Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeitverkürzung durch Zeitausgleich
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Eingangssatz, § 76 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG Berlin (Beschluss vom 05.03.1991; Aktenzeichen 11 TaBV 5/90) |
ArbG Berlin (Beschluss vom 03.09.1990; Aktenzeichen 38 BV 9/90) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 5. März 1991 – 11 TaBV 5/90 – aufgehoben.
Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. September 1990 – 38 BV 9/90 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Der Arbeitgeber betreibt in verschiedenen Städten Dialysezentren, in denen die künstliche Blutreinigung von Nierenkranken durchgeführt wird. Ein solches Zentrum befindet sich auch in Berlin. Die hier beschäftigten Arbeitnehmer haben einen Betriebsrat gewählt. Für die Arbeitnehmer des Arbeitgebers gilt der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer des KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. vom 16. Mai 1988 in der Fassung vom 13. Dezember 1989 (im folgenden nur MTV). Dieser enthält in § 10 unter der Überschrift „Arbeitszeit” – soweit hier von Bedeutung – folgende Bestimmungen:
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt einschließlich der Pausen im Durchschnitt … ab 1. April 1990 38,5 Stunden. Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von vier Wochen zugrunde zu legen.
Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer … ab 1. April 1990 7 Stunden 42 Minuten. Sie kann bis zu zehn Stunden verlängert werden.
2. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit werden in den Betriebsstätten festgelegt.
…
10. Überstunden sind auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit nach Ziff. 1 dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleistet werden.
Über die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung ab 1. April 1990 von 39 auf 38,5 Stunden konnten sich die Betriebspartner nicht einigen. Eine einvernehmlich angerufene Einigungsstelle beschloß daher am 4. Juli 1990 den folgenden Spruch:
1. Die Regelung gilt für alle vollbeschäftigten Arbeitnehmer im Dialysezentrum S.
2. Die Arbeitszeitverkürzung von 30 Min/Woche wird wie folgt realisiert:
2.1. Die Arbeitszeit wird um 3 Min/Arbeitstag bzw. 15 Min/Woche verkürzt.
Neue Arbeitszeit (einschließlich Pausen)
Pflegebereich Frühdienst 7.00 bis 15.00 Spätdienst 14.00 bis 22.00
Küche 7.00 bis 15.00
Hausmeister 7.00 bis 15.00
Verwaltung 8.00 bis 16.00
2.2. Die Arbeitszeitverkürzung um weitere 3 Min/Arbeitstag wird innerhalb eines Ausgleichszeitraums von 4 Wochen angesammelt und durch Verkürzung der Arbeitszeit an einem Arbeitstag realisiert.
2.2.1. Für jeden Arbeitnehmer wird ein Zeitkonto eingerichtet.
2.2.2. Pro Tag geleisteter Arbeit werden dem Zeitkonto 3 Minuten gutgeschrieben. Die tatsächliche Arbeitsleistung ist maßgebend – eine Zeitgutschrift erfolgt z.B. nicht bei Urlaub, Freistellung unter Fortzahlung des Verdienstes, Arbeitsunfähigkeit, Heilverfahren.
2.2.3. Innerhalb eines Zeitraumes von 4 Wochen ist das Zeitguthaben durch Verkürzung der Arbeitszeit an einem Tag auszugleichen. Der Ausgleichsanspruch verfällt nach Ablauf von 4 Wochen.
2.2.4. Die Verkürzung der Arbeitszeit an einem Tag erfolgt nach Absprache zwischen dem Beschäftigten und dem zuständigen Vorgesetzten.
3. Die Regelung tritt am 09.07.1990 in Kraft. Sie ist mit einer Frist von drei Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres, erstmals zum 31.12.1991 kündbar.
4. Wegen der Arbeitszeitverkürzung vom 01.04.1990 bis zum 07.07.1990 werden Geschäftsführung und Betriebsrat eine gesonderte Vereinbarung treffen.
Protokollnotiz zu Nr. 2.2.3. des Spruchs vom 4.07.1990
Das Zeitguthaben im Pflegebereich ist durch Verkürzung der Arbeitszeit zum Ende des Frühdienstes in der Übergabezeit Montag – Freitag auszugleichen. Unter den derzeitigen tatsächlichen Gegebenheiten des Zentrums – bezogen auf Raumsituation und Patientenzahl – ist für den Frühdienst eine Besetzung mit 10 Pflegekräften die Sollbesetzung. Die Mindestbesetzung im Frühdienst besteht derzeit im Normalfall aus 7 Pflegekräften. Sollte die Mindestbesetzung von 7 Pflegekräften durch nicht vorhersehbare Fälle nicht gewährleistet sein, kann der Zeitausgleich nicht genommen werden: das Zeitguthaben ist in diesem Fall entsprechend der Regelung in § 10 Nr. 12 letzter Satz, § 14 MTV zu bezahlen.
Ein nicht vorhersehbarer Fall (Notfall) ist anzunehmen, wenn eine Pflegekraft an der Arbeitsleistung gehindert ist und dies der Zentrumsleitung frühestens 24 Stunden vor Beginn des Dienstes bekannt wird.
Der Arbeitgeber hat mit einem am 17. Juli 1990 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz den Spruch der Einigungsstelle angefochten. Er ist der Ansicht, der Spruch der Einigungsstelle verstoße gegen § 10 Nr. 1 Satz 3 MTV, wonach die regelmäßige tägliche Arbeitszeit sieben Stunden und 42 Minuten betrage. Diese Regelung lasse eine Ansammlung von Freizeitguthaben von drei Minuten täglich = 15 Minuten wöchentlich = eine Stunde in vier Wochen und deren Ausgleich durch eine Freistunde nicht zu. Der Spruch sei unpraktikabel, da er keine Regelung über den Freizeitausgleich enthalte und damit zu einer Gefährdung der Patientenversorgung führen könne. Er sei aus diesem Grunde und auch weil seine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1991 festgelegt sei, ermessensfehlerhaft.
Der Arbeitgeber hat daher beantragt
festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 4. Juli 1990 unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hält den Spruch für wirksam. Eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit um sechs Minuten hätte die Schichtübergabezeiten unzumutbar verkürzt und damit die Patientenversorgung gefährdet. Die in der Zeit vom 1. April bis zum 9. Juli 1990 geübte Praxis eines Freizeitausgleichs habe gezeigt, daß eine Gefahr für die Versorgung der Patienten nicht bestehe.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde des Arbeitgebers festgestellt, daß der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Betriebsrats.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Der Spruch der Einigungsstelle ist wirksam.
I. Das Verfahren hat sich nicht dadurch erledigt, daß der Spruch der Einigungsstelle zum 31. Dezember 1991 kündbar ist. Der Spruch ist nach der Erklärung der Beteiligten im Anhörungstermin vor dem Senat nicht gekündigt worden.
II. Das Landesarbeitsgericht entnimmt der Bestimmung in § 10 Nr. 1 Satz 3 MTV, wonach die regelmäßige tägliche Arbeitszeit ab dem 1. April 1990 sieben Stunden und 42 Minuten betrage, daß eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf sieben Stunden 45 Minuten und ein Ausgleich der so erdienten Zeitguthaben nicht zulässig sei. Diesem Verständnis der Regelung in § 10 Nr. 1 MTV vermag der Senat nicht zu folgen.
1. § 10 Nr. 1 Satz 1 und 2 MTV regeln die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Sie beträgt ab 1. April 1990 38,5 Stunden. Satz 2 bestimmt, daß für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein Zeitraum von vier Wochen zugrunde zu legen ist. Daraus ist zunächst zu entnehmen, daß der Manteltarifvertrag nicht für jede Woche eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden vorschreibt, vielmehr gestattet, in einzelnen Wochen mehr oder weniger Stunden zu arbeiten, sofern nur im Durchschnitt von vier Wochen eine wöchentliche Arbeitzeit von 38,5 Stunden erreicht wird.
