Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatzbeschwerde: Auslegung eines Tarifvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Eine auf fehlerhafte Auslegung eines Tarifvertrages gestützte Nichtzulassungsbeschwerde muß präzise den Rechtsbegriff bezeichnen, dessen fehlerhafte Auslegung durch das Landesarbeitsgericht vom Beschwerdeführer gerügt wird (ständige Rechtsprechung des Senats seit Beschluß vom 5. Dezember 1979 – 4 AZN 41/79 – BAGE 32, 203 = AP Nr. 1 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz). Eine Beschwerdebegründung, mit der die fehlerhafte Auslegung einer – im Tarifvertragstext nicht enthaltenen – Begriffskombination gerügt wird, mit der mehrere tarifliche Rechtsbegriffe schlagwortartig zusammengefaßt werden, entspricht nicht diesem Erfordernis.

 

Normenkette

ArbGG 1979 § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 1 Nr. 2; BAT/BL 1975 §§ 22-23; Anlage 1a Teil I VergGr. Va Fallgr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 16.10.1996; Aktenzeichen 13 Sa 93/96)

ArbG Berlin (Urteil vom 03.06.1996; Aktenzeichen 93 Ca 34436/95)

 

Tenor

  • Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 16. Oktober 1996 – 13 Sa 93/96 – wird als unzulässig verworfen.
  • Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
  • Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.346,23 DM festgesetzt.
 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die tarifgerechte Vergütung des Klägers.

Der Kläger, der den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt hat, trat am 1. November 1981 als Maschinenmeister in die Dienste der Beklagten. Er erhielt zunächst Vergütung nach der VergGr. VIb BAT (Fallgr. 5 Teil II Abschn. Q der Anl. 1 a) und mit Wirkung vom 1. November 1989 kraft Bewährungsaufstiegs nach der VergGr. Vc (Fallgr. 7).

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1989 beantragte die Dienststelle des Klägers bei der Personalabteilung dessen Umsetzung von der Abteilung Technische Angelegenheiten der Zentralen Universitätsverwaltung in die Zentralen Tierlaboratorien und machte darin den Vorschlag, dem Kläger nach erfolgter Ablegung der Meisterprüfung eine Vergütung nach den Vergütungsgruppen Va/IVb BAT zu zahlen. Mit Wirkung vom 1. Februar 1990 wurde der Kläger entsprechend diesem Antrag umgesetzt. Ihm sind seitdem die Aufgaben als “Leitwart im Schichtdienst für die Betriebsabwicklung innerhalb der Leitwarte – ZTL” übertragen. Die Personalabteilung teilte dem Kläger diese Umsetzung mit Bescheid vom 1. März 1990 mit und unterrichtete ihn darüber, daß “hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, insbesondere seiner Eingruppierung, vorerst keine Änderungen” einträten.

Der Kläger nahm in der Folgezeit an einem Meisterkurs der Industrie- und Handelskammer teil, den er am 31. März 1993 mit der Meisterprüfung abschloß. Unter dem 30. Juni 1993 erstellte die Beklagte eine “Beschreibung des Aufgabenkreises (BAK)” für den Kläger. Aufgrund dieser Aufgabenbeschreibung kam die Beklagte am 2. Oktober 1983 zu dem Ergebnis, daß das Aufgabengebiet des Klägers als das eines Technikers in VergGr. Vc Fallgr. 1/ VergGr. Vb Fallgr. 2 Teil II Abschn. L Unterabschn. I der Anl. 1a zum BAT zu bewerten sei. Sie begründete dies damit, die Aufgabenbeschreibung stelle deutlich die Funktion einer gehobenen Fachkraft als Bindeglied zwischen dem Ingenieur und dem qualifizierten Facharbeiter dar. Eine Bewertung als technischer Angestellter sei nicht möglich, da der dafür erforderliche ingenieurmäßige Zuschnitt nicht erkennbar sei.

Mit Wirkung vom 28. April 1995 wurde der Kläger in VergGr. Vb Fallgr. 2 Teil II Abschn. L Unterabschn. I der Anl. 1a zum BAT eingruppiert.

Der Kläger erstrebt mit seiner Klage die Feststellung, daß ihm ab 1. April 1993 ein Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Va BAT zusteht. Er hat vorgetragen, er sei von der Beklagten veranlaßt worden, den Industriemeisterlehrgang zu absolvieren. Für den Fall der erfolgreichen Ablegung der Meisterprüfung sei ihm die endgültige Einweisung in die Stelle mit der VergGr. Va/IVb BAT zugesagt worden. Seine Tätigkeit entspreche den Anforderungen der VergGr. Va BAT; insbesondere habe sie ingenieurmäßigen Zuschnitt.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Vorschlag, eine Zusatzausbildung zum Industriemeister zu absolvieren, sei nicht von der Personalverwaltung gemacht worden. Dem Kläger sei auch nicht die Höhergruppierung zugesichert worden. Er erfülle weder die subjektiven Voraussetzungen für den Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Va BAT noch habe seine Tätigkeit ingenieurmäßigen Zuschnitt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und den Streitwert auf 8.000,-- DM festgesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form nach § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG begründet worden.

  • Eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i.V.m. § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, die auf fehlerhafte Auslegung eines Tarifvertrages gestützt wird, muß einen entscheidungserheblichen Rechtsbegriff aus einem Tarifvertrag bezeichnen. Hierzu muß der Beschwerdeführer darlegen, welche Interpretation tariflicher Rechtsbegriffe das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat und daß diese fehlerhaft oder bei der Subsumtion wieder aufgegeben worden ist. Interpretation eines Tarifvertrages bedeutet in diesem Zusammenhang die fallübergreifende, abstrakte Auslegung der zur Tarifanwendung notwendigen Rechtsbegriffe (BAGE 32, 203, 208; 32, 228, 232 = AP Nr. 1 und 2 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz). Nur aus der Feststellung des Inhalts der Tarifnorm durch das Berufungsgericht, nicht aus dessen Anwendung auf den Einzelfall kann sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeben. In der Beschwerdebegründung darf sich der Beschwerdeführer nicht auf die unsubstantiierte Rüge beschränken, die Tarifauslegung durch das Berufungsgericht sei fehlerhaft, sondern muß im einzelnen ausführen, aus welchen Gründen dies – nach seiner Auffassung – der Fall ist (Beschluß des Senats vom 17. Februar 1981 – 4 AZN 505/80 – BAGE 35, 94 = AP Nr. 14 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).

    Es ist weiterhin darzulegen, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Damit wird das Interesse der Allgemeinheit an der Entscheidung des Rechtsstreits gefordert. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen (z. B. wirtschaftlichen) Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt (BAGE 32, 203, 210 = AP, aaO). Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gehört es deshalb in diesen Fällen auch, daß der Beschwerdeführer im einzelnen darlegt, durch die Entscheidung würden zahlreiche vergleichbare Sachverhalte betroffen (BAG Beschluß vom 23. September 1981 – 4 AZN 346/81 – AP Nr. 20 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).

  • Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

    2.1 Die fehlerhafte Auslegung eines Tarifvertrages begründet der Kläger damit, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht das Tatbestandsmerkmal des “ingenieurmäßigen Zuschnitts” seiner Tätigkeit als nicht erfüllt angesehen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts habe eine Stelle nur dann ingenieurmäßigen Zuschnitt, wenn mindestens 50 % der Arbeitsvorgänge es erforderlich machten, wie ein Ingenieur Zusammenhänge zu überschauen und Ergebnisse zu entwickeln. Dies sei für den Bereich der Arbeitsbereitschaft im Schichtdienst – gerade in Leitwarten wissenschaftlicher Einrichtungen – unrichtig.

    Mit diesen Ausführungen ist eine fehlerhafte Tarifauslegung des Berufungsgerichts nicht ausreichend dargelegt. Abgesehen davon, daß das für die Eingruppierung des Klägers in Betracht kommende Eingruppierungsmerkmal der VergGr. Va kein Tatbestandsmerkmal “ingenieurmäßiger Zuschnitt” enthält, hat es der Kläger versäumt, im einzelnen auszuführen, aus welchen Gründen die Auslegung dieses Rechtsbegriffs durch das Berufungsgericht fehlerhaft ist, was ebenfalls zu seiner Darlegungslast gehört (Beschluß des Senats vom 17. Februar 1981 – 4 AZN 505/80 – aaO).

    2.2 Für die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers fehlt es außerdem an der Darlegung der Voraussetzungen für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Hierzu hat der Kläger lediglich ausgeführt, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil das Bundesarbeitsgericht das Tatbestandsmerkmal des “ingenieurmäßigen Zuschnitts” in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Bereich der Arbeitsbereitschaft noch nicht ausgelegt habe. Damit hat der Kläger jedoch nichts dazu vorgetragen, inwieweit die Lösung der vorliegenden Fallkonstellation von einer Rechtsfrage abhängt, deren Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt. Er hat insbesondere nicht dargelegt, ob überhaupt und in welchem Umfang bei der Beklagten oder anderen tarifgebundenen Arbeitgebern diesem Einzelfall vergleichbare Sachverhalte existieren und in diesen Fällen die Eingruppierung der mit ihm vergleichbaren Mitarbeiter streitig sei. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich.

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG. Sie entspricht dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrages zwischen gewährter und begehrter Vergütung. Da die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die exakte Berechnung der Vergütungsdifferenz ermöglichen, ist derjenige Betrag zugrunde gelegt worden, der sich als Mittelwert aus den Vergütungsdifferenzen in der Eingangsstufe und in der Endstufe ergibt. Dies sind für den Zeitpunkt der Klageerhebung 7.346,23 DM. Die Beteiligten haben bei ihrer Anhörung zu der beabsichtigten Wertfestsetzung auf diesen Betrag im Beschwerdeverfahren dagegen keine Einwände erhoben.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, Dr. Sponer, H. Schwitzer

 

Fundstellen

Haufe-Index 893897

NZA 1997, 1238

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