Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung von Betriebsteilen zum Hauptbetrieb
Leitsatz (redaktionell)
Zuordnung von nicht betriebsratsfähigen „Repräsentanzen” eines Versicherungsunternehmens zur „Betriebsdirektion Ost” in Ost-Berlin und nicht zur Hauptverwaltung in Bonn.
Normenkette
BetrVG 1972 § 4 S. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Beschluss vom 06.12.1991; Aktenzeichen 11 TaBV 15/91) |
ArbG Bonn (Beschluss vom 11.01.1991; Aktenzeichen 2 BV 73/90) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. Dezember 1991 – 11 TaBV 15/91 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten zu 2) sind Versicherungsunternehmen mit Vertriebsdirektionen und Geschäftsstellen bzw. Repräsentanzen im gesamten Bundesgebiet. Antragsteller und Beteiligter zu 1) ist der bei der Hauptverwaltung in B. der Beteiligten zu 2) gewählte Betriebsrat. Die Beteiligten zu 2) haben 1990 damit begonnen, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sog. Repräsentanzen zu errichten, die der ebenfalls neu eingerichteten Vertriebsdirektion Ost in Berlin unterstellt wurden. In der Vertriebsdirektion Ost sind neben dem Leiter drei weitere Mitarbeiter beschäftigt. Im gleichen Gebäude der Vertriebsdirektion Ost ist außerdem die Repräsentanz Ost-Berlin untergebracht, bei der mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die Beteiligte zu 3) ist die von der Vertriebsdirektion Ost und der Repräsentanz Ost-Berlin gemeinsam am 3. Januar 1991 gewählte Betriebsobfrau. Sie ist Nachfolgerin des in erster Instanz beteiligten Betriebsobmanns K.. Die übrigen in den neuen Bundesländern gebildeten Geschäftsstellen haben jeweils einen eigenen Betriebsrat gewählt, soweit in ihnen mehr als fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Die Arbeitgeber planen die Einrichtung weiterer Repräsentanzen in den neuen Bundesländern. Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob diese neu zu errichtenden Repräsentanzen, soweit sie nicht betriebsratsfähig sind, betriebsverfassungsrechtlich der Hauptverwaltung in B. oder der Vertriebsdirektion Ost in Berlin zuzuordnen sind.
Die Hauptverwaltung in B. ist zuständig für bestimmte Teilaufgaben im Unternehmen. Sie verwaltet die Bestände, legt das Versicherungsvermögen an; außer dem Einzug der Versicherungsprämien obliegt ihr die Schadensfallbearbeitung. Die Vertriebsdirektion Ost ist für das Gebiet der ehemaligen DDR zuständig für die Vertriebsplanung, Vertriebssteuerung und Akquisition von Versicherungsverträgen. Von der Hauptverwaltung wird für die Vertriebssteigerung ein bestimmter Prozentsatz als Zielvorgabe vorgegeben. Der Leiter der Vertriebsdirektion wählt in Abstimmung mit dem Vorstand die Standorte für neue Repräsentanzen aus. Er mietet die Räumlichkeiten hierfür an. Teilweise werden die Mietverträge von ihm selbst, teilweise von der Grundstücksabteilung der Hauptverwaltung in B. unterzeichnet. Der Vertriebsdirektor ist berechtigt, für die Repräsentanzen Mitarbeiter einzustellen, sie zu versetzen oder zu entlassen. Er schließt mit den Mitarbeitern unter Verwendung von Formularen der Hauptverwaltung Arbeitsverträge ab; er ist jedoch berechtigt, die Formularverträge im einzelnen abzuändern, z.B. hinsichtlich des Gehalts. Die Arbeitsverträge werden aus organisatorischen Gründen in der Personalabteilung der Hauptverwaltung gegengezeichnet. Hierdurch werden insbesondere die Personalstammdaten erfaßt. Für die Bewilligung von Urlaub der Arbeitnehmer in den einzelnen Repräsentanzen ist der jeweilige Geschäftsstellenleiter zuständig. Über dessen Urlaub wiederum entscheidet der Leiter der Vertriebsdirektion Ost. In gleicher Weise wird bei der Erstellung von Zeugnissen verfahren.
