, BetrVG, 6. Aufl., § 54 Anm. 12; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 447) bereits früher abgelehnt (AP Nr. 7 zu § 37 BetrVG).
Eine Erteilung von Rat soll sich allerdings auf Fragen beschränken, die mit den Arbeitsverhältnissen der Ratsuchenden zusammenhängen. Jedoch muß der Betriebsrat, um das feststellen zu können, die betreffenden Arbeitnehmer erst anhören. Auch die dafür erforderliche Zeit ist im Rahmen des § 37 Abs. 3 BetrVG mit zu berücksichtigen, wie überhaupt gerade im Zusammenhang mit § 54 Abs. 1 c BetrVG der Betriebsrat es nicht in der Hand hat, von sich aus den Umfang seiner Tätigkeit von vornherein genau festzulegen.
Die weiteren Pflichten des Betriebsrats ergeben sich vor allem aus den Abschnitten 2 bis 4 im 4. Teil des BetrVG. Danach ist der Betriebsrat mit Einstellungen und Entlassungen, mit Umgruppierungen und Versetzungen, mit Fragen der Arbeitsordnung, darunter je nach der in Einzelfall geltenden tariflichen Regelung auch mit Lohnfragen, und mit wirtschaftlichen Angelegenheiten befaßt.
Das Gesetz begründet insoweit die Zuständigkeit des Betriebsrats als ganzen. Es geht also nicht an, die Betriebsratsaufgaben allein dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter zu übertragen. Wenn sich das im Hinblick auf den erforderlichen Zeitaufwand als rationell erweist, so müssen deshalb auch weitere Betriebsratsmitglieder herangezogen werden, um den Vorsitzenden und den Stellvertreter zu entlasten. In der Willensbildung kann der Betriebsrat seine Rechte niemals übertragen (§ 27 Abs. 2, § 32 Abs. 1 BetrVG). Auch der Betriebsausschuß (§ 28 BetrVG) führt lediglich die laufenden Geschäfte. Im übrigen ist die Beschlußfassung Sache aller Mitglieder des Betriebsrats.
Es bleibt jedoch eine Reihe von Aufgaben übrig, die entweder von dem Vorsitzenden des Betriebsrats oder seinem Vertreter erledigt werden müssen. Dazu gehören vor allem die Vorbereitung der Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen und deren Leitung, die Abfassung der darin abzugebenden Berichte und der im Gesetz vorgesehenen Protokolle, die Erledigung des laufend anfallenden Schriftverkehrs, die Führung von Verhandlungen mit Arbeitgeber und Gewerkschaft sowie die Vertretung des Betriebsrats nach § 27 Abs. 2 BetrVG. Bei Festlegung der hierfür erforderlichen Zeitdauer muß auch berücksichtigt werden, daß es sich bei dem Betriebsratsvorsitzenden und seinem Vertreter nicht immer um Personen handelt, die gerade mit dem Schriftverkehr in besonderem Maße vertraut sind.
Wie die Arbeitseinteilung innerhalb des Betriebsrats vorzunehmen ist, ist nicht Sache des Arbeitgebers, sondern des Betriebsrats selbst. Andernfalls würde dieser in seiner Unabhängigkeit eingeschränkte die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Aber der Betriebsrat muß bei der Gestaltung seiner Tätigkeit auch die Belange des Betriebes im Auge haben und deshalb die rationellste Gestaltung anstreben. Das ergibt sich schon aus § 49 Abs. 1 BetrVG.
Andererseits fordert diese Vorschrift auch vom Arbeitgeber ein gewisses Vertrauen gegenüber dem Betriebsrat hinsichtlich der von diesem getroffenen Aufgabenteilung. Zwar ist der Betriebsrat, der Rechte aus § 37 Abs. 3 BetrVG geltend machen will, verpflichtet, dem Gericht ausreichendes Material für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung zu unterbreiten. § 49 Abs. 1 BetrVG verbietet es jedoch, an die Darlegungspflicht des Betriebsrats übertriebene Anforderungen zu stellen. Insbesondere kann dem Betriebsrat nicht jede Minute vorgerechnet werden, zumal das Gesetz selbst in § 37 Abs. 3 BetrVG eine Typisierung zugelassen hat.
