Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsurlaub. Tarifliche Sonderzahlung
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Urteile des Senats vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – (NZA 1989, 759 = EzA § 16 BErzGG Nr. 2 = BB 1989, 2479) und vom 7. Dezember 1989 – 6 AZR 322/88 – (zur Veröffentlichung vorgesehen).
Normenkette
BErzGG § 15
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 01.12.1988; Aktenzeichen 10 Sa 1032/88) |
ArbG Bielefeld (Urteil vom 14.04.1988; Aktenzeichen 3 Ca 468/88) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. Dezember 1988 – 10 Sa 1032/88 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14. April 1988 – 3 Ca 468/88 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Sonderzahlung.
Die 1965 geborene Klägerin ist in dem metallverarbeitenden Betrieb der Beklagten seit dem 1. Oktober 1984 als Maschinenbedienerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 nach dem Stand vom 3. Juli 1984 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (TV 13 ME) kraft Tarifbindung Anwendung. Darin ist u.a. bestimmt:
„§ 2
1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind Arbeitnehmer und Auszubildende, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis gekündigt haben.
2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 %
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 %
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 %
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %
eines Monats verdienst es bzw. einer Monatsvergütung.
…
6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis bzw. das Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.”
Die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6 lautet:
„Es besteht Einigkeit darüber, daß Anspruchsberechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz fallen und erkrankte Anspruchsberechtigte nicht von § 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden.”
Die Klägerin hat am 12. Februar 1987 entbunden und im Anschluß an die 8-wöchige Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG bis zum 11. Dezember 1987 einschließlich Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985 in Anspruch genommen. Die Beklagte gewährte der Klägerin für 1987 anstelle einer vollen Sonderzahlung lediglich einen Teilbetrag von 380,76 DM brutto. Sie berücksichtigte die Zeiten des Erziehungsurlaubs anspruchsmindernd.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung nach § 2 Nr. 1 und 2 TV 13 ME. Ihr Arbeitsverhältnis habe während des Erziehungsurlaubs nicht geruht.
Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 761,52 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin habe nur Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung, weil ihr Arbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs geruht habe. Die Klägerin könne sich nicht auf die Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13 ME berufen, weil sie während der Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz gefallen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erst instanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen weiteren Anspruch auf tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 761,52 DM brutto.
1. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes und Vereinbarung im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13 ME geruht. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Protokollnotiz zu dieser Vorschrift berufen, weil sie für die Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz gefallen sei. Deshalb habe sie nur den bereits erfüllten Anspruch auf eine anteilige tarifliche Sonderzahlung.
2. Diese Tarifauslegung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie widerspricht den Entscheidungen des Senats vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – (NZA 1989, 759 = EzA § 16 BErzGG Nr. 2 = BB 1989, 2479) und vom 7. Dezember 1989 – 6 AZR 322/88 – (zur Veröffentlichung bestimmt), die zum Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 nach dem Stand vom 3. Juli 1984 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens ergangen sind, und an deren Ergebnissen der Senat auch nach wiederholter Prüfung der Rechtslage festhält.
