Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Prozeßkostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
Der Lauf der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wird durch einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe dann nicht gehemmt, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde unbedingt eingelegt worden ist.
Normenkette
ArbGG §§ 72, 72a; ZPO §§ 114, 233
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 16.10.1996; Aktenzeichen 3 Sa 443/96) |
ArbG Bayreuth (Urteil vom 28.02.1996; Aktenzeichen 4 Ca 718/95) |
Tenor
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 16. Oktober 1996 – 3 Sa 443/96 – wird unter Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Nichtzulassungsbeschwerdefrist und unter Zurückweisung des Prozeßkostenhilfeantrages als unzulässig verworfen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 30.334,16 DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Beklagte hat gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg, ihrem Prozeßvertreter zugestellt am 31. Oktober 1996, mit am 30. Dezember 1996 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 17. Dezember 1996 wegen Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie Prozeßkostenhilfe beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat sie damit begründet, daß ihr Inhaber nach einem Arbeitsunfall im September 1995 am 4. November 1996 operiert worden und bis zum 15. November 1996 bettlägerig gewesen sei, sich aber auch danach praktisch nur vom Sessel ins Bett und umgekehrt habe bewegen können und deshalb erst am 3. oder 4. Dezember 1996 ins Geschäft gekommen sei und dort von dem in der Post befindlichen Urteil Kenntnis erlangt und dann am 10. Dezember 1996 einen Termin beim Rechtsanwalt wahrgenommen habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Das folgt bereits daraus, daß sie nicht innerhalb der in § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG vorgesehenen Notfrist von einem Monat nach Zustellung des angegriffenen Urteils eingelegt worden ist. Nach der am 31. Oktober 1996 erfolgten Zustellung des Urteils an den Prozeßvertreter der Beklagten hätte die Beschwerde bis zum 2. Dezember 1996 (Montag) beim Bundesarbeitsgericht eingehen müssen. Der Beschwerdeeingang mit dem 30. Dezember 1996 war verspätet.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten begann die Beschwerdefrist mit Zustellung des Urteils zu laufen; es lag nicht etwa eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung vor mit der Folge, daß nach § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG für die Beschwerdeeinlegung eine Jahresfrist gegolten hätte. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits mit Beschluß vom 1. April 1980 (– 4 AZN 77/80 – BAGE 33, 79 = AP Nr. 5 zu § 72a ArbGG 1979) entschieden, daß die Nichtzulassungsbeschwerde kein Rechtsmittel i.S.v. § 9 Abs. 5 ArbGG ist, sondern lediglich ein Rechtsbehelf und daher jedenfalls dann die Jahresfrist keine Anwendung finde, wenn zumindest ein Hinweis auf den Rechtsbehelf erfolgt sei. Ein solcher Hinweis ist im hier streitbefangenen Berufungsurteil vorhanden. Der Senat hält an der Charakterisierung als Rechtsbehelf entgegen der Kritik in der Literatur fest (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl. 1995, § 72a Rz 4, m.w.N.; Grunsky ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 72a Rz 2, m.w.N., auch zur hier vertretenen Auffassung; Leipold, Anm. zu BAG AP Nr. 5 zu § 72a ArbGG 1979; vgl. auch Frohner, BB 1980, S. 1164).
b) Der gegen die Fristversäumung gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 233 ZPO) ist unzulässig, da er nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt wurde. Danach muß die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, die gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tage beginnt, an dem das Hindernis behoben ist. Selbst wenn man vorliegend zu Gunsten der Beklagten davon ausgeht, daß sie bis zum 3. oder 4. Dezember 1996, an dem ihr Inhaber von dem in den Geschäftsräumen befindlichen Urteil erstmals Kenntnis erhielt, unverschuldet i.S.v. § 233 ZPO an der Fristeinhaltung gehindert war, hätte der Wiedereinsetzungsantrag bis spätestens zum 18. Dezember 1996 beim Bundesarbeitsgericht eingehen müssen. Tatsächlich ist der Eingang erst zusammen mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 30. Dezember 1996 erfolgt und damit verspätet.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch nicht deshalb begründet, weil er schon vom 17. Dezember 1996 datiert und bei einer Absendung an diesem Tage mit einem rechtzeitigen Eingang beim Bundesarbeitsgericht am 18. Dezember 1996 hätte gerechnet werden können. Es fehlen Anzeichen dafür, daß die Absendung des Wiedereinsetzungsantrages noch am 17. Dezember 1996 erfolgte. Der Poststempel auf dem entsprechenden Briefumschlag trägt vielmehr das Datum des 27. Dezember 1996. Eine auch ohne Antrag mögliche (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages kommt daher nicht in Betracht.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber auch deshalb unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Urteilszustellung in einer den Erfordernissen des § 72a Abs. 3 ArbGG genügenden Weise begründet worden ist.
a) Nach § 72a Abs. 3 ArbGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung der anzufechtenden Entscheidung zu begründen. Nach Urteilszustellung am 31. Oktober 1996 lief die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde am 31. Dezember 1996 ab. Eine Begründung ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingegangen.