Da es mit Rücksicht auf diese vom Gesetz vorgesehene Typisierung, wie betont, auf die mit einer gewissen Regelmäßigkeit anfallenden Betriebsratsaufgaben ankommt, ist es denkbar, daß bei einem außerordentlichen stärkeren Anfall solcher Aufgaben die zugebilligte Zeitdauer der Freistellung zeitweise nicht ausreicht. Das berechtigt jedoch nicht dazu, mit Rücksicht auf diese außergewöhnlichen Fälle die Dauer der – generellen – Freistellung zu verlängern. Das würde vielmehr gegen § 37 Abs. 1, § 53 Abs. 2 BetrVG verstoßen; denn das Verbot, Entgelt für das Ehrenamt eines Mitgliedes des Betriebsrats zu gewähren, steht auch einer sachlich nicht gerechtfertigten Freizeitgewährung entgegen. Deshalb kann in Fällen eines über den regelmäßigen Arbeitsanfall hinausgehenden zusätzlichen Arbeitsanfalls nur durch Anwendung des § 37 Abs. 2 BetrVG (Arbeitsbefreiung für den Einzelfall) geholfen werden.
Sofern es sich – wie im Streitfall – nicht um die Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden, sondern eines weiteren Betriebsratsmitgliedes handelt (welches nicht immer der Stellvertreter des Vorsitzenden sein muß), muß eine Gesamtbetrachtung angestellt werden. Wenn die Aufgabenverteilung auch Sache des Betriebsrats ist, so muß dieser doch darauf Rücksicht nehmen, daß das Gesetz die Freistellung nur im Rahmen des wirklich Erforderlichen zuläßt. Es geht deshalb nicht an, daß, wenn der Vorsitzende zwar freigestellt, aber mit Betriebsratsaufgaben nicht ausgelastet ist, das weitere Mitglied mit Aufgaben betraut wird, die ohne weiteres noch vom Vorsitzenden erledigt werden könnten. Das würde in gleicher Weise eine gegen § 37 Abs. 1, § 53 Abs. 2 BetrVG verstoßende Freizeitgewährung an den Vorsitzenden darstellen. Andererseits kann von den Betriebsratsmitgliedern nicht verlangt werden, daß sie regelmäßig ihre Freizeit opfern, um echte Betriebsratsaufgaben zu erledigen; denn das würde auf eine nach § 53 Abs. 2 BetrVG ebenfalls unzulässige Benachteiligung hinauslaufen.
4. Die Anwendung der vorstehend unter 2 und 3 erörterten Grundsätze auf den angefochtenen Beschluß ergibt, daß dem Landesarbeitsgericht hinsichtlich des zur ordnungsmäßigen Durchführung der Betriebsratsaufgaben Erforderlichen keine Begriffsverkennung unterlaufen ist. Auch sind Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze nicht zu erkennen. Jedoch ist das Landesarbeitsgericht seinen Verpflichtungen nach § 287 ZPO nicht in vollem Umfang gerecht geworden.
a) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, daß die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 BetrVG, soweit es um die Zeitdauer der Freistellung geht, grundsätzlich keine anderen sind als nach § 37 Abs. 2 BetrVG. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß es die grundsätzliche Berechtigung des Betriebsrats bejaht, soweit das mit dem Gesetz überhaupt vereinbar ist, zu entscheiden, wie er die anfallenden Aufgaben unter seine Mitglieder verteilt. Zu Recht nimmt das Landesarbeitsgericht ferner eine Gesamtbetrachtung vor; denn es prüft nicht nur die Aufgaben, deren Erledigung dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden übertragen ist, sondern berücksichtigt auch die anderen anfallenden Aufgaben, soweit sie vom Vorsitzenden selbst übernommen werden. Insoweit werden von beiden Rechtsbeschwerden auch keine Beanstandungen gegen den angefochtenen Beschluß erhoben.
