Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats. Einblicksrecht in Bruttolohn- und -gehaltslisten. Mitbestimmungsrecht bei Verteilung außertariflicher Zulagen
Leitsatz (amtlich)
Der allgemeine Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird auch für den Bereich der Vergütung nicht verdrängt durch das in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG geregelte Recht auf Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten.
Orientierungssatz
- Der allgemeine Auskunftsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG setzt voraus, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe des Betriebsrats besteht und die begehrte Auskunft zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist.
- Es steht dem Arbeitgeber grundsätzlich frei zu entscheiden, in welcher Form er den Auskunftsanspruch des Betriebsrats erfüllt. Insbesondere bei umfangreichen, komplexen Informationen kann aber nach § 2 Abs. 1 BetrVG eine schriftliche Auskunft notwendig sein.
- Das in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG geregelte Einblicksrecht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten stellt gegenüber dem in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG normierten Anspruch auf Überlassung der zur Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Unterlagen die speziellere Regelung dar und verdrängt diesen für den Bereich der Löhne und Gehälter.
- Der allgemeine Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und das Recht auf Einblicknahme nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG stehen zueinander nicht im Verhältnis der Spezialität. Der Unterrichtungsanspruch wird daher auch im Bereich der Vergütung nicht durch das Einblicksrecht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten verdrängt.
- Regelungen über außertarifliche Zulagen unterfallen der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Voraussetzung ist ein kollektiver Bezug. Dieser ist regelmäßig gegeben, wenn der Arbeitgeber für die Leistung an eine Mehrzahl von Arbeitnehmern einen bestimmten “Topf” vorsieht. Bei dessen Verteilung hat der Betriebsrat mitzubestimmen.
Normenkette
BetrVG § 80 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 75 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 28; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Köln (Beschluss vom 21.01.2005; Aktenzeichen 11 TaBV 36/04) |
ArbG Aachen (Beschluss vom 31.03.2004; Aktenzeichen 2 BV 72/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Januar 2005 – 11 TaBV 36/04 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin dem Betriebsrat über die Erhöhung einer außertariflichen Zulage schriftlich Auskunft erteilen muss.
Die Arbeitgeberin ist ein Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der Informationstechnik. Sie beschäftigt am Standort A 690 Arbeitnehmer. Einem Teil dieser Mitarbeiter gewährt sie eine außertarifliche Sonderzulage. Für diese sowie deren Erhöhungen stellt sie den Abteilungsleitern 0,6 % der Bruttogehaltssumme aller Arbeitnehmer der jeweiligen Abteilung zur Verfügung. Die Abteilungsleiter entscheiden sodann selbständig über die Verteilung dieser Mittel. Im Jahr 2000 erhielt der für den Standort A gewählte Betriebsrat von der Arbeitgeberin eine Excel-Tabelle, aus der sich die Erhöhungen dieser außertariflichen Sonderzulagen je Mitarbeiter im Jahre 1999 ergaben. Für die Jahre 2000 bis 2002 hat der Betriebsrat derartige Tabellen oder Zusammenstellungen nicht erhalten.
