Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstillegung bei Eigenkündigungen der Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
Kündigen die Arbeitnehmer eines Betriebes wegen erheblicher Lohnrückstände ihre Arbeitsverhältnisse selbst fristlos, so liegt darin allein noch keine vom Arbeitgeber geplante oder durchgeführte Betriebsstillegung.
In der Nichtzahlung des Lohnes liegt eine Entlassung infolge einer Betriebsänderung durch den Arbeitgeber nur dann, wenn dieser mit Rücksicht auf eine von ihm geplante Betriebsstillegung durch die Nichtzahlung des Lohnes die Arbeitnehmer zu Eigenkündigungen veranlassen will (im Anschluß an die Entscheidung des Senats vom 23.8.1988 1 AZR 276/87 = AP Nr 17 zu § 113 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 17.02.1988; Aktenzeichen 2 TaBV 71/87) |
ArbG Aachen (Entscheidung vom 08.09.1987; Aktenzeichen 1 BV 2/87) |
Gründe
A. Der Arbeitgeber, die in Konkurs gegangene Firma W. J. J. GmbH & Co. KG, beschäftigte Ende 1985/Anfang 1986 etwa 100 Arbeitnehmer. Für den Betrieb war ein Betriebsrat gewählt worden. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten konnten ab November 1985 die Löhne der Arbeitnehmer nicht gezahlt werden.
Am 28. Januar 1985 wandte sich der Betriebsratsvorsitzende deswegen an den Geschäftsführer des Arbeitgebers, der ihm daraufhin erklärte, "der Betrieb müsse eben stillgelegt werden, wenn er die Löhne bis zum 31. Januar 1986 nicht zahlen könne". Auf einer Betriebsversammlung vom 30. Januar 1986 teilte der Geschäftsführer mit, daß er am nächsten Tag Konkurs anmelden müsse. Jedem Arbeitnehmer sei freigestellt, was er mache, jeder könne noch arbeiten, jedoch auf eigenes Risiko. Der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde am 31. Januar 1986 vom Arbeitgeber gestellt. Im Anschluß daran fand erneut eine Betriebsversammlung statt. Auf dieser erklärten 87 Arbeitnehmer die fristlose Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Dies geschah auf Anraten der anwesenden Mitarbeiter des Arbeitsamtes und der Gewerkschaftssekretäre der IG Bau-Steine-Erden. Die Empfehlung wurde gegeben, damit die Arbeitnehmer bei Ablauf der Drei-Monats-Frist der §§ 141 a und b AFG die Vergütungsansprüche für die letzten drei Monate über das Konkursausfallgeld realisieren und Arbeitslosengeld erhalten konnten. Die fristlose Kündigung wurde von den Arbeitnehmern gegenüber dem am 3. Februar 1986 bestellten Konkursverwalter noch einmal bestätigt.
In der Folgezeit verlangte der Betriebsrat die Vereinbarung eines Sozialplanes und rief, als dies der Konkursverwalter ablehnte, die Einigungsstelle an. Deren Vorsitzender wurde schließlich im gerichtlichen Bestellungsverfahren durch das Landesarbeitsgericht bestellt. Die so errichtete Einigungsstelle entschied am 20. Mai 1987, daß sie für die Aufstellung eines Sozialplanes zuständig sei.
Der Konkursverwalter hat daraufhin das vorliegende Verfahren anhängig gemacht. Er ist der Ansicht, eine Zuständigkeit der Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplanes sei nicht gegeben. Die Gemeinschuldnerin habe den Betrieb nicht stillgelegt und keine Betriebsänderung geplant.
Er hat beantragt
festzustellen, daß die Einigungsstelle bezüglich
der Aufstellung eines Sozialplanes ... nicht
zuständig ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Er ist der Ansicht, der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin habe eine Betriebsänderung durch Personalabbau durchgeführt. Seine Erklärung vom 30. Januar 1986 stelle ein Angebot zum Abschluß von Aufhebungsverträgen mit den Arbeitnehmern dar, das diese mit ihren Kündigungen angenommen hätten. Vom Arbeitgeber veranlaßte Eigenkündigungen seien einer Entlassung durch den Arbeitgeber gleichzustellen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Konkursverwalters stattgegeben. Die Beschwerde des Betriebsrats ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, daß der Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplanes nicht verlangen kann und die angerufene Einigungsstelle daher nicht befugt ist, durch ihren Spruch einen Sozialplan zu beschließen.