Der Betriebsrat der B. Hauptverwaltung ist der Auffassung, die nicht betriebsratsfähigen neuen Repräsentanzen in den neuen Bundesländern seien der Hauptverwaltung in B. zuzuordnen, da diese die Funktion eines Hauptbetriebes für die neuen Repräsentanzen habe. Die Vertriebsdirektion Ost sei selbst nicht betriebsratsfähig und könne daher nicht Hauptbetrieb i. S. des § 4 BetrVG sein.
Der Betriebsrat hat sinngemäß die Feststellung beantragt,
daß neu einzurichtende Repräsentanzen der Beteiligten zu 2) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dem Hauptbetrieb/Hauptverwaltung B. zuzuordnen sind, solange sie nicht betriebsratsfähig sind.
Die Beteiligten zu 2) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, die nicht betriebsratsfähigen Einrichtungen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer seien der Vertriebsdirektion Ost zuzuordnen, die gemeinsam mit der im selben Gebäude untergebrachten Repräsentanz Ost-Berlin einen einheitlichen Betrieb bilde. Die Vertriebsdirektion Ost erfülle im Verhältnis zur Hauptverwaltung B. einen eigenen Betriebszweck. Für die Frage, ob die Vertriebsdirektion Ost Hauptbetrieb im Verhältnis zu den nicht betriebsratsfähigen Repräsentanzen in den neuen Bundesländern sei, komme es ausschließlich darauf an, wo die maßgeblichen Arbeitgeberfunktionen lägen. Der Vertriebsdirektion Ost seien im Interesse eines schnellen und effektiven Aufbaus einer Vertriebsstruktur in den fünf neuen Ländern unternehmerische Kompetenzen übertragen worden. Der Vertriebsdirektor sei in fachlicher, personeller, disziplinarischer und sozialer Hinsicht vorgesetzte Stelle und alleiniger Ansprechpartner für die Mitarbeiter in den einzelnen Repräsentanzen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats der Hauptverwaltung stattgegeben. Auf die Beschwerde der Arbeitgeber hat das Landesarbeitsgericht die arbeitsgerichtliche Entscheidung abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der antragstellende Betriebsrat seinen Antrag weiter. Die Arbeitgeber haben beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den erstinstanzlichen Beschluß zu Recht abgeändert und den Antrag des Betriebsrats der Hauptverwaltung zurückgewiesen. Die von den Arbeitgebern auf dem Gebiet der neuen Bundesländer neu zu errichtenden Repräsentanzen sind, soweit sie nicht selbst betriebsratsfähig sind, nicht der Hauptverwaltung in B., sondern der Vertriebsdirektion Ost betriebsverfassungsrechtlich zuzuordnen. Die Vertriebsdirektion Ost bildet gemeinsam mit der in Ost-Berlin ansässigen Repräsentanz einen gemeinsamen Betrieb.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, neu gegründete Einrichtungen der Arbeitgeber auf dem Gebiet der neuen Bundesländer seien, soweit sie nicht betriebsratsfähig sind, dem gemeinsamen von der Betriebsdirektion Ost und der Repräsentanz Ost-Berlin gebildeten Betriebsrat zuzuordnen. Die Repräsentanzen, die in den neuen Bundesländern neu gegründet würden, seien unabhängig von ihrer Größe weder eigenständige Betriebe noch sog. Nebenbetriebe, sondern Teile eines Betriebes mit Leitung in Berlin. Die Geschäftsstellen seien räumlich abgegrenzt und relativ verselbständigt. Der Geschäftsstellenleiter übe nur allgemeine Vorgesetztenfunktionen aus. Die Vertriebsdirektion Ost bilde mit der im gleichen Haus untergebrachten Repräsentanz Ost-Berlin einen einheitlichen Betrieb, für den ein Betriebsrat gebildet worden sei. Die übrigen Repräsentanzen in den neuen Bundesländern seien, soweit sie mit mehr als fünf Arbeitnehmern betriebsratsfähig seien, gem. § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG selbständige Betriebe mit jeweils eigenem Betriebsrat. Da der Vertriebsdirektion Ost weitreichende unternehmerische Entscheidungsbefugnisse, insbesondere auch auf dem Gebiet der personellen und sozialen Mitbestimmung übertragen seien, übe der Vertriebsdirektor wesentliche Arbeitgeberfunktionen gegenüber den in den neuen Bundesländern beschäftigten Mitarbeitern aus. Die Vertriebsdirektion Ost sei daher ein selbständiger Betrieb, dem die nicht betriebsratsfähigen Repräsentanzen zuzuordnen seien. Dem stehe nicht entgegen, daß die Vertriebsdirektion Ost selbst nicht betriebsratsfähig sei; entscheidend sei vielmehr allein, wo die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen ausgeübt würden.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen.
