Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung der Revision
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht nur die Hauptsache, sondern auch das Rechtsmittel kann für erledigt erklärt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn ihm durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen wird und die Rücknahme des Rechtsmittels zu einer unangemessenen Kostenentscheidung führen würde.
2. Nach § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung nur bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Mit Einwilligung des Gegners ist die Rücknahme der Berufung auch nach Verkündung des Berufungsurteils bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig.
Orientierungssatz
1. Das Rechtsmittel der Revision kann für erledigt erklärt werden, wenn ihm durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen wird und die Rücknahme der Revision zu einer unangemessenen Kostenentscheidung führen würde.
2. Das ist der Fall, wenn die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgenommen wird. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist damit rechtskräftig geworden, § 705 ZPO. Eine Überprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts durch das Revisionsgericht kommt nicht mehr in Betracht. Die Revision könnte nur zu Lasten des materiell obsiegenden Berufungsklägers als unzulässig verworfen werden.
3. Nach § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung nur bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Mit Einwilligung des Gegners ist die Rücknahme der Berufung auch nach Verkündung des Berufungsurteils bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig. Diese Ausdehnung der Rücknahmefrist war in der Rechtsprechung bereits zu § 515 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anerkannt. Für § 516 Abs. 1 ZPO gilt nichts anderes.
Normenkette
ZPO § 91a
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 16.02.2006; Aktenzeichen 10 Sa 2388/05) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.11.2005; Aktenzeichen 86 Ca 9913/05) |
Tenor
Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
I. Die Parteien haben über die Wirksamkeit der “Versetzung” der Klägerin zum Zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool), einer der Senatsverwaltung für Finanzen des beklagten Landes nachgeordneten Behörde, gestritten.
Die Klägerin ist seit dem 1. April 1974 bei dem beklagten Land als Erzieherin beschäftigt. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2004 teilte das Bezirksamt N… des beklagten Landes der Klägerin mit, dass ihr Aufgabengebiet weggefallen sei und sie sich deshalb im Personalüberhang nach der Verwaltungsreform- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung 2000 befinde. Nach Beteiligung des Personalrats “versetzte” das beklagte Land die Klägerin mit Schreiben vom 26. Januar 2005 “zum Zentralen Personalüberhangmanagement”. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer im April 2005 eingegangenen und im Mai 2005 erhobenen Klage.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass die ihr mit Schreiben des Bezirksamts N… des beklagten Landes vom 26. Januar 2005 ausgesprochene Versetzung zum Zentralen Personalüberhangmanagement unwirksam ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung geltend gemacht. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat das beklagte Land die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts mit Zustimmung der Klägerin zurückgenommen. Beide Parteien haben daraufhin das Revisionsverfahren für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II. Das beklagte Land hat die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß § 91a ZPO und die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 516 Abs. 3 ZPO zu tragen.
1. Das Revisionsverfahren ist erledigt. Davon ist auszugehen, wenn – wie hier – beide Parteien die Erledigungserklärung übereinstimmend abgegeben haben.
2. Gegenstand einer Erledigungserklärung kann nicht nur die Hauptsache, sondern auch ein Rechtsmittel sein. Es ist dann allein über die Kosten des Rechtsmittels nach § 91a ZPO zu entscheiden. Soweit keine “prozessuale Überholung” (vgl. OLG Frankfurt am Main 21. Oktober 1997 – 5 W 31/95 – MDR 1998, 559) eintritt, bleibt die Entscheidung der Vorinstanzen nach Erledigung des Rechtsmittels unangefochten bestehen. Das entspricht dem Stand der herrschenden Meinung in Rechtsprechung (vgl. KG Berlin 27. Juni 2002 – 8 U 25/02 – KGR Berlin 2002, 259, zu II der Gründe; OLG Frankfurt am Main 21. Oktober 1997 – 5 W 31/95 – aaO; aA OLG Karlsruhe 16. August 1990 – 16 UF 180/89 – FamRZ 1991, 464, zu I 1 der Gründe) und Schrifttum (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 91a Rn. 19; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. § 91a Rn. 195). Dem hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung für bestimmte Fallkonstellationen angeschlossen (vgl. BGH 11. Januar 2001 – V ZB 40/99 – MDR 2001, 647, zu II 1a der Gründe; 12. Mai 1998 – XI ZR 219/97 – NJW 1998, 2453, zu II 2 der Gründe). Ein solches Bedürfnis ist gegeben, wenn nur durch die Erledigungserklärung des Rechtsmittels eine angemessene Kostenentscheidung möglich wird (vgl. BGH 12. Mai 1998 – XI ZR 219/97 – aaO).
