Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot parteipolitischer Betriebsratstätigkeit. "Raketen-Entscheidung"
Orientierungssatz
1. Das absolute Verbot parteipolitischer Betätigung hat nicht nur den Sinn, den Betriebsfrieden zu wahren, sondern es sichert unter anderem auch die parteipolitische Neutralität des Betriebsrats, weil die Arbeitnehmer des Betriebs es im Kollektiv der Arbeitnehmerschaft, dem sie sich nicht entziehen können, in ihrer Meinungs- und Wahlfreiheit als Staatsbürger nicht beeinflußt werden sollen.
2. Der Begriff "Parteipolitik" ist weit auszulegen.
Normenkette
GG Art. 5; BetrVG § 74 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.09.1984; Aktenzeichen 14 TaBV 5/84) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 09.02.1984; Aktenzeichen 9 BV 10/83 A) |
Gründe
I. Die Antragstellerin, ein Verlagsunternehmen, verlangt von dem Antragsgegner, dem bei ihr gebildeten Betriebsrat, es zu unterlassen, Flugblätter zur Frage der Raketenstationierung im Betrieb am Schwarzen Brett des Betriebsrats auszuhängen.
Am 27. September und am 3. Oktober 1983 hängte der Betriebsratsvorsitzende im Betrieb der Antragstellerin an etwa zehn Schwarzen Brettern des Betriebsrats die Flugblätter der Flugblattserie der IG Druck und Papier, Landesbezirk Baden-Württemberg, "drupa-info" Nr. 1 und 2 zur Stationierung von Pershing II- Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa auf. Diese Flugblätter haben u. a. folgenden Wortlaut:
"Liebe Kolleginnen und Kollegen]
Nach unserem Grundgesetz darf kein Krieg mehr
von deutschem Boden ausgehen.
Nach dem Willen der Regierungen der USA und der
Bundesrepublik sollen in diesem Herbst amerika-
nische Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper
in unserem Land stationiert werden. Diese neuen
Raketen sind nicht die Antwort der NATO auf die
sowjetischen Mittelstreckenraketen, sondern An-
griffswaffen für den atomaren Krieg. Im Falle
der Stationierung würde die Bundesrepublik nicht
nur zur Startrampe, sondern auch zum Schlachtfeld
eines weder begrenzten, noch gewinnbaren, sondern
alles vernichtenden Atomkrieges.
Repräsentative Befragungen haben ergeben, daß
über 75 Prozent der Bundesbürger zur Stationie-
rung nein sagen.
Vorrangig muß jetzt die Stationierung neuer ame-
rikanischer Mittelstreckenraketen verhindert
werden. Darauf können wir konkret Einfluß nehmen.
Darüber hinaus müssen wir aber auch darauf drin-
gen, daß die sowjetischen, französischen und eng-
lischen Mittelstreckenraketen abgebaut werden.
Gleichzeitig sollten wir die weitergehende For-
derung nach einer atomwaffenfreien Zone in Europa
aufgreifen und durch eine Bewegung "von unten"
aus den Betrieben unterstützen. Durch massenhafte
symbolische Erklärungen vieler Betriebe zu atom-
waffenfreien Zonen soll ein Klima erzeugt und
öffentlicher Druck ausgeübt werden, um auch die
Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenrake-
ten politisch unmöglich zu machen.
Das ist ein wichtiger Anfang.
Der Widerstand gegen die Stationierung wird so
Betrieb für Betrieb, Straße für Straße, Ort für
Ort entwickelt und vergrößert.
Damit soll deutlich werden, daß die Belegschaf-
ten dieser Betriebe ohne die Drohung mit Atomwaf-
fen und ohne Bedrohung durch diese Waffen leben
wollen, und daß jeder Betrieb, jede Straße und
jeder Ort durch die schon vorhandenen und geplan-
ten Atomwaffen betroffen ist. Durch eine symbo-
lische Erklärung zur atomwaffenfreien Zone macht
eine Belegschaft deutlich, daß sie sich im Rah-
men ihrer konkreten Möglichkeiten für eine frie-
denssichernde Politik einsetzen will.
