Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg: Betreiberin einer Bäckerei-Verkaufsstelle
Leitsatz (amtlich)
Wehrt sich die aufgrund eines Pachtvertrags tätige Betreiberin einer Verkaufsstelle gegen die fristlose Kündigung ihres Vertragsverhältnisses mit dem Antrag festzustellen, daß diese unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung ihres „Arbeitsverhältnisses” geführt hat, handelt es sich um einen sic-non-Fall im Sinne der Senatsrechtsprechung, für den der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, b, § 5 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 23. März 2000 – 5 Ta 1/00 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer einvernehmlichen Aufhebung und einer fristlosen Kündigung ihres Vertragsverhältnisses. Zudem begehrt die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen.
Die Beklagte betreibt eine Großbäckerei. Ihre Produkte vertreibt sie an die Endverbraucher über Verkaufsstellen, die sie – entweder als Mieterin oder als Eigentümerin – mit dem erforderlichen Inventar einrichtet und unterhält. Die Klägerin war seit etwa 20 Jahren in einer solchen Verkaufsstelle tätig. Rechtliche Grundlage dafür war seit dem 15. April 1989 ein „Pachtvertrag” vom Februar 1989, seit dem 1. Februar 1999 ein „Pacht- und Liefervertrag” vom Januar 1999 jeweils über das Geschäft Ho chaussee in H. Am 22. Juli 1999 vereinbarten die Parteien die Aufhebung des letzten Vertrages zum 31. Juli 1999. Am 14. Juli 1999 hatten sie zuvor einen „Pacht- und Liefervertrag” über das Ladengeschäft G allee in H geschlossen. Er trat nebst zwölf Anlagen vereinbarungsgemäß am 1. August 1999 in Kraft. Der Vertrag sieht in seiner Präambel vor, daß die Klägerin als „selbständiger Kaufmann” die genannte „Einzelhandelsverkaufsstelle” pachtet und die Produkte der Beklagten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertreibt. Gemäß § 3 gewährt die Beklagte der Klägerin eine Provision auf die gelieferten Verkaufswaren. Laut Anlage 2 beträgt die Provision zwischen 30 und 40 % auf die „unverbindlich empfohlenen” Endverkaufspreise. Diese Preise hat die Klägerin zuzüglich Mehrwertsteuer an die Beklagte zu zahlen. Für die Überlassung des Ladengeschäfts zahlt die Klägerin gemäß § 6 des Vertrags eine „Umsatzpacht”. Sie beträgt nach Anlage 5 etwa 12 % des Gesamtumsatzes. Zu dessen Ermittlung hat sie sämtliche Verkäufe durch die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Registrierkasse zu vereinnahmen und täglich abzurechnen. Nach § 9 des Vertrags ist die Klägerin verpflichtet, auf eigene Rechnung mindestens einen versicherungspflichtigen, nicht familienangehörigen Mitarbeiter zu beschäftigen.
Am 16. August 1999 unterzeichnete die Klägerin ein Schuldanerkenntnis, in dem sie erklärte, der Beklagten aus dem „Pachtvertrag vom 15.03.1989” 60.702,18 DM zu schulden. Am 20. August 1999 erschien ein Mitarbeiter der Beklagten im Ladengeschäft und hielt der Klägerin vor, sie habe einige Tage zuvor einen Verkaufsbetrag von 4,60 DM nicht in die Kasse eingegeben. Noch am 20. August 1999 schlossen die Parteien eine „Aufhebungsvereinbarung”, in der sie „im gegenseitigen Einvernehmen die Aufhebung des Pachtvertrags vom 14.07.1999 … mit Ablauf des 20.08.1999” erklärten. Mit Anwaltsschreiben vom 24. August 1999 erklärte die Klägerin die Anfechtung dieser Vereinbarung. Durch Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 27. August 1999 kündigte die Beklagte „höchst vorsorglich” den Vertrag vom 14. Juli 1999 außerordentlich und fristlos.
Mit einem am 8. September 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie hat beantragt
- festzustellen, daß der Aufhebungsvertrag vom 20.08.1999 unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geführt hat;
- festzustellen, daß die fristlose Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 27.08.1999 unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat;
- die Beklagte zu verurteilen, sie zu den gleichen Bedingungen wie im Vertrag vom 14.07.1999 weiter zu beschäftigen.
Im Beschwerdeverfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, in Wirklichkeit sei sie Arbeitnehmerin der Beklagten. Dies folge ua. daraus, daß die Beklagte die Öffnungszeiten des Ladens – in aller Regel von 6.00 Uhr bis 19.00 Uhr, an Sonnabenden bis 16.00 Uhr – verbindlich vorgegeben habe. Damit sei die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gegeben. Die Beklagte hat gemeint, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei nicht eröffnet. Ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien liege nicht vor.
Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs bejaht. Mit ihrer zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde will die Beklagte erreichen, daß der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht eröffnet erklärt und die Sache an das Landgericht Hamburg verwiesen wird.
II. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten nach § 17 a Abs. 4 GVG hat keinen Erfolg. Für den Streitfall ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat die Beklagte keinen förmlichen Antrag gestellt. Ihr Begehren wird aber aus dem Zusammenhang ihrer Ausführungen in der Beschwerdeschrift vom 28. April 2000 hinreichend deutlich.
