Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftsausschuss. Tendenzunternehmen. karitative Bestimmung
Orientierungssatz
1. Ein auf die Feststellung des (Nicht-)Bestehens der Tendenzeigenschaft eines Betriebs gerichteter Antrag ist unzulässig. Er ist nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet.
2. Die Vorschriften der §§ 106 bis 110 BetrVG über die Bildung und Aufgaben eines Wirtschaftsausschusses sind nach § 118 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG nicht auf Unternehmen anzuwenden, die tendenzgeschützten Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG oder privilegierten Zwecken nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG dienen. Hierfür kommt es allein auf die Bestimmung oder den Zweck des Unternehmens an, weil der Wirtschaftsausschuss bei diesem und nicht beim Betrieb zu bilden ist.
3. Ein Unternehmen mit nur einem Betrieb „dient” nicht tendenzgeschützten Bestimmungen, wenn dieser einzige Betrieb keine solche Bestimmung aufweist.
Normenkette
BetrVG §§ 106-110, 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 Hs. 1; SGB IX § 136 ff.; ZPO § 256 Abs. 1, § 286; Abgabenordnung (AO) §§ 51-53; Werkstättenverordnung (WVO) § 12 Abs. 3; Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 29.08.2012; Aktenzeichen 7 TaBV 4/12) |
ArbG Solingen (Beschluss vom 25.11.2011; Aktenzeichen 2 BV 23/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. August 2012 – 7 TaBV 4/12 – unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen teilweise aufgehoben und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Bildung des Wirtschaftsausschusses durch den Betriebsrat unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 25. November 2011 – 2 BV 23/09 – zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses.
Die Arbeitgeberin betreibt in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH eine von der Bundesagentur für Arbeit anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen iSv. §§ 136 ff. SGB IX (WfbM) mit mehr als 100 Arbeitnehmern und etwa 550 behinderten Mitarbeitern. In ihrem Betrieb ist der zu 2. beteiligte Betriebsrat gebildet. Über den Gesellschaftsgegenstand und die Gemeinnützigkeit der Arbeitgeberin heißt es in ihrem Gesellschaftsvertrag in der Fassung vom 31. August 1994:
„§ 2 |
Gegenstand der Gesellschaft |
(1) |
Gegenstand der Gesellschaft sind die Errichtung, die Anmietung, die Unterhaltung, der Betrieb und die Förderung von Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe, insbesondere die Übernahme der Werkstatt für Behinderte in S mit allen Betriebsstätten sowie sonstigen Einrichtungen vom Verein Lebenshilfe für geistig Behinderte, Ortsvereinigung S e.V. mit dem Sitz in S mit allen Rechten und Pflichten, sowie der Betrieb einer integrativen Kindertagesstätte. |
(2) |
Alle Maßnahmen der Gesellschaft dienen einer wirksamen Eingliederung geistig und körperlich behinderter Menschen, im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), des Arbeitsförderungsgesetzes und des Schwerbehindertengesetzes zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes und der Förderung ihrer seelischen, geistigen und körperlichen Fähigkeiten. |
(3) |
Für Personen, die wegen ihrer Behinderung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keine Arbeit finden, stellt die Werkstatt für Behinderte Dauerarbeitsplätze zur Verfügung. |
… |
|
§ 3 |
Gemeinnützigkeit |
(1) |
Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der §§ 51 ff AO 1977. |
|
Die Gesellschaft ist selbstlos tätig, sie verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. |
(2) |
Die Gesellschaft darf keine Personen durch Ausgaben, die dem Gegenstand des Unternehmens und dem Zweck der Gesellschaft fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütung begünstigen. |
(3) |
Die Gesellschaft darf keine artfremden gewerblichen Unternehmen betreiben. |
(4) |
Die Mittel der Gesellschaft dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Der Gesellschafter erhält keine Zuwendungen aus Mitteln der Gesellschaft.” |
Die Arbeitgeberin ist alleinige Gesellschafterin eines Tochterunternehmens, der I gGmbH (I). Der Betriebsrat geht davon aus, dass diese Gesellschaft gewinnorientiert arbeitet. Zuletzt betrieb die I noch ein Restaurant.