Wenn die Stationierung neuer atomarer Mittel-
streckenraketen verhindert werden soll, dann müs-
sen insbesondere die Gewerkschaften mit der Frie-
densbewegung zusammenarbeiten. Die Friedensbewe-
gung führt in der Bundesrepublik im Rahmen der
UNO-Friedenswoche vom 15. bis 22. Oktober 1983
eine Aktionswoche durch. In dieser Woche sind
neben großen Volksversammlungen in Bonn, Stutt-
gart und Hamburg u. a. Widerstandstage der Kir-
chen, Frauen und am 19. Oktober der Arbeitnehmer
und Betriebe vorgesehen.
Wir halten es für sinnvoll, daß in möglichst
vielen Betrieben am Widerstandstag der Betriebe
die Kolleginnen und Kollegen in vielfältiger Form
demonstrativ ihren Protest gegen die Stationie-
rung atomarer Mittelstreckenraketen in der Bundes-
republik verdeutlichen. Dies liegt in unserem ur-
eigensten Interesse, auch unter dem Gesichtspunkt,
daß Rüstung und Sozialabbau eng zusammenhängen und
wir dem Verlust von Arbeitsplätzen mit der Forde-
rung nach der 35-Stunden-Woche gegensteuern müssen.
Die Belegschaften der Betriebe müssen sich jetzt
zu Wort melden - gegen die neuen Mittelstrecken-
raketen - für eine atomwaffenfreie Zone in Europa ]
INDUSTRIEGEWERKSCHAFT DRUCK UND PAPIER
Landesbezirk Baden-Württemberg,
Stuttgart, den 1. September 1983"
"drupa info
Schluß mit der Raketenhetze - 35 Stunden-Woche -
sichere Arbeitsplätze
Weniger Rüstung = mehr soziale Sicherheit]
Auch wir in der Bundesrepublik können uns die
Hochrüstung immer weniger "leisten"; es sei denn
wir wären bereit, Sozialabbau zu akzeptieren. Mit
dieser Flugblattserie wollen wir aufzeigen, wel-
che Mittel heute für die Rüstung 'verschwendet'
werden, wo andererseits Milliarden fehlen, um sie
im Sozialbereich einzusetzen und neue Arbeits-
plätze zu schaffen.
...
Der Zynismus einer auf Rüstungsexpansion gerich-
teten Politik zeigt sich in einer Äußerung des
führenden Mannes der westlichen Welt, US-Präsident
Reagan: "Da wir in den Vereinigten Staaten die
Rüstungsindustrie wieder angekurbelt haben, kön-
nen wir sie jetzt nicht auf ihren Waffen sitzen
lassen."
Der Geschäftsführer der Antragstellerin forderte daraufhin am 30. September 1983 den Betriebsratsvorsitzenden mündlich auf, den Aushang abzunehmen und zuzusichern, keine weiteren derartigen Flugblätter anzubringen. Nachdem er hiermit keinen Erfolg hatte, schrieb die Antragstellerin am 6. Oktober 1983 an den Betriebsrat und forderte ihn auf, die Flugblätter von den Schwarzen Brettern zu entfernen. Das Schreiben hat den folgenden Wortlaut:
"Anschläge politischen Inhalts an den
Schwarzen Brettern
-------------------------------------
Sehr geehrter Herr W ,
am Freitag, 30. September 1983, habe ich Sie dar-
auf hingewiesen, daß Anschläge politischen Inhalts,
die sich beispielsweise mit dem Problem der Nach-
rüstung befassen, unzulässig sind, weil sie der
geforderten parteipolitischen Neutralität im Be-
trieb widersprechen und geeignet sind, den Be-
triebsfrieden zu gefährden. Ich habe Sie gebeten,
die ausgehängten Flugblätter der IG Druck und Pa-
pier, die unter dem Leitwort "Schluß mit der Rake-
tenhetze" stehen, zu entfernen oder dafür Sorge zu
tragen, daß sie entfernt werden.
Nach der von Ihnen erbetenen Bedenkzeit, die ich
Ihnen zugestanden habe, erklärten Sie mir am Montag,
3.10.1983, vormittags, daß Sie diese Flugblätter
nicht entfernen würden, weil Sie der Meinung seien,
das Aushängen dieser Flugblätter am Schwarzen Brett
sei Rechtens.
