Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzfreistellung bei vorübergehender Verhinderung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
Eine urlaubs-, krankheits- oder schulungsbedingte Verhinderung eines nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds berechtigt den Betriebsrat nur bei konkreter Darlegung der Erforderlichkeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu einer entsprechenden Ersatzfreistellung.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2, § 38 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. Februar 1996 – 4 TaBV 3 u. 6/95 wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Ersatzfreistellung weiterer Betriebsratsmitglieder für den Fall einer zeitweiligen Verhinderung der freigestellten Mitglieder des Betriebsrats.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Kaufhaus, in dem ca. 735 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dem für diesen Betrieb gebildeten Betriebsrat gehören 11 Mitglieder an. Die ihm zustehenden Freistellungen hat der Betriebsrat auf drei seiner Mitglieder aufgeteilt. Neben der Betriebsratsvorsitzenden sind die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende zu 2/5 und ein weiteres Betriebsratsmitglied zu 3/5 von ihrer beruflichen Tätigkeit befreit.
Der Betriebsrat beschloß am 6. Januar 1994 Ersatzfreistellungen für zwei seiner Mitglieder im Fall einer vorübergehenden Abwesenheit der freigestellten Betriebsratsmitglieder. Die Ersatzfreistellungen waren vorgesehen bei Urlaub über drei Tage ab dem ersten Tag, bei einem Seminar über drei Tage ab dem ersten Tag und bei Krankheit ab dem vierten Tag. Eine Einigung mit der Arbeitgeberin kam nicht zustande.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Erforderlichkeit einer Ersatzfreistellung im Fall einer zeitweiligen Verhinderung freigestellter Betriebsratsmitglieder werde nach § 38 Abs. 1 BetrVG vermutet und müsse nicht dargelegt werden.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß er berechtigt ist, entsprechend § 38 BetrVG nach Beratung mit dem Arbeitgeber aus seiner Mitte vorab und generell auch Mitglieder für Ersatzfreistellungen zu wählen und daß er demgemäß berechtigt ist, im Fall der unverschuldeten Abwesenheit eines regulär gem. § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds bei Urlaub über drei Tage ab dem ersten Tag, bei Seminarteilnahme über drei Tage ab dem ersten Tag und bei Arbeitsunfähigkeit ab dem vierten Tag die Ersatzfreistellung der gem. § 38 BetrVG gewählten Ersatzmitglieder ohne weitere Beschlußfassung und Begründung vorzunehmen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß der Betriebsrat bei Verhinderung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds berechtigt ist, nach – möglichst – vorheriger Mitteilung an den Arbeitgeber ohne näheren Nachweis der Erforderlichkeit eine Ersatzfreistellung zu beschließen und zwar in den Fällen: Bei Urlaub über drei Tage ab dem ersten Tag, bei Seminarteilnahme über drei Tage ab dem ersten Tag, bei Arbeitsunfähigkeit ab dem vierten Tag. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluß abgeändert und den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen zuletzt im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Der Betriebsrat hat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit keinen Anspruch auf eine pauschale Freistellung weiterer Betriebsratsmitglieder bei einer zeitweiligen Verhinderung der nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Mitglieder des Betriebsrats.
- Der Anspruch des Betriebsrats folgt nicht aus § 38 Abs. 1 BetrVG. Die dem Betriebsrat nach dieser Vorschrift zustehenden Freistellungen hat die Arbeitgeberin erfüllt. Die zeitweilige Verhinderung der freigestellten Betriebsratsmitglieder infolge einer urlaubs-, krankheits- oder schulungsbedingten Abwesenheit führt nicht zu einem zeitweisen Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststaffel. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bleibt trotz einer vorübergehenden Verhinderung die Rechtsstellung der freigestellten Betriebsratsmitglieder erhalten (BAG Beschluß vom 12. Februar 1997 – 7 ABR 40/96 – AP Nr. 19 zu § 38 BetrVG 1972 (demn.), zu B 1 der Gründe, m.w.N.). Ersatzweise Freistellungen stehen dem Betriebsrat ebenso wie zusätzliche Freistellungen nur unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG zu (BAG Beschluß vom 22. Mai 1973 – 1 ABR 26/72 – AP Nr. 1 zu § 38 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe; BAG Beschluß vom 12. Februar 1997, aaO).
- Der Betriebsrat kann zwar seinen Anspruch auf ersatzweise Freistellung bei Verhinderung der freigestellten Betriebsratsmitglieder auf § 37 Abs. 2 BetrVG stützen. Doch bedarf es dazu der konkreten Darlegung der Erforderlichkeit einer pauschalen Ersatzfreistellung. Dazu muß der Betriebsrat hinreichend Gründe anführen, daß für die ordnungsgemäße Durchführung seiner Aufgaben konkrete Arbeitsbefreiungen einer oder mehrerer seiner Mitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht ausreichend sind und welche Gründe die pauschale Ersatzfreistellung auch für die Dauer der Amtsperiode fordern.
- Zur Begründung seines Ersatzfreistellungsbedarfs kann sich der Betriebsrat nicht darauf berufen, daß § 38 Abs. 1 BetrVG im Umfang der zeitlichen Verhinderung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds einen entsprechenden Freistellungsbedarf vermutet. § 38 Abs. 1 BetrVG enthält keine den § 37 Abs. 2 BetrVG verdrängende Sonderregelung, sondern pauschaliert den Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung seiner Mitglieder ohne eine einzelfallbezogene Darlegung der Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung. Bei der Freistellungsregelung des § 38 Abs. 1 BetrVG ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß in Betrieben ab einer bestimmten Größenordnung regelmäßig Betriebsratsarbeit im Umfang der Arbeitszeit eines oder mehrerer vollzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder anfällt (BAG Beschluß vom 12. Februar 1997, aaO). Die dazu notwendige Pauschalierung berücksichtigt notwendigerweise die für den Gesetzgeber absehbaren urlaubs-, krankheits- und schulungsbedingten Abwesenheitszeiten der freigestellten Betriebsratsmitglieder. Der Betriebsrat kann aufgrund dieser gesetzgeberischen Wertung nicht erwarten, daß für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben an jedem Arbeitstag die der Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG entsprechende Anzahl freigestellter Betriebsratsmitglieder für die Durchführung gesetzlicher Aufgabenstellungen des Betriebsrats zur Verfügung steht. Vielmehr ist er bei zeitweiliger Abwesenheit freigestellter Betriebsratsmitglieder gehalten, die von ihnen zu erledigenden Betriebsratsaufgaben von den übrigen Mitgliedern des Betriebsrats wahrnehmen zu lassen, soweit das nach Art und Umfang der Aufgabe im Einzelfall erforderlich ist. Gerade in Fällen einer längeren Verhinderung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds liegt es nahe, daß die übrigen Betriebsratsmitglieder in verstärktem Umfang für die Durchführung von Betriebsratsaufgaben herangezogen werden. Erst wenn die geschuldeten Aufgaben auch dann nicht erfüllt werden können, kommt eine weitere Freistellung wegen des nunmehr konkret bestehenden Bedarfs in Betracht.
Unterschriften
Dörner, Schmidt, Bepler, Straub, Nottelmann
Fundstellen
Haufe-Index 893919 |
NZA 1998, 164 |
SAE 1998, 235 |
ZMV 1998, 140 |