Mit Schreiben vom 21. Mai und 23. September 2003 verlangte der Betriebsrat, ihm zur Prüfung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG schriftlich Auskunft zu erteilen, welche Mitarbeiter in den Jahren 2000 bis 2002 in welchem Umfang eine Erhöhung ihrer außertariflichen Zulagen erhalten haben. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er könne die begehrte Information auf Grund seines allgemeinen Unterrichtungsanspruchs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verlangen. Ansonsten könne er weder die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG prüfen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, ihm in Schriftform darüber Auskunft zu erteilen, bei welchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Standort A in den Jahren 2000 bis 2002 eine Erhöhung der außertariflichen Zulagen von der Arbeitgeberin vorgenommen wurde und in welcher Höhe sie jeweils erfolgte.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der allgemeine Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG werde durch die speziellere Regelung zum Einsichtsrecht in Lohn- und Gehaltslisten nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG verdrängt. Durch Einsichtnahme in die Bruttolohn- und -gehaltslisten könne sich der Betriebsrat die gewünschten Informationen ohne Weiteres selbst beschaffen Auch komme ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG offensichtlich nicht in Betracht, da es am erforderlichen kollektiven Bezug fehle. Die Sonderzulagen würden individuell dafür verwendet, neue Mitarbeiter zu gewinnen und gute Mitarbeiter zu halten. Zudem könne der Betriebsrat für einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt ohnehin kein Mitbestimmungsrecht beanspruchen. Jedenfalls sei sie nicht verpflichtet, schriftliche Unterlagen zu erstellen, über die sie selbst nicht verfüge. Auch sei das mit einem ihr unzumutbaren Aufwand verbunden.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts zugelassen. Mit dieser begehrt die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung des Antrags des Betriebsrats.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Antrag des Betriebsrats zu Recht entsprochen. Dessen Anspruch auf die begehrte Information folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
1. Er bedarf allerdings der Auslegung.
a) Entgegen der von der Arbeitgeberin vertretenen Auffassung bezieht sich der Antrag nicht auf die außertariflichen Zulagen der leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG. Der Betriebsrat hat diese zwar nicht ausdrücklich ausgenommen. Aus seinem gesamten, bei der Auslegung des Antrags zu berücksichtigenden Vorbringen folgt jedoch ohne Weiteres, dass er für die leitenden Angestellten kein Mitbestimmungsrecht beansprucht und für diesen Personenkreis auch keine Auskunft begehrt.
b) Wie die Auslegung des Antrags ferner ergibt, ist mit den außertariflichen Zulagen die sog. Sonderzulage gemeint. Das ist diejenige Zulage, für welche die Arbeitgeberin den Abteilungsleitern 0,6 % der Bruttogehaltssumme der jeweiligen Abteilung zur Verfügung stellt. Die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten haben dieses Verständnis des Antrags in der Anhörung vor dem Senat bestätigt.
2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Gegenstand, Umfang und Form der begehrten Auskunft sind ausreichend bezeichnet.
3. Der Betriebsrat ist antragsbefugt. Er macht eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte geltend.
4. Zur Zulässigkeit des vom Betriebsrat verfolgten Leistungsantrags ist die Darlegung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses nicht erforderlich (vgl. etwa BAG 30. März 2004 – 1 ABR 61/01 – BAGE 110, 100, zu B II 2 der Gründe). Besondere Umstände, die das Rechtsschutzbedürfnis ausnahmsweise entfallen ließen, liegen nicht vor. Ob die begehrten Auskünfte, soweit sie sich auf die Vergangenheit beziehen, mittlerweile noch von Bedeutung für das Verhältnis von Betriebsrat und Arbeitgeberin sind, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern allenfalls der Begründetheit des Antrags (BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 2 der Gründe). Gleiches gilt für die Frage, ob sich der Betriebsrat die begehrten Informationen auf andere Weise verschaffen könnte.
II. Der Antrag ist begründet. Der vom Betriebsrat geltend gemachte Anspruch folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Diese Anspruchsgrundlage wird auch für den Bereich der Vergütung durch das in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG normierte Einsichtsrecht nicht verdrängt. Der für den Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG notwendige betriebsverfassungsrechtliche Aufgabenbezug und die Erforderlichkeit der Auskunft sind gegeben.
