Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz

 

Leitsatz (amtlich)

Wird die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht darauf gestützt, daß die anzufechtende und die angezogene Entscheidung in einer Rechtsfrage auf der Grundlage verschiedener Rechtsnormen abweichende Rechtssätze aufgestellt haben, kann die Beschwerde nur zulässig sein, wenn in der Beschwerdebegründung dargelegt wird, daß die angewandten Rechtsnormen im Wortlaut und im Regelungsinhalt übereinstimmen. Der Hinweis der Beschwerde auf eine “Vergleichbarkeit” der Regelungen genügt nicht.

 

Normenkette

ArbGG § 72a Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 28.07.1994; Aktenzeichen 4 Sa 196/94)

ArbG Elmshorn (Urteil vom 16.11.1993; Aktenzeichen 3b Ca 1015/93)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 28. Juli 1994 – 4 Sa 196/94 – wird als unzulässig auf Kosten des Klägers verworfen.

 

Tatbestand

I. Nach der zeitlichen Erledigung der ursprünglich erhobenen Freistellungsklage und rechtskräftiger Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den Kläger für fünf Arbeitstage freizustellen, streiten die Parteien noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet war, den Kläger für den Besuch der Bildungsveranstaltung an insgesamt zehn Arbeitstagen von der Arbeit freizustellen.

Der Kläger stellte bei der Beklagten am 7. Dezember 1992 den “Antrag auf Verblockung des Bildungsurlaubes 1992/93”. Am 8. Dezember 1992 forderte die Beklagte den Kläger auf, bis zum Jahresende die konkrete Veranstaltung und den genauen Termin des beabsichtigten Bildungsurlaubs anzugeben. Der Kläger teilte daraufhin am 29. Dezember 1992 mit, daß er zur Zeit noch keine konkreten Angaben machen könne, da das Veranstaltungsverzeichnis des Weiterbildungsträgers erst Anfang 1993 zu erwarten sei. Am 5. April 1993 teilte der Kläger mit, in der Zeit vom 29. November bis 10. Dezember 1993 an dem Kurs “Grundlagen für Datenverarbeitung am Arbeitsplatz” teilnehmen zu wollen. Diese Weiterbildungsmaßnahme war vom zuständigen Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport mit Bescheid vom 30. Dezember 1992 anerkannt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte am 16. November 1993 verurteilt, den Kläger zum Besuch dieser Veranstaltung von der Arbeit freizustellen. Danach haben die Parteien vereinbart, daß der Kläger zunächst an der Veranstaltung teilnehmen könne und die Vergütungsfrage von der Feststellung der Freistellungsverpflichtung des Arbeitgebers abhängig sein solle.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die auf Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig.

1. Nach den §§ 72 Abs. 2 Nr. 2, 72a Abs. 1 ArbGG kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbständig angefochten werden, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der übrigen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Der Beschwerdeführer muß nach der fristgerechten Einlegung die Beschwerde begründen und die Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, bezeichnen (§ 72a Abs. 3 ArbGG).

Die Beschwerde genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung.

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin, hat der Beschwerdeführer dargelegt, daß in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage das anzufechtende Berufungsurteil von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Mai 1993 (– 9 AZR 126/89 –) sowie dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. September 1985 (– 11 Sa 264/85 –) abweicht.

aa) Die Beschwerde hat den zu § 7 Abs. 3 Satz 1 BFQG aufgestellten abstrakten Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung wie folgt bezeichnet:

“Er (der Arbeitnehmer) muß also die Bildungsveranstaltung, an der er im nächsten Kalenderjahr teilnehmen will, im einzelnen bezeichnen und deren Dauer nennen sowie die Zusammenfassung, insbesondere deren Notwendigkeit, im einzelnen erläutern und damit erklären. Eine bloße Geltendmachung im laufenden Kalenderjahr “auf Vorrat” oder eine einseitige Übertragung ohne Bezug auf eine konkrete Bildungsmaßnahme in das nächste Kalenderjahr ist nicht möglich, da hier von einer “Zusammenfassung” keine Rede sein kann. Eine Zusammenfassung erfordert eine konkrete Bestimmung der Bildungsveranstaltung im folgenden Kalenderjahr, die für die Teilnahme bestimmt oder vorgesehen ist.”

Sie hat als Rechtssätze, von denen abgewichen wird, genannt:

“Nach § 3 Abs. 1 S. 2 NRW AWbG kann der Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung von 2 Kalenderjahren zusammengefaßt werden. …

Um Ansprüche auf Weiterbildung von zwei Kalenderjahren zusammenzufassen, bedarf es mithin einer Erklärung des Arbeitnehmers, der zu entnehmen ist, daß er den Anspruch auf Weiterbildung nicht in diesem sondern im nächsten Jahr wahrnehmen will. Dagegen ist es nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer bereits zu diesem Zeitpunkt angeben müßte, zum Besuch welcher Veranstaltung oder Veranstaltungen er die Ansprüche zusammenfassen will. Hierzu reicht es aus, wenn er den Arbeitgeber im folgenden Jahr rechtzeitig über die Veranstaltung oder die Veranstaltungen, an denen er teilnehmen will, unterrichtet” (BAG vom 11.5.1993 – 9 AZR 126/89 – NZA 1993 S. 1087).