In der Zwischenzeit, seit Montag, 3. Oktober, hän-
gen nun an den Schwarzen Brettern weitere Flugblätter
derselben Serie, mit laufender Nummer 2.
Ich fordere Sie hiermit erneut auf, diese Flug-
blätter von den Schwarzen Brettern zu entfernen.
Wir berufen uns dabei auf § 74 Betriebsverfassungs-
gesetz, der dem Betriebsrat parteipolitische Betä-
tigung untersagt, und auf die Pflicht aller, auch
der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, nichts
zu tun, was den Betriebsfrieden stört. Die genann-
ten Flugblätter nehmen in ihrem Inhalt Stellung zu
in der Politik kontrovers diskutierten verteidi-
gungspolitischen Themen, die in den dafür einzig
zuständigen Verfassungsorganen behandelt und gere-
gelt werden müssen. Die Gefährdung des Betriebsfrie-
dens ergibt sich allein daraus, daß es unter den
Mitarbeitern dieses Betriebes viele gibt, die an-
derer politischer Überzeugung sind als der in den
Flugblättern verlautbarten.
Da es sich, wie auf dem zweiten Flugblatt ausdrück-
lich vermerkt, und wie auch aus der laufenden Nume-
rierung sich ergibt, um eine Flugblattserie handelt,
ist damit zu rechnen, daß weitere Flugblätter ähn-
lichen Inhalts vorbereitet werden. Wir fordern Sie
hiermit auf, dafür zu sorgen, daß künftige Flug-
blätter dieser Art an den Schwarzen Brettern der
Firma nicht angebracht werden."
Der Betriebsrat antwortete hierauf mit Schreiben vom 10. Oktober 1983, er sei einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, die Anschläge an den Schwarzen Brettern zu belassen. Im einzelnen hat das Schreiben den folgenden Wortlaut:
"Anschläge des Betriebsrates an den
Schwarzen Brettern
-----------------------------------
Sehr geehrter Herr T ,
mit Ihrem Schreiben vom 6. Okt. 1983 verbieten
Sie dem Betriebsrat Flugblätter der IG Druck und
Papier, die sich unter anderem mit der Friedens-
politik befassen, an den Schwarzen Brettern anzu-
bringen.
Sie begründen Ihr Verbot mit dem § 74 BetrVerfGes,
der aussagt, dem Betriebsrat und der Geschäftslei-
tung sind parteipolitische Betätigung im Betrieb
untersagt.
Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am Montag,
den 10. Okt. 1983 ausführlich über den Sachverhalt
diskutiert und kam einstimmig zu dem Ergebnis die
Anschläge am Schwarzen Brett zu belassen. Folgende
Gründe gaben dafür den Ausschlag:
1. Bei den umstrittenen Flugblättern handelt es
sich eindeutig nicht um parteipolitische Betä-
tigung des Betriebsrates, sondern um eine Ange-
legenheit tarifpolitischer, sozialpolitischer
und wirtschaftlicher Art, die das BetrVerfGes
ausdrücklich zuläßt.
2. Der Betriebsfrieden war und ist nicht in Gefahr.
Unterschiedliche Meinungen in der Kollegenschaft
sind kein Beweis dafür, daß der Betriebsfrieden
gefährdet ist.
Einige Bemerkungen seien uns noch erlaubt. Der Be-
triebsrat ist durch Ihr Verhalten mehr wie erstaunt.
Finden Sie nicht auch, daß etwas mehr Gelassenheit
und Toleranz in dieser Frage besser angebracht wäre?
Wem ist denn durch das ausgesprochene Verbot gedient?
Der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Geschäfts-
leitung und Betriebsrat zum Wohle der Belegschaft
sicher nicht.
Der Betriebsrat bittet Sie, Ihre Meinung noch ein-
mal zu überdenken und verbleibt mit ..."
