Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatzbeschwerde bei Auslegung einer Rechtsverordnung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Verweist ein Tarifvertrag auf eine außertarifliche normative Regelung, so handelt es sich bei den in deren Normen enthaltenen Rechtsbegriffen nicht um tarifliche Rechtsbegriffe (Bestätigung von BAG Beschluß vom 16. Januar 1980 – 4 AZN 87/79 – AP Nr. 3 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz sowie BAG Beschluß vom 26. März 1981 – 2 AZN 410/80 – BAGE 35, 185 = AP Nr. 17 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).
  • Auf die fehlerhafte Auslegung der 2. BesÜV, auf die § 2 Nr. 3 Satz 2 des Ersten Änderungstarifvertrages zum BAT-O für die Eingruppierung der dort genannten Angestellten verweist, kann daher eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG nicht gestützt werden.
 

Normenkette

ArbGG 1979 § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 1 Nr. 2; Zweite Verordnung über besoldungsrechtliche Übergangsregelungen nach der Herstellung der Einheit Deutschlands (2. BesÜV) vom 21. Juni 1991 (BGBl I S. 1345), § 7 Anlage 1; Änderungstarifvertrag Nr. 1 zum BAT-O vom 8. Mai 1991, § 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 01.08.1995; Aktenzeichen 6 (13) Sa 366/95)

ArbG Zwickau (Urteil vom 25.10.1994; Aktenzeichen 6 Ca 2599/94)

 

Tenor

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

Die am 30. November 1956 geborene Klägerin hat am 2. Juli 1976 nach einem dreijährigen Direktstudium am Institut für Lehrerbildung W… die Lehrbefähigung für die Fächer Kunsterziehung und Schulgarten der unteren Klassen der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule erworben. Nach einem einjährigen postgradualen Studium am Institut für Lehrerbildung “Wilhelm Pieck” in A… hat sie am 9. Februar 1982 eine Prüfung im Fach “Methodik des Mathematikunterrichts” abgelegt und am 1. Juli 1987 nach vierjährigem Fernstudium an der H… -Universität B… den akademischen Grad “Diplomlehrerin für intellektuell Geschädigte” erworben. Seit 1977 ist die Klägerin im Schuldienst tätig und wird seit 1980 als Lehrerin – zeitweise mit der Funktion als Schulleiterin – an einer Förderschule beschäftigt. Sie erhält seit dem 1. August 1993 Vergütung nach der VergGr. IVa BAT-O. Die Klägerin ist seit dem 17. September 1990 Mitglied im Sächsischen Lehrerverband, der Beklagte gehört der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TDL) an.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe ab 1. August 1993 Vergütung nach der VergGr. III BAT-O zu, während der Beklagte die Klägerin für zutreffend vergütet hält. Der Streit der Parteien geht dabei darum, ob das vierjährige Fernstudium der Klägerin an der H… -Universität B… den Anforderungen der Fußnote 4 zur Besoldungsgruppe A 12 der Anlage 1 zur Zweiten Verordnung über besoldungsrechtliche Übergangsregelungen nach der Herstellung der Einheit Deutschlands (2. BesÜV) vom 21. Juni 1991 (BGBl I S. 1345) entspricht. Nachdem die schriftliche Geltendmachung dieses Anspruchs durch die Klägerin erfolglos geblieben ist, verfolgt sie ihr Begehren im Wege der Feststellungsklage weiter.

Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 1. August 1993 Vergütung nach der VergGr. III BAT-O zu bezahlen und den Streitwert auf 10.800,-- DM festgesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Divergenz zu der Entscheidung der Neunten Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 11. Juli 1995 – 9 Sa 1253/94 – gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG) ist sie unzulässig, da sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form nach § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG begründet worden ist. Soweit sie auf Divergenz gestützt wird, ist sie unbegründet.

1. Die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden und damit unzulässig.

1.1 Eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG in Verbindung mit § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, die auf die fehlerhafte Auslegung eines Tarifvertrages gestützt wird, muß einen entscheidungserheblichen Rechtsbegriff aus einem Tarifvertrag bezeichnen. Hierzu muß der Beschwerdeführer darlegen, welche Interpretation tariflicher Rechtsbegriffe das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat und daß diese fehlerhaft oder bei der Subsumtion wieder aufgegeben worden sei. Interpretation eines Tarifvertrages bedeutet in diesem Zusammenhang die fallübergreifende abstrakte Auslegung der zur Tarifanwendung notwendigen Rechtsbegriffe (BAGE 32, 203, 208; 32, 228, 232 = AP Nr. 1 und 2 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).