b) Zu Unrecht wirft die Antragsgegnerin es dem Landesarbeitsgericht vor, daß es zu seinem Ergebnis aufgrund einer Schätzung gekommen ist. Eine andere Möglichkeit, die erforderliche Zeitdauer der Freistellung zu ermitteln, stand dem Gericht nach den obigen Ausführungen nicht zur Verfügung. Es trifft zwar zu, wenn die Antragsgegnerin den Betriebsrat für darlegungspflichtig hält für den Umfang und den Zeitaufwand der anfallenden Betriebsratsaufgaben. Davon ist jedoch offensichtlich auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, und der Betriebsrat hat sogar eine ins Einzelne gehende Aufstellung über die während einer längeren Zeit angefallenen Betriebsratsarbeiten eingereicht.
Die Antragsgegnerin irrt, wenn sie der Auffassung ist, für das Ergebnis sei die Frage der Beweislast von Bedeutung. Es ist schon fraglich, ob hier die Beweislast angesichts der im Beschlußverfahren herrschenden Offizialmaxime überhaupt ein entscheidender Gesichtspunkt ist. Aber selbst wenn das zu bejahen wäre, wäre es doch mit § 287 ZPO nicht zu vereinbaren, die Entscheidung von der Beweislast abhängig zu machen. Denn danach kann das Gericht selbst den Umfang der von ihm vorzunehmenden Beweisaufnahme bestimmen. Auch handelt es sich bei einer Schätzung häufig um solche Umstände, die sich einem sicheren Beweis entziehen. Deshalb sind hier die allgemeinen Regeln über die Beweislast nicht anwendbar.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Rechtsbeschwerde Angriffe gegen die tatsächlichen Feststellungen und gegen die. Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts vorbringt, handelt es sich um in der Rechtsbeschwerdeinstanz unbeachtlichen Tatsachenvortrag. Denn es genügt nicht, wenn ein Beteiligter ohne schlüssige Verfahrensrüge die Richtigkeit einer Feststellung des Landesarbeitsgerichts in Abrede stellt. Es kann deshalb keinen Erfolg haben, wenn die Antragsgegnerin vorträgt, das Landesarbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, daß der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende den Schriftverkehr deshalb übernommen habe, weil er ideenreicher sei als der erste Vorsitzende des Betriebsrats. Insoweit ist eine Tatsachenfeststellung durch das Landesarbeitsgericht getroffen worden, die nicht dadurch beseitigt werden kann, daß der Rechtsbeschwerdeführer ihre Richtigkeit in Abrede stellt, sondern – abgesehen von einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung – nur durch eine erfolgreiche Prozeßrüge, die hier nicht vorgebracht worden ist. Das Landesarbeitsgericht weist darauf hin, daß es diese Feststellung aufgrund der Äußerung des ersten Betriebsratsvorsitzenden getroffen hat. Das ist eine Frage der Beweiswürdigung, nämlich der Glaubwürdigkeit eines Beteiligten. Fragen der Beweiswürdigung sind aber grundsätzlich Fragen, die auf tatsächlichem Gebiet liegen und deshalb der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen sind.
Ferner ist es, ebenso wie im Revisionsverfahren, auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zulässig, den Beschwerdebeschluß mit neuem Tatsachenvortrag anzugreifen. Alles das, was die Antragsgegnerin hinsichtlich angeblicher Vergleichsbetriebe anführt, ist deshalb ebenso unbeachtlich wie der Vortrag des Betriebsrats, aus welchem Grunde die Einrichtung von Sprechstunden nicht möglich gewesen sein soll. Das gilt auch von dem Vortrag der Antragsgegnerin, daß der stellvertretende Betriebsratsvorsitzen de erklärt haben soll, er sei hinsichtlich des Schriftverkehrs ungewandt. Eine solche Erklärung ergibt sich nicht aus den Vorinstanzakten. Sie kann deshalb vom Senat nicht berücksichtigt werden.
Wenn die Antragsgegnerin meint, ein direktes Beschwerderecht der Belegschaft an den Betriebsrat verneinen zu müssen, so ist das nach den obigen grundsätzlichen Erörterungen rechtsirrig. Entgegen der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm, auf die sich die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang beruft, ist, wie schon betont, davon auszugehen, daß die Entgegennahme von Beschwerden und die Erteilung von Rat echte Betriebsrats auf gaben sind. Davon geht der angefochtene Beschluß aus.
