Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 12. März 1997 – 3 Sa 285/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Streikteilnahme.
Der Kläger beteiligte sich an einem Streik, zu dem die Gewerkschaft ÖTV am 30. April 1995 aufgerufen hatte. Mit einer einstweiligen Verfügung vom 28. April 1995, die am 3. Mai 1995 der ÖTV zugestellt und außerdem allen Streikteilnehmern bekanntgegeben wurde, wurden der ÖTV jegliche Streikmaßnahmen untersagt. Hiergegen legte sie Widerspruch ein und forderte ihre Mitglieder unter Hinweis auf die angeblich aufschiebende Wirkung des Widerspruchs auf, den Streik fortzusetzen. Wegen der Streikbeteiligung kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 1995 fristlos, nachdem sie ihm am Morgen desselben Tages eine schriftliche Abmahnung erteilt hatte. Mit Schreiben vom 9. Mai 1995 wiederholte sie die Kündigung und sprach gleichzeitig hilfsweise eine fristgerechte Kündigung zum 30. Juni 1995 aus. Nachdem das Arbeitsgericht am 5. Mai 1995 den Widerspruch der ÖTV gegen die einstweilige Verfügung zurückgewiesen hatte, brach die Gewerkschaft den Streik ab. Alle Streikenden boten darauf noch an diesem Tage ihre Arbeitskraft wieder an.
Der Kläger war mit seinem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht zum 30. Juni 1995 aufgelöst worden sei, beim Landesarbeitsgericht erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung alternativ auf mehrere Begründungen gestützt: So habe der Kläger auch dann, wenn die Fortführung des Streiks entgegen der einstweiligen Verfügung als rechtswidrig anzusehen sei, nicht schuldhaft gehandelt, denn er habe der Rechtsauskunft der Gewerkschaft vertrauen dürfen, wonach ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung habe. Selbst wenn man ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Klägers annehmen wolle, sei die Kündigung doch unwirksam. Die Beklagte habe den Kläger nämlich ohne erkennbaren Grund gegenüber anderen streikenden Arbeitnehmern benachteiligt, die sie weiter beschäftige. Unabhängig hiervon sei die Kündigung auch deshalb unwirksam, weil die Arbeitgeberin dem Kläger keine angemessene Bedenkzeit zwischen der erforderlichen Abmahnung und der Kündigung gelassen habe. Die Revision hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Divergenz zu einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Erfolglos macht die Beklagte zunächst geltend, die Rechtssache, bei der es sich um den Rechtsstreit zwischen einer tariffähigen Partei und einem Dritten über unerlaubte Arbeitskampfmaßnahmen handele, habe grundsätzliche Bedeutung (§ 72a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG).
Die Beklagte bezieht sich insoweit auf den Teil der Begründung des anzufechtenden Urteils, in dem das Landesarbeitsgericht die weitere Streikbeteiligung des Klägers nach Bekanntgabe der arbeitsgerichtlichen Verbotsverfügung nicht als schuldhafte Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten bewertet hat, weil er der Auskunft seiner Gewerkschaft habe vertrauen dürfen.
Ob diese Frage grundsätzliche Bedeutung hat, kann hier dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ließe sich allein darauf die Nichtzulassungsbeschwerde nicht stützen. Bei den von der Beklagten angeführten Erwägungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich nur um eine von mehreren Alternativbegründungen, auf die das Berufungsurteil gestützt ist. Bei einer derartigen Mehrfachbegründung kann eine grundsätzliche Bedeutung in dessen nur angenommen werden, wenn diese jeder Begründungsvariante zukommt (BAGE 63, 58, 63 = AP Nr. 38 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz, zu II 3 der Gründe). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt nämlich voraus, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von einer durch das Revisionsgericht zu klärenden Rechtsfrage abhängt und dieser Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt.
Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt nicht von der Klärung einer derartigen Rechtsfrage ab. Die grundsätzliche Bedeutung fehlt jedenfalls der einzelfallbezogenen Wertung, ob die Beklagte auf die Streikteilnahme des Klägers, wenn und so weit diese als rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten anzusehen war, schon wenige Stunden nach einer Abmahnung mit der Kündigung reagieren durfte. Die Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, daß insoweit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege.
2. Es fehlt auch an einer rechtserheblichen Divergenz i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.
a) Eine Divergenz setzt voraus, daß die anzufechtende Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der seinerseits von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen, in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht (BAG Beschluß vom 19. November 1979 – 5 AZN 15/79 – AP Nr. 2 zu § 72a ArbGG 1979). Weiter ist erforderlich, daß die anzufechtende Entscheidung auf dem abweichenden Rechtssatz beruht. Dies ist dann der Fall, wenn das Berufungsgericht auf der Grundlage des in der angezogenen Entscheidung enthaltenen Rechtssatzes möglicherweise eine andere, für den Nichtzulassungsbeschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte (Senatsbeschluß vom 15. Juli 1986 – 1 ABN 13/86 – AP Nr. 5 zu § 92a ArbGG 1979). Hieraus folgt für den Fall einer Mehrfachbegründung der anzufechtenden Entscheidung, daß die Revision wegen Divergenz nur zuzulassen ist, wenn jede der Begründungsalternativen einen Rechtssatz enthält, der von einem Rechtssatz eines divergenzfähigen Gerichts abweicht (Senatsbeschluß vom 23. Juli 1996 – 1 ABN 18/96 – AP Nr. 33 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz, zu II 2b der Gründe).
b) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es kann dahinstehen, inwieweit die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz genügt. Jedenfalls hat der Kläger nur insoweit die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 12. April 1973 – 2 AZR 291/72 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu II 7 der Gründe) geltend gemacht, als es um die Frage geht, ob ein Verschulden des Klägers durch sein Vertrauen auf die Rechtsauskunft der Gewerkschaft ausgeschlossen wird. Hinsichtlich der weiteren Begründungen, aus denen das Landesarbeitsgericht ebenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung abgeleitet hat, hat die Beklagte dagegen für eine Divergenz nichts vorgetragen.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Klebe, von Platen
Fundstellen