Die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag und der dazu gehörigen eidesstattlichen Versicherung, wonach die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unverhältnismäßig gewesen sei, der Kläger seine Vergütungsansprüche infolge Treuwidrigkeit verwirkt und ein eigenes Gewerbe angemeldet habe, stellen keine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im Rechtssinne dar. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde kann nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG nur auf Divergenz von einer anderen Entscheidung bestimmter Gerichte oder nach § 72a Abs. 1 Nr. 1 – 3 ArbGG auf grundsätzliche Bedeutung in einer der dort angeführten Tarifstreitigkeiten gestützt werden. Eine solche Tarifstreitigkeit liegt nicht vor. Die möglicherweise als Begründung zu verstehenden Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag genügen aber auch den Mindestanforderungen für eine Divergenzbeschwerde nicht. Denn nach § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG hätte die Beklagte hierzu die Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts ihrer Auffassung nach abweicht, bezeichnen müssen. Dies ist nicht geschehen.
b) Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, daß zum Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist noch nicht über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden war, den die Beklagte hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gestellt hatte. Die Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde endet auch dann zwei Monate nach Zustellung der anzufechtenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerdefrist versäumt hat und über seinen Wiedereinsetzungsantrag bei Ablauf der Begründungsfrist noch nicht entschieden ist (BAG Beschluß vom 26. Juli 1988 – 1 ABN 16/88 – BAGE 59, 174 = AP Nr. 25 zu § 72a ArbGG 1979; ähnlich BAG Urteil vom 18. Januar 1962 – 5 AZR 179/61 – AP Nr. 1 zu § 184 ZPO sowie BAG Beschluß vom 1. August 1983 – 1 ABR 33/83 –, n.v., für die Begründung einer Berufung oder einer Rechtsbeschwerde).
Diese Auffassung entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Rechtsmittelbegründungsfrist auch durch ein verspätet eingelegtes Rechtsmittel in Lauf gesetzt und durch das Wiedereinsetzungsverfahren nicht berührt wird, so daß ein nicht fristgerecht begründetes Rechtsmittel trotz Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist unzulässig ist (vgl. BGH Beschluß vom 9. Januar 1989 – II ZB 11/88 – MDR 1989, 521, 522; BGH Beschluß vom 8. Oktober 1986 – VIII ZB 41/86 – BGHZ 98, 325, 329, m.w.N.). Anders als bei einer vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fallkonstellation, bei der das Berufungsgericht noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist die Berufung wegen Formwidrigkeit verworfen hatte (vgl. BVerfG Beschluß vom 10. Februar 1987 – 2 BvR 314/86 – BverfGE 74, 220) bleibt der Lauf der Rechtsmittelbegründungsfrist jedenfalls dann unberührt, wenn – wie hier – innerhalb der Begründungsfrist weder das Rechtsmittel verworfen noch über den wegen der Fristversäumung gestellten Wiedereinsetzungsantrag entschieden wird (BGH Beschluß vom 9. Januar 1989 – II ZB 11/88 – MDR 1989, 521, 522). Nach § 238 Abs. 1 ZPO hemmt der Wiedereinsetzungsantrag das übrige Verfahren nicht; das Gericht “kann” zwar das Verfahren zunächst auf den Wiedereinsetzungsantrag beschränken. Das bedeutet aber nur, daß bei einem noch nicht beschiedenen Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsmittelführer nicht davon ausgehen darf, die Rechtsmittelbegründungsfrist laufe einstweilen nicht weiter; er muß vielmehr das Rechtsmittel fristgerecht begründen. Nach dem vom 17. Dezember 1996 datierenden Wiedereinsetzungsantrag, verbunden mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, hätte die Beklagte die Nichtzulassungsbeschwerde somit bis zum 30. Dezember 1996 in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründen müssen, was nicht geschehen ist.
Der Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 19. September 1983 (– 5 AZN 446/83 – BAGE 43, 297 = AP Nr. 18 zu § 72a ArbGG 1979) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. In jener Sache hatte der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist lediglich Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt, welche ihm nach Ablauf der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist (berechnet ab Zustellung des angefochtenen Urteils) bewilligt worden war. Der Senat hat angenommen, daß bei Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist aufgrund Prozeßkostenhilfebedürftigkeit die Begründungsfrist nicht vor Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist beginne. Im hier zur Entscheidung stehenden Fall hat die Beklagte zwar auch Prozeßkostenhilfe beantragt, darüber hinaus jedoch – anders als in der genannten Entscheidung des Senats – zugleich das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt, sie durfte mithin nicht davon ausgehen, daß die Beschwerdebegründungsfrist nicht laufe. Vorliegend handelt es sich gerade nicht um einen isoliert vorab gestellten Antrag oder aber um eine unter der Bedingung der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist vielmehr unbedingt eingelegt worden.
III. Hiernach ist auch der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zurückzuweisen, da das Begehren des Beklagten keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 885449 |
NJW 1997, 2002 |
NZA 1997, 791 |
SozSi 1997, 435 |