Entscheidungsstichwort (Thema)
Karitative Bestimmung eines Krankenhauses
Leitsatz (amtlich)
Ein in privatrechtlicher Rechtsform betriebenes Krankenhaus kann auch dann eine karitative Einrichtung sein, wenn die Anteile nur von einer Gebietskörperschaft gehalten werden, die zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern gesetzlich verpflichtet ist.
Normenkette
BetrVG 1972 § 118 Abs. 1 S. 1; Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 31.08.1994; Aktenzeichen 9 TaBV 3/94) |
ArbG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 27.01.1994; Aktenzeichen 9 BV 4/93) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Kammern Freiburg, vom 31. August 1994 – 9 TaBV 3/94 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des antragstellenden Gesamtbetriebsrats, bei der beteiligten Krankenhausgesellschaft einen Wirtschaftsausschuß nach § 106 BetrVG zu errichten.
Mit Wirkung zum 1. April 1993 waren die Krankenhäuser R…-…, Sch… und S…, die bis dahin als unselbständige Einrichtungen des Landkreises R… betrieben worden waren, in die beteiligte Krankenhausgesellschaft, eine GmbH, überführt worden. In den drei Krankenhausbetrieben werden etwa 900 Arbeitnehmer beschäftigt. In jedem der Krankenhäuser besteht ein Betriebsrat. Der Gesamtbetriebsrat hat am 21. April 1993 die Bildung eines Wirtschaftsausschusses beschlossen. Die Krankenhausgesellschaft hat unter Hinweis auf § 118 BetrVG mit Schreiben vom 5. Mai 1993 der Errichtung des Wirtschaftsausschusses widersprochen.
Die Krankenhausgesellschaft wurde entsprechend dem Gesellschaftsvertrag vom 18. Februar 1993 errichtet. Alleiniger Gesellschafter der Krankenhausgesellschaft ist der Landkreis R…. Der Gesellschaftsvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
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Zweck der Gesellschaft
- Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb der Kreiskrankenhäuser R…, Sch…, und S… einschließlich etwaiger Ausbildungsstätten, Nebeneinrichtungen und Nebenbetrieben.
- Ziel der Gesellschaft ist es, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung des Landkreises mit leistungsfähigen, wirtschaftlich gesicherten und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern sowie eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten im Krankenhaus zu gewährleisten.
Die Gesellschaft ist berechtigt, alle Nebengeschäfte zu betreiben, die dem Hauptzweck der Gesellschaft dienen.
Sie kann sich in anderen Gesellschaften gleichen, ähnlichen oder verwandten Gegenstandes beteiligen oder solche Gesellschaften übernehmen.
§ 3
Gemeinnützigkeit
- Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke i.S. der §§ 51 – 68 Abgabenordnung vom 16.03.1976 in der jeweils gültigen Fassung.
Die Gesellschaft ist selbstlos tätig; sie verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.
Mittel der Gesellschaft dürfen nur für den satzungsmäßigen Zweck verwendet werden. Etwaige Überschüsse sind einer Rücklage zuzuführen, die nur zur Sicherung und Erfüllung des Gesellschaftszweckes verwendet werden darf.
Der Gesellschafter erhält weder Gewinnanteile noch Sonderzuwendungen aus den Mitteln der Gesellschaft.
Im Falle der Liquidation oder sonstigen Auflösung der Gesellschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zweckes fällt das Vermögen der Gesellschaft an den Landkreis R…, der es – nach Abzug der Stammeinlage – unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige Zwecke im Gesundheitswesen zu verwenden hat.
Verwaltungsaufgaben, die dem Zweck der Gesellschaft fremd sind, dürfen nicht geleistet werden.
Es darf keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck der Gesellschaft fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.”
Der Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Krankenhausgesellschaft falle nicht unter den Tendenzschutz des § 118 Abs. 1 BetrVG. Die Krankenhausgesellschaft sei kein karitatives Unternehmen, da sie nicht uneigennützig handele und es ihr an einer geistig-ideellen Zielsetzung fehle. Sie handele nicht freiwillig, sondern erfülle nur die gesetzlichen Aufgaben aus § 3 Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg (LKHG), wonach die Landkreise verpflichtet sind, die nach dem Krankenhausplan notwendigen Krankenhäuser und Krankenhauseinrichtungen zu betreiben, wenn die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern nicht durch andere Träger sichergestellt wird. Aus den §§ 34 bis 36 LKHG ergebe sich ein gesetzlich gebilligtes Gewinnstreben, das mit einer karitativen Unternehmenszielsetzung nicht zu vereinbaren sei. Die Erstreckung des Tendenzschutzes auf § 106 BetrVG sei zur Sicherung einer Tendenz nicht erforderlich und § 118 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BetrVG in soweit verfassungswidrig.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, daß der Gesamtbetriebsrat berechtigt ist, einen Wirtschaftsausschuß nach § 106 BetrVG zu bilden.