Die WfbM umfasst die Bereiche Berufsbildung, Produktion, Garten- und Landschaftsbau sowie eine Verwaltung. Alle behinderten Menschen, die in die Werkstatt aufgenommen werden sollen, durchlaufen zunächst das bis zu drei Monate dauernde Eingangsverfahren. Dessen Ziel ist es festzustellen, ob die WfbM die geeignete Einrichtung ist, welche berufsbildenden ergänzenden Leistungen zur Teilhabe und Eingliederung in das Arbeitsleben in Betracht kommen und welche Beschäftigungsmöglichkeiten geeignet sind. Es werden Förderpläne erstellt, über deren Umsetzung die Beteiligten streiten. Die Arbeitgeberin beschäftigt mehr als 50 Arbeitnehmer als Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung (FAB). Diese arbeiten mit den behinderten Menschen zusammen und unterstützen deren Fähigkeiten. In der Produktion sind neben den FAB etwa 20 Zusatzkräfte tätig, die den pflegerischen und betreuerischen Zusatzbedarf abdecken. Acht Arbeitnehmer arbeiten im sog. „begleitenden Dienst”. Sie sind sonderpädagogische, betreuerische sowie sozialpädagogische Fachkräfte. 15 Arbeitnehmer, die überwiegend keine pädagogische Ausbildung haben, werden als Produktionshelfer oder im Lager beschäftigt. Daneben sind ca. 10 Arbeitnehmer in der Verwaltung tätig.
Die Arbeitgeberin führt keine Eigenproduktion durch, sondern nimmt Aufträge von Dritten, insbesondere von Industrieunternehmen an. Insgesamt erteilen mehr als 100 Kunden über 1.000 Aufträge jährlich. Vor Annahme eines neuen Auftrags, der noch nicht durchgeführte Tätigkeiten betrifft, wird in aller Regel eine sog. Machbarkeitsprüfung durchgeführt. In der Produktion werden unter Einsatz der behinderten Mitarbeiter regelmäßig Verpackungsarbeiten – für eine Firma auch in sog. Außengruppen in deren Betriebsräumen –, Metallbearbeitungen sowie Druck- und Montagearbeiten durchgeführt. Im Garten- und Landschaftsbau werden für Dritte Garten- und Grünflächenpflegearbeiten erbracht. Bestimmte Aufgaben wie Qualitätskontrollen, Maschineneinrichtungen, Inventuren, Arbeiten mit Kettensägen und Motorheckenscheren oder das Spritzen von Pflanzenschutzmitteln werden ausschließlich von den Arbeitnehmern durchgeführt. Die mit den Auftraggebern geschlossenen Verträge sehen häufig Liefertermine vor. Unter anderem bei Termindruck oder bei Ausfällen von behinderten Mitarbeitern kommt es zu Überstunden der Arbeitnehmer oder auch dazu, dass ein Auftrag – um seine Erledigung sicherzustellen – nur von Arbeitnehmern bearbeitet wird.
Der Betriebsrat teilte der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 3. Juli 2009 mit, er habe die Gründung eines Wirtschaftsausschusses beschlossen. Dem widersprach die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 23. Juli 2009 unter Berufung auf ihren Tendenzschutz.
In dem von ihr eingeleiteten Beschlussverfahren hat die Arbeitgeberin die Auffassung vertreten, bei ihr sei kein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Sie diene karitativen Zwecken, indem sie durch Beschäftigung behinderten Menschen ermögliche, ihre Leistungs- und Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Hierzu sei sie auf Aufträge von Dritten angewiesen, weshalb sie sich im allgemeinen Wettbewerb behaupten müsse.
Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass es sich bei ihrem Betrieb um einen Tendenzbetrieb iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt, so dass § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der die Bildung eines Wirtschaftsausschusses vorschreibt, nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht anwendbar ist und die Bildung des Wirtschaftsausschusses durch den Beteiligten zu 2. unwirksam ist;
hilfsweise,
- festzustellen, dass § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der die Bildung eines Wirtschaftsausschusses vorschreibt, nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auf sie nicht anwendbar ist und die Bildung des Wirtschaftsausschusses durch den Beteiligten zu 2. unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die WfbM sei ein Mischbetrieb. Die Arbeitnehmer setzten ihre Arbeitskraft überwiegend in der Produktion und nicht für die Betreuung und Förderung der behinderten Mitarbeiter ein. Im Vordergrund stehe die termingerechte Abarbeitung der Kundenaufträge zur Sicherung der Umsatzerlöse; die Förderung der behinderten Menschen sei nachrangig. Bei der Beteiligung an der I handele es sich um ein nicht-karitatives Tätigkeitsfeld der Arbeitgeberin. Im Übrigen werde er gegenüber dem Werkstattrat als Interessenvertretung der behinderten Menschen benachteiligt, stünden diesem doch Informationsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht dem Hauptantrag entsprochen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist insoweit begründet, als das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, dass es sich bei dem Betrieb der Arbeitgeberin um einen Tendenzbetrieb handelt. Der hierauf gerichtete Hauptantrag ist unzulässig. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem gleichfalls vom Hauptantrag umfassten Begehren der Feststellung der Unwirksamkeit der Bildung eines Wirtschaftsausschusses zu Recht entsprochen. Dieser Antrag ist zulässig und begründet. Der Hilfsantrag, mit dem die Arbeitgeberin kein anderes Rechtsschutzziel verfolgt als das bereits vom zulässigen Hauptantrag umfasste, fällt nicht zur Entscheidung an.
I. Der Hauptantrag ist unzulässig, soweit die Arbeitgeberin mit ihm die Feststellung begehrt, dass ihr Betrieb ein Tendenzbetrieb ist.
1. Wie die Auslegung des Hauptantrags ergibt, verfolgt die Arbeitgeberin mit ihm zwei Ziele. Neben der Feststellung, dass die Bildung eines Wirtschaftsausschusses unwirksam ist, geht es ihr um den gerichtlichen Ausspruch, dass es sich bei ihrem Betrieb um einen Tendenzbetrieb iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt. An diesem Verfahrensziel hat sie zuletzt mit Schriftsatz vom 1. Juni 2011 ausdrücklich festgehalten.
2. Der Antrag festzustellen, dass es sich bei dem Betrieb der Arbeitgeberin um einen Tendenzbetrieb iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt, ist unzulässig. Er ist nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Die Frage, ob der Betrieb der Arbeitgeberin unmittelbar oder überwiegend karitativen Bestimmungen iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient, betrifft allenfalls eine (nicht feststellungsfähige) Vorfrage eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. ausf. BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 93/09 – Rn. 11 ff., BAGE 136, 334). Sie ist nicht geeignet, das zwischen den Beteiligten bestehende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis einer Klärung zuzuführen. Im Übrigen klärte der Antrag der Arbeitgeberin vorliegend auch nicht einmal eine Vorfrage. Anlass des Verfahrens ist die vom Betriebsrat beschlossene Errichtung eines Wirtschaftsausschusses. Da dieser nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unternehmensbezogen zu bilden ist, kommt es für die Nichtanwendung der §§ 106 bis 110 BetrVG nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG allein auf die Tendenzeigenschaft des Unternehmens an.
II. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Bildung des Wirtschaftsausschusses gerichtete Hauptantrag der Arbeitgeberin ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist auf die Klärung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnis gerichtet, im Unternehmen der Arbeitgeberin einen Wirtschaftsausschuss zu bilden oder nicht (vgl. BAG 15. März 2006 – 7 ABR 24/05 – Rn. 18 mwN; 5. Oktober 2000 – 1 ABR 14/00 – zu B I der Gründe mwN). Hierbei handelt es sich um ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Für die begehrte Feststellung besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Mit dem Antrag kann auch für die Zukunft geklärt werden, ob bei der Arbeitgeberin – bei im Wesentlichen unverändert fortbestehenden Tatsachen – ein Wirtschaftsausschuss zu errichten ist oder nicht (vgl. BAG 15. März 2006 – 7 ABR 24/05 – Rn. 20).
2. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist ein Tendenzunternehmen iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, das unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dient und in dem nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Bildung eines Wirtschaftsausschusses ausgeschlossen ist.
a) Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist in allen Unternehmen mit mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Die Vorschriften der §§ 106 bis 110 BetrVG sind nach § 118 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG nicht auf Unternehmen anzuwenden, die tendenzgeschützten Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG oder privilegierten Zwecken nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG dienen. Dabei kommt es nur auf die Bestimmung oder den Zweck des Unternehmens an, weil der Wirtschaftsausschuss bei diesem und nicht beim Betrieb zu bilden ist (vgl. BAG 22. Mai 2012 – 1 ABR 7/11 – Rn. 18, BAGE 141, 367; 15. März 2006 – 7 ABR 24/05 – Rn. 26).
b) Ein tendenzneutrales Unternehmen kann keinen Tendenzbetrieb unterhalten, weil der Betrieb als arbeitstechnische Teilorganisation des Unternehmens keinen anderen Zweck verfolgen kann als das Unternehmen selbst. Andererseits kann die tendenzgeschützte Zielsetzung eines Unternehmens mit mehreren Betrieben sich in einem oder einigen Betrieben niederschlagen, in anderen nicht (BAG 27. Juli 1993 – 1 ABR 8/93 – zu B III 1 a der Gründe). Umgekehrt „dient” ein Unternehmen mit nur einem Betrieb nicht tendenzgeschützten Bestimmungen, wenn dieser einzige Betrieb keine solche Bestimmung aufweist.
c) Ein Unternehmen dient karitativen Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, wenn es den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel hat und auf Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Einzelnen oder auf deren vorbeugende Abwehr gerichtet ist. Dazu muss das Unternehmen den karitativen Bestimmungen unmittelbar dienen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Hilfe von dem Unternehmen gegenüber körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen direkt erbracht wird (BAG 22. Mai 2012 – 1 ABR 7/11 – Rn. 22 mwN, BAGE 141, 367). Weitere Voraussetzungen sind, dass die Tätigkeit des Unternehmens ohne Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und der Unternehmer nicht ohnehin von Gesetzes wegen zu derartigen Hilfeleistungen verpflichtet ist (BAG 14. Mai 2013 – 1 ABR 10/12 – Rn. 17).
d) Hiernach unterfällt das Unternehmen der Arbeitgeberin dem Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass es unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dient. Die dieser Annahme zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung lässt rechtsbeschwerderechtlich erhebliche Rechtsfehler nicht erkennen.
aa) Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeitgeberin führt nicht notwendig dazu, dass sie auch unmittelbar karitativen Bestimmungen iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik der §§ 51 ff. AO. § 52 AO bezieht sich auf die Gemeinnützigkeit und unterscheidet sich von der Mildtätigkeit (§ 53 AO), die zwar strukturell dem Begriff des „karitativen” nahekommt, ihn aber nicht für andere Regelungszusammenhänge vorgibt (vgl. hierzu BAG 22. Mai 2012 – 1 ABR 7/11 – Rn. 23 mwN, BAGE 141, 367).
bb) Das Unternehmen der Arbeitgeberin ist aber überwiegend und unmittelbar auf den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen und auf die Heilung, Milderung oder die vorbeugende Abwehr der inneren oder äußeren Nöte Hilfsbedürftiger gerichtet.
(1) Das folgt – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – aus § 2 des Gesellschaftsvertrags. In dem darin niedergelegten Unternehmensgegenstand drückt sich eine karitative Bestimmung aus. Die angestrebte berufliche Eingliederung oder Wiedereingliederung behinderter Menschen in das Arbeitsleben ist eine Hilfeleistung am leidenden Menschen. Dabei ist unerheblich, ob diese Hilfe schon dadurch wirksam wird, dass die behinderten Menschen bei der Arbeitgeberin sinnvoll, dh. mit einem wirtschaftlich verwertbaren Ergebnis beschäftigt werden, oder ob dieses Ziel erst dann erreicht ist, wenn die behinderten Menschen nach einer Beschäftigung bei der Arbeitgeberin wieder in das allgemeine Arbeitsleben eingegliedert werden können (vgl. BAG 7. April 1981 – 1 ABR 83/78 – zu B III 2 der Gründe).
(2) Auch „dient” das Unternehmen der Arbeitgeberin karitativen Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Die WfbM als einziger Betrieb des Unternehmens verfolgt keinen anderen, nicht tendenzgeschützten (Betriebs-)Zweck.
