Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, § 577 Abs. 2, §§ 516, 552; GVG n.F. § 17a Abs. 2, 4, § 17b Abs. 1; ArbGG § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Beschluss vom 23.11.1992) |
Tenor
Zuständig ist derzeit das Amtsgericht Mannheim.
Tatbestand
I. Der Kläger nimmt mit der zum Amtsgericht Mannheim erhobenen Klage vom 16. Juli 1992 die Beklagte aus einem Wettbewerbsverbot auf Zahlung einer Karenzentschädigung in Anspruch. Das Amtsgericht Mannheim hat durch Beschluß vom 28. August 1992 den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Arbeitsgericht Mannheim verwiesen. Der Beschluß ist nicht mit einer Begründung versehen. Er ist den Parteien auch nicht förmlich zugestellt worden. Das Arbeitsgericht Mannheim hält sich für derzeit unzuständig und hat die Akten dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des derzeit zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist derzeit das Amtsgericht Mannheim.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAGE 44, 246 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Amtsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.; BGHZ 44, 14, 15).
Allerdings hat das Arbeitsgericht Mannheim die Übernahme des Rechtsstreits in erster Linie deshalb abgelehnt, weil es der Ansicht ist, der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts sei wegen fehlender Zustellung noch nicht rechtskräftig. Es hat sich damit also nur für zur Zeit unzuständig erklärt. Möglicherweise hätte es die Übernahme nach Zustellung und Ablauf der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht mehr abgelehnt. Doch auch in diesem Sonderfall eines negativen Kompetenzkonfliktes ist § 36 Nr. 6 ZPO von seinem Sinn und Zweck her entsprechend anwendbar, da die Ablehnung einer Entscheidung einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbaren Rechtsverweigerung gleichkäme (BAGE 23, 167, 169 = AP Nr. 8 zu § 36 ZPO).
2. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Mannheim ist nicht rechtskräftig geworden.
a) Gemäß § 17 b Abs. 1 Satz 1 GVG n.F. wird der Rechtsstreit (erst) „nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses … mit Eingang der Akten bei dem im Beschluß bezeichneten Gericht anhängig”. Die Versendung der Akten durch das abgebende Gericht ist folglich erst nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses zulässig (Kissel, NJW 1991, 945, 950; Klimpe-Auerbach, ArbuR 1992, 110, 113). Die Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses tritt aber nach § 705 ZPO vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist nicht ein. § 705 ZPO ist auch auf Beschlüsse anwendbar, die mit der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO) anfechtbar sind (vgl. nur Zöller/Stöber, ZPO, 17. Aufl., § 705 Rz 1). Dazu gehören Verweisungsbeschlüsse gemäß § 17 a Abs. 2 GVG n.F., gegen die nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG n.F. die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben ist.
Nach § 329 Abs. 3 ZPO sind Entscheidungen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, zuzustellen. Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen, die mit der Zustellung beginnt. Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte nach § 17 a GVG n.F. sind jedoch die §§ 516, 552 ZPO analog anzuwenden. Nach diesen Vorschriften beginnt die Frist zur Einlegung der Berufung und der Revision spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Grundsätzlich bedarf zwar die zeitliche Beschränkung der Anfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen einer ausdrücklichen Regelung (BGHZ 43, 289, 293). Dementsprechend haben der Bundesgerichtshof (BGHZ 30, 299, 300) und das Bundesarbeitsgericht (BAGE 3, 185, 187 = AP Nr. 1 zu § 615 BGB Betriebsrisiko = NJW 1957, 518) die entsprechende Anwendung der §§ 516, 552 ZPO auf die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO abgelehnt.
Eine analoge Anwendung der genannten Bestimmungen ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. So hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Notfrist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach dem Bundesentschädigungsgesetz spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Berufungsurteils beginnt (Beschluß vom 24. Juni 1975 – IX ZB 354/72 – MDR 1976, 40). Die zivilprozessuale Rechtsprechung bejaht ganz überwiegend die analoge Anwendung der §§ 516, 552 ZPO auf verkündete Beschlüsse (KG Beschluß vom 5. Februar 1935 – 8 W 729/35 – JW 1935, 1709; OLG Oldenburg Beschluß vom 30. Oktober 1975 – 8 W 125/75 – NJW 1976, 245; OLG Zweibrücken Beschluß vom 24. Januar 1986 – 2 WF 211/85 – FamRZ 1986, 377; OLG Hamm Beschluß vom 18. September 1990 – 15 W 272/90 – Rpfleger 1991, 73; vgl. ferner Zöller/Schneider, ZPO, 17. Aufl., § 577 Rz 10; Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., § 577 Anm. 2 a bb; a.A. wohl Wieczorek/Rössler/Schütze, ZPO, 2. Aufl., § 577 Anm. B II d; und für den Sonder fall des Haftbeschlusses im früheren Offenbarungseidsverfahren OLG Oldenburg Beschluß vom 8. Dezember 1964 – 2 W 112/64 – MDR 1965, 212; OLG Stuttgart Beschluß vom 2. April 1968 – 8 W 341/67 – OLGZ 1968, 305; a.A. für das arbeitsgerichtliche Verfahren LAG Frankfurt am Main Beschluß vom 31. Juli 1970 – 5 Ta 43/69 – NJW 1971, 166). Ebenso ist die analoge Anwendung auf nicht verkündete Beschlüsse bejaht worden (OLG Hamm Beschlüsse vom 1. Dezember 1952 – 15 W 437/52 – JZ 1953, 154 und vom 8. Mai 1953 – 3 W 47/53 – JMBl NRW 1953, 150; HansOLG Hamburg Beschluß vom 24. März 1955 – 6 W 81/55 – MDR 1955, 366; KG Beschluß vom 23. Dezember 1959 – 1 W 1816/59 – MDR 1961, 153; KG Beschluß vom 10. März 1966 – 1 W 413/66 – MDR 1966, 849; OLG Koblenz Beschluß vom 6. September 1990 – 11 WF 864/90 – FamRZ 1991, 100; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, § 149 I 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., § 577 Anm. 2 A b; wohl auch Bischof, NJW 1980, 2235, 2237; a.A. OLG Stuttgart Beschluß vom 25. Oktober 1965 – 8 W 150/65 – ZZP 79 (1966), 305, 307). Im ersten Fall soll die Notfrist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde mit der Verkündung, im zweiten mit der formlosen Mitteilung des Beschlusses beginnen.