Die Krankenhausgesellschaft hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, daß sie mit dem Betrieb der Kreiskrankenhäuser unmittelbar karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG diene. Eine Gewinnerzielungsabsicht bestehe nicht. Die Krankenhäuser würden nur mit dem Ziel der Kostendeckung betrieben. Sie selbst sei auch nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu karitativer Hilfeleistung verpflichtet. § 3 Abs. 1 LKHG richte sich nur gegen den Landkreis, nicht jedoch gegen die Krankenhausgesellschaft. Aus diesem Grunde erfülle sie die karitativen Aufgaben freiwillig.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Krankenhausgesellschaft hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag abgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Antragsteller die Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen Beschlusses und die Wiederherstellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts. Die beteiligte Krankenhausgesellschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, daß bei der beteiligten Krankenhausgesellschaft kein Wirtschaftsausschuß errichtet werden kann. Die Krankenhausgesellschaft dient unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, so daß auf sie gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die §§ 106 bis 110 BetrVG nicht anzuwenden sind.
I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG Beschluß vom 8. November 1988 – 1 ABR 17/87 – AP Nr. 38 zu § 118 BetrVG 1972, m.w.N.; vgl. auch BAG Beschluß vom 29. Juni 1988, BAGE 59, 120 = AP Nr. 37 zu § 118 BetrVG 1972, m.w.N.) dient ein Unternehmen karitativen Bestimmungen, wenn es sich den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat, sofern diese Betätigung ohne die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Dagegen ist unerheblich, wer rechtlich oder wirtschaftlich an dem privatrechtlich organisierten Unternehmen beteiligt ist oder darauf einen beherrschenden Einfluß ausübt.
1. Nach dieser Rechtsprechung, an der der erkennende Senat festhält, liegt eine karitative Bestimmung im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG allerdings dann nicht mehr vor, wenn das Unternehmen selbst von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Vielmehr gehört zur Karitativität die Freiwilligkeit der Hilfeleistung. Sie wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, daß die leidenden Menschen, denen Hilfe geleistet wird, ihrerseits einen Rechtsanspruch gegen Dritte, insbesondere gegen die öffentliche Hand, auf derartige Hilfeleistung bzw. deren Finanzierung haben. Solche Ansprüche richten sich gegen den Staat bzw. dessen Sozialversicherungsträger. Sie sind aber nicht gegen privatrechtlich organisierte Unternehmen gerichtet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, solche Hilfeleistungen tatsächlich zu erbringen. Für die Frage, ob ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen karitativen Bestimmungen dient, ist rechtlich auch unerheblich, ob es von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gegründet worden ist, beeinflußt oder gar beherrscht wird, die ihrerseits aufgrund gesetzlicher Normen unmittelbar verpflichtet sind, derartige Hilfeleistungen zu erbringen oder zumindest die Kosten für solche Hilfeleistungen zu tragen. Anknüpfungspunkt für die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist vielmehr das Unternehmen selbst sowie die Frage, ob es nach seinen eigenen Statuten einer der in den Tendenzschutz gestellten Bestimmungen dient. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der eindeutig auf das Unternehmen selbst abstellt und nicht auf die Beweggründe und Verhältnisse derer, die den Unternehmensträger gegründet haben, ihn beeinflussen oder gar beherrschen (BAG Beschluß vom 8. November 1988 – 1 ABR 17/87 –, aaO).
2. Nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann allerdings auch die freiwillige Betätigung nur dann als karitativ angesehen werden, wenn sie nicht in der Absicht der Gewinnerzielung erfolgt. Das Ziel der Betätigung des Unternehmens muß sich in der Hilfe an bedürftigen Menschen erschöpfen. Die derart zu leistende Hilfe darf nicht ihrerseits Mittel zum Zweck der Gewinnerzielung sein. Indessen erfordert das Merkmal der karitativen Bestimmung im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG nicht, daß die Hilfeleistung für leidende Menschen unentgeltlich oder allenfalls zu einem nicht kostendeckenden Entgelt geschieht. Vielmehr genügt es, daß der Träger des Unternehmens seinerseits mit seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer Gewinnerzielung verfolgt, mag er auch bis zur Höhe der Kostendeckung Einnahmen aus seiner Betätigung erzielen (BAG Beschluß vom 29. Juni 1988, aaO).