(a) Es handelt sich bei der WfbM nicht um einen sog. Mischbetrieb. Die Werkstatt bezweckt nichts anderes, als behinderten Menschen, die wegen der Art oder der Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung finden, eine angemessene beruflichen Bildung anzubieten, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu erhöhen oder wiederzugewinnen sowie ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
(b) Dem stehen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde die Vereinbarung und Einhaltung von Leistungsterminen bei der Auftragsbearbeitung sowie die Durchführung von Qualitätskontrollen nicht entgegen. Da die Teilhabe am Arbeitsleben und die Förderung der behinderten Menschen vor allem durch Aufträge Dritter erreicht werden soll, muss die Arbeitgeberin Qualitätsstandards und Leistungstermine einhalten. Das dient dazu, Auftraggeber zu gewinnen und zu erhalten. Die Vereinbarung und Einhaltung von Standards und Terminen kann im Übrigen gerade unter dem Gesichtspunkt der Inklusion auch dazu beitragen, Menschen mit Behinderung – so gut es geht – in die „normale” Arbeitswelt einzugliedern. Das gilt auch für das vom Betriebsrat vorgebrachte Argument, von den behinderten Mitarbeitern seien die Arbeiten für einen Auftraggeber sogar in dessen Betriebsräumen – und nicht in der Werkstatt – zu erbringen. Ob die Auftraggeber mit der Beauftragung der Arbeitgeberin einen Tendenzzweck verfolgen, spielt keine Rolle. Entscheidend ist allein die Tendenzbestimmung der Arbeitgeberin.
(c) Ebenso schließt die Mitarbeit von Arbeitnehmern bei der Auftragsausführung den Tendenzzweck der WfbM nicht aus. Zum einen müssen nicht alle Arbeitnehmer Tendenzträger sein. Zum anderen dient auch dieser Einsatz dem karitativen Ziel. Von den Arbeitnehmern werden Arbeitsschritte ausgeführt, ohne die die Abarbeitung von Aufträgen nicht möglich wäre, weil die behinderten Mitarbeiter sie wegen der Gefahren bei der Ausführung oder der Komplexität der Aufgabe nicht übernehmen können.
(d) Die vom Betriebsrat vorgebrachten und mit der Rechtsbeschwerde zT vertieften Beanstandungen – wie etwa die mangelhafte Umsetzung der Förderpläne, Unzulänglichkeiten bei den Machbarkeitsprüfungen, die dem Leistungsund Termindruck geschuldete Notwendigkeit von Überstunden der Arbeitnehmer, die aufgetretenen Auftragsbearbeitungen durch die Arbeitnehmer ohne Einsatz der behinderten Mitarbeiter oder auch die in einem Beispiel näher bemäkelte Preiskalkulation – gebieten nicht den Schluss, mit der WfbM werde ein überwiegend produktiver und damit im Ergebnis nicht (mehr) tendenzgeschützter Betriebszweck verfolgt. Die angeführten Beispiele mögen darauf deuten, dass die betriebliche Umsetzung der karitativen Bestimmung des Unternehmens der Arbeitgeberin weder reibungslos noch optimal verläuft. Dies stellt jedoch nicht die Tendenzeigenschaft der Arbeitgeberin in Frage.
(3) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend eine Gewinnerzielungsabsicht der Arbeitgeberin verneint. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Hilfeleistung für leidende Menschen unentgeltlich oder allenfalls zu einem nicht kostendeckenden Entgelt geschieht. Es genügt vielmehr, dass der Träger des Unternehmens seinerseits mit seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer Gewinnerzielungsabsicht verfolgt. Das ist auch dann der Fall, wenn er bis zur Höhe der Kostendeckung Einnahmen aus der Betätigung erzielt (vgl. BAG 22. Mai 2012 – 1 ABR 7/11 – Rn. 20, BAGE 141, 367). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde führen auch das Anstreben wirtschaftlicher Arbeitsergebnisse, das im Übrigen in § 12 Abs. 3 der Werkstättenverordnung (vom 13. August 1980 – BGBl. I S. 1365 – zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 – BGBl. I S. 2959 – WVO) vorgegeben ist, und das etwaige Ziel der Arbeitgeberin, Erlöse aus ihrer Betätigung steigern zu können, nicht zur Bejahung einer Gewinnerzielungsabsicht. Nichts anderes folgt daraus, dass die Arbeitgeberin Gesellschafterin der I ist. Die Tendenzeigenschaft ist anhand des Unternehmens zu bestimmen; gesellschaftsrechtliche Verflechtungen mit anderen Unternehmen bleiben außer Betracht. Sind mehrere Unternehmen in einem Konzern oder in anderer Weise verbunden, kommt es ausschließlich auf das Unternehmen an, dessen Tendenzeigenschaft jeweils gesondert zu prüfen ist (vgl. BAG 30. Juni 1981 – 1 ABR 30/79 – zu B III der Gründe, BAGE 35, 352; Fitting 27. Aufl. § 118 BetrVG Rn. 6 f.).