2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer iSd. Arbeitsgerichtsgesetzes Arbeiter und Angestellte, sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gelten in dieser Hinsicht als Arbeitnehmer ferner solche Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.
b) Das Landesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs mit der Begründung bejaht, die Klägerin verfolge mit den Klageanträgen zu 1 und 2 auch die Feststellung, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis fortbestehe. Zwar mache sie dessen Fortbestand nach dem Antragswortlaut erst als Folge der Unwirksamkeit von Aufhebungsvertrag und fristloser Kündigung geltend. Die Auslegung ergebe aber, daß die Statusfrage ein selbständiges Klagebegehren und ein eigener Streitgegenstand sei. Für diesen sei die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gegeben, da es sich um einen sic-non-Fall handele. Deren Zuständigkeit für „den restlichen Teil der Klageanträge zu 1 und 2 sowie für den Klageantrag zu 3” ergebe sich entweder aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, wenn es sich um ein Arbeitsverhältnis handele, oder aus § 2 Abs. 3 ArbGG, da ein rechtlicher und unmittelbar wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Statusbegehren bestehe. Die Anwendung von § 2 Abs. 3 ArbGG scheide nicht deshalb aus, weil die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für das Statusbegehren nicht sachlich geprüft, sondern nur unterstellt worden wäre. Deren Zuständigkeit folge vielmehr unmittelbar aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG, wo sie ausdrücklich auch für einen Streit über das „Nichtbestehen” eines Arbeitsverhältnisses vorgesehen sei. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin den Rechtsweg insoweit treuwidrig habe erschleichen wollen, lägen nicht vor.
c) Dem ist nicht in allen Schritten der Begründung, aber im Ergebnis zu folgen. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß der Aufhebungsvertrag vom 20. August 1999 und die fristlose Kündigung der Beklagten vom 27. August 1999 unwirksam sind und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geführt haben. Damit handelt es sich um einen sic-non-Fall im Sinne der Rechtsprechung des Senats. Zwar können Aufhebungsvertrag und fristlose Kündigung auch unabhängig von einem Arbeitnehmerstatus der Klägerin unwirksam sein. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, daß bei dem gegebenen Antragsinhalt Streitgegenstand der Klage nicht nur die Frage ist, ob das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch Aufhebungsvertrag oder Kündigung beendet worden ist, sondern auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, handelt es sich dabei aber nicht um je zwei eigenständige Klagebegehren. Die Klägerin will die Unwirksamkeit von Aufhebungsvertrag und Kündigung nicht unabhängig von ihrem Status festgestellt wissen, sondern nur verbunden mit der weiteren Feststellung, daß es sich bei dem fortbestehenden Rechtsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Dafür, daß sie sich gegen Aufhebungsvertrag und Kündigung auch dann zur Wehr setzen will, wenn sie keine Arbeitnehmerin der Beklagten ist, ergeben sich aus der bisherigen Antragsfassung und Klagebegründung keine Anhaltspunkte.
Damit setzen die beantragten Feststellungen voraus, daß im Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages bzw. der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Andernfalls sind die Anträge schon deshalb unbegründet(BAG 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – zVv.; BAG 26. Mai 1999 – 5 AZR 664/98 – AP GmbHG § 35 Nr. 10; KR-Friedrich 5. Aufl. § 4 KSchG Rn. 225, 252 mwN). Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Wegen dieser Doppelrelevanz sind die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung über Anträge, wie sie die Klägerin gestellt hat, zuständig, ohne daß es dazu eines Rückgriffs auf § 2 Abs. 3 ArbGG bedürfte(BAG 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 zVv.).
Für den Klageantrag zu 3 folgt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zumindest daraus, daß er als uneigentlicher Hilfsantrag hinsichtlich des Rechtswegs das Schicksal des Hauptantrags teilt(BAG 17. Juni 1999 – 5 AZB 23/98 – AP GVG § 17 a Nr. 39; Reinecke ZfA 1998, 359, 387).
d) Ob sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen außerdem daraus ergibt, daß die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist, läßt sich anhand des bisherigen Parteivorbringens nicht mit Sicherheit beurteilen.
e) Da die Klage mit den gestellten Anträgen schon dann abzuweisen ist, wenn ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht vorliegt, wird in diesem Fall möglicherweise keine Entscheidung darüber ergehen, ob der Aufhebungsvertrag und die angegriffene Kündigung aus Gründen unwirksam sind, die den Arbeitnehmerstatus der Klägerin nicht voraussetzen. Will die Klägerin auch darüber eine Entscheidung herbeiführen, wäre ein entsprechender (Hilfs-)Antrag zu stellen. Muß über ihn entschieden werden, ist – ggf. vorab – auch insoweit über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu befinden. Sie kann sich nur ergeben aus § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG (bei Arbeitnehmerähnlichkeit der Klägerin) oder aus § 2 Abs. 3 ArbGG (Zusammenhangsklage). Gegen letzteres bestehen allerdings in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt einer Erschleichung des Rechtswegs(vgl. BVerfG 31. August 1999 – 1 BvR 1389/97 – AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 6). Ob sie durch die vom Landesarbeitsgericht angestellten Erwägungen ausgeräumt werden, erscheint zumindest angesichts des Umstandes zweifelhaft, daß über den betreffenden Antrag nur zu befinden ist, falls der Arbeitnehmerstatus der Klägerin zuvor gerade verneint wurde. Ist für den (Hilfs-)Antrag der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet, ist das Verfahren über ihn abzutrennen und der Rechtsstreit an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verweisen(BAG 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – zVv.).
Unterschriften
Müller-Glöge, Reinecke, Kreft
Fundstellen
BB 2001, 580 |
DB 2001, 548 |
NJW 2001, 1374 |
FA 2001, 120 |
NZA 2001, 341 |
SAE 2001, 287 |
AP, 0 |
www.judicialis.de 2001 |