Im weiteren Verlauf des Oktober 1983 hängte der Betriebsratsvorsitzende weitere Flugblätter der Serie "drupa-info" an den Schwarzen Brettern auf, in denen es u. a. heißt:
"Neue Atomraketen und Hochrüstung werden mit wei-
terem Sozial- und Bildungsabbau bezahlt. Rüstung
schafft keine sicheren Arbeitsplätze. Im Gegen-
teil. Die Rüstungswirtschaft hat sich in der Ver-
gangenheit als einer der größten Arbeitsplatzver-
nichter hervorgetan.
Wir fordern den Stopp und die schrittweise Senkung
des Rüstungshaushaltes, damit die freiwerdenden
Mittel für soziale Zwecke und für ein umfassendes
Beschäftigungsprogramm eingesetzt werden können."
"Arbeitsplätze statt Rüstungswahnsinn]
Weniger Rüstung = mehr Arbeitsplätze]
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO Genf)
hat in einer mittelfristigen Prognose darauf ver-
wiesen, daß in den kapitalistischen Industrielän-
dern von 1980 bis 1987 60 Millionen und in den
Entwicklungsländern 600 Millionen Arbeitsplätze
neu geschaffen werden müßten, um allen Arbeitsfä-
higen ein Einkommen zu sichern. Zu diesem Zweck
wird vorgeschlagen: "Eine Kürzung der bisherigen
Rüstungsausgaben um 10 % würde bis 1987 400 Mil-
liarden Dollar freimachen, die z. B. in einen
Weltfonds für Entwicklung und Beschäftigung flie-
ßen könnten."
Im November/Dezember 1983 hängte der Betriebsratsvorsitzende schließlich zwei weitere Flugblätter aus, in denen es u. a. heißt:
"Am 21. November beginnt der Bundestag mit ab-
schließenden Beratungen über die Stationierung
neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen, die
unmittelbar danach auf dem Boden der Bundesrepu-
blik stationiert werden sollen und über deren
Einsatz ein fremdes Staatsoberhaupt, der Präsi-
dent der USA, die Befehlsgewalt hat.
...
Der 21. November sollte zu einem Tag der Aktionen
in und vor den Betrieben werden. Der Gewerkschafts-
tag der IG Druck und Papier hat alle Mitglieder
aufgefordert, sich aktiv zu beteiligen. Hierzu
gibt es viele Möglichkeiten:
- Soweit es möglich ist, sollte die Bundestags-
debatte über Radio und Fernsehen im Betrieb inten-
siv verfolgt und über den Ablauf diskutiert werden
(bei größeren Fußballspielen ist dies fast üblich).
- Die Belegschaften sollten an diesem Tag über den
Beschluß "Frieden und Abrüstung" des XIII. Ordent-
lichen Gewerkschaftstages und die darin aufgeführ-
ten Maßnahmen diskutieren.
- In den Belegschaften sollte der Protest gegen die
Stationierung durch Unterschriftensammlung ausge-
druckt und als Telegramm an die Bundestagsfraktio-
nen gesandt werden.
- Für den Tag der Bundestagsdebatte könnten kleinere
Belegschaftsgruppen Anzeigen in den Lokal- und
Regional-Zeitungen aufgeben:
"Unser Abgeordneter ist für die Stationierung;
das ist ungeheuerlich." oder
"Wir fordern unseren Abgeordneten auf, im Bundes-
tag gegen die Stationierung zu stimmen." oder
"Herr Abgeordneter, sagen Sie nein zur "Nach-
rüstung", aber ja zum Nachverhandeln in Genf."
Sollte der Bundestag gegen den Mehrheitswillen der
Bevölkerung die Stationierung neuer amerikanischer
Atomraketen beschließen, dann muß - aufbauend auf
einer Initiative der schwedischen Regierung - der
Kampf um die Durchsetzung einer atomwaffenfreien
Zone in Mitteleuropa weitergeführt werden. Der
Kampf um den Frieden muß mit den bevorstehenden
großen sozialen Auseinandersetzungen, mit unserem
Kampf um Arbeit, unmittelbar verbunden werden.
..."
"Samstag, 26.11.1983, 2.40 Uhr morgens:
Pershing-Teile in Mutlangen eingetroffen.
Prompt nach dem Scheingefecht im Bundestag werden
uns die neuen US-Atomraketen vor die Nase gesetzt]
...