1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu informieren. Der Verpflichtung des Arbeitgebers korrespondiert ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats.
a) Der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats besteht nicht nur dann, wenn allgemeine Aufgaben oder Beteiligungsrechte feststehen. Die Unterrichtung soll es dem Betriebsrat auch ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben iSd. Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dabei genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Aufgaben. Die Grenzen des Auskunftsanspruchs liegen erst dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt. Daraus folgt eine zweistufige Prüfung daraufhin, ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben und ob im Einzelfall die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (st. Rspr. BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 3b der Gründe; 24. Januar 2006 – 1 ABR 60/04 – NZA 2006, 1050, zu B II 1a der Gründe mwN).
b) Zur Form der Auskunft verhält sich das Betriebsverfassungsgesetz nicht ausdrücklich. Der Arbeitgeber ist insoweit in der Wahl seiner Informationsmittel grundsätzlich frei (Kraft/Weber GK-BetrVG 8. Aufl. § 80 Rn. 67; DKK-Buschmann 10. Aufl. § 80 Rn. 87). Insbesondere bei umfangreichen, komplexen Informationen ist er allerdings nach § 2 Abs. 1 BetrVG regelmäßig verpflichtet, dem Betriebsrat die erforderliche Auskunft schriftlich zu erteilen (vgl. ErfK/Kania 6. Aufl. § 80 BetrVG Rn. 23; Fitting 23. Aufl. § 80 Rn. 56). Bei einer nur mündlichen Auskunft wird es dem Betriebsrat in einem solchen Fall häufig nicht möglich sein, zu prüfen, ob sich betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben ergeben und wie er diese verantwortlich wahrnehmen kann. Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls.
c) Der allgemeine Auskunftsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird auch im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG nicht durch das dort vorgesehene Recht auf Einblicknahme in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter verdrängt. Der allgemeine Auskunftsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und das Einblicksrecht des Betriebsausschusses oder eines nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschusses kommen vielmehr nebeneinander in Betracht.
aa) Allerdings stellt § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG gegenüber § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG die speziellere Vorschrift dar und verdrängt diese für den Bereich der Löhne und Gehälter. Die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter sind Unterlagen, deren Übermittlung der Betriebsrat nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG verlangen könnte, wenn es die speziellere Regelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG nicht gäbe. Durch die Normierung des auf Einsichtnahme durch den Betriebsausschuss, den nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschuss oder in kleineren Betrieben den Betriebsratsvorsitzenden (vgl. etwa BAG 16. August 1995 – 7 ABR 63/94 – BAGE 80, 329, zu B I 1 der Gründe mwN) beschränkten Rechts nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass dem Betriebsrat als Organ kein Anspruch auf die weiterreichende Überlassung der Bruttolohn- und -gehaltslisten zustehen soll.
bb) Für den Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und den Anspruch auf Übermittlung von Unterlagen nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG gilt dies nicht. Diese beiden Ansprüche stehen zueinander nicht in einem Verhältnis der Spezialität. Sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Inhalt als auch in ihren Voraussetzungen.
(1) Der Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist auf die Abgabe einer Wissenserklärung durch den Arbeitgeber gerichtet. Er setzt nicht notwendig voraus, dass der Arbeitgeber über die begehrten Informationen in übermittlungsfähiger Form bereits verfügt, sondern kann auch dann bestehen, wenn der Arbeitgeber zur Vorhaltung der Informationen verpflichtet ist (vgl. BAG 6. Mai 2003 – 1 ABR 13/02 – BAGE 106, 111, zu B II 2 [richtig 3] d bb und cc der Gründe).
(2) Demgegenüber ist der in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG geregelte Anspruch auf Überlassung von Unterlagen auf die Herausgabe von Urkunden gerichtet. Notwendige Voraussetzung dieses Anspruchs ist, dass der Arbeitgeber über die entsprechenden Unterlagen – zumindest in Form einer Datei – bereits verfügt. Zur Herstellung noch nicht vorhandener Unterlagen ist er nicht verpflichtet (BAG 6. Mai 2003 – 1 ABR 13/02 – BAGE 106, 111, zu B II 2 [richtig 3] d aa der Gründe).
cc) Dementsprechend verdrängt auch die gegenüber § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG speziellere Regelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG den sich aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergebenden allgemeinen Auskunftsanspruch des Betriebsrats nicht. Das widerspricht nicht der gesetzgeberischen Entscheidung, dem Betriebsrat die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter als solche nicht zur Verfügung zu stellen. Aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG folgt kein Anspruch auf schriftliche Auskunft über den gesamten Inhalt der Bruttolohn- und -gehaltslisten. Vielmehr richtet sich der Auskunftsanspruch nur auf solche Angaben, die der Betriebsrat benötigt, um seine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben wahrnehmen zu können. Dies betrifft regelmäßig nur einen Teil der in den Bruttolohn- und -gehaltslisten enthaltenen Informationen. So bedarf der Betriebsrat regelmäßig keiner gesonderten Auskunft über die Leistungen, die den Arbeitnehmern auf Grund von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen gezahlt werden. Solche Ansprüche der Arbeitnehmer kann er nach Grund und Höhe regelmäßig durch Einblick in die Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen erkennen. Seiner Aufgabe, zu überwachen, ob diese vom Arbeitgeber tatsächlich eingehalten werden, kann er im Regelfall durch Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten gerecht werden.
2. Hiernach kann der Betriebsrat die begehrte Auskunft verlangen. Es besteht zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihm bei der Vergabe der Sonderzulagen eine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe zukommt. Die begehrten Informationen sind zur Wahrnehmung dieser Aufgabe auch erforderlich.
a) Als vom Betriebsrat im Streitfall wahrzunehmende Aufgabe kommt sowohl die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG als auch die Überwachung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach § 80 Abs. 1 iVm. § 75 Abs. 1 BetrVG ernsthaft in Betracht.
aa) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, spricht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Ausgestaltung der Vergabe der außertariflichen Sonderzulagen.
(1) Regelungen über außertarifliche Zulagen unterfallen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Seine Beteiligung soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten Lohngestaltung schützen. Sie dient der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sowie der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des Lohngefüges. Während bei den tariflichen Leistungen das Mitbestimmungsrecht regelmäßig durch den Einleitungssatz des § 87 BetrVG ausgeschlossen ist, ist es gerade bei außertariflichen Leistungen von Bedeutung. Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob er außertarifliche Leistungen überhaupt gewährt. Entschließt er sich aber dazu, so unterliegt seine Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien sich die Berechnung der einzelnen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis untereinander bestimmen sollen, der Mitbestimmung des Betriebsrats (BAG 29. Februar 2000 – 1 ABR 4/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 69, zu B II 1b bb der Gründe).
Allerdings erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur auf kollektive Regelungen. Die individuelle Lohngestaltung, die mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses getroffen wird und bei der kein innerer Zusammenhang zur Entlohnung anderer Arbeitnehmer besteht, unterliegt nicht der Mitbestimmung (BAG 14. Juni 1994 – 1 ABR 63/93 – BAGE 77, 86, zu B II 1 der Gründe mwN). Die Abgrenzung zwischen kollektiven Tatbeständen und Einzelfallgestaltungen richtet sich danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierfür ist die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht allein maßgeblich. Sie kann aber ein Indiz sein. Es widerspräche dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, wenn es dadurch ausgeschlossen werden könnte, dass der Arbeitgeber mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils “individuelle” Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft, ohne sich zu allgemeinen Regeln zu bekennen (BAG 29. Februar 2000 – 1 ABR 4/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 69, zu B II 1b bb der Gründe; 14. Juni 1994 – 1 ABR 63/93 – aaO). Ein kollektiver Bezug ist insbesondere gegeben, wenn der Arbeitgeber für die Leistung an eine Mehrzahl von Arbeitnehmern ein bestimmtes Budget vorsieht. Er kann fehlen, wenn ein einzelner Arbeitnehmer – bei der Einstellung oder auch während des Arbeitsverhältnisses – initiativ wird und etwa mit dem Hinweis, andernfalls werde er das Arbeitsverhältnis nicht eingehen oder beenden, gerade alleine für sich eine individuelle Leistung aushandelt.
