Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Ein unanfechtbar gewordener Verweisungsbeschluß, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht.
Orientierungssatz
1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Gerichten für Arbeitssachen kommt die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch einen obersten Gerichtshof des Bundes auch nach der seit 1. April 1998 geltenden Fassung des § 36 ZPO in Ausnahmefällen in Betracht. Zuständig ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
2. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist, weil es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozeßordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17 b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist.
3. Eine krasse nicht mehr hinnehmbare Rechtsverletzung, die zur Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses führt, liegt vor, wenn sich der Beschluß bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht und damit unter Berücksichtigung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; GVG § 17a
Verfahrensgang
ArbG Regensburg (Beschluss vom 10.01.2003; Aktenzeichen 5 Ca 3986/02 N) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Regensburg bestimmt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche.
Der Beklagte war Arbeitnehmer der F GmbH. Die klagende N GmbH nutzte die Räume der F GmbH, weil sie über keine eigenen Räumlichkeiten verfügte.
Am 23. Oktober 1998 beantragte die Klägerin gegen den Beklagten den Erlaß eines Mahnbescheids über 184.767,90 DM als Schadensersatz aus unerlaubter Handlung wegen Veruntreuung von Vermögen der Klägerin. Nach Widerspruch des Beklagten wurde das Verfahren an das Landgericht Nürnberg-Fürth abgegeben.
Nach Anhörung der Parteien hat das Landgericht Nürnberg-Fürth durch Beschluß vom 9. August 2002 den „ordentlichen Rechtsweg” für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. In der Beschlußbegründung heißt es:
„Nach dem insoweit übereinstimmenden Sachvortrag der Klägerin und des Beklagten O war dieser seinerzeit als die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreit bildenden Überweisungen etc. durch ihn getätigt wurden, (auch) für die Klägerin mit der Durchführung von Buchhaltungsaufgaben und Tätigung sonstiger finanzieller Angelegenheiten betraut.
Er war somit (auch) Arbeitnehmer der Klägerin i. S. des Arbeitsgerichtsgesetzes, so daß für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreit in Richtung gegen den Beklagten O gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 3 a) und d) Arbeitsgerichtsgesetz ausschließlich das Arbeitsgericht Regensburg zuständig ist.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden war, da allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist.”
Gegen diesen Beschluß haben beide Parteien kein Rechtsmittel eingelegt.
Nach Anhörung der Parteien hat das Arbeitsgericht Regensburg mit Beschluß vom 10. Januar 2003 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt, den Rechtsstreit an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen und die Sache dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
B. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Es gibt zwei sich widersprechende Verweisungsbeschlüsse. Zuständig ist das Arbeitsgericht Regensburg.
I. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Gerichten für Arbeitssachen kommt die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch einen obersten Gerichtshof des Bundes auch nach der seit 1. April 1998 geltenden Fassung des § 36 ZPO in Ausnahmefällen in Betracht.
1. Gem. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluß, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen (Senat 22. Juli 1998 – 5 AS 17/98 – AP ZPO § 36 Nr. 55 = EzA ZPO § 36 Nr. 28; BGH 24. Februar 2000 – III ZB 33/99 – NJW 2000, 1343; 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – AP GVG § 17 a Nr. 46). Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht. Dies ist etwa anzunehmen, wenn der Beschluß dazu führt, daß sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht (ebenso BGH 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – aaO) und damit unter Berücksichtigung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH 9. April 2002 – X ARZ 24/02 – NZA 2002, 813). Der Verweisungsbeschluß muß ein Beleg willkürlicher Rechtsfindung sein.
2. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (Senat 22. Juli 1998 – 5 AS 17/98 – AP ZPO § 36 Nr. 55 = EzA ZPO § 36 Nr. 28; BGH 26. Juli 2001 – X ARZ 69/01 – NJW 2001, 3631; 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – AP GVG § 17 a Nr. 46). Erforderlich ist, daß es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozeßordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17 b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (ebenso BGH 9. April 2002 – X ARZ 24/02 – NZA 2002, 813). Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
II. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth bindet das Arbeitsgericht Regensburg. Der Verweisungsbeschluß ist nicht offensichtlich unhaltbar. Das Landgericht hat auf Grund des insoweit übereinstimmenden Vortrags der Parteien Anhaltspunkte dafür benannt, daß der Beklagte auch für die Klägerin weisungsgebundene Tätigkeiten ausgeübt hat. Auch wenn der Beklagte in einem Arbeitsverhältnis zu der F GmbH stand und von dieser seine Arbeitsvergütung erhielt, ist damit ein weiteres Arbeitsverhältnis zu der in den selben Geschäftsräumen tätigen Klägerin nicht ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht Regensburg hat die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Nürnberg-Fürth verkannt und den Rechtsstreit zu Unrecht an das Landgericht zurückverwiesen. Diese prozeßordnungswidrige Entscheidung erfordert die Bestimmung des zuständigen Gerichts.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck
Fundstellen
Haufe-Index 929680 |
BAGE 2004, 305 |
DB 2003, 1284 |
HFR 2003, 917 |
BuW 2003, 660 |
FA 2003, 208 |
JR 2004, 483 |
NZA 2003, 683 |
ZTR 2004, 212 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2003, 1010 |
BAGReport 2003, 191 |