Diese neuen Raketen sind nicht die Antwort der
NATO auf die sowjetischen Mittelstreckenraketen,
sondern Angriffswaffen für den atomaren Krieg] ...
...
Beteiligt euch an den Protestaktionen am 10. De-
zember in Mutlangen und Schwäb. Gmünd]"
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, sämtliche Flugblätter besäßen parteipolitischen Inhalt und ihr Aushang durch den Betriebsrat verstoße deshalb gegen § 74 Abs. 2 BetrVG. Aufgrund der Erklärung des Antragsgegners im Schreiben vom 10. Oktober 1983 sei mit weiteren Verstößen zu rechnen.
Die Antragstellerin hat beantragt:
1. Der Antragsgegner wird verurteilt, zu unter-
lassen, die Flugblätter der Flugblattserie der
IG Druck und Papier, Landesbezirk Baden-
Württemberg, drupa-info zur Stationierung von
Pershing II und Marschflugkörpern in Mittel-
europa am Schwarzen Brett im Betrieb auszuhängen.
2. Der Antragsgegner wird verurteilt, zu unter-
lassen, Schriftstücke am Schwarzen Brett
auszuhängen, die sich mit der Raketenstatio-
nierung in Ost und West oder der Nachrüstung
in der Bundesrepublik Deutschland befassen
oder zur Beteiligung an Protestaktionen der
Friedensbewegung aufzurufen.
3. Der Antragsgegner wird verurteilt, zu unter-
lassen, durch Aushang von Flugblättern zur
Gründung von betrieblichen Friedensinitiativen
und zum betrieblichen Plebiszit für eine atom-
waffenfreie Zone des Betriebs der Antragstel-
lerin aufzurufen.
Der Antragsgegner hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er trägt vor, der Betriebsratsvorsitzende habe die Flugblätter außerhalb der Arbeitszeit in seiner Eigenschaft als Vertrauensmann der Gewerkschaft aufgehängt. Der Aushang der beanstandeten Flugblätter verstoße auch nicht gegen § 74 BetrVG, da sie keinen parteipolitischen Inhalt hätten. Vielmehr komme in allen Flugblättern klar zum Ausdruck, daß die unsinnig hohen Rüstungsausgaben nur durch Abbau sozialer Leistungen ermöglicht würden, so daß der sozialpolitische Charakter dieser Info-Schriften nicht in Frage gestellt werden könne. Die Flugblätter störten deshalb auch nicht den Betriebsfrieden. Im übrigen habe die Antragstellerin selbst gegen § 74 BetrVG verstoßen, indem sie in den "SZ-Notizen" zu politischen Themen Stellung nehme und auch selber Flugblätter am Schwarzen Brett ausgehängt habe. Auch habe sich kein Arbeitnehmer beim Betriebsrat über die ausgehängten Flugblätter beschwert. Der Aushang der gewerkschaftlichen Flugblätter sei überdies durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, da sowohl das Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes als auch die Satzungen aller deutschen Einzelgewerkschaften die Friedenssicherung als eine zentrale gewerkschaftliche Forderung darstellten.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Landesarbeitsgericht unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist die Anträge zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragstellerin die Wiederherstellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts; sie hat beantragt, den angefochtenen Beschluß abzuändern und die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluß mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Antragsgegner verurteilt wird, zu unterlassen, Flugblätter der IG Druck und Papier, Landesbezirk Baden- Württemberg, zur Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern in Mitteleuropa am Schwarzen Brett im Betrieb auszuhängen. Der Antragsgegner hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Antragstellerin kann von dem Antragsgegner verlangen, es zu unterlassen, die im Antrag näher bezeichneten Flugblätter zur Raketenstationierung, Nachrüstung in der Bundesrepublik, Gründung betrieblicher Friedensinitiativen und Bildung einer atomwaffenfreien Zone des Betriebs am Schwarzen Brett des Betriebsrats auszuhängen.
