Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 n.F.; ArbGG § 5 Abs. 1 S. 3, § 48; GVG § 17 a
Verfahrensgang
ArbG Fulda (Beschluss vom 28.05.1998; Aktenzeichen 2 Ca 174/98) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Fulda bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und hilfsweise, falls die Kündigung wirksam ist, um Ruhegehaltsansprüche.
Aufgrund Dienstvertrags vom 17. März 1992 war der Kläger ab 1. Juli 1992 für die beklagte Industrie- und Handelskammer tätig, ab 1. November 1992 als deren Hauptgeschäftsführer. Dazu war der Kläger durch Beschluß der Vollversammlung der Beklagten vom 17. März 1992 bestellt worden. In der Satzung der Beklagen heißt es:
Ҥ 7 Vertretung
(1) Der Präsident und der Hauptgeschäftsführer vertreten die Kammer rechtsgeschäftlich und gerichtlich. Der Präsident kann dabei von einem Vizepräsidenten vertreten werden, der Hauptgeschäftsführer durch seinen ständigen Vertreter.
(2) Für die Geschäfte der laufenden Verwaltung ist der Hauptgeschäftsführer allein vertretungsberechtigt; er kann durch seinen ständigen Vertreter vertreten werden.”
In der außerordentlichen Sitzung der Vollversammlung der Beklagten am 30. Oktober 1997 beschloß die Vollversammlung einstimmig, den Kläger als Hauptgeschäftsführer abzuberufen. Das Präsidium wurde beauftragt, über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen dieser Abberufung eigenständig zu entscheiden. Mit Schreiben vom selben Tage sprach die Beklagte die fristlose Kündigung des Dienstvertrags aus.
Der Kläger hält die Kündigung aus mehreren Gründen für unwirksam. Er hat Klage zum Landgericht Fulda erhoben. Die Beklagte hält die Kündigung dagegen für wirksam. Sie hat die Rechtswegzuständigkeit gerügt.
Das Landgericht hat durch Beschluß vom 26. Februar 1998 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Fulda verwiesen. Dieses hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht für gegeben erachtet und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des Rechtswegs vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Fulda. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Fulda ist bindend.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Durch das Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I Seite 3224) ist der nach § 46 Abs. 2 ArbGG auch im Arbeitsgerichtsverfahren anwendbare § 36 ZPO geändert worden. Der bisherige Wortlaut wurde Absatz 1, die Absätze 2 und 3 wurden angefügt. Nach § 36 Abs. 2 ZPO n. F. wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befaßte Gericht gehört, wenn das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist. Im Arbeitsgerichtsverfahren entscheidet also das Landesarbeitsgericht, wenn das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht das Bundesarbeitsgericht ist.
§ 36 ZPO betrifft seinem Wortlaut und ursprünglichen Sinn nach zunächst nur Fälle, in denen sich Gerichte derselben Gerichtsbarkeit für örtlich oder sachlich unzuständig erklären. Es ist aber anerkannt, daß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten entsprechend anwendbar ist (BAGE 44, 264 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO), da andernfalls Rechtsschutzverweigerung einträte. In derartigen Fällen war und ist weiterhin das zuständige Gericht von dem obersten Gerichtshof des Bundes zu bestimmen, das zunächst um die Bestimmung angegangen wurde. Daran hat die Anfügung der Absätze 2 und 3 an § 36 nichts geändert (so ausdrücklich die Materialien – BT-Drucks. 13/9124, Seite 46).
Um einen solchen Fall handelt es hier. Das Landgericht Fulda und das Arbeitsgericht Fulda haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.
2. a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F., § 48 Abs. 1 ArbGG n. F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992, aaO). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1, zu II 3a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
3. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts ist zwar fehlerhaft, aber nicht in einem solchen Maße, daß er als offensichtlich gesetzwidrig anzusehen wäre.
a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG 1979 “gelten … in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit Personen, die kraft Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind”, nicht als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes. Diese Vorschrift ist auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts wie die beklagte Industrie- und Handelskammer (§ 3 Abs. 1 IHK-Gesetz) anwendbar.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt der Kläger deshalb nicht als Arbeitnehmer, weil er kraft Satzung allein zur Vertretung der juristischen Person berufen war, bei der er angestellt war oder ist.