Mit Recht macht die Antragsgegnerin in ihrer Rechtsbeschwerde jedoch geltend, daß der angefochtene Beschluß bei der Erörterung der mit der Akkordlohnfestsetzung zusammenhängenden Betriebsratsaufgaben eine vollständige Würdigung im Sinne des § 287 ZPO vermissen läßt. Das Landesarbeitsgericht bringt für die Mitwirkung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden in Akkordlohnfragen, ohne ausreichende Feststellungen zu treffen, zwei Stunden täglich in Ansatz. Zu Unrecht läßt es insoweit, worauf beide Beteiligten übereinstimmend hinweisen, die Sach- und Rechtslage ungeklärt.
Mit einem ähnlichen Problem hatte sich der Senat bereits in dem oben erwähnten Rechtsstreit AP Nr. 7 zu § 37 BetrVG zu beschäftigen. Er hat dort ausgesprochen, daß jede auch nur einigermaßen vollständige Regelung von Akkordfragen in Tarifverträgen eine entsprechende Regelung auf der betrieblichen Ebene ausschließt. Das wirkt sich naturgemäß auf den Umfang der Zeit aus, die die Betriebsratsmitglieder auf die Regelung von Akkordlohnfragen verwenden müssen.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist nach Bl. 10 der im angefochtenen Beschluß in Bezug genommenen Vorinstanzakten Angehöriger der Akkordkommission. Daß im Streitfall eine Tarifbindung vorliegt, ist jedoch nicht festgestellt. Diese Feststellung wird das Landesarbeitsgericht nachholen müssen (vgl. dazu Bl. 45, 64, 72 der Vorinstanzakten), da es auf sie entscheidend ankommen kann.
Liegt eine Tarifbindung vor, so kommt § 8 Nr. 15 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden vom 18. Dezember 1953 zur Anwendung. Dieser bestimmt, daß zur Beilegung von Akkordstreitigkeiten eine Akkordkommission bestellt wird, die aus drei sachkundigen Arbeitern besteht, von denen einer dem Betriebsrat angehören muß. Weitere Akkordkommissionen können u. U. gebildet werden. Entstehen über die Festsetzungen von Akkorden Streitigkeiten, so ist zu deren Beilegung ein Mitglied der Akkordkommission zuzuziehen. Wird keine Einigung erzielt, so ist die gesamte Akkordkommission zuzuziehen. Gelingt auch hierbei keine Einigung, so ist im Beisein der Akkordkommission eine neue Zeitaufnahme durchzuführen. Ferner bestimmt § 15 des Manteltarifvertrages vom 10. Januar 1959, daß Streitigkeiten, die aus der Auslegung oder der Durchführung des Tarifvertrages entstehen, vor Anrufung des Arbeitsgerichts durch Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und, falls hierbei keine Verständigung erzielt wird, durch Hinzuziehung der beiderseitigen Vertreter der Vertragsparteien geregelt werden sollen.
Ob hierin eine abschließende tarifliche Regelung im Sinne der Entscheidung AP Nr. 7 zu § 37 BetrVG gesehen werden kann, kann dahingestellt bleiben. Denn auch dann, wenn diese Frage verneint werden müßte, ist – eine Tarifbindung unterstellt – der Tätigkeitsbereich der Mitglieder der Akkordkommission – hier des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden – durch die tarifliche Regelung erheblich eingeschränkt.
Das Landesarbeitsgericht hat die vorstehend erörterten Fragen bewußt nicht entschieden. Sie waren jedoch insoweit zu entscheiden, als zu berücksichtigen war, wie weit die tarifliche Regelung anzuwenden ist und, falls sie anwendbar ist, inwieweit sie das Tätigwerden der Betriebsratsmitglieder, wie es sich aus der gesetzlichen Regelung des § 56 Abs. 1 g BetrVG ergibt, in ihrem zeitlichen Umfang einschränkt. Diese Fragen sind für die Entscheidung erheblich. Der bei ihrer Prüfung dem Landesarbeitsgericht unterlaufene Fehler ist also für seine Entscheidung tragend. Aus diesem Grunde mußte der angefochtene Beschluß aufgehoben werden.