1. Das Landesarbeitsgericht ist bei der Beurteilung der Frage, welchem Betrieb die nicht betriebsratsfähigen Einrichtungen der Beteiligten zu 2) in den neuen Bundesländern zuzuordnen sind, zutreffend von den in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Begriffen des Betriebs, des Nebenbetriebs und des Betriebsteils ausgegangen.
a) Als Betrieb ist die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (BAGE 40, 163, 165 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe; BAGE 52, 325, 329 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe; BAG Beschluß vom 29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90 – EzA § 4 BetrVG 1972 Nr. 6; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 1 Rz 31; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 1 Rz 52). In erster Linie kommt es dabei auf die Einheit der Organisation, weniger auf die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung an (BAGE 40, 163, 166 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 2 a der Gründe; BAGE 53, 119, 127 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe). So ist regelmäßig vom Vorliegen eines Betriebes i.S. des Betriebsverfassungsgesetzes auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Nebenbetriebe i.S. des § 4 Satz 2 BetrVG sind solche Betriebe, die organisatorisch selbständig sind und unter eigener Leitung einen eigenen Betriebszweck verfolgen, jedoch in ihrer Aufgabenstellung auf eine reine Hilfeleistung für den Hauptbetrieb ausgerichtet sind und den dort verfolgten Betriebszweck unterstützen. Ein Betriebsteil ist dagegen in die Organisation des Hauptbetriebes eingegliedert. Er ist ihm gegenüber räumlich und organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt, bleibt aber auf dessen Zweck ausgerichtet (BAGE 53, 119, 127 f. = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe, m.w.N.).
b) Ob Hauptverwaltung und Betriebsstätte eines Unternehmens einen einheitlichen Betrieb oder zwei selbständige Betriebe bilden, hängt von der Leitungsstruktur des Unternehmens ab. Betriebliche Mitbestimmung soll dort ausgeübt werden, wo unternehmerische Leitungsmacht im betrieblichen Bereich konkret entfaltet und ausgeübt wird (BAGE 40, 163, 167 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, unter III 2 b der Gründe). Deshalb ist es unschädlich, wenn auf Arbeitgeberseite gewisse interne Bindungen zwischen der Hauptverwaltung und der aus ihr ausgegliederten Betriebsstätte bestehen (BAGE 14, 82, 91 = AP Nr. 5 zu § 3 BetrVG, zu II 2 g der Gründe; BAGE 40, 163, 167 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 2 b der Gründe). Maßgeblich ist, wo die wesentlichen der sozialen (§§ 87 ff. BetrVG) und personellen (§§ 99 ff. BetrVG) Mitbestimmung unterliegenden Entscheidungen für die Mitarbeiter des Betriebs getroffen werden. Hierbei kommt es weniger auf die wirtschaftlich-unternehmerische Entscheidungsgewalt an. Eine Betriebsstätte ist als selbständiger Betrieb anzusehen, wenn seiner Leitung der Kern der Arbeitgeberfunktionen für die dort tätigen Mitarbeiter übertragen ist, die Hauptverwaltung hingegen im wesentlichen planerische, unternehmensbezogene Entscheidungen trifft (BAGE 40, 163, 168 = AP, a.a.O.).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vertriebsdirektion Ost gegenüber der Hauptverwaltung der Arbeitgeber in B ein eigenständiger Betrieb ist und die Repräsentanzen in den neuen Bundesländern als Betriebsteile diesem zuzuordnen sind, sofern sie nicht selbst eine betriebsratsfähige Größe erreichen.