I. Der Antrag ist zulässig.
Der offenbar auf eine Anregung des Arbeitsgerichts hin formulierte Antrag des Konkursverwalters festzustellen, daß die Einigungsstelle bezüglich der Aufstellung eines Sozialplanes nicht zuständig war, ist unglücklich formuliert. Sein ursprünglicher Antrag, den Spruch der Einigungsstelle vom 20. Mai 1987 für unbegründet zu erklären, sowie sein Vorbringen zur Begründung dieses Antrages machen jedoch hinreichend deutlich, daß es dem Konkursverwalter um eine gerichtliche Entscheidung über die Berechtigung des Betriebsrates geht, durch Anrufung der Einigungsstelle gegen seinen, des Konkursverwalters Willen, einen verbindlichen Spruch herbeizuführen, der einen Sozialplan zum Inhalt hat. Damit begehrt der Konkursverwalter die - negative - Feststellung einer Berechtigung des Betriebsrates, mithin die Feststellung eines Rechtsverhältnisses. Damit ist der Antrag zulässig.
II. Der Antrag des Konkursverwalters ist auch begründet.
1.a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend erkannt, daß die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 21. Januar 1987, durch die ein Vorsitzender der Einigungsstelle bestellt worden ist, einer Entscheidung über die "Zuständigkeit der Einigungsstelle" im vorliegenden Verfahren nicht entgegensteht. Der Senat hat zuletzt noch einmal in seiner Entscheidung vom 25. April 1989 (- 1 ABR 91/87 - zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden und im einzelnen begründet, daß der gerichtlichen Entscheidung im Bestellungsverfahren keine bindende Wirkung für ein Beschlußverfahren zukommt, in dem über das Bestehen oder Nichtbestehen von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates zu entscheiden ist. Daran ist festzuhalten.
b) Auch der Umstand, daß die Einigungsstelle selbst ihre Zuständigkeit bejaht hat, steht einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Entscheidung der Einigungsstelle über ihre Zuständigkeit entfaltet keine bindende Wirkung zwischen den Betriebspartnern. Die Frage der Zuständigkeit der Einigungsstelle ist eine Rechts- und keine Regelungsfrage, so daß hierüber nur die Gerichte eine die Betriebspartner bindende Entscheidung treffen können (Beschluß des Senats vom 24. November 1981, BAGE 37, 107 = AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972).
2. Nach § 112 Abs. 4 BetrVG entscheidet die Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplanes, wenn es zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zu einer Einigung über den Sozialplan kommt. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Arbeitgeber eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG plant oder bereits durchgeführt hat. Daran fehlt es im vorliegenden Falle, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat.
a) Als Betriebsänderung kommt im vorliegenden Falle nur eine Stillegung des Betriebes der Gemeinschuldnerin in Betracht. Eine Betriebsstillegung liegt dann vor, wenn der mit dem Betrieb verfolgte Zweck eingestellt und die die Einheit des Betriebes gestaltende Organisation aufgelöst wird (BAG Urteil vom 27. September 1984 - 2 AZR 309/83 - AP Nr. 39 zu § 613 a BGB). Eine solche Einstellung des Betriebszweckes und Auflösung der betrieblichen Organisation muß der Arbeitgeber planen oder tatsächlich durchführen, wenn dem Betriebsrat das Recht zustehen soll, die Aufstellung eines Sozialplanes zum Ausgleich oder zur Milderung der den Arbeitnehmern durch eben diese Betriebsstillegung entstehenden Nachteile zu verlangen.
b) Daß der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin oder der Konkursverwalter die Stillegung des Betriebes in diesem Sinne geplant hat, ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt und vom Betriebsrat nicht einmal behauptet worden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin am 28. Januar 1986 zwar erklärt, wenn er die Löhne bis zum 31. Januar 1986 nicht zahlen könne, müsse der Betrieb eben stillgelegt werden. Er hat in der Betriebsversammlung vom 30. Januar 1986 jedoch allen Arbeitnehmern gegenüber deutlich gemacht, daß er Konkurs anmelden müsse. Er hat auch jedem Arbeitnehmer freigestellt, zu tun was er wolle, und hinzugefügt, daß jeder weiterarbeiten könne, jedoch auf eigenes Risiko. Schon aus dieser Erklärung wird deutlich, daß an diesem Tage die Stillegung des Betriebes und die Einstellung der Betriebstätigkeit nicht geplant war, vielmehr trotz der Notwendigkeit, einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen, die Möglichkeit bestand, weiterzuarbeiten und damit die Betriebstätigkeit fortzusetzen. Offen war lediglich, ob im Konkursverfahren der durch eine Weiterarbeit verdiente Lohn würde gezahlt werden können. Damit fehlt es bis zu diesem Zeitpunkt an einer Entscheidung des Arbeitgebers, den Betrieb stillzulegen.
