Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, §§ 148, 302; ArbGG n.F. § 48 Abs. 1; GVG § 17 Abs. 2; GVG n.F. § 17a Abs. 2, 4
Verfahrensgang
ArbG Hanau (Urteil vom 06.09.1995; Aktenzeichen 1 Ca 39/95) |
AG Büdingen |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Büdingen bestimmt.
Tatbestand
A. Der Kläger war Arbeitnehmer des Beklagten. Gleichzeitig bestand zwischen den Parteien ein Mietverhältnis über Räume, die sich im Amtsgerichtsbezirk Büdingen befinden.
Mit seiner beim Arbeitsgericht Hanau erhobenen Klage machte der Kläger Restlohn- und Urlaubsabgeltungsansprüche geltend. Der Beklagte rechnete mit Ansprüchen aus dem beendeten Mietverhältnis auf. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 6. September 1995 wurde der Beklagte zur Zahlung unter Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung verurteilt. Im Tenor dieses Urteils heißt es:
1. Der Beklagte wird unter Vorbehalt der Entscheidung über die von ihm laut Tatbestand erklärte Aufrechnung verurteilt, an den Kläger 1.848,89 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Februar 1995 zu zahlen.
…
4. Es wird festgestellt, daß für die von dem Beklagten laut Tatbestand erklärte Aufrechnung der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht gegeben ist.
Das Amtsgericht Büdingen ist insoweit zuständig.
Daraufhin wurde die Akte dem Amtsgericht Büdingen übersandt. Dieses vertrat die Auffassung, daß das Arbeitsgericht Hanau auch über die Aufrechnungsforderung mit zu entscheiden habe, das Amtsgerichts also nicht zuständig sei und eine bindende Verweisung nicht erfolgt sei. Dies hielt der zuständige Richter in einem Aktenvermerk vom 3. November 1995 fest. Daraufhin wurde die Akte dem Arbeitsgericht Hanau zurückgesandt. Dies hat sie dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Die Parteien sind von der Weigerung des Amtsgerichts Büdingen, den Rechtsstreit zu übernehmen, und dem Inhalt des Aktenvermerks in Kenntnis gesetzt worden.
Entscheidungsgründe
B. Zuständig ist das Amtsgericht Büdingen. Die Verweisungsentscheidung des Arbeitsgerichts Hanau ist bindend.
I. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens in zumindest entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO sind gegeben. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAGE 44, 246 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Amtsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen wurde (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe; BGHZ 44, 14, 15).
Das Arbeitsgericht Hanau und das Amtsgericht Büdingen haben sich für unzuständig erklärt. Ersteres durch Urteil vom 6. September 1995, letzteres durch den Parteien bekanntgegebenen Vermerk vom 3. November 1995 und die Weigerung, den Rechtsstreit zu übernehmen.
II. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau ist rechtskräftig. Die Rechtskraft erstreckt sich auch auf die Entscheidung über die Zuständigkeit. Ziff. 4 des Urteils ist so auszulegen, daß sich das Arbeitsgericht hinsichtlich der Aufrechnungsforderung für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Amtsgericht Büdingen verweist. Dies hat darüber zu entscheiden, ob und inwieweit das Vorbehaltsurteil aufgehoben oder aufrechterhalten wird.
1. Die Frage, ob sich die Entscheidungsbefugnis des für die Klageforderung zuständigen Gerichts auch auf die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung erstreckt, für die an sich die Gerichte einer anderen Gerichtsbarkeit zuständig sind, ist seit langem umstritten.
a) Vor Inkrafttreten der neu gefaßten §§ 17 ff. GVG differenzierte die Rechtsprechung wie folgt: Gehörte die vor den Arbeitsgerichten zur Aufrechnung gestellte Forderung in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte oder umgekehrt die vor den ordentlichen Gerichten zur Aufrechnung gestellte Forderung in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, wurde die Entscheidungskompetenz des für die Klage zuständigen Gerichts bejaht (BAG Urteil vom 21. April 1966 – 5 AZR 536/65 – AP Nr. 43 zu § 256 ZPO; BAG Urteil vom 18. Mai 1972 – 3 AZR 473/71 – AP Nr. 2 zu § 39 ArbNErfG; BGHZ 26, 304 = AP Nr. 1 zu § 390 BGB). War dagegen für die Gegenforderung der Rechtsweg zu den Verwaltungs-, Sozial- oder Finanzgerichten gegeben, so wurde eine Verpflichtung zur Aussetzung angenommen. Dem Aufrechnenden sollte eine Frist gesetzt werden, binnen derer er die Gegenforderung vor den zuständigen Gerichten einklagen sollte (BGHZ 16, 124; vgl. Grunsky, ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 2 Rz 12).
b) Unter Geltung der §§ 17 ff. GVG n.F. hat sich noch keine feste höchstrichterliche Auffassung herausgebildet. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluß vom 31. März 1993 (– 7 B 5/93 – NJW 1993, 2255) für den Sonderfall einer Aufrechnung mit Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung unter Hinweis auf die nach Art. 34 Satz 3 GG gegebene Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte an der Auffassung festgehalten, daß die Verwaltungsgerichte darüber nicht entscheiden können.
