Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigungsanspruch
Normenkette
BGB § 611; ZPO § 91a
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 09.08.1989; Aktenzeichen 7 Sa 243/89) |
ArbG Köln (Urteil vom 14.12.1988; Aktenzeichen 7 Ca 2724/88) |
Tenor
Die Beklagte trägt weitere 2/5 der Kosten der ersten Instanz und der Berufung sowie die Kosten der Revision.
Tatbestand
I. Der Kläger ist Maschinenbauingenieur und war seit dem 1. Mai 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Im Zuge eines umfangreichen Personalabbaus kündigte die Beklagte u.a. auch dem Kläger aus betrieblichen Gründen mit Schreiben vom 24. März 1988 zum 30. Juni 1988.
Mit der Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat geltend gemacht, sie sei sozial ungerechtfertigt, und seine Weiterbeschäftigung verlangt. Er hat beantragt,
- festzustellen, daß das Vertragsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. März 1988 weder zum 30. Juni 1988 noch zum 30. September 1988 beendet wird, sondern fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 30. Juni und 30. September 1988 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14. Dezember 1988 wie folgt entschieden:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 24. März 1988 nicht aufgelöst ist, sondern fortbesteht;
- die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zur Rechtskraft des Feststellungsurteils über den 30. Juni 1988 hinaus weiterzubeschäftigen.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers abgewiesen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es zu 2/5 dem Kläger, zu 3/5 der Beklagten auferlegt. Es hat die Kündigung für sozial ungerechtfertigt erachtet und die Ansicht vertreten, für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers während des Kündigungsrechtsstreits gebe es keine Rechtsgrundlage.
Gegen dieses am 9. August 1989 verkündete Urteil hat der Kläger im Umfang seines Unterliegens Revision eingelegt. Die Beklagte hat gegen die Nichtzulassung der Revision zum Feststellungsantrag Beschwerde eingelegt. Der Senat hat diesen Rechtsbehelf durch Beschluß vom 28. November 1989 – 2 AZN 517/89 –, der den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 14. Dezember 1989 zugestellt worden ist, als unzulässig verworfen.
Die Parteien haben im weiteren Verlauf des Revisionsverfahrens die Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden, § 91 a ZPO. Danach trifft die Beklagte die Kostenlast des Streites um die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers. Seiner Klage hätte auch in diesem Punkt stattgegeben werden müssen. Die Revision war begründet.
1. Das Berufungsgericht hat das der Feststellungsklage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts bestätigt. In diesem Umfang ist das Berufungsurteil mit der Zustellung des die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten verwerfenden Senatsbeschlusses vom 14. Dezember 1989 rechtskräftig geworden. Damit steht, entsprechend dem Urteil des Arbeitsgerichts, rechtskräftig fest, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. März 1988 nicht aufgelöst ist, sondern fortbesteht.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den Kläger über den 30. Juni 1988 hinaus bis zur Rechtskraft des Feststellungsurteils weiterzubeschäftigen. Nur in diesem zeitlich begrenzten Umfang hat der Kläger den Beschäftigungsantrag weiterverfolgt, indem er lediglich die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt hat. Nur in diesem Umfang ist der Beschäftigungsantrag auch Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, da der Kläger mit der Revision ebenfalls nur den in der Berufungsinstanz zum Beschäftigungsantrag gestellten Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten und damit die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils weiterverfolgt hat.
