Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang durch Neuvergabe eines Bewachungsauftrags
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Urteil des Senats vom 22. Januar 1998 (– 8 AZR 775/96 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Normenkette
BGB § 613a
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. Juli 1996 – 2 TaBV 2/96 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob anläßlich der Neuvergabe eines Bewachungsauftrags ein Betriebsübergang erfolgt ist und daher Betriebsvereinbarungen mit Wirkung für den neuen Auftragnehmer fortgelten.
Antragsteller ist der für den Wachbetrieb der I. GmbH (fortan: I. GmbH) in der Bundesforschungsanstalt … (fortan: B.) gebildete Betriebsrat. Die I. GmbH hat ihren Sitz in A.. In der B. in T. beschäftigte sie in Erfüllung eines Bewachungsauftrages bis zum 30. Juni 1995 elf Arbeitnehmer. Mit dem von diesen Arbeitnehmern gewählten Betriebsrat schloß die I. GmbH verschiedene Betriebsvereinbarungen.
Seit einer Neuausschreibung zum 1. Juli 1995 führt die Beteiligte zu 2) den Bewachungsauftrag aus. Dieser ist, wie schon zuvor bei der I. GmbH, auf Wochenend- und Feiertage sowie Abend- und Nachtstunden beschränkt. Während der regelmäßigen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter bewacht die Forschungsanstalt ihre Einrichtung selbst durch eigenes Personal.
Das Gelände und die Gebäude der B. sind vielfältig gesichert. Die gesamte Sicherheitsanlage, bestehend u.a. aus einem Sicherheitszaun, verschiedenen optischen und elektronischen Sicherheitssystemen, einem Computersystem zur Erfassung von Personenbewegungen innerhalb unterschiedlicher Sicherheitsbereiche und einer umfangreich ausgestalteten Wachzentrale, hat einen Wert von über fünf Millionen DM. Während der vergebenen Bewachungszeiten werden die Sicherheitseinrichtungen von dem beauftragten Bewachungsunternehmen genutzt.
Die Beteiligte zu 2) beschäftigt seit dem 1. Juli 1995 für den Bewachungsauftrag der B. u.a. einen der früher für die I. GmbH tätigen Arbeitnehmer. Einen weiteren dieser Arbeitnehmer setzt sie als Aushilfe ein. Die I. GmbH hatte allen elf bei ihr in T. beschäftigten Wachleuten zum 30. Juni 1995 gekündigt.
Der antragstellende Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die mit der I. GmbH geschlossenen Betriebsvereinbarungen würden wegen Betriebsübergangs auch gegenüber der Beteiligten zu 2) fortgelten. Die aufwendigen Sicherheitsanlagen seien für die Fortführung des Betriebszwecks „Überwachung der B.” wesentlich. Da sie von der Beteiligten zu 2) ebenfalls genutzt werden, sei der Wachbetrieb der I. GmbH im Sinne des § 613 a BGB durch Übernahme der Betriebsmittel auf die Beteiligte zu 2) übergegangen.
Der Betriebsrat hat beantragt
festzustellen, daß die von dem Betriebsrat der I. GmbH mit der I. GmbH geschlossenen Betriebsvereinbarungen gegenüber der Beteiligten zu 2) weitergelten.
Die Beteiligte zu 2) hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, ein Betriebsübergang liege nicht vor. Sie habe keine Betriebsmittel übernommen, sondern lediglich die in der Forschungsanstalt vorhandenen und der Anstalt gehörenden Einrichtungen genutzt. Personal habe sie von der I. GmbH nicht übernommen, sondern lediglich einzelne ehemalige Mitarbeiter der I. GmbH neu eingestellt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der Antrag des Betriebsrats ist unbegründet. Die vom Betriebsrat mit der I. GmbH geschlossenen Betriebsvereinbarungen gelten nicht gegenüber der Beteiligten zu 2) weiter, weil diese den Wachbetrieb der I. GmbH nicht gem. § 613 a BGB übernommen hat.