II. In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die beteiligte Krankenhausgesellschaft unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dient.
1. Der Freiwilligkeit der Krankenversorgung durch die beteiligte Krankenhausgesellschaft steht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht entgegen, daß der Landkreis R…-… nach § 3 Abs. 1 des Landeskrankenhausgesetzes Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1986 (GBl. S. 425) in der Fassung vom 23. Juli 1993 (GBl. S. 533) verpflichtet ist, die nach dem Krankenhausplan notwendigen Krankenhäuser und Krankenhauseinrichtungen zu betreiben. Diese gesetzliche Verpflichtung trifft nicht die Krankenhausgesellschaft, sondern verbleibt beim Landkreis, auch solange sie von der Krankenhausgesellschaft als einem Dritten erfüllt wird. Dies zeigt sich insbesondere daran, daß der Landkreis diese Verpflichtung wieder selbst wahrzunehmen hätte, wenn die Tätigkeit der Krankenhausgesellschaft zu einer bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung nicht mehr ausreichen sollte. Die Krankenhausgesellschaft ist mithin gleichsam lediglich Erfüllungsgehilfe des Landkreises, aber nicht selbst von Gesetzes wegen zur Krankenversorgung verpflichtet. Deshalb kann ein in privatrechtlicher Rechtsform betriebenes Krankenhaus auch dann eine karitative Einrichtung sein, wenn die Anteile nur von einer Gebietskörperschaft gehalten werden, die gesetzlich zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern verpflichtet ist.
2. Die Krankenhausgesellschaft betreibt die Kreiskrankenhäuser in R…, Sch… und S… auch nicht mit Gewinnerzielungsabsicht. Nach § 3 Abs. II des Gesellschaftsvertrages wird die Gesellschaft selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. Die Mittel der Gesellschaft dürfen nur für den satzungsmäßigen Zweck, d.h. für den Betrieb der Kreiskrankenhäuser gemäß § 2 Abs. I des Gesellschaftsvertrages verwendet werden. Gemäß § 3 Abs. III des Gesellschaftsvertrages erhält der Landkreis R… weder Gewinnanteile noch Sonderzuwendungen aus den Mitteln der Gesellschaft.
a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist für das Vorliegen einer Gewinnabsicht unerheblich, ob die Krankenhausgesellschaft in einem einzelnen Rechnungsjahr tatsächlich einen Bilanzgewinn erzielt. Denn auch ein derartiger Gewinn darf nur für satzungsmäßige Zwecke verwendet werden und hat daher lediglich den Charakter einer Rücklage.
b) Der Senat kann der Rechtsbeschwerde auch nicht darin folgen, die karitative Bestimmung der Krankenhausgesellschaft entfalle wegen der finanziellen Beteiligung ärztlicher Mitarbeiter nach den §§ 34 bis 36 des Landeskrankenhausgesetzes. Nach diesen Vorschriften erfolgt eine Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter nicht an Erlösen, die aus der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung im Sinne des § 3 LKHG entstehen, sondern an Liquidationserlösen aus wahlärztlichen Leistungen (§ 34 Abs. 1 LKHG) nach Absetzung des Nutzungsentgelts, das dem Krankenhausträger als Kostenerstattung für die Inanspruchnahme von Personal, Einrichtungen oder Mitteln des Krankenhauses zuzüglich eines Vorteilsausgleichs entrichtet wird (§ 35 Abs. 1 Satz 2 LKHG). Es geht also darum, die liquidationsberechtigten Ärzte im Krankenhaus stärker als bisher an den Kosten zu beteiligen, die durch die Nutzung von Einrichtung und Personal des Krankenhauses bei der Behandlung von Privatpatienten entstehen, nicht aber um eine Gewinnsteigerung für ärztliche Mitarbeiter bei der bedarfsgerechten Krankenhausversorgung für die Bevölkerung.
III. Nicht gefolgt werden kann schließlich auch den Ausführungen der Rechtsbeschwerde, der Ausschluß der Vorschriften über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses bei karitativen Unternehmen sei verfassungswidrig. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat bereits in seinem Beschluß vom 7. April 1981 (– 1 ABR 83/78 – AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG 1972, zu IV 2a der Gründe) näher begründet, warum es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß das Betriebsverfassungsgesetz für Tendenzbetriebe keinen Wirtschaftsausschuß vorsieht. Hieran hält auch der erkennende Senat fest.
Unterschriften
Weller, Fischermeier, Steckhan, Wilke, U. Zachert
Fundstellen
NJW 1996, 1617 |
NZA 1996, 444 |
AP, 0 |