2.a) Wenn § 10 Nr. 1 Satz 3 MTV im Anschluß an diese Regelung für die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bestimmt, daß diese sieben Stunden und 42 Minuten betrage, so steht das zunächst nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen in Satz 1 und 2. Auch wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht in jeder Woche 38,5 Stunden beträgt, kann die tägliche Arbeitszeit an allen Tagen sieben Stunden und 42 Minuten betragen, nämlich dann, wenn – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen hat – in der einen Woche an vier Tagen je sieben Stunden und 42 Minuten und in der anderen Woche an sechs Tagen je sieben Stunden und 42 Minuten gearbeitet werden. Die Regelung über eine ungleichmäßige wöchentliche Arbeitszeit hätte dann jedoch nur Bedeutung für diesen Fall. Sie ließe eine ungleichmäßige Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochen etwa in der Weise, daß in der einen Woche 38 Stunden, in der nächsten Woche 39 Stunden gearbeitet wird, nicht zu.
b) Eine solche Regelung erscheint zumindest ungewöhnlich. Zwar findet sich in § 10 MTV keine Bestimmung, die ausdrücklich die 5- Tage-Woche vorschreibt, aus den weiteren Regelungen in den übrigen Nummern dieses Paragraphen ergibt sich jedoch, daß der Tarifvertrag davon ausgeht, daß in den Betrieben des Arbeitgebers in der Regel die Arbeitnehmer an fünf Tagen in der Woche beschäftigt werden. Auch das vom Arbeitgeber wiederholt zitierte Schreiben der ÖTV vom 11. Januar 1989 macht deutlich, daß jedenfalls nach der Vorstellung der ÖTV gerade durch diesen Satz „die 5-Tage-Woche festgelegt und eine Flexibilisierung durch den Arbeitgeber verhindert werden” sollte.
Wenn gleichwohl die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden nicht in jeder Woche, sondern nur im Durchschnitt von vier Wochen erreicht werden muß, dann kann der Bestimmung in Satz 3 schon aus diesen Gründen nicht entnommen werden, daß eine Verlängerung oder Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von sieben Stunden und 42 Minuten ausgeschlossen sein sollte. Dafür spricht vor allen Dingen § 10 Nr. 1 Satz 4, wonach die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bis zu zehn Stunden verlängert werden kann. Damit ist – wie § 10 Nr. 10 MTV ausweist – nicht die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit durch Überstunden gemeint, da Überstunden nur solche Arbeitsstunden sind, die über die regelmäßige Arbeitszeit nach Nr. 1, also auch über die bis zu zehn Stunden verlängerte tägliche Arbeitszeit hinaus geleistet werden.
Danach verbietet § 10 Nr. 1 MTV nicht eine Regelung, die die regelmäßige tägliche Arbeitszeit auf sieben Stunden und 45 Minuten festlegt und einen Zeitausgleich für die täglich über sieben Stunden und 42 Minuten hinaus geleisteten drei Minuten vorsieht.
3. Wenn Nr. 2.2. des Spruchs der Einigungsstelle vorschreibt, daß diese drei Minuten je Arbeitstag innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen angesammelt und durch Verkürzung der Arbeitszeit an einem Arbeitstag ausgeglichen werden, und Nr. 2.2.3. bestimmt, daß dieses Zeitguthaben innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen auszugleichen ist, anderenfalls der Ausgleichsanspruch verfällt, so ist damit entgegen der Ansicht des Arbeitgebers nicht der gleiche 4-Wochen-Zeitraum gemeint, was in der Tat einen Ausgleich unmöglich machen würde. Schon eine unbefangene Betrachtung ergibt, daß das in vier Wochen angesammelte Zeitguthaben von einer Stunde innerhalb der folgenden vier Wochen auszugleichen ist. Damit sollte verhindert werden, daß das auszugleichende Zeitguthaben größer als eine Stunde wird.