In der Literatur werden unterschiedliche Meinungen geäußert. Die wohl überwiegende Auffassung bejaht nunmehr die Entscheidungskompetenz des für die Klage zuständigen Gerichts auch für rechtswegfremde Forderungen (Grunsky, a.a.O., § 2 Rz 14 ff.; Hauck, ArbGG, 1996, § 2 Rz 55; Vollkommer, Festschrift für Kissel, 1994, 1183, 1201 ff.). Sie leitet dies aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG n.F. her, wonach „das Gericht des zulässigen Rechtsweges … den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten” entscheidet. Folgerichtig wird eine Ausnahme von diesem Grundsatz für die in § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG n.F. genannten Forderungen gemacht, die nach dem Grundgesetz einem besonderen Rechtsweg zugewiesen sind (Kissel, NZA 1995, 345, 354 ff.).
Die Gegenauffassung leitet daraus, daß nunmehr auch die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Arbeitsgerichten und ordentlichen Gerichten als Frage des Rechtswegs ausgestaltet ist, her, daß die Entscheidung über rechtswegfremde Forderungen grundsätzlich unzulässig ist (Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl. 1993, § 17 GVG Rz 7; Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO, 3. Aufl. 1995, § 17 GVG Rz 8; Ascheid, Urteils- und Beschlußverfahren im Arbeitsrecht, 1995, Rz 412; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl. 1995, § 2 Rz 150). Wieder andere sind nach wie vor der Ansicht, daß nur zwischen Arbeitsgerichten und ordentlichen Gerichten eine wechselseitige Entscheidungskompetenz auch über an sich rechtswegfremde Aufrechnungsforderungen besteht (ArbG Passau Beschluß vom 29. Oktober 1991 – 4 Ca 650/91 – NZA 1992, 428; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl. 1993, § 145 Rz 32 ff.; Lüke, Festschrift für Kissel, 1994, S. 720, 731).
c) Soweit die Entscheidungskompetenz für rechtswegfremde Aufrechnungsforderungen verneint wird, bestehen Unklarheiten über das einzuschlagende Verfahren.
Überwiegend wird angenommen, daß das für die Klage zuständige Gericht zwei Möglichkeiten hat: Es kann das Verfahren aussetzen (§ 148 ZPO) und dem Beklagten eine Frist zur Klageerhebung setzen, oder aber – wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung mit der Klageforderung nicht in rechtlichem Zusammenhang steht – ein Vorbehaltsurteil erlassen (§ 302 ZPO) und erst das Nachverfahren aussetzen (BVerwG Beschluß vom 31. März 1993 – 7 B 5/93 – NJW 1993, 2255; Stein/Jonas/Leipold, a.a.O., § 145 Rz 33 a). Letzteres bedeutet, daß das Gericht, das das Vorbehaltsurteil erlassen hat, letztlich auch über dessen Aufrechterhaltung oder Aufhebung entscheidet, wenn auch nach Maßgabe des in dem anderen Rechtsweg ergangenen Urteils. Im Gegensatz dazu steht die Auffassung von Matthes (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl. 1995, § 2 Rz 151 f.). Danach ist der Rechtsstreit hinsichtlich der Gegenforderung an das für diese zuständige Gericht zu verweisen, und zwar durch Beschluß nach § 17 a GVG n.F. Dieses Gericht hat dann über die Aufhebung oder Aufrechterhaltung des Vorbehaltsurteils zu entscheiden.
2. Das Arbeitsgericht Hanau hat sich – wie die Entscheidungsgründe ausweisen – der Auffassung von Matthes angeschlossen und den Rechtsstreit an das für die Gegenforderung zuständige Amtsgericht verwiesen. Es hat jedoch entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 GVG n.F. und entgegen der Auffassung von Matthes durch Urteil und nicht durch Beschluß entschieden.
Wendet man auf Fälle wie dem vorliegenden die im Urteil das Bundesarbeitsgerichts vom 26. März 1992 (– 2 AZR 443/91 – AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG 1979) entwickelten Grundsätze an, so steht den Parteien gegen die verfahrensfehlerhaft durch Urteil statt durch Beschluß ergangene Verweisungsentscheidung wahlweise die sofortige Beschwerde oder die Berufung zu. Im Streitfall haben die Parteien aber kein Rechtsmittel eingelegt. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist also – wenn auch erst nach Übersendung der Akten an das Amtsgericht Büdingen – rechtskräftig geworden. Damit ist auch die Verweisungsentscheidung rechtskräftig.
III. Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., § 48 Abs. 1 ArbGG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AZR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
Dieselben Grundsätze sind auch auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden, in denen verfahrensfehlerhaft durch Urteil verwiesen wird.
Wie bei Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen zu verfahren ist, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Das Arbeitsgericht hat sich einer Mindermeinung angeschlossen. Gegen die Auffassung des Arbeitsgerichts bestehen zumindest insofern Bedenken, als sich das Vorbehaltsurteil auch auf die pfändungsfreien Beträge erstreckt. Daraus mag sich zwar ergeben, daß die Verweisungsentscheidung fehlerhaft ist. Offensichtlich gesetzwidrig ist sie jedoch nicht.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen