Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. rechtliches Gehör. Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht
Orientierungssatz
Behandelt das Gericht den zentralen Vortrag einer Partei lediglich mit der formellen Wendung, hinreichende Anhaltspunkte für die geltend gemachte Rechtsfolge seien nicht ersichtlich, verletzt es den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör.
Normenkette
ArbGG §§ 72, 72a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 7. Mai 2008 – 3 Sa 105/08 – aufgehoben, soweit es die Berufung des Beklagten in Höhe von 4.282,30 Euro brutto nebst Zinsen zurückgewiesen hat. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde des Beklagen gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Wert von 52.257,00 Euro zu tragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin macht, soweit noch erheblich, Vergütung für Mehrarbeit, Urlaub und wegen Annahmeverzugs sowie ein anteiliges 13. Monatsgehalt geltend. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der bezeichneten Ansprüche stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht über eine Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 17. Juli 2006 in Höhe von 4.282,30 Euro brutto entschieden hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Der Senat macht von § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch.
1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG die Beschwerdebegründung die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Die bloße Benennung eines Zulassungsgrundes genügt nicht. Der Beschwerdeführer hat vielmehr zu dessen Voraussetzungen substantiiert vorzutragen (BAG 20. Januar 2005 – 2 AZN 941/04 – BAGE 113, 195; 22. März 2005 – 1 ABN 1/05 – BAGE 114, 157). Will der Beschwerdeführer das Übergehen seines Vortrags rügen, muss er konkret und im Einzelnen schlüssig dartun, welches wesentliche und entscheidungserhebliche Vorbringen das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen haben soll (Senat 31. Mai 2006 – 5 AZR 342/06 (F) – BAGE 118, 229). Das Revisionsgericht muss dadurch in die Lage versetzt werden, allein anhand der Lektüre der Beschwerdebegründung und des Berufungsurteils die Voraussetzungen für die Zulassung zu prüfen. Diesen Anforderungen ist wie bei einer Verfahrensrüge auch im Beschwerdeverfahren nachzukommen. Außerdem ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln (vgl. etwa BVerfG 8. Oktober 2003 – 2 BvR 949/02 – EzA GG Art. 103 Nr. 5, zu II 1a der Gründe). Deshalb müssen, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs feststellen zu können, im Einzelfall besondere Umstände deutlich gemacht und dargelegt werden, dass tatsächliches Vorbringen eines Prozessbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
2. Das Landesarbeitsgericht hat den von der Beschwerde näher bezeichneten Vortrag des Beklagten zum fehlenden Leistungswillen der Klägerin übergangen. Es hätte den zentralen Einwand des Beklagten gegen das Vorliegen eines Annahmeverzugs nicht nur mit der formelhaften Wendung abtun dürfen, hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits zuvor (?) nicht mehr leistungswillig gewesen sei, seien “nicht ersichtlich”. Diese Begründung lässt nicht erkennen, ob das Landesarbeitsgericht den ausführlichen Vortrag des Beklagten zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Die zusätzliche Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung genügt nicht, weil das Arbeitsgericht den Leistungswillen der Klägerin in dem maßgeblichen Zeitraum Juli 2006 ebenfalls nicht gewürdigt hat und der Vortrag des Beklagten hierzu aus der Berufungsbegründung stammt.
III. Im Übrigen ist die Beschwerde des Beklagten unzulässig, denn ihre Begründung entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
1. Soweit das Landesarbeitsgericht den Beklagten zur Zahlung von Urlaubsabgeltung, Urlaubsgeld und anteiliges 13. Monatsgehalt verurteilt hat, fehlt es entgegen § 72a Abs. 3 ArbGG an einer Begründung überhaupt. Der Rechtsbehelf ist hinsichtlich jedes Streitgegenstandes jeweils selbständig zu begründen.
2. Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAG 14. April 2005 – 1 AZN 840/04 – BAGE 114, 200, 203; 26. September 2000 – 3 AZN 181/00 – BAGE 95, 372, 374 f.). Der Beschwerdeführer hat die nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG von ihm darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung konkret zu benennen. Unzulässig ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (BAG 23. Januar 2007 – 9 AZN 792/06 – BAGE 121, 52; 29. Mai 2007 – 4 AZN 80/07 –). Es ist auszuführen, welche abstrakte Interpretation das Landesarbeitsgericht bei Behandlung der Rechtsfrage vorgenommen hat und dass diese nach Auffassung des Beschwerdeführers fehlerhaft ist (BAG 15. Februar 2005 – 9 AZN 982/04 – BAGE 113, 321).
3. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung von Mehrarbeitsvergütung nicht gerecht.
a) Soweit die Reichweite der einzelvertraglichen Abgeltungsklausel für Überstunden in Rede steht, wird nicht dargelegt, inwiefern die Rechtsfrage vom Landesarbeitsgericht unrichtig behandelt worden sei. Die Beschwerde führt selbst aus, das Bundesarbeitsgericht habe eine entsprechende Auslegung als naheliegend bezeichnet. Die Beschwerde hätte begründen müssen, warum sie die Auslegung des Landesarbeitsgerichts für fehlerhaft hält.
b) Welche Bedeutung dem “ok-Vermerk” des Vorstandsmitglieds des Beklagten auf den Überstundenaufstellungen der Klägerin zukommt, ist keine abstrakte Rechtsfrage, sondern betrifft die Auslegung einer untypischen Erklärung im Einzelfall. Ob das Landesarbeitsgericht diese Erklärung richtig verstanden hat, könnte der Senat nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüfen. Zur Frage der Vertretungsmacht des Organmitglieds oder einer sonstigen Zurechnung seiner Erklärung gegenüber dem Beklagten bezeichnet die Beschwerde keine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Ob das Landesarbeitsgericht die Frage der Zurechnung zutreffend entschieden hat, könnte ebenfalls nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft werden.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 63 GKG.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Laux, Dittrich, Hromadka
Fundstellen
Haufe-Index 2080934 |
BB 2008, 2737 |