a) Die Vertriebsdirektion Ost verfügt über einen eigenständigen arbeitstechnischen Betriebszweck. Im Gegensatz zur Hauptverwaltung obliegt ihr der Vertrieb von Versicherungen. Der Vertriebsdirektion Ost sind bezogen auf die neuen Bundesländer weitreichende unternehmerische Funktionen übertragen. Der Vertriebsdirektor entscheidet selbständig über die Standorte der neuen Repräsentanzen. Soweit er hierbei eine Abstimmung mit dem Vorstand der Arbeitgeber zu treffen hat, steht dies seiner selbständigen Entscheidungsbefugnis nicht entgegen. Ein selbständiger Betrieb kann auch dann vorliegen, wenn sich der Vorstand der Unternehmensleitung bestimmte Entscheidungsbefugnisse vorbehalten hat (Dietz/Richardi, a.a.O., § 1 Rz 71; Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 4 Rz 15). Der Vertriebsdirektor mietet in Eigenverantwortung entsprechende Räumlichkeiten an. Soweit die Unterzeichnung der Mietverträge auch durch die Grundstücksabteilung der Arbeitgeber erfolgt, handelt es sich hierbei nur um den Vollzug der Vorgaben seitens der Vertriebsdirektion Ost, ändert jedoch nichts an der eigenen Entscheidungsbefugnis des Vertriebsdirektors. Gleiches gilt, soweit der Betriebsrat der Hauptverwaltung vorgetragen hat, daß aufgrund einer Anweisung der Hauptverwaltung Repräsentanzen nur in Orten mit mehr als 50.000 Einwohnern errichtet werden dürfen.
Maßgeblich ist, daß der Vertriebsdirektion Ost wesentliche personelle Entscheidungen hinsichtlich der Mitarbeiter in den Repräsentanzen in den neuen Bundesländern obliegen. Der Vertriebsdirektor ist zuständig für die Vertriebsplanung und Vertriebssteuerung. Ihm obliegt insbesondere auch die personelle Planung und Entscheidung zur Erreichung des Ziels, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR einen eigenständigen Vertrieb für die Arbeitgeber aufzubauen. Er ist berechtigt, für die Repräsentanzen Personal einzustellen und Einzelarbeitsverträge auszuhandeln. Der Vertriebsdirektor hat hierbei die Befugnis, die von den Arbeitgebern vorgegebenen Formularverträge abzuändern. Er entscheidet über die Höhe der Gehälter selbständig. Die Vertriebsdirektion Ost ist ebenso zuständig für die Versetzung und Entlassung der Mitarbeiter in den Repräsentanzen. Damit obliegen ihr wesentliche personelle Entscheidungsrechte. Soweit die Vertriebsdirektion Ost in diesen Fragen an Vorgaben hinsichtlich der Zahl der Mitarbeiter im Innendienst gebunden ist, ändert das nichts an der selbständigen Entscheidungsbefugnis. Auch soweit der Vertriebsdirektor der Vertriebsdirektion Ost die Arbeitsverträge zur Zweitunterschrift der Personalabteilung in B. vorlegen muß, hat dies nach den nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für die Frage der Begründung der Arbeitsverhältnisse keine konstitutive Bedeutung, sondern dient lediglich dazu, die Arbeitsverhältnisse organisationstechnisch zu erfassen. Der Vertriebsdirektor übt außerdem allgemeine Vorgesetztenfunktionen bezüglich der Geschäftsstellenleiter der Repräsentanzen aus. Er ist für die Urlaubsgewährung und Zeugniserteilung zuständig. Die Vertriebsdirektion Ost hat somit eine eigene institutionalisierte Leitungsstruktur.
