Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlanfechtung. Rechtsschutzinteresse
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 7 ABR 5/90 – vom 13. März 1991 – zur Veröffentlichung bestimmt.
Normenkette
BetrVG § 19; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Jugend- und Auszubildendenvertretung und des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Oktober 1989 – 3 TaBV 64/89 – aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 1. Februar 1989 – 2 BV 42/88 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Antrag als unzulässig abgewiesen wird.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die antragstellende Arbeitgeberin ficht die am 22. und 23. November 1988 bei ihr durchgeführte Wahl der beteiligten Jugend- und Auszubildendenvertretung an.
Die Arbeitgeberin – ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie – hat ihren Betriebssitz auf demselben Gelände wie drei andere, ebenfalls zur metallverarbeitenden Industrie zählende Unternehmen und eine Stahlhärterei. Bis auf die Stahlhärterei haben alle Unternehmen Ausbildungsverträge mit Auszubildenden abgeschlossen. Aufgrund mündlicher Absprachen der fünf Unternehmen wird die praktische Ausbildung in der Weise durchgeführt, daß die Auszubildenden mit je nach Ausbildungsziel wechselnden Anteilen an der Gesamtausbildung im Betrieb des Unternehmens, mit dem sie einen Ausbildungsvertrag geschlossen haben, im Betrieb eines der anderen vier Unternehmen und in einer gemeinsamen Ausbildungswerkstatt ausgebildet werden.
Die Arbeitgeberin hält die am 22. und 23. November 1988 bei ihr durchgeführte Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung für unwirksam. Sie hat vorgebracht, die Wahl sei unter Beteiligung auch solcher Auszubildenden durchgeführt worden, die mit ihr Keinen Ausbildungsvertrag abgeschlossen, sondern in ihrem Betrieb lediglich vorübergehend eine tatsächliche Ausbildung aufgrund der entsprechenden Absprachen mit den vertraglichen Ausbildungsunternehmen genossen haben.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung für unwirksam zu erklären.
Die beteiligte Jugend- und Auszubildendenvertretung (Beteiligte zu 2) sowie der bei der Arbeitgeberin bestehende Betriebsrat (Beteiligter zu 3) haben beantragt,
den Antrag der Arbeitgeberin zurückzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, die Wahl sei fehlerfrei erfolgt. Allen zur Wahlzeit im Betrieb der Arbeitgeberin tatsächlich tätigen Auszubildenden stehe ohne Rücksicht darauf, ob sie mit der beteiligten Arbeitgeberin einen Ausbildungsvertrag geschlossen haben oder nicht, das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl zur Jugend- und Auszubildendenvertretung auch in diesem Betrieb zu.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Antragstellerin die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung für unwirksam erklärt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihr verfolgen die Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Betriebsrat ihr Begehren, den Sachantrag der Arbeitgeberin als unbegründet zurückzuweisen, weiter. Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Sie meint, für die damit begehrte Entscheidung bestehe trotz Ablaufs der Amtszeit der am 22. und 23. November 1988 gewählten Jugend- und Auszubildendenvertretung nach wie vor ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse. Nach Ablauf der Amtszeit (30. November 1990) seien erneut entsprechende Wahlen ausgeschrieben worden. Hierbei habe der Wahlvorstand wiederum auch solche Auszubildenden als wahlberechtigt angesehen, die im Betrieb der Arbeitgeberin nur tatsächlich ausgebildet werden, jedoch mit ihr keinen Ausbildungsvertrag geschlossen haben. Das Rechtsschutzinteresse bestehe auch deswegen weiter, weil die 1988 in die Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählten Auszubildenden sich auf den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 KSchG stützen bzw. gemäß § 78 a BetrVG ihre Weiterbeschäftigung verlangen könnten, falls nicht festgestellt werde, daß die Wahl unwirksam sei.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Antrag der Arbeitgeberin war unter Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse als unzulässig abzuweisen, weil das Rechtsschutzinteresse an der begehrten Entscheidung im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens weggefallen ist.
Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Dabei muß das Rechtsbeschwerdegericht auch solche Umstände berücksichtigen, die erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens eingetreten sind, wenn sich aus ihnen ergibt, daß die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann. Das ist hier der Fall.
Die antragstellende Arbeitgeberin ficht die am 22. und 23. November 1988 in ihrem Betrieb durchgeführte Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung an und beantragt, die Wahl für unwirksam zu erklären. Die zweijährige Amtszeit dieser Jugend- und Auszubildendenvertretung hat jedoch gemäß § 64 Abs. 2 Satz 3 BetrVG am 30. November 1990 geendet. Damit ist das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung der Wahl entfallen; denn eine die Wahl für unwirksam erklärende gerichtliche Entscheidung könnte sich für die Beteiligten nicht mehr auswirken.
