Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung
Orientierungssatz
1. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind regelmäßig keine Rechtsnormen, deren Auslegung Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG auslösen könnte (Rn. 4).
2. Es bleibt offen, ob dies auch dann gilt, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Bedeutung erlangen, die denen einer Rechtsnorm mit abstrakter Bedeutung für die Allgemeinheit gleichkommt (Rn. 5).
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 305 ff.; EFZG § 3 Abs. 1; SGB VI § 43 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Oktober 2021 - 9 Sa 724/21 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
2. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 31.133,52 Euro festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Die auf den Zulassungsgrund des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht in der von § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG verlangten Form begründet worden.
Rz. 2
1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt. Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat (BAG 18. Februar 2020 - 3 AZN 954/19 - Rn. 3 mwN). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der Revisionsinstanz nach Maßgabe des Prozessrechts beantwortet werden kann. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist. Von allgemeiner Bedeutung ist die Rechtsfrage, wenn sie sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BAG 8. Dezember 2020 - 3 AZN 849/20 - Rn. 8 f.; 23. Juli 2019 - 9 AZN 252/19 - Rn. 11).
Rz. 3
2. Diese Voraussetzungen hat der Kläger hinsichtlich seiner Fragen,
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„ob eine Berufsunfähigkeit nach § 15 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten das Kriterium der Dauerhaftigkeit als Tatbestandsmerkmal beinhalten?“, |
und
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„ob die Feststellung der vollen Erwerbsminderung des Klägers durch die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 17 Abs. 3 iVm. § 15 Abs. 1 S. 1 der Versicherungsbedingungen des Beklagten einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit indiziert?“, |
nicht hinreichend dargelegt.
Rz. 4
a) Nach der Rechtsprechung des Senats liegen schon keine Rechtsfragen vor. Die Fragen beziehen sich nicht auf die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm. Mit seinen Fragen greift der Kläger allein die konkrete Auslegung der Versicherungsbedingungen der beklagten überbetrieblichen Pensionskasse durch das Berufungsgericht an. Dabei kommt es auf die Auslegung im konkreten Einzelfall an, selbst wenn es sich bei den Versicherungsbedingungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelt. AGB sind jedoch keine Rechtsnormen. Die konkrete Auslegung von AGB wirft deshalb solange keine Rechtsfrage auf, wie keine Auslegungsgrundsätze von AGB als Auslegung der Regelungen der §§ 305 ff. BGB betroffen sind. AGB haben allein aufgrund ihrer Verbreitung und ihres allgemeinen Charakters keine normative Wirkung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG (BAG 24. Juli 2019 - 3 AZN 627/19 - Rn. 5; 11. April 2019 - 3 AZN 720/18 - Rn. 6; 24. Januar 2017 - 3 AZN 822/16 - Rn. 13). Rechtsfragen bezogen auf die §§ 305 ff. BGB wirft der Kläger nicht auf.
Rz. 5
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob an der Rechtsansicht des Senats auch in den Fällen festzuhalten ist, in denen AGB eine Bedeutung erlangen, die denen einer Rechtsnorm mit abstrakter Bedeutung für die Allgemeinheit gleichkommt, und ob hier ein solcher Fall vorliegt. Denn auch wenn die AGB des Beklagten in diesem Sinne als Rechtsnorm zu behandeln wären, hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend dargelegt.
Rz. 6
aa) Mit der Auslegung der streitbefangenen Klausel hat sich bereits der Bundesgerichtshof befasst (Hinweisbeschluss vom 16. Januar 2019 - IV ZR 182/17 -, inhaltlich bestätigt durch Verwerfungsbeschluss vom 19. März 2019 zum selben Aktenzeichen). Er hat dabei angenommen, dass mit der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen angesprochenen „bisherigen Tätigkeit“ die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit gemeint und für die Bemessung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist. Danach setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann (Rn. 18 des Hinweisbeschlusses).
Rz. 7
bb) Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger näher als geschehen dazu ausführen müssen, warum seine abweichende Ansicht eine erneute höchstrichterliche Prüfung erfordert.
Rz. 8
(1) Hinsichtlich der ersten Frage beruft sich der Kläger lediglich auf frühere Fassungen von AGB des Beklagten. Er erläutert aber nicht, warum die von ihm vorgebrachte Änderung der AGB zu der fernliegenden Möglichkeit führen soll, dass jede auch kurzfristige, die Berufsunfähigkeit auslösende Erkrankung zu einem Anspruch führt. Das gölte sogar dann, wenn nicht einmal der Zeitraum der Entgeltfortzahlung von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 EFZG) überschritten würde und damit kein wirtschaftliches Risiko abzusichern ist.
Rz. 9
(2) Hinsichtlich der zweiten Frage sprechen die vom Bundesgerichtshof herausgearbeiteten Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit gegen eine auch nur tatsächliche Bindungswirkung eines Bescheids der gesetzlichen Rentenversicherung über die volle Erwerbsminderung. Denn dort wird nicht auf den bisherigen Beruf, sondern auf eine mögliche Tätigkeit „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ abgestellt (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Soweit der Kläger auf die Verpflichtung in § 17 der Versicherungsbedingungen des Beklagten verweist, wonach ein Rentenbescheid vorzulegen ist, setzt er sich nicht mit dem naheliegenden Argument auseinander, dass danach bei einer ablehnenden Entscheidung des Rentenversicherungsträgers das Mitglied eine Entscheidung des Vorstands beantragen kann. Der Kläger erläutert nicht, warum aus dieser Bestimmung nicht hinreichend deutlich werden soll, dass sich § 17 Abs. 3 der Bedingungen nur mit dem Verfahren zur Feststellung eines Anspruchs, nicht mit dessen materiellen Voraussetzungen befasst.
Rz. 10
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 GKG (36 x 864,82 Euro).
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Zwanziger |
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Roloff |
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Günther-Gräff |
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Fundstellen
NJW 2022, 10 |
NJW 2022, 1402 |
NZA 2022, 589 |
ZTR 2022, 191 |
AP 2022 |
EzA-SD 2022, 16 |
EzA 2022 |
MDR 2022, 576 |
ArbR 2022, 138 |
NJW-Spezial 2022, 276 |