1. Das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu überprüfende Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin an den von ihr verfolgten Anträgen ist, insbesondere nachdem sie zulässigerweise ihren Sachantrag Ziff. 1 ohne Änderung des Verfahrensgegenstandes einschränkend klargestellt hat (vgl. dazu auch BAG 39, 259, 264 ff. = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979; BAG Beschluß vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 61/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen), weiterhin gegeben. Der Antragsgegner hat sich während des gesamten Prozesses darauf berufen, berechtigt zu sein, die von der IG Druck und Papier herausgegebenen Flugblätter zur Raketenstationierung und den damit im Zusammenhang stehenden Fragen der Friedenspolitik an den ihm zur Verfügung gestellten Schwarzen Brettern auszuhängen. Die im vorliegenden Verfahren streitige Frage der Berechtigung des Antragsgegners hierzu kann sich ständig neu stellen. Dies reicht aus, um das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin zu bejahen (BAG 29, 281 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; Beschluß vom 18. März 1964 - 1 ABR 10/63 - AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG Entlohnung m. w. N.).
Die Anträge sind auch gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, §§ 80 ff. ArbGG im Beschlußverfahren zu verfolgen (BAG 34, 75 ff. = AP Nr. 3 zu § 74 BetrVG 1972; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 74 Rz 7 b).
2. Nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat jeder parteipolitischen Betätigung im Betrieb zu enthalten.
a) Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nur eine Konkretisierung der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht ist (so BVerfGE 42, 133, 140 = AP Nr. 2 zu § 74 BetrVG 1972; BAG 29, 281 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 21. Februar 1978 - 1 ABR 54/76 - AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972, jeweils m. w. N.) oder ob es darüber hinaus in enger Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot für Arbeitgeber und Betriebsrat in § 75 BetrVG steht (so Dietz/Richardi, BetrVG, 6.Aufl., § 74 Rz 55 ff.; Säcker, AuR 1965, 353, 358 f.; Gamillscheg, Arbeitsrecht II, 5. Aufl., Nr. 438 a; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. II/2, S. 1347 f., jeweils m. w. N.). Jedenfalls hat das absolute Verbot parteipolitischer Betätigung nicht nur den Sinn, den Betriebsfrieden zu wahren, sondern es sichert u. a. auch die parteipolitische Neutralität des Betriebsrats, weil die Arbeitnehmer des Betriebes im Kollektiv der Arbeitnehmerschaft, dem sie sich nicht entziehen können, in ihrer Meinungs- und Wahlfreiheit als Staatsbürger nicht beeinflußt werden sollen (BAG 29, 281, 292 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972 = EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1 mit zust. Anm. von Hanau; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 19). Erfahrungsgemäß führt nämlich eine Politisierung des Betriebes leicht zu Spaltungen und Gegensätzen innerhalb der Arbeitnehmerschaft mit der Folge, daß Betriebsklima und Arbeitsablauf darunter leiden. Der Betrieb soll aus dem Meinungsstreit einzelner Gruppen herausgehalten werden, da jede einseitige Stellungnahme des Arbeitgebers oder eines Betriebsorgans von anderen Betriebsangehörigen als eine Herausforderung aufgefaßt werden kann, die der notwendigen Zusammenarbeit abträglich ist (Galperin/Löwisch, aaO).
b) Entsprechend diesem Zweck der Vorschrift ist deshalb der Begriff "Parteipolitik" weit auszulegen. Verboten ist dem Betriebsrat danach jede Betätigung für oder gegen eine politische Partei, wobei es sich nicht nur um eine Partei im Sinne von Art. 21 GG und des Parteiengesetzes zu handeln braucht; vielmehr genügt eine politische Gruppierung, für die geworben oder die unterstützt wird. Erfaßt wird von dem Verbot mithin auch das Eintreten für oder gegen eine bestimmte politische Richtung (BAG 29, 281 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, aaO, § 74 Rz 58; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 20). Dabei ist jede politische Betätigung verboten, weil alle politischen Fragen, gleichgültig, ob es sich um solche der Außen- oder Innenpolitik, der äußeren oder inneren Sicherheit, der Kultur, der Arbeit oder der Freizeitgestaltung handelt, in den Bereich parteipolitischer Stellungnahmen fallen (Dietz/Richardi, aaO, § 74 Rz 59 mit weiteren zahlreichen Nachweisen).
