Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung durch Berichtigungsbeschluß
Normenkette
ArbGG 1979 § 72 Abs. 1; ZPO § 319
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.11.1989; Aktenzeichen 4 Sa 372/89) |
ArbG Trier (Urteil vom 21.03.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1566/88) |
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. November 1989 – 4 Sa 372/89 – wird auf Kosten des beklagten Landes als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I. Die Klägerin war aufgrund zweier befristeter Arbeitsverträge vom 5. Januar 1982 bis zum 31. Dezember 1988 bei dem beklagten Land als Zeitangestellte im Rahmen eines Überlastprogramms für den Hochschulbereich im Fach Pädagogik des Fachbereichs I an der Universität T. beschäftigt. Sie hält die vereinbarte Befristung ihres Arbeitsverhältnisses für unwirksam, weil es an einem sachlichen Grund für die Befristung fehle.
Mit ihrer am 21. November 1988 eingereichten Klage hat die Klägerin die Feststellung des Bestehens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses und die Verurteilung des beklagten Landes zu ihrer Weiterbeschäftigung über den 31. Dezember 1988 hinaus begehrt.
Das beklagte Land hat die Abweisung der Klage beantragt. Es hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei sachlich gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 16. November 1989 zurückgewiesen. Das Berufungsurteil wurde in Abwesenheit der Parteien durch Verlesung der von den Berufungsrichtern unterzeichneten Urteilsformel verkündet. In der verkündeten Urteilsformel war die Zulassung der Revision nicht enthalten.
Dem dem beklagten Land am 17. Mai 1990 in vollständiger Fassung zugestellten Berufungsurteil war folgender undatierter, auf § 319 ZPO gestützter Berichtigungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts beigefügt:
„Der Tenor des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.11.1989 – 4 Sa 372/89 – wird wie folgt ergänzt:
Die Revision wird zugelassen.”
In den Gründen des Berichtigungsbeschlusses heißt es, die Kammer sei sich in der Beratung darüber einig gewesen, daß die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen sei; versehentlich sei jedoch der Ausspruch der Zulassung der Revision im Urteilstenor unterblieben, so daß eine offenbare Divergenz zwischen dem beschlossenen und dem erklärten Willen der Kammer vorliege.
Gegen das Berufungsurteil hat das beklagte Land am 31. Mai 1990 beim Bundesarbeitsgericht Revision eingelegt, mit der es sein Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.
Zur Statthaftigkeit der Revision trägt das beklagte Land vor:
Die Zulassung der Revision im Wege eines Berichtigungsbeschlusses sei wirksam. Daß die Revisionszulassung nicht in den verkündeten Tenor des Berufungsurteils aufgenommen worden sei, beruhe auf einem offensichtlichen Versehen. Die Frage der Revisionszulassung habe in der mündlichen Verhandlung vom 16. November 1989 eine so zentrale Stellung eingenommen, daß die Zulassung der Revision durch das Gericht für jeden Prozeßbeteiligten offenbar gewesen sei. Die Unvollständigkeit des verkündeten, im Sitzungsprotokoll niedergelegten Urteilstenors sei demnach selbst für einen Außenstehenden aus dem Zusammenhang der Vorgänge bei Erlaß und Verkündung des Urteils ohne weiteres ersichtlich gewesen.
Die Klägerin hat beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der unbestrittene Sachvortrag des beklagten Landes sei nicht geeignet, die Wirksamkeit der nachträglichen Revisionszulassung zu begründen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des beklagten Landes ist unzulässig, weil es an einer wirksamen Zulassung der Revision fehlt.
Nach § 72 Abs. 1 ArbGG findet gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassen worden ist. Das ist hier nicht geschehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 – AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; BAGE 52, 375 = AP Nr. 20 zu § 319 ZPO, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) muß bei der Verkündung des Urteils offenbar sein, in welchem Umfang die Entscheidung anfechtbar ist. Dies ist ein Gebot der Rechtsmittelklarheit und damit der Rechtssicherheit. Die Zulassung der Revision muß deshalb bei der Verkündung des Urteils mitverkündet werden. Bei der Verkündung des angefochtenen Berufungsurteils am 16. November 1989 ist die Zulassung der Revision jedoch nicht mitverkündet worden. Die Revisionszulassung erfolgte erst in einem undatierten, auf § 319 ZPO gestützten Berichtigungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts, der den Parteien zusammen mit dem angefochtenen Berufungsurteil am 17. bzw. 22. Mai 1990 zugestellt worden ist. An diesen Berichtigungsbeschluß ist der Senat nicht gebunden. Vielmehr hat er im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision auch zu prüfen, ob überhaupt ein Fall des § 319 ZPO vorliegt und die Urteilsberichtigung deshalb zu Recht erfolgt ist. Ein vom Berufungsgericht erlassener Berichtigungsbeschluß, der die gesetzlichen Voraussetzungen des § 319 ZPO nicht erfüllt, kann die Statthaftigkeit der Revision nicht herbeiführen (BAGE 22, 53; 52, 375 = AP Nr. 15 und 20 zu § 319 ZPO; BAG Urteil vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 – AP Nr. 17 zu § 319 ZPO).