“Wenn das Gesetz in § 4 Abs. 3 S. 1 (richtig § 5 Abs. 4 Satz 1 HBUG) die Übertragung des Bildungsurlaubs auf das nächste Kalenderjahr für statthaft erklärt zur Teilnahme an länger dauernden zusammenhängenden Bildungsveranstaltungen, dann bedeutet dies … nicht, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die Übertragung des Bildungsurlaubs fordert, die Bildungsveranstaltung, die er besuchen will, nach Zeitraum und Thema bereits feststeht. Eine derartige Einschränkung für die Übertragung von Bildungsurlaub ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; …” (Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt vom 2.9.1985 – 11 Sa 264/85 –).

bb) Beide angezogene Urteile enthalten fallübergreifende Ausführungen zu der Rechtsfrage, welche Anforderungen an eine Erklärung eines Arbeitnehmers zu stellen sind, der erst im Folgejahr den Bildungsurlaub in Anspruch nehmen will. Danach ist sowohl nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG als auch nach § 5 Abs. 4 Satz 1 HBUG für die Zusammenfassung von Bildungsurlaubsansprüchen für das Folgejahr nur erforderlich, daß der Arbeitnehmer erklärt, den Anspruch auf Weiterbildung nicht in diesem, sondern im nächsten Jahr wahrnehmen zu wollen.

b) Zwar sind die von der Beschwerde bezeichneten Rechtssätze zu derselben Rechtsfrage aufgestellt, diese Rechtsfrage ist jedoch nicht im Anwendungsbereich derselben Rechtsnorm zu beantworten. Es fehlt hier an der Darlegung, daß es mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG unvereinbar sei, zu den unterschiedlichen Vorschriften der Bildungsulaubsgesetze der Länder Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen voneinander abweichende Rechtssätze aufzustellen.

aa) Ob zur Darlegung einer Divergenz überhaupt Rechtssätze aus Entscheidungen herangezogen werden können, die in Anwendung einer anderen Rechtsnorm ergangen sind, hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung zur früheren Divergenzrevision verneint. Die Divergenzrevision bezwecke nicht, daß allgemeine, auf mehrere Rechtsgebiete auftretenden Rechtsfragen einheitlich beantwortet werden (BAG Beschluß vom 30. September 1975 – 2 AZR 398/75 – AP Nr. 36 zu § 72 ArbGG 1953 Divergenzrevision). Im Schrifttum wird dieser Auffassung auch für das seit 1979 geltende Recht der Nichtzulassungsbeschwerde gefolgt (Ascheid, GK-ArbGG, Stand September 1994, § 72a Rz 70). Die Gegenmeinung vertritt die Ansicht, das Ziel der Vereinheitlichung der Rechtsprechung könne auch dann verwirklicht werden, wenn sich bei der Auslegung unterschiedlicher gesetzlicher Vorschriften, die vom Regelungsgegenstand inhaltlich gleich seien, ein und dieselbe Rechtsfrage stelle (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 72 Rz 19; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 72 Rz 34). Dieser Meinung ist auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zum arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren (vgl. BVerwG Beschluß vom 27. Juli 1990 – 6 PB 12.89 – AP Nr. 25 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz). Das BVerwG fordert für eine Divergenz, daß die anzufechtende und die angezogene Entscheidung entweder auf der Grundlage derselben Vorschrift oder auf der Grundlage von zumindest für ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal wörtlich übereinstimmenden Vorschriften ergangen sind, die in einem für die systematische Auslegung bedeutsamen gleichartigen Regelungszusammenhang stehen. Aus ähnlichen Erwägungen wird auch bei der Grundsatzbeschwerde nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG die Vorschrift eines bezirklichen Tarifvertrages einem im Wortlaut identischen überbezirklichen gleichgestellt (vgl. BAG Beschluß vom 24. März 1993 – 4 AZN 5/93 – AP Nr. 21 zu § 72 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Weitergehend läßt der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung eine Vorlage zu, wenn sich die vorgelegte Rechtsfrage auf der Grundlage von Vorschriften stellt, die zwar in verschiedenen Gesetzen stehen, in ihrem Wortlaut aber im wesentlichen und in ihrem Regelungsgehalt gänzlich übereinstimmen und deswegen nach denselben Prinzipien auszulegen sind (Beschluß des Gemeinsamen Senats vom 6. Februar 1973 – GmS-OGB 1/72 – AP Nr. 1 zu § 4 RsprEinhG; Beschluß vom 12. März 1987 – GmS-OGB 6/86 – AP Nr. 35 zu § 5 BetrVG 1972).

bb) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung des Senats, welcher Auffassung zu folgen ist. Hier fehlt es schon an einer hinreichenden Darlegung der Voraussetzungen dafür, daß die in den angezogenen Entscheidungen aufgestellten Rechtssätze zu Rechtsnormen ergangen sind, die mit der in der anzufechtenden Entscheidung angewandten Rechtsnorm des § 7 Abs. 3 Satz 1 BFQG in ihrem Regelungsinhalt identisch und deshalb nach denselben Prinzipien auszulegen sind. Die Beschwerde hat dazu lediglich vorgebracht, daß die drei bezeichneten Normen “durchaus vergleichbar” seien. Die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Rechtsvorschriften reicht jedoch nicht aus, um eine Rechtsvereinheitlichung durch die Zulassung der Revision im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG herbeizuführen. Die Beschwerde verkennt, daß nicht in jeder Rechtssache, in der das Landesarbeitsgericht trotz grundsätzlicher Bedeutung es unterlassen hat, die Revision zuzulassen, die Möglichkeit der Zulassung durch das Bundesarbeitsgericht besteht (vgl. § 72a Abs. 1 2. Halbsatz ArbGG).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann, Dörner, Düwell

 

Fundstellen

Haufe-Index 857062

BAGE, 3

NJW 1995, 1693

NZA 1995, 447

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