(4) Die Arbeitgeberin verfolgt die karitativen Zwecke unmittelbar. Ihr Unternehmen erbringt die Hilfe am körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen direkt.
(5) Die Arbeitgeberin ist nicht von Gesetzes wegen verpflichtet, Aufgaben im Bereich der Rehabilitation und der Teilhabe behinderter Menschen wahrzunehmen. Sie hat sich diesen Zweck selbst gegeben.
(6) Die mit der Rechtsbeschwerde angebrachten Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
(a) Die Rüge des Betriebsrats, das Landesarbeitsgericht habe seine – im Einzelnen näher angegebenen – „… Einwendungen gegen die Behauptung der Antragstellerin, sie sei ein Tendenzbetrieb … überhaupt nicht berücksichtigt” und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist bereits unzulässig. Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Bewertung nicht ausdrücklich auf jeglichen in den Schriftsätzen gehaltenen Vortrag eingegangen ist, bedeutet nicht, dass es diesen bei seiner Entscheidungsfindung außer Acht gelassen hätte. Hierfür bedürfte es besonderer Anhaltspunkte (vgl. BVerfG 31. März 2006 – 1 BvR 2444/04 – Rn. 18, BVerfGK 7, 485; BAG 24. November 2011 – 2 AZR 429/10 – Rn. 47, BAGE 140, 47), an denen es vorliegend offenkundig fehlt.
(b) Auch die Rüge übergangener Beweisangebote (Art. 103 Abs. 1 GG iVm. § 286 ZPO) ist nicht zulässig erhoben. Es fehlen Ausführungen dazu, welches Ergebnis die vom Landesarbeitsgericht unterlassene Beweiserhebung voraussichtlich gehabt hätte und weshalb die Unterlassung der Beweiserhebung für den angefochtenen Beschluss kausal war (vgl. zu dieser Voraussetzung BAG 13. Februar 2013 – 7 ABR 36/11 – Rn. 42). Die Verfahrensrüge erschöpft sich vielmehr darin, auf das Unterlassen einer aus Sicht des Betriebsrats „zwingend erforderliche(n) Ladung und Vernehmung der Gruppenleiter” zu verweisen.
e) Schließlich steht dem Ausschluss der Bildung eines Wirtschaftsausschusses bei der Arbeitgeberin nicht entgegen, dass dem Werkstattrat als Vertreter der Interessen der Mitarbeiter mit Behinderungen gegenüber der Werkstattleitung Mitwirkungsrechte bei der „Darstellung und Verwendung des Arbeitsergebnisses, insbesondere Höhe der Grund- und der Steigerungsbeträge, unter Darlegung der dafür maßgeblichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse” eingeräumt sind (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a der WerkstättenMitwirkungsverordnung vom 25. Juni 2001 BGBl. I S. 1297 – WMVO). Auch der Werkstattrat kann kein dem Wirtschaftsausschuss entsprechendes Gremium errichten. Der Betriebsrat ist nicht „schlechter” gestellt; über den Umfang seiner gesetzlichen Informationsrechte war vorliegend nicht zu befinden.
Unterschriften
Schmidt, Koch, K. Schmidt, Hromadka, Olaf Kunz
Fundstellen
Haufe-Index 7279425 |
BB 2014, 2548 |
DB 2014, 2540 |