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß eine im Berufungsurteil übersehene Revisionszulassung unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO durch Berichtigungsbeschluß nachgeholt werden kann (BAGE 22, 53 = AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; BGHZ 78, 22 = AP Nr. 19 zu § 319 ZPO). Die Vorschrift des § 319 Abs. 1 ZPO gestattet es, Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Dadurch wird eine Ausnahme von dem in § 318 ZPO normierten Grundsatz der innerprozessualen Bindung des Gerichts an seine Entscheidung zugelassen. Dieser Grundsatz darf aber nur in solchen Fällen der Unstimmigkeit zwischen Willen und Erklärung des Gerichts durchbrochen werden, bei denen die Unrichtigkeit der Erklärung offenkundig ist, d.h. sich selbst für Außenstehende aus dem Zusammenhang des Urteils oder aus den Vorgängen bei dessen Erlaß oder Verkündung ohne weiteres ergibt (BAGE 52, 375 = AP Nr. 20 zu § 319 ZPO, mit weiteren Nachweisen). Sinn und Zweck des § 319 ZPO gebieten es, die zeitlich unbefristete Korrektur auf solche Unrichtigkeiten des Urteils zu beschränken, die so klar erkennbar sind, daß sich die Parteien auf den Wortlaut des Urteils bei gehöriger Prüfung ohnehin nicht hätten verlassen dürfen.
Ein Berichtigungsbeschluß, der nachträglich die Zulassung der Revision ausspricht, darf daher nur ergehen, wenn die Tatsache, daß die Revisionszulassung beschlossen war und nur versehentlich nicht mitverkündet worden ist, aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlaß oder seiner Verkündung nach außen hervorgetreten ist. Ein nur gerichtsintern gebliebenes Versehen, das zumeist auch nicht ohne Beweiserhebung festgestellt werden könnte, ist keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 319 Abs. 1 ZPO. Da eine Urteilsberichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO auch von anderen als den Richtern, die an dem Urteil mitgewirkt haben, beschlossen werden kann, muß die Unrichtigkeit des Urteils auch für diese anderen an der Urteilsfindung nicht beteiligt gewesenen Richter ohne weiteres erkennbar sein. Ist dies nicht der Fall, so hat ein die Revisionszulassung aussprechender Berichtigungsbeschluß keine bindende Wirkung (BAGE 22, 53 = AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; BAG Urteil vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 – AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; BGHZ 78, 22 = AP Nr. 19 zu § 319 ZPO).
Im vorliegenden Falle ist eine offenbare Unrichtigkeit des Berufungsurteils nicht gegeben. Weder aus dem verkündeten Urteilstenor selbst noch aus den Vorgängen bei der Urteilsverkündung ist offen zu Tage getreten, daß die Revisionszulassung nur versehentlich unterblieben ist. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16. November 1989 ist das Urteil in Abwesenheit der Parteien durch Verlesung der Urteilsformel, die die Revisionszulassung nicht enthielt, verkündet worden. Der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe wurde bei der Urteilsverkündung nicht mitgeteilt, was wegen der Abwesenheit der Parteien auch nicht erforderlich war (§ 69 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 60 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Daß die Frage der Zulassung der Revision – wie das beklagte Land vorträgt – in der mündlichen Berufungsverhandlung eine zentrale Rolle gespielt hat und die Prozeßparteien dabei den Eindruck gewonnen haben, das Landesarbeitsgericht werde die Revision zulassen, vermag die unterbliebene Revisionszulassung in dem verkündeten Urteil nicht als offensichtliches, dem Willen des Berufungsgerichts zuwiderlaufendes Versehen erscheinen zu lassen. Maßgeblich für die Frage der offensichtlichen Unrichtigkeit eines Urteils sind nicht die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung und die Eindrücke, die die Parteien daraus gewonnen haben, sondern die nach außen zutage getretenen Umstände bei der Verkündung des Urteils. Auch wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckt hat, es werde die Revision zulassen, ist es nicht gehindert, sich schließlich bei der Beratung anders zu entscheiden und von der Revisionszulassung abzusehen.
Soweit die Revision auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 8. Juli 1980 (BGHZ 78, 22, 23) hinweist, kann sie daraus zu ihren Gunsten nichts herleiten. Dort ergab sich die offensichtliche Unrichtigkeit der unterbliebenen Revisionszulassung aus den Vorgängen bei dem Erlaß des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hatte am selben Tag und in derselben Besetzung fünf Parallelverfahren verhandelt und entschieden. In drei Verfahren hatte es die Revision wegen Rechtsgrundsätzlichkeit in der Formel seiner Urteile zugelassen. Die unterbliebene Revisionszulassung in den anderen beiden Verfahren konnte daher offensichtlich nur auf einem Versehen beruhen. Die vorliegende Fallgestaltung ist damit nicht vergleichbar.
Nach alledem war die Revision des beklagten Landes mit der Kostenfolge des § 97 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Diese Entscheidung konnte gemäß § 554 a ZPO, § 74 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter getroffen werden.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann
Fundstellen