c) Verboten ist dem Betriebsrat demnach in erster Linie die unmittelbare Betätigung für eine Vereinigung durch Verbreiten von politischen Zeitungen, Druckschriften, Anschlägen oder Flugblättern. Darüber hinaus werden vom Verbot auch das Abhalten von politischen Abstimmungen oder Umfragen im Betrieb, politische Stellungnahmen zu außerbetrieblichen Maßnahmen und Ereignissen erfaßt. Eine Trennung in eine zulässige allgemeinpolitische Betätigung von der verbotenen parteipolitischen Betätigung ist, bei Berücksichtigung des Verbotszwecks einerseits und der fließenden Grenzen zwischen allgemeiner und Parteipolitik andererseits, nicht möglich (BAG Beschluß vom 21. Februar 1978 - 1 ABR 54/76 - AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972, zu II 2 a, cc der Gründe; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 21).
3. Das Aufhängen der hier strittigen Flugblätter durch ein Betriebsratsmitglied stellt danach eine verbotene parteipolitische Betätigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dar (vgl. BAG Beschluß vom 21. Februar 1978, aaO).
a) Die in den Flugblättern in einer bestimmten Richtung diskutierten Fragen der Verteidigungs-, Rüstungs- und Friedenspolitik weisen keine den Betrieb oder seine Arbeitnehmer "unmittelbar" betreffenden tarifpolitischen, sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Bezüge auf. Insoweit liegt keine "erlaubte" politische Betätigung vor (§ 74 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BetrVG). Inhaltlich befassen sich die Flugblätter eindeutig mit Fragen aus dem Kernbereich der Parteipolitik. Die Programme und Stellungnahmen der verschiedenen politischen Parteien befassen sich in weiten Teilen mit diesem Bereich. Alle politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen sind sich zwar einig im Ziel der Friedenssicherung, jedoch besteht über die Wege dorthin und die mit dem jeweiligen Weg verbundenen Erfolgsaussichten und Risiken lebhafter Streit. Schon daraus wird für jedermann offenkundig und erkennbar, daß es sich vorliegend um eine parteipolitische Angelegenheit handelt.
b) Die Antragstellerin brauchte auch keine konkrete Beeinträchtigung des Betriebsfriedens oder des Arbeitsablaufs darzulegen. Vielmehr reicht die vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG, aaO) bejahte abstrakte Gefährdung des Betriebsfriedens aus. Im Betrieb ist dem Betriebsrat bzw. den Betriebsratsmitgliedern jegliche parteipolitische Betätigung schlechthin verboten, ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens zu besorgen ist (BAG, aaO).
c) Der Betriebsrat hat sich gegenüber der Antragstellerin die Handlungen seines Vorsitzenden mit Schreiben vom 10. Oktober 1983 ausdrücklich zu eigen gemacht. Es liegt damit nicht nur eine parteipolitische Betätigung eines Betriebsratsmitgliedes, sondern auch des Betriebsrates als Gremium vor. Denn abgesehen davon, daß die Frage, inwieweit ein Mitglied des Betriebsrats in Ausübung seines Amtes, als Privatmann oder als Vertrauensmann der Gewerkschaft handelt, weniger von seinem wahren oder von ihm mitgeteilten Willen abhängt, als vielmehr von den Umständen, unter denen er handelt, sind die Flugblätter mit Billigung des Betriebsrates an den Schwarzen Brettern des Betriebsrats aufgehängt worden (vgl. hierzu auch Buchner, ZfA 1982, S. 49 ff., 66; Hofmann, Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb, 1984, S. 99 f.). Der Betriebsrat hat damit für jedermann im Betrieb sichtbar seine parteipolitische Betätigung dokumentiert und damit gegen § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verstoßen. Eine andere Beurteilung könnte allenfalls dann Platz greifen, wenn der Betriebsratsvorsitzende ersichtlich nur als Privatmann oder als Vertrauensmann der Gewerkschaft gehandelt und die Flugblätter entweder gegen den Willen des Betriebsrates am Schwarzen Brett des Betriebsrates oder an einem anderen neutralen Ort im Betrieb aufgehängt hätte. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch nicht vor.