b) Soweit der Rechtsbeschwerdeführer anführt, die Vertriebsdirektionen in den alten Bundesländern seien jeweils der Hauptverwaltung in B. zugeordnet worden, sofern sie nicht selbst betriebsratsfähig waren, steht dies der Beurteilung des Landesarbeitsgerichts bezüglich der Vertriebsdirektion Ost nicht entgegen. Zum einen muß die bisher vorgenommene Zuordnung in den alten Bundesländern nicht mit der Rechtslage übereingestimmt haben. Zum anderen – und hieraus ergibt sich der entscheidende Unterschied in der rechtlichen Beurteilung – sind den Vertriebsdirektionen in den alten Bundesländern keine weitreichenden unternehmerischen personellen Kompetenzen übertragen; sie haben mithin keine eigene Leitungsstruktur. Die Arbeitgeber haben insofern eine abweichende Aufgabenaufteilung und -zuweisung vorgenommen, um einen effektiven und schnellen Vertriebsaufbau in den neuen Bundesländern zu erreichen. Es handelt sich hierbei um eine den besonderen Verhältnissen Rechnung tragende unternehmerische Entscheidung, die bezüglich der betrieblichen Zuordnung eine abweichende Beurteilung im Vergleich zu den alten Bundesländern nach sich zieht. Die Vertriebsdirektion Ost ist daher ein selbständiger Betrieb i.S. des § 1 BetrVG.
c) Die einzelnen Repräsentanzen sind keine selbständigen Betriebe, sondern nur Betriebsteile. Sie sind in die Organisation der Vertriebsdirektion Ost eingegliedert, jedoch räumlich und organisatorisch von ihr abgrenzbar und relativ verselbständigt. Den Geschäftsstellen steht jeweils ein Geschäftsstellenleiter vor. Er übt bezüglich der in den Repräsentanzen beschäftigten Mitarbeiter allgemeine Vorgesetztenfunktionen aus; er gewährt z.B. Urlaub, erstellt Zeugnisse. Die Repräsentanzen sind in ihrem arbeitstechnischen Zweck ebenso auf den Vertrieb von Versicherungen ausgerichtet wie die Vertriebsdirektion Ost. Dies steht der Annahme des erstinstanzlichen Gerichts entgegen, die Repräsentanzen seien Nebenbetriebe. Nebenbetriebe sind selbständige Betriebe, deren Aufgabe sich auf reine Hilfeleistungen für den Hauptbetrieb erschöpft, die also dem Hauptzweck des Betriebes lediglich dienen. Verfolgt eine Betriebsstätte den gleichen arbeitstechnischen Zweck wie der Hauptbetrieb, so kann es sich nicht um einen Nebenbetrieb handeln.
3. Für die Errichtung des Betriebsrats in den Repräsentanzen kommt daher § 4 Satz 1 BetrVG zur Anwendung.
a) Danach gelten Betriebsteile als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllen und entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Fehlt es an einer der genannten Voraussetzungen, so gilt der Betriebsteil nicht als selbständiger Betrieb. Seine Mitarbeiter können also keinen eigenen Betriebsrat wählen. Der Betriebsteil wird dem Hauptbetrieb zugeordnet, um in diesem Fall auch für die in dem Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer eine Interessenvertretung zu gewährleisten (Dietz/Richardi, a.a.O., § 4 Rz 15; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 4 Rz 8). Hauptbetrieb in diesem Sinn ist der Betrieb, in dem die für die Betriebsteile maßgebliche Leitung institutionalisiert ist (BAGE 40, 163, 167 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 2 b der Gründe).
b) Danach ist Hauptbetrieb der Repräsentanzen in den neuen Bundesländern die Vertriebsdirektion Ost. Dort werden – wie dargelegt – die für die Arbeitnehmer der Repräsentanzen wesentlichen Entscheidungen getroffen.