Auch in der Folgezeit hat weder der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin noch später der Konkursverwalter eine solche Entscheidung getroffen oder gar mit der Ausführung einer solchen Entscheidung begonnen. Weder der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin noch der Konkursverwalter haben die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer gekündigt und damit die Betriebsgemeinschaft aufgelöst.
c) Zutreffend ist allerdings die Rechtsansicht des Betriebsrates, daß die Absicht, einen Betrieb stillzulegen, oder die Betriebsstillegung selbst sich nicht nur in einer Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch den Arbeitgeber manifestieren muß. Eine Betriebsstillegung liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer "entläßt". Nach § 112 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt vielmehr als Entlassung auch das vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung veranlaßte Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund von Aufhebungsverträgen. Der Senat hat darüber hinaus in seiner Entscheidung vom 23. August 1988 - 1 AZR 276/87 - AP Nr. 17 zu § 113 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt) ausgesprochen, daß eine "Entlassung infolge einer Betriebsänderung" auch dann vorliegt, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die von ihm geplante Betriebsstillegung dazu veranlaßt, ihre Arbeitsverhältnisse selbst zu kündigen. Daß der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin oder der Konkursverwalter dies getan haben, ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden. Nach dessen Feststellungen haben vielmehr Vertreter des Arbeitsamtes und der zuständigen Gewerkschaft den Arbeitnehmern geraten, ihre Arbeitsverhältnisse selbst zu kündigen. Dieser Rat mag mit Rücksicht darauf, daß bei einer Weiterarbeit nach Konkurseröffnung die Lohnansprüche nicht gesichert waren, vernünftig gewesen sein, weil so die Arbeitnehmer die Möglichkeit erhielten, Arbeitslosengeld in Anspruch zu nehmen. Die fristlose Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch die Arbeitnehmer machte aber der Gemeinschuldnerin und später dem Konkursverwalter eine Entscheidung dahin unmöglich, den Betrieb trotz der Eröffnung des Konkursverfahrens fortzuführen und damit vielleicht auf Dauer zu erhalten.
Wenn die Rechtsbeschwerde meint, im Verhalten des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin, insbesondere in seinem Hinweis darauf, daß bei einer Weiterarbeit die Zahlung des Lohnes nicht gesichert sei, liege die "Veranlassung zur Eigenkündigung" durch den Arbeitgeber, so vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar ist denkbar, daß der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zu Eigenkündigungen auch auf andere Weise als durch eine ausdrückliche Erklärung veranlaßt, eine wie auch immer erfolgte Veranlassung zur Eigenkündigung kann jedoch als "Entlassung" im Zuge einer Betriebsstillegung nur dann angenommen werden, wenn dieses Veranlassen gerade im Hinblick auf die geplante Stillegung des Betriebes erfolgt, um den Arbeitgeber von der Notwendigkeit zu befreien, die Arbeitsverhältnisse von sich aus zu kündigen. Dafür, daß im vorliegenden Falle der Arbeitgeber drei Monate lang die Löhne nur deswegen nicht gezahlt hat, um die Arbeitnehmer zu Eigenkündigungen zu veranlassen und um so den Betrieb ohne Kündigungen durch ihn selbst stillegen zu können, fehlt es an Anhaltspunkten im festgestellten Sachverhalt und im Vorbringen des Betriebsrates.
Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, den Arbeitnehmern stünde nach § 628 Abs. 2 BGB ein Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber bzw. den Konkursverwalter zu, weil der Arbeitgeber durch die Nichtzahlung des Lohnes deren fristlose Eigenkündigungen verursacht habe, so ist darüber im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Selbst wenn ein solcher Schadenersatzanspruch zu bejahen wäre, folgt daraus nicht, daß der Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplanes verlangen kann, obwohl es an einer Betriebsstillegung durch den Arbeitgeber fehlt.
Das Landesarbeitsgericht hat damit zutreffend entschieden, daß der Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplanes nicht verlangen kann.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Dr. Gentz Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 436858 |
DB 1990, 485-486 (LT1) |
BetrVG, (2) (LT1) |
ARST 1990, 2-4 (LT1) |
EWiR 1990, 333 (L1) |
KTS 1990, 115-118 (LT1) |
RdA 1989, 382 |
RzK, I 5f 11 (LT1) |
ZIP 1990, 64 |
ZIP 1990, 64-66 (LT1) |
AP § 111 BetrVG 1972 (LT1), Nr 27 |
Arbeitgeber 1990, 968 (LT1-2) |
ArbuR 1989, 387-387 (T) |
EzA § 111 BetrVG 1972, Nr 24 (LT1) |