2. Dieser Antrag war begründet, soweit er die Verpflichtung der Beklagten zum Gegenstand hatte, den Kläger ab dem 14. Dezember 1988, dem Tag des Erlasses des arbeitsgerichtlichen Urteils, bis zum 14. Dezember 1989 zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
a) Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (PAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) hat außerhalb der Regelungen der § 102 Abs. 5 BetrVG, § 79 Abs. 2 BPersVG der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewißheit des Prozeßausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzu kommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Auf die Begründung des Beschlusses des Großen Senats wird verwiesen. Er zieht die Konsequenz aus der Tatsache, daß die Kündigungsschutzklage nicht als Gegengestaltungsklage, sondern als Feststellungsklage konzipiert worden ist und über die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (seit dem Urteil vom 10. November 1955 – 2 AZR 591/54 – BAGE 2, 221 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht), daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, während des unangefochten bestehenden Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer nicht nur zu vergüten, sondern auch zu beschäftigen, inzwischen weitgehend Einigkeit besteht. Ist eine Kündigung des Arbeitgebers rechtsunwirksam, besteht der Beschäftigungsanspruch über das Ende der Kündigungsfrist hinaus fort, weil das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist. Ist die Kündigung dagegen wirksam, besteht auch kein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der außerordentlichen Kündigung nach Zugang der Kündigung. Der Große Senat hat in seinem Beschluß einen Ausgleich im Wege einer Interessenabwägung für die Zeit geschaffen, in der eine Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses besteht.
b) Die Fachsenate sind dieser Entscheidung durchweg gefolgt:
So sind nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 1985 (a.a.O.) die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats auch auf den Streit über eine Befristung anzuwenden. Das Senatsurteil vom 19. Dezember 1985 (– 2 AZR 190/85 – BAGE 50, 319 = AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) regelt den Weiterbeschäftigungsanspruch bei wiederholten Kündigungen.
In seinem Urteil vom 2. April 1987 (– 2 AZR 418/86 – AP Nr. 96 zu § 626 BGB, zu B II der Gründe) ist der erkennende Senat ebenfalls dem Beschluß des Großen Senats gefolgt. Er hat keinen Anlaß gesehen, sich mit der in jenem Verfahren erhobenen Kritik der Vorinstanz auseinanderzusetzen, bei dem Beschluß des Großen Senats handele es sich um eine unzulässige Rechtsfortbildung, da das Berufungsgericht seine Auffassung bzw. seine Zweifel nicht begründet, sondern sich ausschließlich auf die Entscheidung der Dritten Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (– 3 Sa 101/85 – LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14) bezogen hatte. Diese Entscheidung stützt ihre Kritik aber allein auf die These, die Kündigungsschutzklage sei keine Feststellungs-, sondern eine Gegengestaltungsklage. Dies aber steht im Gegensatz zum Wortlaut des Gesetzes und der sonst übereinstimmenden Auffassung in der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Ansicht im Schrifttum (vgl. nur Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 4 Rz 4; KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rz 17; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 4 Rz 2, alle m.w.N.).
Auch der Siebte Senat hat seiner Rechtsprechung den Beschluß des Großen Senats zu Grunde gelegt (Urteil vom 22. Juni 1988 – 7 AZR 278/86 – sowie Beschluß vom 21. Januar 1987 – 7 AZR 513/84 – beide nicht veröffentlicht).
c) Auch im vorliegenden Fall besteht kein Anlaß, sich mit der Kritik des Berufungsgerichts an dem Beschluß des Großen Senats auseinanderzusetzen. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht, bei diesem Beschluß handele es sich um eine unzulässige Rechtsfortbildung, nicht näher begründet, sondern sich nur auf mehrere Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten, darunter auch auf das bereits erwähnte Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, a.a.O., sowie auf abweichende Meinungen im Schrifttum bezogen.
d) Nach dem Beschluß des Großen Senats hatte der Kläger vom Erlaß des seinem Kündigungsschutzantrag entsprechenden Urteils des Arbeitsgerichts vom 14. Dezember 1988 an einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung in dem zeitlich bis zum 14. Dezember 1989 geltend gemachten Umfang. Umstände, die nach der Rechtsprechung des Großen Senats (a.a.O.) ausnahmsweise ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers auch nach Erlaß des dem Kündigungsschutzantrag stattgebenden Urteils des Arbeitsgerichts begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
3. Nachdem beide Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nach § 91 a Abs. 1 ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Maßgebend ist hier der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits. Nach den vorstehenden Ausführungen war der Beschäftigungsantrag bis zum Eintritt der Hauptsacheerledigung begründet, so daß der Beklagten die Kosten aufzuerlegen sind.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid, Schulze, Dr. Bächle
Fundstellen