Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG n.F. § 48; GVG n.F. § 17a
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Beschluss vom 20.06.1995; Aktenzeichen 25 Ca 209/95) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Hamburg bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger wohnt in Hamburg; die Beklagte hat ihren Sitz in Düsseldorf. Aufgrund Arbeitsvertrages vom 1. Februar 1994 wurde der Kläger seit diesem Tag als Vertriebsingenieur (Außendienstmitarbeiter) mit dem Vertriebsgebiet Norddeutschland tätig. Im Arbeitsvertrag heißt es, daß der Kläger „seine Tätigkeit von der Geschäftsstelle Hamburg aus aufnehmen” werde. Der Kläger wurde von seiner Wohnung aus tätig. Die Beklagte stellte Geschäftspapier zur Verfügung, das die Angabe „N., Geschäftsstelle Nord” mit der Anschrift des Klägers enthielt.
Der Kläger erhob Klage zum Arbeitsgericht Hamburg und begründete dessen Zuständigkeit. Das Arbeitsgericht Hamburg setzte den Gütetermin auf den 22. Juni 1995 fest und erteilte der Beklagten die Auflage, zur örtlichen Zuständigkeit Stellung zu nehmen. Von der Auflage erhielt der Kläger keine Kenntnis.
Durch Kammerbeschluß vom 20. Juni 1995 erklärte sich das Arbeitsgericht Hamburg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Düsseldorf. Am selben Tage ließ das Arbeitsgericht dem Klägervertreter telefonisch mitteilen, daß der Termin zur Güteverhandlung aufgehoben und der Rechtsstreit verwiesen werde.
Nach Gewährung rechtlichen Gehörs erklärte sich das Arbeitsgericht Düsseldorf durch Kammerbeschluß vom 13. September 1995 für unzuständig und legte den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vor.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Hamburg. Dessen Verweisungsbeschluß bindet das Arbeitsgericht Düsseldorf nicht.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Hamburg und Düsseldorf haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch formell unanfechtbaren Beschluß vom 20. Juni 1995, letzteres durch Beschluß vom 13. September 1995, der als Rückverweisung anzusehen ist.
2.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18 = NZA 1994, 479 f.). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
b) Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, a.a.O., zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164). Letzteres ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Beschluß für die Partei, der das rechtliche Gehör verweigert wurde, unanfechtbar ist. Denn der Mangel des rechtlichen Gehörs kann durch nachträgliche Anhörung in der Rechtsmittelinstanz geheilt werden. Die nicht angehörte Partei kann in diesem Fall auf die Einlegung des Rechtsmittels verwiesen werden (BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 –, a.a.O.).
3. Bei Anlegung dieses Maßstabs erweist sich der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Hamburg als offensichtlich gesetzwidrig.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat dem Kläger rechtliches Gehör versagt. Sein Verweisungsbeschluß ist eine Überraschungsentscheidung. Der Kläger konnte allein aufgrund der Ladung zum Gütetermin davon ausgehen, er könne in diesem Termin zur Rüge der Beklagten noch eingehend Stellung nehmen. Vor einer Verweisung mußte das Arbeitsgericht Hamburg dem Kläger Gelegenheit zur Äußerung geben. Das hat es nicht getan.
Der Verweisungsbeschluß vom 20. Juni 1995 ist auch in der Sache unrichtig- Zuständig ist das Arbeitsgericht Hamburg.
Der Senat hat mehrfach entschieden, daß im Hinblick auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) bei Arbeitsverhältnissen i.d.R. von einem einheitlichen (gemeinsamen) Erfüllungsort auszugehen ist und daß dies der Ort ist, an dem der Arbeitgeber die Arbeitsleistung zu erbringen hat (BAG Beschluß vom 12. März 1992 – 5 AS 10/91 –, n.v.; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 –, a.a.O.; BAG Beschluß vom 30. März 1994 – 5 AS 6/94 –, n.v.). Das für diesen Ort zuständige Gericht ist auch für Kündigungsschutzklagen zuständig. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird und wo sich die Personalverwaltung befindet, kommt es regelmäßig nicht an. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Erfüllungsort für die Arbeitsleistung eines für die Bearbeitung eines größeren Bezirks angestellten Reisenden ist aber dessen Wohnsitz, wenn er von dort aus seine Reisetätigkeit ausübt. Dies gilt unabhängig davon, ob er täglich nach Hause zurückkehrt und in welchem Umfang er vom Betrieb Anweisungen für die Gestaltung seiner Tätigkeit erhält (BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 398/85 – AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen).
4. Da der erste Verweisungsbeschluß nicht bindet, war dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß (die Rückverweisung) gelangt ist. Dies ist das Arbeitsgericht Hamburg. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Hamburg mit zutreffenden Erwägungen bejaht.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen