Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisungsbeschluß im PKH-Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

  • Wird ein PKH-Verfahren von einem Amts- oder Landgericht an ein Arbeitsgericht verwiesen, so ist dieses daran gebunden, jedoch nur hinsichtlich des Rechtswegs (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG entsprechend).
  • Das Arbeitsgericht darf die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage nicht mit der Begründung verneinen, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht gegeben.
  • Die Bindungswirkung des im PKH-Verfahren ergangenen Verweisungsbeschlusses erstreckt sich nicht auf das Hauptsacheverfahren (im Anschluß an BGH Beschluß vom 18. April 1991 – I ARZ 748/90 – LM Nr. 25 zu § 281 ZPO 1976 = AP Nr. 4 zu § 281 ZPO 1977).
 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6, § 114 ff., § 281 Abs. 1-2; GVG § 17a Abs. 2-4; ArbGG § 48 Abs. 1 a.F.

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Beschluss vom 30.04.1992; Aktenzeichen 2 Ha 1/92)

 

Tenor

Als für die Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch zuständige Gericht wird das Arbeitsgericht Hagen bestimmt.

 

Tatbestand

I. Die Antragsteller beantragen die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für eine Schadenersatzklage. Die Antragstellerin zu 1) war die Ehefrau, die Antragsteller zu 2) bis 4) sind die Kinder des verstorbenen Herrn… K…. Dieser war seit Mitte August 1989 als Arbeiter bei der Antragsgegnerin zu 1) beschäftigt. Ab Ende August/Anfang September 1989 bewohnte er – zumindest zeitweise – mit seiner Ehefrau, der Antragstellerin zu 1), Räume auf dem Werksgelände. Dort wurde er am 5. Dezember 1989 tot aufgefunden.

Die Antragsteller führen den Tod auf eine Kohlenmonoxydvergiftung zurück, die von zwei mangelhaften Gasheizgeräten in den bewohnten Räumen herrühre. Sie beanspruchen von der Antragsgegnerin zu 1) und deren persönlich haftendem Gesellschafter, dem Antragsgegner zu 2), Schadenersatz (Beerdigungskosten und Renten) wegen Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung. Sie haben den Prozeßkostenhilfeantrag bei dem Landgericht Hagen gestellt.

Mit Schreiben vom 26. November 1991 hat das Landgericht Hagen die Antragsteller darauf hingewiesen, daß die beabsichtigte Klage schon wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit des Landgerichts keine Aussicht auf Erfolg biete. Es handele sich nämlich um eine Werkdienstwohnung im Sinne von § 565e BGB. Daher seien die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a, 4a ArbGG zuständig. Dies gelte auch für etwaige Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung oder aus § 618 BGB. Nachdem die Antragsteller die Verweisung “des Rechtsstreits” an das Arbeitsgericht Hagen beantragt hatten, hat sich das Landgericht Hagen durch Beschluß vom 2. Januar 1992 unter Hinweis auf die im Schreiben vom 26. November 1991 dargelegten Gründe für sachlich unzuständig erklärt und “den Rechtsstreit im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren” an das Arbeitsgericht Hagen verwiesen. Dieser Beschluß ging den Parteien formlos im Januar 1992 zu; er wurde zu keiner Zeit förmlich zugestellt.

Das Arbeitsgericht Hagen hat durch Kammerbeschluß vom 30. April 1992 den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht gemäß § 36 Nr. 6 ZPO mit der Bitte um Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es unter Berufung auf den Beschluß des Senats vom 29. September 1991 (BAGE 36, 89 = AP Nr. 1 zu § 281 ZPO 1977) ausgeführt, Verweisungsbeschlüsse im Prozeßkostenhilfeverfahren seien auch für das Klageverfahren bindend. Hier fehle aber der Verweisung jede gesetzliche Grundlage, da die Ansprüche mit dem Arbeitsverhältnis nicht in einem – für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte erforderlichen – inneren Zusammenhang stünden.

 

Entscheidungsgründe

II. Für die Entscheidung über das PKH-Gesuch ist das Arbeitsgericht Hagen zuständig.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAG Beschluß vom 25. November 1983 – 5 AS 20/83 – AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Sie gilt auch im Verfahren über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., § 36 Anm. 7 A b). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder auch durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Landgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.; BGHZ 44, 14, 15).

2. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hagen bindet das Arbeitsgericht Hagen.

a) Nach § 48 Abs. 1 ArbGG a.F. fand § 281 ZPO auch auf das Verhältnis der Arbeitsgerichte und der ordentlichen Gerichte zueinander entsprechende Anwendung. Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof haben diese Vorschrift übereinstimmend auch im PKH-Bewilligungsverfahren für anwendbar gehalten (vgl. zuletzt BGH Beschluß vom 18. April 1991 – I ARZ 748/90 – LM Nr. 25 zu § 281 ZPO 1976 = AP Nr. 4 zu § 281 ZPO 1977). Das bedeutet, daß der Beschluß eines Arbeitsgerichts, durch den das PKH-Verfahren an ein Amts- oder Landgericht verwiesen wurde oder umgekehrt von diesem an ein Arbeitsgericht, als für die Parteien unanfechtbar und als für das Gericht, an das verwiesen wurde, hinsichtlich des PKH-Verfahrens bindend angesehen wurde. Unterschiedliche Auffassungen bestanden allerdings hinsichtlich der Frage, ob sich die Bindungswirkung auch auf das nachfolgende Hauptverfahren erstreckte. Nachdem das Bundesarbeitsgericht eine solche Bindung ursprünglich bejaht hatte (Urteil vom 16. November 1959 – 2 AZR 616/57 – AP Nr. 13 zu § 276 ZPO; Beschluß vom 29. September 1981 – 5 AR 141/81 – AP Nr. 1 zu § 281 ZPO 1977) hat es sich nunmehr (Beschluß vom 8. Oktober 1991 – GmS-OGB 3/91 – 5 AR 141/81 –) der überzeugend begründeten Gegenauffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt Beschluß vom 18. April 1991, aaO) angeschlossen, wonach ein im PKH-Bewilligungsverfahren ergangener Verweisungsbeschluß für das Hauptsacheverfahren nicht bindend ist.

b) Nunmehr gilt auch für das Verhältnis von ordentlichen Gerichten und Arbeitsgerichten zueinander § 17a GVG n.F. (§ 48 Abs. 1 ArbGG n.F.). Nach Abs. 4 dieser Vorschrift sind Beschlüsse, durch die ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweist (§ 17a Abs. 2 GVG n.F.), mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anfechtbar. An der Bindungswirkung für das Gericht, an das verwiesen wurde, hat sich allerdings nichts geändert (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F.).

Die Frage, ob § 17a GVG n.F. auch auf das Prozeßkostenhilfeverfahren (entsprechend) anwendbar ist, wird in der Kommentarliteratur verneint (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 17a GVG Anm. C 2; Zöller/Gummer, ZPO, Vorbem. zu §§ 17 bis 17b GVG Rz 12). Es erscheint in der Tat zweifelhaft, ob im Prozeßkostenhilfeverfahren für eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 GVG n.F. Raum ist. Diese Frage kann jedoch offen bleiben. Im Streitfall geht es nur darum, ob ein Verweisungsbeschluß im PKH-Bewilligungsverfahren, wenn er denn ergangen ist, das Gericht, an das verwiesen worden ist, in entsprechender Anwendung von § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindet. Das ist zu bejahen.

c) Die Bindungswirkung besteht zunächst für das PKH-Verfahren. Die Gegenauffassung liefe auf eine mit rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen (Art. 20 GG) unvereinbare Verweigerung einer Entscheidung über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe hinaus.

d) Die Frage, ob auf Verweisungsbeschlüsse im PKH-Verfahren auch § 17a Abs. 4 GVG n.F. anwendbar ist, diese also mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind oder aber insoweit keine Rechtsmittel gegeben sind, kann hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die Anfechtbarkeit bejaht, wäre der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hagen vom 2. Januar 1992 rechtskräftig.

Nach § 329 Abs. 3 ZPO sind Entscheidungen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, zuzustellen. Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen, die mit der Zustellung beginnt. Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte nach § 17a GVG n.F. sind jedoch die §§ 516, 552 ZPO analog anzuwenden, so daß die Beschwerdefrist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung oder – bei nicht verkündeten Beschlüssen – fünf Monate nach der formlosen Mitteilung beginnt (Senatsbeschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Verweisungsbeschluß ist den Parteien im Januar 1992 formlos zugegangen. Somit begann die zweiwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde im Juni 1992 und lief spätestens im Juli 1992 ab.

e) Die bindende Wirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden.

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschlüsse vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 36 Rz 25, 28; a.A. zum neuen Recht Zöller/Gummer, aaO, § 17a GVG Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 3a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).

Der Beschluß des Landgerichts Hagen verweist auf das Schreiben vom 26. November 1991, in dem das Landgericht seine Rechtsansicht ausführlich erläutert hatte. Es kann hier dahinstehen, ob sie einer rechtlichen Nachprüfung standhalten würde. Keinesfalls ist der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hagen offensichtlich gesetzwidrig.

3. Das Arbeitsgericht Hagen, an das das Prozeßkostenhilfeverfahren verwiesen worden ist, ist daran gehindert, die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage mit der Begründung zu verneinen, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht gegeben (so zutreffend zum alten Recht schon Dunz, NJW 1962, 814, 815; a.A. OLG Hamburg Beschluß vom 20. November 1972 – 5 W Lw 4/72 – NJW 1973, 812, 814; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 281 Rz 6 Fn 17). Ob sich das unter der Geltung des § 17a GVG n.F. schon daraus ergibt, daß nach Abs. 2 dieser Vorschrift eine Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges nicht mehr in Betracht kommt, kann hier dahinstehen. Jedenfalls begegnet die Gegenauffassung denselben verfassungsrechtlichen Bedenken wie die abgelehnte Auffassung, wonach im Prozeßkostenhilfeverfahren ergangene Verweisungsbeschlüsse für das Gericht des anderen Rechtswegs, an das verwiesen worden ist, nicht bindend seien: Der Antragsteller würde mit seinem Prozeßkostenhilfegesuch bei den Gerichten beider Rechtswege wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs scheitern, obwohl – von Ausnahmefällen abgesehen – einer von beiden Rechtswegen für das Hauptsacheverfahren gegeben ist. Es muß also auch ein Gericht geben, das dem Antragsteller bei hinreichender Erfolgsaussicht Prozeßkostenhilfe gewährt. Das ist das Gericht, an das das Prozeßkostenhilfeverfahren verwiesen worden ist, im Streitfalle also das Arbeitsgericht Hagen.

4. Auch unter der Geltung des § 17a GVG n.F. ist aber daran festzuhalten, daß sich die Bindungswirkung eines im Prozeßkostenhilfeverfahren ergangenen Verweisungsbeschlusses nicht auf das nachfolgende Hauptverfahren erstreckt. Wie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 18. April 1991 – I ARZ 748/90 –, aaO, überzeugend ausführt, hätte andernfalls der Gegner des Antragstellers in keiner Instanz ausreichend Gelegenheit, seinen Standpunkt zur Zuständigkeitsfrage so umfassend zu vertreten und geprüft zu sehen, wie es im Streitverfahren möglich ist. Denn das Prozeßkostenhilfeverfahren ist ein dem Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge zuzurechnendes nichtstreitiges summarisches Verfahren ohne mündliche Verhandlung und ohne Anwaltszwang, in dem sich – von der Beteiligung des Antragsgegners in den Grenzen des § 118 Abs. 1 ZPO abgesehen – nur Gericht und Antragsteller gegenüberstehen (BGHZ 89, 65, 66). Allerdings kann das dazu führen, daß über das Prozeßkostenhilfegesuch das Gericht eines Rechtswegs entscheidet, dem das in der Hauptsache entscheidende Gericht nicht angehört. Dieser Nachteil wiegt aber erheblich weniger schwer als der Nachteil, der darin bestünde, daß der Antragsteller mit seinem Prozeßkostenhilfegesuch bei den Gerichten beider Gerichtsbarkeiten schon deshalb erfolglos bleibt, weil beide den Rechtsweg für unzulässig halten.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 846756

NJW 1993, 751

NZA 1993, 285

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