1.2 Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Beklagten nicht gerecht. Der Streit der Parteien geht danach nicht um die Auslegung eines tariflichen, sondern um die eines außertariflichen normativen Rechtsbegriffs. Die Parteien vertreten unterschiedliche Rechtsauffassungen dazu, ob das vierjährige Fernstudium der Klägerin an der H… -Universität B… als ein für das Lehramt geeignetes wissenschaftliches Hochschulstudium von mindesten vier Studienjahren zu bewerten ist. Die vorstehenden Anforderungen sind nicht tarifvertraglich geregelt, sondern in der Fußnote 4 zur Besoldungsgruppe A 12 der Anlage 1 zur 2. BesÜV enthalten, die aufgrund des § 73 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 1991 von der Bundesregierung erlassen worden ist. Daß die Tarifvertragsparteien in § 2 Nr. 3 Satz 2 des Ersten Änderungstarifvertrages zum BAT-O vom 8. Mai 1991 für die Eingruppierung der Lehrer im Angestelltenverhältnis auf die für beamtete Lehrer geltenden Besoldungsvorschriften verwiesen haben, genügt nicht, um in der in Bezug genommenen Rechtsverordnung enthaltene Begriffe als tarifliche Begriffe zu bewerten. Es handelt sich nicht um von den Tarifvertragsparteien geschaffene und als solche auszulegende Tarifnormen, wenn sie nur eine außertarifliche normative Regelung uneingeschränkt übernehmen. Damit geben die Tarifvertragsparteien nämlich zu erkennen, daß sie gerade auf eine eigenständige tarifliche Regelung verzichten wollen. Um die “Auslegung eines Tarifvertrages” im Sinne von § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG handelt es sich nur dann, wenn die Tarifvertragsparteien selbst der von ihnen in der umstrittenen Tarifnorm getroffenen Regelung normativen Charakter verliehen haben oder wenn sie zwar eine außertarifliche normative Regelung übernommen haben, sie aber in einem bestimmten tariflichen Sinne verstanden wissen wollen (Beschluß des Senats vom 16. Januar 1980 – 4 AZN 87/79 – AP Nr. 3 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz). Dazu ist vom Beklagten für die Merkmale der Fußnote 4 zur Besoldungsgruppe A 12 der Anlage 1 zur 2. BesÜV nichts vorgetragen. Auch sonst ist ein Anhaltspunkt dafür nicht ersichtlich.

2. Soweit der Beklagte seine Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz stützt, ist sie unbegründet.

2.1 Die Divergenzbeschwerde ist begründet, wenn sich der angegriffenen und der angezogenen Entscheidung tatsächlich die behaupteten Rechtssätze entnehmen lassen, diese Rechtssätze voneinander abweichen und die angegriffene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

2.2 Zutreffend ist, daß die anzufechtende Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt hat, nach dem im Wortlaut der Verordnung objektiv zum Ausdruck gekommenen Willen des Verordnungsgebers sei davon auszugehen, daß eine Differenzierung zwischen Fern- und Direktstudium nicht vorgenommen werden solle. Hingegen hat die Neunte Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts in der angezogenen Entscheidung nicht den vom Beklagten behaupteten abweichenden Rechtssatz aufgestellt, der objektive Wille des Verordnungsgebers, eine Differenzierung zwischen Fern- und Direktstudium zu treffen, habe in der Anlage 1 zur 2. BesÜV seinen Niederschlag gefunden. Vielmehr hält auch die Neunte Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts in der angezogenen Entscheidung “eine undifferenzierte unterschiedliche Behandlung von Direktstudium und Fernstudium” für fehlerhaft, denn die 2. BesÜV unterscheide nicht zwischen Fern- und Direktstudium. Soweit es bei den Ämtern für Sonderschullehrer der Besoldungsgruppen A 11 und A 12 auf deren Ausbildung und dabei auf die Alternative Direktstudium/Fernstudium ankommt, ist die Vergleichsbetrachtung der Neunten Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts wesentlich komplexer. Dazu ist in der angezogenen Entscheidung ausgeführt, für die in der BesÜV vorgenommene Differenzierung spreche jedenfalls, daß ein vierjähriges Direktstudium, das Hochschulreife voraussetze, anspruchsvoller sei als die Ausbildung zum Lehrer für untere Klassen, die lediglich den Abschluß der 10. Klasse der polytechnischen Oberschule voraussetze und eine Zusatzausbildung von zwei Jahren Direktstudium bzw. vier Jahren Fernstudium. Der von dem Beklagten behauptete Rechtssatz, Direktstudium und Fernstudium müßten – ganz undifferenziert – unterschiedlich bewertet werden, ist in der angezogenen Entscheidung also nicht aufgestellt worden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO in Verbindung mit § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG. Sie entspricht dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrages zwischen gewährter und begehrter Vergütung, wie ihn das Arbeitsgericht errechnet hat. Die Beteiligten haben weder die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts beanstandet noch bei ihrer Anhörung zu der beabsichtigten Wertfestsetzung im Beschwerdeverfahren dagegen Einwendungen erhoben.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, Hecker, Grätz

 

Fundstellen

Haufe-Index 872263

BB 1996, 384

NZA 1996, 483

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