4. Der Spruch der Einigungsstelle ist auch nicht deswegen unwirksam, weil er keine näheren Bestimmungen zum Zeitpunkt des Ausgleichs der Zeitguthaben enthält. Der Spruch sieht unter Nr. 2.2.4. vor, daß die Verkürzung der Arbeitszeit zum Ausgleich des Zeitguthabens nach Absprache zwischen dem Arbeitnehmer und dem zuständigen Vorgesetzten erfolgt. Der Arbeitnehmer hat daher nur einen Anspruch darauf, daß das Zeitguthaben innerhalb von vier Wochen ausgeglichen wird, jedoch keinen Anspruch darauf, das Zeitguthaben zu einem Zeitpunkt seiner alleinigen Wahl zu nehmen. Er bedarf dazu der Zustimmung seines Vorgesetzten. Damit wird verhindert, daß Zeitguthaben mehrerer Arbeitnehmer gleichzeitig zu Zeiten ausgeglichen werden müssen, zu denen dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist. Darüber hinaus bestimmt die Protokollnotiz, daß das Zeitguthaben im Pflegebereich durch Verkürzung der Arbeitszeit am Ende des Frühdienstes in der Übergabezeit Montag bis Freitag auszugleichen ist und daß ein Ausgleichsanspruch entfällt, wenn dadurch die Mindestbesetzung im Frühdienst unterschritten wird.
5. Diese Regelung ist auch nicht ermessensmißbräuchlich, indem sie das Interesse des Arbeitgebers an der ausreichenden ärztlichen Versorgung der Patienten nicht genügend berücksichtigt. Durch die aufgezeigte Regelung wird sichergestellt, daß einmal das Zeitguthaben nur am Ende der Frühschicht während der Übergabezeit ausgeglichen werden kann und daß maximal drei Pflegekräfte an einem Tag ihren Zeitausgleich nehmen können, und das auch nur mit Zustimmung des zuständigen Vorgesetzten. Die Mindestbesetzung des Frühdienstes ist in jedem Falle gewährleistet. Der ärztliche Leiter der Berliner Einrichtung hat vor der Einigungsstelle erklärt, daß eine solche Regelung möglich sei. Er hat darüber hinaus erklärt, daß eine Verkürzung der Übergabezeit um sechs Minuten nicht wünschenswert, aber machbar sei. Dann liegt aber in der Entscheidung der Einigungsstelle, die Übergabezeit lediglich um drei Minuten zu verkürzen und für die restlichen drei Minuten einen Zeitausgleich zu gewähren, keine nicht mehr zu vertretende Mißachtung der Interessen des Arbeitgebers, die ärztliche Versorgung der Patienten an allen Tagen durch alle Pflegekräfte während der dienstplanmäßigen Arbeitszeit sicherzustellen.
6. Es ist schließlich nicht ermessensmißbräuchlich, wenn die Einigungsstelle ihren Spruch erst zum 31. Dezember 1991 kündbar gestellt und diesem so eine Laufzeit von 1,5 Jahren beigelegt hat. Ist die Regelung, wie dargelegt, in sich zulässig und ausgewogen, liegt in der Entscheidung, diese Regelung auch für eine längere Laufzeit gelten zu lassen, kein Ermessensmißbrauch. Das gilt um so mehr, als der Betriebsrat unwidersprochen vorgetragen hat, die in der Zeit vom 1. April bis Juli 1990 praktizierte Regelung eines Freizeitausgleichs habe zu keinen Unzuträglichkeiten geführt.
Nach allem hat das Landesarbeitsgericht den Spruch der Einigungsstelle zu Unrecht für unwirksam gehalten. Seine Entscheidung war daher aufzuheben.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, H. Paschen, Bayer
Fundstellen