Während bei einer – hier nicht gegebenen – nichtigen Wahl die daraus hervorgegangene Arbeitnehmer Vertretung keinerlei betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse erwirbt (BAG Urteil vom 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 – AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972), bleibt im Fall der Anfechtbarkeit der Wahl die gewählte Vertretung bis zur Rechtskraft einer die Wahl für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Die erfolgreiche Anfechtung der Wahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG hat also keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG. 16. Aufl., § 19 Rz 36; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 53; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 31; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 19 Rz 116). Führt aber die gerichtliche Unwirksamkeitserklärung der Wahl lediglich zur Auflösung der Arbeitnehmervertretung für die Zukunft, so geht eine solche gerichtliche Entscheidung ins Leere, wenn die anfechtbar gewählte Arbeitnehmervertretung bereits aufgelöst ist und keine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse mehr ausüben kann. Das ist hier infolge Beendigung der Amtszeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung der Fall, so daß die begehrte Entscheidung für die Beteiligten ohne rechtliche Wirkungen bleiben würde. Für eine solche Entscheidung besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 30. Juli 1987 – 6 ABR 52/86, n.v.; Beschluß vom 14. April 1988 – 6 ABR 19/86 –, n.v.; Beschluß vom 1. August 1990 – 7 ABR 92/88 –, n.v.).
Entgegen der Meinung der Antragstellerin wird ein Rechtsschutzinteresse an der von ihr begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht dadurch begründet, daß die hier zwischen den Beteiligten streitige Frage der Wahlberechtigung der im Rahmen ihrer Berufsausbildung nur vorübergehend im Betrieb der Antragstellerin beschäftigten Auszubildenden anderer Unternehmen auch bei künftigen Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung ihres Betriebes wiederum auftritt. Eine gerichtliche Klärung dieser Streitfrage im Rahmen des vorliegenden Wahlanfechtungsverfahrens hätte für die Beteiligten keine bindende Wirkung für künftige Fälle; denn sie wäre lediglich Bestandteil der Entscheidungsgründe, die an der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung nicht teilnehmen. Damit liefe die Entscheidung der Streitfrage in den Gründen des Beschlusses über die Wahlanfechtung auf die Erstattung eines für die Beteiligten unverbindlichen Rechtsgutachtens hinaus. Das aber ist nicht Aufgabe der Gerichte. Wollen die Beteiligten eine zwischen ihnen streitige betriebsverfassungsrechtliche Frage mit Bindungswirkung für künftige gleichgelagerte Fälle entschieden wissen, so müssen sie die Streitfrage selbst, losgelöst vom Einzelfall, durch einen entsprechenden, die Streitfrage als solche bezeichnenden Antrag zur gerichtlichen Entscheidung stellen (vgl. BAGE 39, 259 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979; BAG Beschluß vom 10. April 1984 – 1 ABR 73/82 – AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979). Bestehen – wie hier – Meinungsverschiedenheiten über die Wahlberechtigung einer bestimmten Personengruppe, so kann diese Frage auf einen entsprechenden Feststellungsantrag hin vom Gericht mit die Beteiligten bindender Wirkung auch für künftige Wahlen entschieden werden (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 81 Rz 26).
Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings in seinem Beschluß vom 5. Oktober 1989 – 6 P 2.88 – (AP Nr. 1 zu § 10 WahlO z. BPersVG) für den Bereich des Personalvertretungsrechts im öffentlichen Dienst entschieden, daß nach Beendigung der Amtszeit einer Jugendvertretung ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl dieser Jugendvertretung fortbestehe, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, daß der die Wahlanfechtung auslösende Vorgang sich wiederholen wird und die damit verbundenen Rechtsfragen sich unter denselben Verfahrensbeteiligten erneut stellen werden. Der erkennende Senat vermag sich dieser Auffassung für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes nicht anzuschließen, zumal in der Privatwirtschaft nicht in gleichem Maße wie im öffentlichen Dienst davon ausgegangen werden kann, daß sich die Beteiligten der gerichtlichen Entscheidung einer zwischen ihnen streitigen Frage auch dann fügen werden, wenn die Entscheidung für künftig gleichgelagerte Fälle keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Im übrigen lag der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ein Antrag auf Feststellung zugrunde, daß bei der angefochtenen Wahl der Jugendvertretung wesentliche Wahlvorschriften verletzt worden seien. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin dagegen nach Beendigung der Amtszeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung einen solchen Antrag nicht gestellt, sondern hat – anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall – ihren ursprünglichen Antrag, die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung für unwirksam zu erklären, weiterhin aufrechterhalten. Damit trifft die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dieselbe Rechtsfrage wie im vorliegenden Fall, so daß es einer Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß §. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 – BGBl. I, S. 661 nicht bedurfte.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann, Kordus, Dr. Knapp
Fundstellen