So ist es hier. Das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts ist durch die Berufungsrücknahme des beklagten Landes rechtskräftig geworden (§ 705 ZPO). Damit ist die Revision der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landesarbeitsgerichts unzulässig geworden. Ohne die Möglichkeit, eine Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO herbeiführen zu können, müsste die rechtskräftig obsiegende Klägerin die Revision mit der dem Ausgang des Rechtsstreits nicht angemessenen Kostenfolge des § 269 Abs. 3 ZPO zurücknehmen. § 91a ZPO dient der Kostengerechtigkeit. Die obsiegende Partei soll nicht gezwungen werden, ein Rechtsmittel mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 ZPO zurückzunehmen, um eine klageabweisende Entscheidung zu vermeiden. Eine dem Ausgang des Rechtsstreits angemessene Kostenentscheidung wird nur unter Anwendung von § 91a ZPO ermöglicht (vgl. Senat 24. Juni 2003 – 9 AZN 319/03 – BAGE 106, 342, zu II 1 der Gründe).
3. Die Rücknahme der Berufung ist mit Einwilligung des Gegners auch nach Verkündung des Berufungsurteils bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig. Zwar kann der Berufungskläger gemäß § 516 Abs. 1 ZPO die Berufung nur bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Diese Beschränkung gilt jedoch nicht, wenn der Berufungsbeklagte der Rücknahme nach Verkündung des Berufungsurteils zugestimmt hat. Das ergibt die Auslegung des § 516 Abs. 1 ZPO.
Nach § 515 Abs. 1 ZPO aF (in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) konnte die Berufung ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Dieses Zustimmungserfordernis sollte dem Berufungsbeklagten die Möglichkeit zur Anschlussberufung erhalten, sobald er über die Begründetheit der Berufung zu verhandeln begonnen hat (BGH 9. Dezember 1993 – IX ZR 64/93 – BGHZ 124, 305, zu II 2b der Gründe). Deshalb wurde eine Rücknahme der Berufung mit Einwilligung des Berufungsbeklagten auch nach Beginn der mündlichen Verhandlung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils für zulässig erachtet (BGH 21. November 1991 – V ZB 12/91 – BGHR ZPO § 515 Abs. 2 Berufungsverwerfung 1, zu II der Gründe). Seit dem 1. Januar 2002 kann der Berufungskläger gemäß § 516 Abs. 1 ZPO in der jetzigen Fassung die Berufung ohne Zustimmung des Berufungsbeklagten bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Dieser spätere Zeitpunkt ist nach der Gesetzesbegründung gewählt worden, um dem Berufungskläger auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vom Berufungsgericht geäußerten vorläufigen Rechtsauffassung noch die Möglichkeit zur Berufungsrücknahme ohne zeitlichen Druck zu eröffnen. Ein schützenswertes Interesse des Berufungsbeklagten, im Falle einer unselbständigen Anschlussberufung diese nach Beginn der mündlichen Verhandlung auch gegen den Willen des Berufungsklägers durchführen zu können, hat der Gesetzgeber nicht mehr gesehen (BT-Drucks. 14/4722 S. 94; BGH 30. März 2006 – III ZB 123/05 – NJW 2006, 2124, zu II 1a der Gründe). Diese zeitliche Ausdehnung des zustimmungsfreien Rücknahmerechts durch § 516 Abs. 1 ZPO lässt die bisher in der Rechtsprechung anerkannte darüber hinausgehende zustimmungspflichtige Rücknahmemöglichkeit der Berufung unberührt. Sie entspricht auch dem Grundsatz der prozessualen Dispositionsfreiheit der Parteien.
4. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind dem beklagten Land aufzuerlegen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Rechtsmittel der Revision in der Sache Erfolg gehabt hätte. Durch die wirksame Rücknahme der Berufung hat sich das beklagte Land freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben. Das schließt eine Prüfung der Begründetheit aus (vgl. für die Klagerücknahme BGH 12. Mai 1998 – XI ZR 219/97 – NJW 1998, 2453, zu II 3 der Gründe). Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens infolge der Rücknahme der Berufung gemäß § 516 Abs. 3 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Creutzfeldt, Krasshöfer
Fundstellen
Haufe-Index 1999033 |
BAGE 2009, 226 |