Da insoweit noch aufzuklären ist, ob Tarifbindung besteht und wieviel Zeit bejahendenfalls erforderlich ist, um die nach den tariflichen Vorschriften dem Betriebsrat auf dem Gebiet der Akkordfragen obliegenden Aufgaben zu erfüllen, konnte der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden. Das folgt weiter daraus, daß es sich zum Teil um Fragen handelt, die dem Tatsachenbericht einen Beurteilungsspielraum lassen. Es mußte also schon aus diesem Grunde die Sache in die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
Bei seinen in diesem Zusammenhang anzustellenden Erörterungen wird das Landesarbeitsgericht jedoch die Frage nicht aus dem Auge lassen dürfen, ob die durch Akkordstreitigkeiten verursachten Betriebsratsaufgaben nicht so unregelmäßig anfallen, daß ihre Berücksichtigung nur im Rahmen des § 37 Abs. 2, nicht des § 37 Abs. 3 BetrVG erfolgen kann.
Zu Rechtsbedenken geben auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Anlaß, die sich mit den täglichen Rundgängen des Betriebsratsvorsitzenden befassen. Um so häufige Rundgänge zu rechtfertigen, reichen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht aus. Auch das Nichteinrichten von Sprechstunden ist keine ausreichende Begründung für die Vornahme täglicher Rundgänge.
c) Was die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats angeht, so ist es entgegen der in ihr vertretenen Ansicht nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht keine Vergleichsbetriebe berücksichtigt hat. Es ist nämlich, da eine sich nach der Größe der Belegschaft richtende gesetzliche oder tarifliche Regelung hinsichtlich der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern fehlt, nicht einzusehen, daß die Handhabung in anderen Betrieben für den Streitfall maßgeblich sein soll. Es ist auch keineswegs gewährleistet, daß die Handhabung in diesen Vergleichsbetrieben dem Gesetz entspricht.
Ohne Erfolg bleiben muß ferner der Hinweis in der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats auf die Regelungen, die in den Gesetzen von Bayern und des Saarlandes vorgesehen waren. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats hat sich das Landesarbeitsgericht mit diesen Vorschriften befaßt. Es ist nicht zu beanstanden, daß es dabei zu der Auffassung gekommen ist, diese Regelungen seien für den Streitfall nicht maßgeblich. In der Tat können sie höchstens als Indiz gewertet werden. Als solches werden sie aber vom Landesarbeitsgericht gewertet. Die entsprechende Rüge des Betriebsrats geht also ins Leere.
Die Ansicht des Betriebsrats, daß Erfahrungssätze hinsichtlich der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern bestünden, ist unzutreffend. Der Betriebsrat kann nicht anführen, wo solche Erfahrungssätze geschaffen worden sind. Auch diese Rüge der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats greift also nicht durch.
Ferner ist es nicht allein entscheidend, sondern äußerstens ein weiteres Indiz, daß bereits früher, und zwar bei einer Belegschaftsstärke, die weit unter der jetzigen lag, ein Mitglied des Betriebsrats, nämlich der erste Vorsitzende, völlig freigestellt war. Daraus folgt nicht, daß allein wegen des Anwachsens der Belegschaft ein weiteres Betriebsratsmitglied freigestellt werden muß. Insoweit ist übrigens nicht dargetan, daß jene Handhabung die gesetzlich vorgeschriebene war, so daß es hierauf nicht entscheidend ankommt.
Daß, wie der Betriebsrat weiter meint, seine Aufzeichnungen nicht berücksichtigt worden seien, die in erster Instanz überreicht worden sind, trifft nicht zu. Vielmehr befaßt sich das Landesarbeitsgericht eingehend mit den Tätigkeiten, die in diesen Aufzeichnungen genannt worden sind. Daß dabei nicht jeder einzelne Satz, der in den Aufzeichnungen enthalten ist, wiedergegeben und gewertet wird, ist unschädlich. Denn hier gilt nichts anderes als das, was hinsichtlich der Beweiswürdigung gilt: Das Gericht ist nicht verpflichtet, jeden einzelnen Satz oder gar jedes einzelne Wort aus der Beweisaufnahme zu würdigen.
Ebensowenig ist es zutreffend, daß das Landesarbeitsgericht weitere Einzelheiten nicht berücksichtigt hätte, die sich auf den Umfang der Betriebsratsaufgaben auswirken können, wie der Betriebsrat in seiner Rechtsbeschwerde meint. Im Gegenteil stellt das Landesarbeitsgericht durchaus auf die Schwankungen in der Produktion im Betrieb der Antragsgegnerin ab, die es mit sich bringen, daß der Betriebsrat häufiger über Arbeitszeitfragen verhandeln muß, weiter auf die Fluktuation der Arbeitnehmer im Betrieb, auf das Vorhandensein zahlreicher Ausländer, auf das Fehlen einer ständigen Schreibkraft für den Betriebsrat, schließlich auch auf die Größe der Belegschaft. Es räumt dem Betriebsrat ein, daß er Zeit dafür benötigt, um die Post durchzusehen und den Schriftverkehr abzuwickeln. Er berücksichtigt die Besprechungen zwischen dem ersten Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die Mitwirkung bei den personellen Angelegenheiten, die Vorbereitung von Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen, die Behandlung von Jugend- und Lehrlings fragen sowie die Vertretung des Vorsitzenden bei dessen Verhinderung. Ferner wertet es entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung des Betriebsrats enthaltenen Rüge den Umstand, daß das Betriebsklima im Betrieb der Antragsgegnerin nicht das beste ist. Auch insoweit kann die Rüge des Betriebsrats also keinen Erfolg haben.
Wenn dagegen das Landesarbeitsgericht weiteres Prozeßvorbringen des Betriebsrats aus den Tatsacheninstanzen nicht würdigt, ohne daß dagegen eine Prozeßrüge erhoben worden ist, so kann darauf nicht eingegangen werden. Es ist zwar möglich, daß das Landesarbeitsgericht diese Umstände übersehen hat. Dann läge aber ein nur auf Rüge zu berücksichtigender Verfahrensverstoß vor. Dagegen spricht auch in diesem Zusammenhang nichts für das Vorliegen einer Begriffsverkennung durch das Landesarbeitsgericht.
Mit Recht beanstandet jedoch der Betriebsrat, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, daß die einzelnen Betriebsteile voneinander entfernt liegen, so daß hierdurch, bedingt die Betriebsratsmitglieder u. U. weite Wege zurücklegen müssen, die möglicherweise zusätzlichen Zeitaufwand erfordern. Hierüber schweigt sich der angefochtene Beschluß in der Tat aus, so daß nicht auszuschließen ist, daß das Landesarbeitsgericht diesen Umstand bei seiner Entscheidung übersehen hat. Es erscheint deshalb auch nicht gänzlich ausgeschlossen, daß das Landesarbeitsgericht anders entschieden hätte, wenn es diesen Umstand berücksichtigt hätte. Insoweit handelt es sich also um einen Fehler des angefochtenen Beschlusses auf prozeßrechtlichem Gebiet. Insoweit liegt auch eine schlüssige Verfahrensrüge des Betriebsrats vor, so daß der Beschluß des Landesarbeitsgerichts auch auf diese Rüge hin aufzuheben war. Da in ihm die räumlichen Verhältnisse nicht ausreichend festgestellt sind, da es sich hier aber auch weitgehend um Fragen handelt, die dem Tatsachenrichter einen Ermessensspielraum einräumen, konnte der Senat insoweit nicht selbst entscheiden, sondern mußte auch aus diesem Grunde unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Sache in die Vorinstanz zurückverweisen.
Unterschriften
gez. Dr. Schröder, Dr. Holschemacher, Wichmann, Dr. Eichler, Paulsen
Fundstellen
Haufe-Index 662620 |
BAGE, 117 |
NJW 1963, 1566 |