(2) Danach spricht im Streitfall vieles dafür, dass dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung der außertariflichen Sonderzulagen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zustand und zusteht. Entgegen der Behauptung der Arbeitgeberin fehlt es nicht etwa offensichtlich an einem kollektiven Bezug der Sonderzulagen. Zwar behauptet die Arbeitgeberin, die Sonderzulagen würden ohne jegliches System individuell vereinbart. Für einen kollektiven Bezug dieser Leistungen spricht jedoch maßgeblich, dass sie hierfür abteilungsbezogen jeweils einen Betrag in Höhe von 0,6 % der Bruttolohn- bzw. -gehaltssumme zur Verfügung stellt. Auch die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ist ein erhebliches Indiz dafür, dass es sich bei den Sonderzulagen nicht lediglich um Einzelfallgestaltungen, sondern um einen kollektiven Tatbestand handelt. Immerhin erfuhren im Jahr 1999 145 Arbeitnehmer und damit ca. 20 % der Beschäftigten eine Änderung der Sonderzulage. Dem kollektiven Bezug steht nicht entgegen, dass das Budget nach dem Vortrag der Arbeitgeberin auch dazu genutzt wird, neue Arbeitnehmer zu gewinnen und gute Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden. Diese Zweckbestimmung kann bei Regelungen über die Vergabe dieser außertariflichen Leistung von Bedeutung sein. Sie beseitigt aber nicht generell deren kollektiven Bezug. Ohne Erfolg beruft sich die Arbeitgeberin darauf, die Entscheidung über die Vereinbarung der Sonderzulagen mit den einzelnen Mitarbeitern liege nicht bei ihr, sondern bei den Abteilungsleitern. Deren Entscheidungen muss sie sich zurechnen lassen.
bb) Ein Aufgabenbezug folgt auch aus der dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 iVm. § 75 Abs. 1 BetrVG obliegenden Überwachungspflicht.
(1) Die in § 75 Abs. 1 BetrVG beschriebene Aufgabe ist eine allgemeine Aufgabe nach dem BetrVG, zu deren Durchführung der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten hat (vgl. BAG 26. Januar 1988 – 1 ABR 34/86 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 31 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 32, zu B II 1b der Gründe).
(2) Eine Aufgabe des Betriebsrats, auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu achten, kommt bei den Sonderzulagen ernsthaft in Betracht. Es steht nicht fest, dass bei deren Vergabe dieser Grundsatz durchgehend beachtet wird.
b) Der Betriebsrat benötigt die begehrte Auskunft sowohl für die Wahrnehmung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG als auch für die Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 iVm. § 75 Abs. 1 BetrVG.
aa) Der Betriebsrat bedarf zur verantwortlichen Wahrnehmung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Information darüber, wie sich die Sonderzulagen in den streitbefangenen Jahren 2000 bis 2002 entwickelt haben.
(1) Allerdings weiß er bereits, dass die Arbeitgeberin in diesen Jahren abteilungsbezogen jeweils einen Betrag in Höhe von 0,6 % der Bruttolohn- bzw. -gehaltssumme zur Verfügung gestellt hat. Ob schon diese Kenntnis ausreichend gewesen wäre, um für die Wahrnehmung eines etwaigen Mitbestimmungsrechts initiativ zu werden, konnte dahinstehen. Denn jedenfalls ist es nicht zu beanstanden, dass der Betriebsrat zur verantwortlichen Ausübung seines Mitbestimmungsrechts auch die Verteilungsgrundsätze kennen will. Gerade weil die Arbeitgeberin konkrete Kriterien, nach denen die Verteilung – durch die Abteilungsleiter – erfolgt, nicht mitgeteilt hat, kann der Betriebsrat die Frage der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit nur nach Kenntnis der in der Vergangenheit vorgenommenen Erhöhungen der Sonderzulagen beurteilen und ein Initiativrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ausüben. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass er auf Grund der Auskunft Kenntnis über etwaige Gleichförmigkeiten bei der Erhöhung der Sonderzulagen oder über bestimmte Gruppenbildungen erlangt.
