Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 12.05.1997; Aktenzeichen 4 Sa 93/95)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Mai 1997 – 4 Sa 93/95 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

2. Der Streitwert wird auf 17.200,00 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger war seit Mai 1973 bei einem Unternehmen beschäftigt, über dessen Vermögen am 5. August 1993 der Konkurs eröffnet wurde. Der beklagte Konkursverwalter kündigte daraufhin am 27. April 1994 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 1994. Dagegen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben mit dem Ziel festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst und der Beklagte zur Weiterbeschäftigung verpflichtet sei. Diesen Anträgen hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Konkursverwalters hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 1994 kündigungsbedingt aufgelöst worden sei und die Klage im übrigen abgewiesen. Im Tenor des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung hat das Landesarbeitsgericht die Revision unbeschränkt zugelassen, jedoch am Ende der Entscheidungsgründe ausgeführt, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf § 622 Abs. 2 BGB n.F. anstelle der maßgeblichen tariflichen Kündigungsfrist zuzulassen, im übrigen habe für die Zulassung kein Anlaß bestanden. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 28. Mai 1998 (– 2 AZR 480/97 –) als unzulässig verworfen, weil die Revision aufgrund der Beschränkung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils für den Kläger nicht statthaft gewesen sei Dieses Urteil ist dem Kläger erstmals am 17. Juli 1998 und in berichtigter Form erneut am 1. September 1998 1. September 1998 zugestellt worden. Gegen die damit festgestellte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, die Revision für den Kläger nicht zuzulassen, wendet sich die am 29. Juli 1998 beim Bundesarbeitsgericht eingegangene und ausschließlich auf die Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist zwar erst nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingelegt worden. Dem Beschwerdeführer war jedoch Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Beschwerdefrist von Amts wegen zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

1. Nach § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Das Berufungsurteil wurde dem Kläger am 29. Juli 1997 zugestellt. Die Beschwerdeschrift ist erst am 29. Juli 1998 und damit verspätet beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.

2 Die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist auch mit der Zustellung des Berufungsurteils in Lauf gesetzt worden, obwohl das Berufungsgericht nicht auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen hatte. Bei der Nichtzulassungsbeschwerde handelt es sich um einen Rechtsbehelf, auf den § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG keine Anwendung findet (BAG Beschluß vom 1. April 1980 – 4 AZN 77/80 – BAGE 33, 79 = AP Nr. 5 zu § 72 a ArbGG 1979; a. A. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2 Aufl., § 9 Rz 26, m.w.N.).

3. Dem Beschwerdeführer war jedoch von Amts wegen wegen Versäumnis der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, weil Wiedereinsetzungsgründe offenkundig (§ 291 ZPO) vorliegen und die Nichtzulassungsbeschwerde auch innerhalb der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO eingelegt worden ist. Vorliegend war der Beschwerdeführer ohne Verschulden gehindert, die Notfrist des § 72 a Abs. 3 Satz 1 ArbGG einzuhalten. Abgesehen davon, daß das Berufungsurteil keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde enthielt, konnte der Kläger aufgrund der eindeutigen Tenorierung des Landesarbeitsgerichts und der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung nicht erkennen, auf eine Nichtzulassungsbeschwerde zur Überprüfung der Zulassungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts angewiesen zu sein. Auch dem Anwalt des Klägers, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müßte, mußten sich keine Zweifel daran aufdrängen, daß mit dem auslegungsbedürftigen letzten Satz der Entscheidungsgründe die eindeutigen Aussagen des Landesarbeitsgerichts zur Revisionszulassung im Tenor und der Rechtsmittelbelehrung widerlegt würden. Nicht zuletzt deswegen sah sich der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts veranlaßt, dem Kläger wegen der im Revisionsverfahren aufkommenden Zulässigkeitsbedenken rechtliches Gehör zu gewähren. Die Rechtslage konnte allerdings erst aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts, mit der die Revision des Klägers wegen fehlender Zulassung als unzulässig verworfen worden war, als geklärt gelten. Dieses Urteil ist dem Kläger erstmals am 17. Juli 1998 und in berichtigter Form erneut am 1. September 1998 zugestellt worden. Damit konnte der Kläger frühestens aufgrund der erstmaligen Zustellung des Revisionsurteils erkennen, daß das Berufungsgericht für ihn die Revision nicht zugelassen hatte und ihm nur der Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde zur Verfügung stand. Diese Prozeßhandlung hat der Beschwerdeführer mit Einreichen der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift am 29. Juli 1998 und damit innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO nachgeholt.

III. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 72 a Abs. 1 ArbGG kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbständig durch Beschwerde angefochten werden, wenn unter anderem ein Fall der Divergenz im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vorliegt In diesem Fall ist die Revision zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder einer der im Gesetz genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes gehört, daß das anzufechtende Urteil einen allgemeinen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, und daß dieser von einem in einer divergenzfähigen Entscheidung aufgestellten Rechtssatz abweicht. Die voneinander abweichenden Rechtssätze müssen sich aus der anzufechtenden wie der angezogenen Entscheidung unmittelbar ergeben und so deutlich ablesbar sein, daß nicht zweifelhaft bleibt, welchen Rechtssatz die Entscheidungen aufgestellt haben. Die fehlerhafte oder unterlassene Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte reicht nicht aus.

2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

a) Zwar mag das Berufungsurteil den von der Beschwerdebegründung angeführten abstrakten Rechtssatz zum Wegfall der rechtlichen Vereinbarung zur gemeinsamen Betriebsführung infolge des Konkurses der an der gemeinsamen Betriebsführung beteiligten Unternehmen enthalten. Dieser Rechtssatz divergiert jedoch nicht von der angezogenen Entscheidung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts, die sich zu dieser Rechtsfrage nicht äußert. Die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 11. November 1997 (–1 ABR 6/97 – AP Nr. 42 zu § 111 BetrVG 1972), ist erst nach der angegriffenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergangen und damit nicht divergenzfähig (vgl. BAG Beschluß vom 10. Februar 1981 – 1 ABN 19/80 – AP Nr. 6 zu § 72 a ArbGG 1979 Divergenz; Germelmann/Matthes/Prütting, a.a.O., § 72 Rz 23, m.w.N.).

b) Nichts anderes gilt für die von der Beschwerdebegründung angeführten weiteren abstrakten Rechtssätze des Landesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines einheitlichen Betriebs infolge einer nicht angefochtenen Betriebsratswahl. Die von der Beschwerdebegründung angezogenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Nürnberg äußern sich zu dieser Rechtsfrage nicht.

c) Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht den von der Beschwerdebegründung aufgeführten Rechtssatz zum Fehlen eines einheitlichen Betriebs mangels unterschiedlicher wirtschaftlicher Zielsetzungen der beteiligten Unternehmen aufgestellt hat und dieser Rechtssatz von abstrakten Rechtssätzen der angezogenen Entscheidungen abweicht. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht jedenfalls nicht auf der behaupteten Divergenz. Das Landesarbeitsgericht hat im rechtserheblichen Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das Vorliegen eines gemeinschaftlichen Betriebs nicht an den unterschiedlichen wirtschaftlichen Zielsetzungen der beteiligten Unternehmen, sondern an der Auflösung der Betriebsführungsgemeinschaft infolge des Konkurses der beteiligten Unternehmen scheitern lassen. Ob diese Ausführungen auf einer fehlerhaften Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruhen, könnte erst im Rahmen einer zugelassenen Revision geprüft werden.

IV Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 GKG.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Schmidt, Niehues, Bea

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1331392

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