Die Vorschrift stellt auf die formale Vertreterstellung des Mitarbeiters aufgrund Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags ab. Auf den Umfang der darauf beruhenden Vertretungsmacht kommt es nicht an. Eine gesetzliche oder in der Satzung bzw. in dem Gesellschaftsvertrag enthaltene Beschränkung der Vertretungsmacht, etwa auf Gesamtvertretung, auf die laufenden Geschäfte, oder auf Geschäfte besonderer Art oder nur bis zu einer gewissen Größenordnung schließt – unabhängig von ihrer Wirksamkeit (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB einerseits und § 126 Abs. 2 HGB, § 37 Abs. 2 GmbHG andererseits) – die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht aus. Findet die Organstellung durch Zeitablauf, Widerruf, Abberufung oder Amtsniederlegung ihr Ende, so besteht das Anstellungsverhältnis bis zu seinem Ablauf oder seiner Kündigung fort. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist nach seinem Sinn und Zweck auch auf Streitigkeiten aus dem der Bestellung zugrunde liegenden Anstellungsvertrag anzuwenden. Der frühere Organvertreter wird durch den Verlust der Organstellung nicht gleichsam automatisch zum Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs (vgl. BAG Beschluß vom 11. April 1997 – 5 AZB 32/96 – NZA 1997, 902; BGH Urteil vom 9. Februar 1978 – II ZR 189/76 – AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG).
Der Kläger war kraft Satzung allein zur Vertretung der Beklagten berufen. Das folgt aus § 7 Abs. 2 der Satzung, wonach der Hauptgeschäftsführer für die Geschäfte der laufenden Verwaltung allein vertretungsberechtigt ist. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang die allgemeine Vertretungsregelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 der Satzung, wonach der Präsident und der Hauptgeschäftsführer die Kammer rechtsgeschäftlich und gerichtlich vertreten. Beide Bestimmungen halten sich im Rahmen des § 7 Abs. 2 IHK-Gesetz, wonach “Präsident (Präses) und Hauptgeschäftsführer … nach näherer Bestimmung der Satzung die IHK rechtsgeschäftlich und gerichtlich” vertreten.
Selbst wenn anzunehmen wäre, daß die Vertretungsmacht des Hauptgeschäftsführers in Geschäften der laufenden Verwaltung keine ausschließliche ist, sondern daneben auch eine Vertretung nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 erfolgen könne, stünde dies der Annahme einer Alleinvertretung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG durch den Hauptgeschäftsführer in Geschäften der laufenden Verwaltung nicht entgegen. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verlangt schon dem Wortlaut nach nicht das Vorliegen einer ausschließlichen Vertretungsmacht (BAG Beschluß vom 11. April 1997, aaO). Es kann daher dahin stehen, ob der Hauptgeschäftsführer auch eine Organstellung hat.
Die Arbeitsgerichte sind auch nicht dadurch zuständig geworden, daß der Kläger als Hauptgeschäftsführer abberufen wurde. Anhaltspunkte dafür, daß das Anstellungsverhältnis, das Grundlage der Bestellung zum Organvertreter war, nach dessen Beendigung zu einem Arbeitsverhältnis geworden ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es hat während der Bestellung zum Organvertreter auch kein Arbeitsverhältnis ruhend fortbestanden, das nach seiner Beendigung wieder hätte aufleben können. Daher hat der Kläger zu Recht Klage zum Landgericht erhoben.
b) Dennoch ist der Verweisungsbeschluß nicht offensichtlich gesetzwidrig. Die Vorstellung, daß die Vertretungsmacht des Organvertreters nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unbeschränkt sein müsse, so wie diese für den GmbH-Geschäftsführer und den OHG-Gesellschafter, nicht aber für den Vereinsvorstand der Fall ist (vgl. § 37 Abs. 2 GmbHG, § 126 Abs. 2 HGB, § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB), ist noch immer häufig anzutreffen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für Klagen ehemaliger Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder nicht durchgehend verneint (vgl. etwa BAG Beschluß vom 18. Dezember 1996 – 5 AZB 25/96 – AP Nr. 3 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Daher sieht der Senat den Verweisungsbeschluß des Landgerichts noch nicht als offensichtlich gesetzwidrig an. Dabei ist unberücksichtigt geblieben, daß beide Parteien den Verweisungsbeschluß als bindend, da nicht offensichtlich gesetzwidrig, angesehen und Rechtsmittel nicht eingelegt haben.
c) Nach alledem ist der Verweisungsbeschluß des Landgerichts bindend. Die Verweisung erfaßt auch den Hilfsantrag. Jedoch besteht insoweit keine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. Das Gericht, an das verwiesen worden ist, hier also das Arbeitsgericht, hat nach Abweisung des Hauptantrags den Hilfsantrag bei Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück- oder weiterzuverweisen (BGH Urteil vom 28. Mai 1956 – III ZR 326/54 – LM § 51 SGG Nr. 2 = NJW 1956, 1357; OVG Münster Urteil vom 30. November 1992 – 23 A 1471/90 – NVwZ 1994, 795, 797).
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Mikosch
Fundstellen