(2) Der Erforderlichkeit der Auskunft steht nicht entgegen, dass sich diese auf die Jahre 2000 bis 2002 und damit auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht. Eine rückwärtige zeitliche Grenze liegt erst dort, wo der Betriebsrat aus den gewünschten Informationen für sein Handeln keine sachgerechten Folgerungen mehr ziehen könnte (vgl. BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 3b bb (3) der Gründe). Diese Grenze ist hier schon deswegen nicht überschritten, weil der Betriebsrat auf Grund der Kenntnis der Entwicklung der Sonderzulagen in der Vergangenheit der Arbeitgeberin Vorschläge für die künftige Handhabung unterbreiten und diese ggf. zum Gegenstand eines Einigungsstellenverfahrens machen kann.
(3) Die Erforderlichkeit der Auskunft entfällt nicht wegen des Einblicksrechts, das dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG in die Bruttolohn- und -gehaltslisten zusteht.
Zum einen ist der Betriebsrat grundsätzlich nicht gehalten, sich benötigte Informationen selbst zu beschaffen, auch wenn er dazu objektiv in der Lage wäre (BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 3c bb der Gründe; 6. Mai 2003 – 1 ABR 13/03 – BAGE 106, 111, zu B II 2 [richtig 3] d cc (3) der Gründe). Eine Ausnahme gilt insoweit nach § 2 BetrVG lediglich dann, wenn der Betriebsrat die begehrte Information aus den ihm bereits übermittelten Daten ohne Weiteres auf rechnerisch einfachem Wege ableiten kann (BAG 24. Januar 2006 – 1 ABR 60/04 – NZA 2006, 1050, zu B II 1d der Gründe). Dies ist hier nicht der Fall.
Zum andern wird der Betriebsrat durch eine bloße Einblicknahme der in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG genannten Organe nicht in die Lage versetzt, verantwortlich zu prüfen, ob der Zahlung der Sonderzulagen bestimmte Prinzipien zugrunde liegen und ob er die von der Arbeitgeberin einseitig vorgenommene Ausgestaltung akzeptieren kann und will. Dies gilt um so mehr, als das Recht zur Einsichtnahme nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG weder zum Anfertigen von Fotokopien noch zum vollständigen Abschreiben der Listen berechtigt (BAG 3. Dezember 1981 – 6 ABR 8/80 – BAGE 37, 195, zu II 2 der Gründe).
bb) Auch zur verantwortlichen Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 iVm. § 75 Abs. 1 BetrVG bedarf der Betriebsrat der Auskunft, wie sich die Sonderzulagen in den streitbefangenen Jahren 2000 bis 2002 entwickelt haben. Ohne diese Kenntnis kann er nicht beurteilen, ob bei der Entwicklung der Sonderzulagen der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt oder etwa einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen benachteiligt oder bevorzugt wurden.
3. Der Arbeitgeberin ist die Erteilung der begehrten Auskunft weder unmöglich noch unzumutbar. Nachdem sie dem Betriebsrat die entsprechenden Auskünfte für das Jahr 1999 erteilt hat, hätte sie näher dartun müssen, warum ihr dies für die Jahre 2000 bis 2002 nicht möglich oder mit einem ihr unzumutbaren Aufwand verbunden sein soll. Immerhin handelt es sich bei den Informationen, die der Betriebsrat begehrt, um solche, welche die Abteilungsleiter zumindest an die Lohn- und Gehaltsbuchhaltung weitergegeben haben müssen, damit diese die Erhöhung der Sonderzulagen tatsächlich umsetzen konnte. Im Übrigen behauptet die Arbeitgeberin, der Betriebsrat könne sich die Information anhand der Bruttolohn- und -gehaltslisten ohne Weiteres beschaffen. Es ist nicht ersichtlich, warum ihr selbst dies unzumutbar sein soll.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Brunner, Metz
Fundstellen
Haufe-Index 1644761 |
BAGE 2008, 356 |
BB 2007, 106 |
DB 2007, 174 |