Der herrschenden Meinung ist zumindest für Verweisungsbeschlüsse der ordentlichen Gerichte nach § 17 a GVG n.F. zuzustimmen. Dies hat der Senat in seinem Beschluß vom 26. Mai 1992 (– 5 AS 1/92 –, n.v.) für den Fall eines verkündeten Verweisungsbeschlusses bereits ausgesprochen. Dasselbe gilt aber auch für nicht verkündete Verweisungsbeschlüsse. Ob für Verweisungsbeschlüsse der Arbeitsgerichte im Hinblick auf § 9 Abs. 5 ArbGG anders zu entscheiden ist, bedarf hier keiner Erörterung.
Das Beschwerdeverfahren ist in der ZPO nicht abschließend geregelt. Daher erscheint eine entsprechende Anwendung einzelner für das Berufungs- und Revisionsverfahren geltender Vorschriften grundsätzlich zulässig (KG Beschlüsse vom 5. Februar 1935 – 8 W 729/35 – JW 1935, 1709; und vom 23. Dezember 1959 – 1 W 1816/59 – MDR 1961, 153). Die §§ 516, 552 2. Halbsatz. 2. Alternative ZPO dienen der Rechtssicherheit. Das Urteil wird bereits durch Verkündung existent; bereits ab diesem Zeitpunkt können Rechtsmittel eingelegt werden (BAG Urteil vom 17. Februar 1961 – 1 AZR 287/59 – AP Nr. 16 zu § 519 ZPO; RGZ 112, 164, 167; vgl. auch BGH Urteil vom 18. September 1963 – V ZR 192/61 – MDR 1964, 43). Die §§ 516, 552 ZPO sollen den durch die Urteilsverkündung entstehenden Schwebezustand beenden und der Rechtssicherheit dienen (BGH Beschluß vom 24. Juni 1975 – IX ZB 354/72 – MDR 1976, 40; OLG Hamm Beschluß vom 8. Mai 1953 – 3 W 47/53 – JMBl NRW 1953, 150; OLG Koblenz Beschluß vom 6. September 1990 – 11 WF 864/90 – FamRZ 1991, 100, 101). Bei den der sofortigen Beschwerde unterliegenden, also der formellen Rechtskraft fähigen Beschlüssen, besteht aber das Interesse an einer Beschränkung des Schwebezustandes in gleichem Maße wie bei Urteilen (KG Beschlüsse vom 5. Februar 1935 und vom 23. Dezember 1959, a.a.O.). Dies gilt gerade auch für Verweisungsbeschlüsse nach § 17 a GVG n.F., die die Sachentscheidung nur vorbereiten. Damit beginnt die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen Verweisungsbeschlüsse der ordentlichen Gerichte spätestens fünf Monate nach deren Verkündung oder – bei nicht verkündeten Beschlüssen – fünf Monate nach der formlosen Mitteilung.
b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Mannheim vom 28. August 1992 ist den Parteien zu keiner Zeit formgerecht zugestellt worden. Eine Heilung dieses Mangels kommt nicht in Betracht (§ 187 Satz 2 ZPO). Das Amtsgericht Mannheim durfte daher die Akten dem Arbeitsgericht Mannheim weder sofort nach der Beschlußfassung noch später übersenden. Es hätte vielmehr seinen Beschluß begründen und die Zustellung veranlassen müssen. Erst nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte es die Akten übersenden dürfen. Da der Verweisungsbeschluß noch nicht rechtskräftig war, die Voraussetzungen des § 17 b Abs. 1 Satz 1 GVG n.F. also noch nicht vorlagen, hat das Arbeitsgericht Mannheim die Übernahme des Rechtsstreits zu Recht abgelehnt. Es durfte die Akten daher ohne Verstoß gegen § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., wonach Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend sind, an das Amtsgericht zurücksenden.
3. Das Bundesarbeitsgericht kann das zuständige Gericht nicht endgültig bestimmen. § 36 Nr. 6 ZPO ist im vorliegenden Fall, in dem es um die Frage geht, ob der Verweisungsbeschluß bereits rechtskräftig ist, nur entsprechend anwendbar. Die Vorschrift kann nicht dazu führen, daß anstelle der in § 17 a Abs. 4 GVG vorgesehenen Instanzen das nach § 36 Nr. 6 ZPO zuständige Gericht entscheidet. Das Bundesarbeitsgericht kann also in diesem Fall nur klarstellen, daß der Rechtsstreit wegen fehlender Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses noch immer vor dem Amtsgericht Mannheim anhängig ist.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog
Fundstellen