4. Für die Repräsentanzen außerhalb Berlins hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß sie gem. § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG als selbständige Betriebe gelten, soweit sie mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigen. Richtig ist auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Zuordnung der Repräsentanz Ost-Berlin zur Vertriebsdirektion Ost. Die Repräsentanz Ost-Berlin hat zwar mit mehr als zehn Arbeitnehmern eine betriebsratsfähige Größe. § 4 Satz 1 BetrVG fordert jedoch für die Annahme eines selbständigen Betriebes außerdem entweder eine räumlich weite Entfernung vom Hauptbetrieb (§ 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG) oder aber eine Eigenständigkeit in Organisation und Aufgabenbereich (§ 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG).
Die Repräsentanz Ost-Berlin erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Sie befindet sich im gleichen Gebäude wie die Vertriebsdirektion Ost, ist also nicht räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt. Ebensowenig hat sie eine eigenständige Organisation. Diese setzt voraus, daß eine eigene Leitung besteht, die insbesondere auch über die dem Mitbestimmungsrecht unterliegenden Fragen zu entscheiden hat (BAGE 41, 403 = AP Nr. 4 zu § 4 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, a.a.O., § 4 Rz 28; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 4 Rz 14). Der Geschäftsstellenleiter hat in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht nur untergeordnete Funktionen, während die wesentlichen der Mitbestimmung unterliegenden personellen Entscheidungsbefugnisse bei der Vertriebsdirektion Ost liegen.
Damit bilden die Vertriebsdirektion Ost und die Repräsentanz Ost-Berlin einen einheitlichen Betrieb, für den zutreffend ein Betriebsrat gewählt worden ist. Diesem gemeinsamen Betrieb aus Vertriebsdirektion Ost und Repräsentanz Ost-Berlin sind die neuen nicht betriebsratsfähigen Repräsentanzen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zuzuordnen.
5. Unschädlich ist entgegen der Auffassung des antragstellenden Betriebsrats, daß die Vertriebsdirektion Ost für sich allein nicht die gemäß § 1 BetrVG erforderliche Arbeitnehmerzahl beschäftigt. Zu Unrecht beruft sich der Betriebsrat zur Begründung seiner Auffassung, daß Hauptbetrieb nur ein Betrieb sein könne, der betriebsratsfähig ist, auf die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Dezember 1985 (BAGE 50, 251 = AP Nr. 28 zu § 99 BetrVG 1972). In dem damals entschiedenen Fall hatte eine Stiftung, die politische Erwachsenenbildung betrieb, neben einer sog. Akademie mit 21 Arbeitnehmern an fünf weiteren Orten nicht betriebsratsfähige Einrichtungen errichtet, die jeweils selbständige Betriebe i.S. des § 1 BetrVG waren und deshalb nicht in unmittelbarer Anwendung des § 4 Satz 1 BetrVG der Akademie zugeordnet werden konnten. Deshalb hatte der Erste Senat dort für die Zuordnung auf die Identität des arbeitstechnischen Zwecks abgestellt. Im Entscheidungsfall stellen sich dagegen derartige Fragen nicht; die Zuordnung der Repräsentanzen als bloßer Betriebsteile der Vertriebsdirektion Ost zum Hauptbetrieb (Vertriebsdirektion Ost) richtet sich hier unmittelbar nach § 4 Satz 1 BetrVG. Ist diese Zuordnung wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Satz 1 BetrVG vorzunehmen und erfüllt daraufhin der Hauptbetrieb gemeinsam mit dem ihm zugeordneten Betriebsteilen die Voraussetzungen des § 1 BetrVG, so ist ein Betriebsrat zu wählen. Dementsprechend kommt es für die Zuordnung gemäß § 4 Satz 1 BetrVG nicht darauf an, ob der Hauptbetrieb bereits für sich allein betriebsratsfähig ist oder ob er es gerade erst durch die Zuordnung seiner Betriebsteile wird.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Steckhan, Ruppert, Schmoldt
Fundstellen