1. Nach der für die Auslegung des § 613 a BGB maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (vgl. nur Urteil vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – Slg 1997 – 3, I-1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, Ayse Süzen/Zehnacker Gebäudereinigung) setzt ein Übergang im Sinne der EWG-Richtlinie Nr. 77/187 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich danach auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf allerdings nicht nur als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
Soweit in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, kann eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie dar. Das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen verliert zwar einen Kunden, besteht aber weiter, ohne daß einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf den neuen Auftragnehmer übertragen worden wäre. Ist zur Erfüllung des jeweiligen Auftrags die Nutzung von durch den Auftraggeber gestellten Arbeitsmitteln und Einrichtungen geboten, hat eine wertende Beurteilung zu erfolgen, ob diese dem Betrieb des Auftragnehmers als eigene Betriebsmittel zugeordnet werden können. Nur dann sind sie in die Gesamtabwägung, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, einzubeziehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie auch des Europäischen Gerichtshofs zum Betriebsübergang beim Pächterwechsel (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 991/78 – BAGE 35, 104 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB; BAG Urteil vom 26. Februar 1987 – 2 AZR 768/85 – AP Nr. 59 zu § 613 a BGB; Senatsurteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 197/94 – BAGE 80, 74 = AP Nr. 128 zu § 613 a BGB; EuGH Urteil vom 10. Februar 1988 – Rs 324/86 – EuGHE 1988, 739 [Daddy's Dance Hall]; EuGH Urteil vom 15. Juni 1988 – Rs 101/87 – EuGHE 1988, 3057 [Bork]) sind einem Betrieb auch solche Gebäude, Maschinen, Werkzeuge oder Einrichtungsgegenstände als sächliche Betriebsmittel zuzurechnen, die nicht im Eigentum des Betriebsinhabers stehen, sondern die dieser aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nutzungsvereinbarung zur Erfüllung seines Betriebszwecks einsetzen kann. Die Nutzungsvereinbarung kann als Pacht, Nießbrauch oder als untypischer Vertrag ausgestaltet sein. Wesentlich ist, daß dem Berechtigten Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung überlassen sind. Erbringt der Auftragnehmer dagegen nur eine (Dienst-)Leistung an fremden Geräten und Maschinen innerhalb fremder Räume, ohne daß ihm die Befugnis eingeräumt ist, über Art und Weise der Nutzung der Betriebsmittel in eigenwirtschaftlichem Interesse zu entscheiden, können ihm diese Betriebsmittel nicht als eigene zugerechnet werden (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997 – 8 AZR 426/94 –, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Maßgebliches Unterscheidungskriterium für die Frage, ob im Eigentum des Auftraggebers stehende Arbeitsmittel Betriebsmittel des sie nutzenden Auftragnehmers sind, ist die Art der vom Auftragnehmer am Markt angebotenen Leistung. Da eine wertende Zuordnung vorzunehmen ist, ist eine typisierende Betrachtungsweise zulässig. Handelt es sich um eine Tätigkeit, für die regelmäßig Maschinen, Werkzeuge, sonstige Geräte oder Räume innerhalb eigener Verfügungsmacht und aufgrund eigener Kalkulation eingesetzt werden müssen, sind auch nur zur Nutzung überlassene Arbeitsmittel dem Betrieb oder dem Betriebsteil des Auftragnehmers zuzurechnen. Ob diese Betriebsmittel für die Identität des Betriebes wesentlich sind, ist Gegenstand einer gesonderten Bewertung.
Wird dagegen vom Auftragnehmer eine Leistung angeboten, die er an den jeweiligen Einrichtungen des Auftraggebers zu erbringen bereit ist, ohne daß er daraus einen zusätzlichen wirtschaftlichen Vorteil erzielen und ohne daß er typischerweise über Art und Umfang ihres Einsatzes bestimmen könnte, gehören diese Einrichtungen nicht zu den Betriebsmitteln des Auftragnehmers (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997, a.a.O.).
2. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ist der Wachbetrieb der I. GmbH nicht auf die Beteiligte zu 2) übergegangen. In der Neuvergabe des Bewachungsauftrags an die Beteiligte zu 2) liegt eine bloße Funktionsnachfolge. Die Beteiligte zu 2) hat von der I. GmbH keinen wesentlichen Personalbestand und auch keine Betriebsmittel übernommen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Beteiligte zu 2) durch die Benutzung der Sicherheitseinrichtungen der Forschungsanstalt keine sächlichen Betriebsmittel der I. GmbH übernommen.
Bewachungsleistungen werden üblicherweise nur unter Einsatz einfacher Arbeitsmittel wie Handys, Stechuhren, Taschenlampen, Uniformen, evtl. auch Waffen und Hunden angeboten. Diese setzt der Anbieter aufgrund eigener Kalkulation und Verfügungsmacht ein. Komplizierte und teure Sicherheitssysteme werden hingegen vom Auftraggeber vorgegeben und unterhalten.
Dies trifft auch für den an der B. ausgeführten Überwachungsauftrag zu. Die I. GmbH konnte die Anlagen der Forschungsanstalt nur zeitweise nutzen, nämlich abends, an Wochenenden und feiertags. Während der Zeit des normalen Dienstbetriebes in der B. wurden die Sicherheitseinrichtungen allein von Mitarbeitern der B. genutzt. Über Art und Ausgestaltung des Einsatzes der Sicherheitssysteme hatte die I. GmbH nicht zu bestimmen, eine eigenwirtschaftliche Kalkulation mit diesen Arbeitsmitteln war ausgeschlossen. Die Bewachungsleistungen wurden nach Arbeitsstunden abgerechnet. In gleicher Weise werden die Sicherheitseinrichtungen der B. nunmehr von der Beteiligten zu 2) genutzt. Die Sicherheitseinrichtungen gehörten daher weder zu den Betriebsmitteln der I. GmbH, noch gehören sie nunmehr zu den Betriebsmitteln der Beteiligten zu 2).
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Rosendahl, Umfug
Fundstellen