III. Ein Verbot, die fraglichen Flugblätter im Betrieb aufzuhängen, verstößt auch nicht gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG. Es kann deshalb die von der Rechtsbeschwerde aufgestellte Frage der Grenzen der Meinungsfreiheit des Betriebsrats als Organ einerseits und seiner Mitglieder andererseits dahingestellt bleiben.
1. Nach Art. 5 GG ist die Meinungsäußerungsfreiheit umfassend geschützt, ohne daß der Personenkreis oder die Art der Meinungsäußerung irgendwie abgegrenzt wäre. Nach Art. 5 Abs. 2 GG ist dieses Grundrecht jedoch durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gehört (BVerfG, aaO), eingeschränkt. Jedes die Meinungsäußerungsfreiheit beschränkende Gesetz ist zwar seinerseits im Lichte der überragenden Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts auszulegen und damit selbst wieder in seiner grundrechtsbeschränkenden Wirkung eingeschränkt (BVerfGE 7, 198, 208 f.; BAG Beschluß vom 21. Februar 1978, aaO, zu II 2 a, aa der Gründe). Der Gesetzgeber hat bei der Abwägung der hier widerstreitenden Interessen jedoch dem Betriebsfrieden und der Freiheit von der intensiven und kaum zu entgehenden Wahl- und Meinungsbeeinflussung im Betrieb für diesen Bereich den Vorrang vor der Meinungsäußerungsfreiheit eingeräumt. Wenn daher mit Rücksicht auf Art. 5 GG das Verbot der parteipolitischen Betätigung bei besonders lebhaften und kontrovers geführten Auseinandersetzungen politischer Art zurückzutreten hätte, würde dies diesem Zweck geradezu entgegenlaufen. Abgesehen davon, daß Parteipolitik kaum in wichtige oder weniger wichtige Fragen getrennt werden kann, ist die Gefahr der Beeinflussung des einzelnen Arbeitnehmers durch Arbeitgeber oder Betriebsrat bei besonders wichtigen und umkämpften Fragen und die Gefahr einer dadurch hervorgerufenen Betriebsstörung besonders hoch. Im Vordergrund steht hierbei weniger der Gedanke, eine politische Diskussion überhaupt zu unterbinden, als vielmehr die Verhinderung der Bekanntgabe der gewissermaßen mit "Amtsbonus" ausgestatteten eigenen politischen Meinung des Betriebsrats am Schwarzen Brett.
2. Der Antragsgegner kann sich auch nicht auf § 74 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz BetrVG berufen. Danach sind von dem Verbot der parteipolitischen Betätigung ausgenommen Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen. Zwar besteht über die Finanzierung von Rüstung und Verteidigung ein Zusammenhang der dort angesprochenen Fragen mit der Sozialpolitik. Das für den einen Bereich ausgegebene Geld steht für den anderen Bereich nicht mehr zur Verfügung. Ein solcher Zusammenhang ist jedoch bei allen Fragen der Politik gegeben; dadurch werden aber nicht alle politischen Fragen zu Fragen der Sozialpolitik.
IV. Nach alledem war daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß es nach Ziff. 1 der erstinstanzlichen Entscheidung der Betriebsrat (Antragsgegner) zu unterlassen hat, Flugblätter der bezeichneten Art am Schwarzen Brett des Betriebsrates im Betrieb auszuhängen. Bei der Tenorierung ist versehentlich die wörtliche Formulierung des Antrages der Antragstellerin, die insoweit mit der Tenorierung der ersten Instanz übereinstimmt, übernommen worden ("Der Antragsteller wird verurteilt zu unterlassen ...", statt "Der Antragsteller hat es zu unterlassen ..."). Von einer Berichtigung wurde, weil materiell-rechtlich ohne Einfluß, jedoch abgesehen.
Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider
Ramdohr Carl
Fundstellen
Haufe-Index 440579 |
BB 1987, 1810-1810 (S1-3) |
DB 1987, 1898-1899 (T) |
AiB 1987, 174-175 (ST1-2) |
AP § 74 BetrVG 1972 (T), Nr 5 |
ArbuR 1988, 63-54 (LT1-3) |
EzA § 74 BetrVG 1972, Nr 7 (ST1-2) |