Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. unerlaubte Handlung unter Arbeitnehmern
Leitsatz (amtlich)
- Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG für Streitigkeiten unter Arbeitnehmern aus unerlaubten Handlungen nur zuständig, wenn die unerlaubte Handlung in einer inneren Beziehung zum Arbeitsverhältnis der Parteien steht.
- Die innere Beziehung zum Arbeitsverhältnis fehlt, wenn andere Umstände – hier: familiäre Streitigkeiten zwischen im selben Haus wohnenden Familien – für die unerlaubte Handlung maßgeblich sind.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 9; ZPO § 36 Nr. 6
Verfahrensgang
ArbG Hanau (Beschluss vom 28.03.1995; Aktenzeichen 2 Ca 756/94) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Hanau bestimmt.
Gründe
1. Der Kläger und der Beklagte sind in derselben Niederlassung eines deutschen Bauunternehmens als Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger und der Beklagte wohnen im selben Haus. Sie sind türkische Staatsangehörige. Die Tochter des einen ist mit dem Sohn des anderen verheiratet. Am 21. März 1994 fuhren beide Parteien mit ihren PKW's von ihrer Arbeitsstelle nach Hause. Sie benutzten dieselbe Straße. Nachdem der eine den anderen gehindert hatte, ihn zu überholen, hielten beide Wagen am Straßenrand. Es kam zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn mit einem selbst gebauten Schlagstock ins Gesicht geschlagen, der Beklagte streitet dies ab und behauptet seinerseits, der Kläger habe ihn geschlagen. Die Parteien nehmen sich wechselseitig auf die Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.
Der Kläger hat seine Klage beim Amtsgericht Hanau eingereicht. Der Beklagte hat Widerklage erhoben. Der Kläger behauptet, das Verhältnis der Parteien sei nie besonders gut gewesen, er, der Kläger, habe stets Abstand von dem Beklagten gesucht.
Mit seinem Beschluß vom 2. Dezember 1994 erklärte sich das Amtsgericht Hanau für “sachlich unzuständig” und verwies den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Arbeitsgericht Hanau. Der Beschluß des Amtsgerichts enthält keine Begründung. Nach Anhörung der Parteien erklärte das Arbeitsgericht Hanau mit Beschluß vom 28. März 1995 – 2 Ca 756/94 – den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit wiederum an das Amtsgericht Hanau. Es maß dem Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hanau wegen offensichtlicher Gesetzwidrigkeit keine Bindungswirkung bei. Dessen Beschluß enthalte keine Begründung; zudem sei er in der Sache offensichtlich unzutreffend, weil es sich nicht um einen Fall des § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG handele. Das Arbeitsgericht Hanau leitete die Akte dem Amtsgericht Hanau zu, welches sie seinerseits dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Nr. 6 ZPO vorlegte. Zuvor hatte der Richter am Amtsgericht vermerkt, die Parteien seien sich darüber einig gewesen, daß sich der Unfall auf dem Nachhauseweg von der Arbeit ereignet habe; deswegen sei die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 ZPO gegeben.
2. Zuständig ist das Amtsgericht Hanau. Sein Verweisungsbeschluß hat das Arbeitsgericht Hanau nicht gebunden, denn er ist offensichtlich gesetzwidrig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht eröffnet.
a) Grundsätzlich sind unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtstreit verwiesen wird, bindend. Dies folgt aus § 48 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – NZA 1994, 479 ff., m.w.N.). Auch ein fehlerhafter Verweisungsbeschluß hinsichtlich der Zuständigkeit ist grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann die Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 3. November 1993, aaO).
b) Vorliegend konnte der ohne Begründung verfaßte Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hanau das Arbeitsgericht Hanau nicht binden. Denn er ist offensichtlich gesetzwidrig.
Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als eröffnet angesehen. Die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG liegt offensichtlich nicht vor. Der notwendige Zusammenhang erfordert, daß die unerlaubte Handlung in einer inneren Beziehung zum Arbeitsverhältnis der Parteien steht, sie in der Eigenart des Arbeitsverhältnisses und den ihm eigentümlichen Berührungspunkten und Reibungen seine Ursache findet. Von derartigen Tatsachen ist im gesamten Vorbringen des Klägers wie in dem Vorbringen des Beklagten nicht die Rede. Allein aus der Tatsache, daß sich die tätliche Auseinandersetzung auf der Kreisstraße 854 auf dem Weg von der Arbeitsstätte der Parteien zu der Wohnung der Parteien ereignet hat, ergibt sich der nötige Zusammenhang nicht. Vielmehr sind für die Reibungen, wie sie zwischen den Parteien bestanden haben, hauptsächlich ganz andere übereinstimmend geschilderte Ursachen naheliegend, nämlich die persönliche Nähe und die gestörten familiären Beziehungen der Parteien.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 871631 |
JR 1996, 132 |
NZA 1996, 951 |