3. Der Senat hat in seinem Urteil vom 10. Mai 1989 (a.a.O.) ausgeführt, das Arbeitsverhältnis einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers ruhe während des Erziehungsurlaubs. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 15 BErzGG erfüllten, seien nicht auf das Einverständnis des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs angewiesen, sondern hätten das Alleinentscheidungsrecht, ob sie den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollten oder nicht. Seien die Anspruchs Voraussetzungen nach § 15 BErzGG erfüllt, so entstehe der Urlaubsanspruch, ohne daß ein Einverständnis des Arbeitgebers hierzu erforderlich sei. Der Arbeitgeber müsse das Fernbleiben des Arbeitnehmers von dem gewünschten Zeitpunkt ab hinnehmen. Demgegenüber setze eine Vereinbarung ein wenigstens zweiseitiges übereinstimmendes, regelmäßig rechtsgeschäftliches Handeln voraus. Der Erziehungsurlaub werde wie früher der Mutterschaftsurlaub auch nicht kraft Gesetzes gewährt. Ihn erhalte der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmer in auf Verlangen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Damit trete auch der Zustand des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht kraft Gesetzes ein, sondern nach entsprechender Willensbetätigung des berechtigten Arbeitnehmers, wenn auch auf gesetzlicher Grundlage. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages werde die Arbeitnehmerin deshalb nicht von der anspruchsschmälernden Vorschrift erfaßt. Die Bestimmung könne auch nicht dahin ausgelegt werden, die Voraussetzung kraft Gesetzes umfasse alle Fälle, in denen der Ruhenstatbestand aus der Geltendmachung gesetzlicher Ansprüche folge. Das verbiete sich aus systematischen und teleologischen Gründen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung seien in der Grundnorm des § 2 Nr. 1 TV 13 ME geregelt, während in seiner Nr. 6 die Ausnahmen bestimmt seien. Ausnahmeregelungen seien aber restriktiv auszulegen. In seiner nachfolgenden Entscheidung vom 7. Dezember 1989 (a.a.O.) hat sich der Senat ausführlich mit den auch im Schrifttum vorgebrachten Argumenten gegen seine Auffassung auseinandergesetzt. Er hat erläuternd und ergänzend ausgeführt, bei der Interpretation des Wortlauts könne nicht übersehen werden, daß die Tarifvertragsparteien die in § 2 Nr. 1 TV 13 ME genannten Ansprüche nicht schlichtweg für den Fall des Ruhens ausgeklammert hätten, sondern den Ausnahmetatbestand mit Attributen versehen hätten. Es sei wohl gedanklich möglich, daß die Tarifvertragsparteien die Worte „kraft Gesetzes oder Vereinbarung” nicht als eine Einschränkung, sondern als umfassende Erläuterung zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses gebraucht hätten, und zwar um klarzustellen, daß nicht nur die vereinbarten Ruhenstatbestände, sondern sämtliche ruhenden Arbeitsverhältnisse erfaßt sein sollten. Einleuchtend sei diese Möglichkeit allerdings nicht, weil sie durch die einfache Formulierung ohne Attribute zu erreichen gewesen wäre. So sei aus der Wortwahl wenigstens der Schluß zu ziehen, die Tarifvertragsparteien hätten nicht zwingend jeden Fall des Ruhens anspruchsausschließend behandelt. Es bestehe vielmehr die Möglichkeit, daß sie Ruhenstatbestände nicht hätten ausklammern wollen, die kraft Gesetzes oder Vereinbarung, sondern auf drittem Weg entständen. Der Senat hat sodann dargelegt, daß bei Tarifabschluß Ruhenstatbestände bekannt waren, die nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung entstehen konnten, und damit der Auffassung widersprochen, die Tarifvertragsparteien hätten einen dritten Weg gar nicht gemeint haben können, weil es ihn nicht gegeben habe. Schließlich hat der Senat ausgeführt, daß weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck eine Tarifauslegung in Betracht komme, die die Worte „kraft Gesetzes” gleichsetze mit der Formulierung „kraft einseitiger Willenserklärung aufgrund gesetzlicher Grundlage”. Die Tarifvertragsparteien hätten mit ihrer Wortwahl erkennen lassen, daß die Arbeitnehmer das 13. Monatsentgelt nicht oder nicht ungeschmälert bekommen sollen, wenn die Suspendierung im Einvernehmen herbeigeführt worden sei oder das Ergebnis eines Sachverhalts sei, gegen den die Vertragsparteien wie im Fall des § 1 ArbPlSchG nichts unternehmen könnten. Mit dem daher im Zusammenhang zu lesenden und zu verstehenden Begriff „kraft Gesetzes oder Vereinbarung” beschrieben die Tarifvertragsparteien ein Zwangs- oder Konsensprinzip und schlössen damit die Möglichkeit aus, durch einseitigen Akt einer der Vertragsparteien den Anspruch des Arbeitnehmers auf das 13. Monatsentgelt auszuschließen oder zu schmälern. Das Verbot, durch einseitige Maßnahmen den Anspruch auf das 13. Monatsgehalt zu schmälern oder auszuschließen, werde besonders sinnfällig bei Ruhenstatbeständen, die der Arbeitgeber einseitig veranlassen könne wie bei der suspendierenden Aussperrung. Unabhängig vom Umfang späterer Maßregelungsverbote würden durch den Wortlaut des Tarifvertrages Arbeitnehmer vor anspruchsvernichtenden oder anspruchsmindernden Akten geschützt. Die Norm wirke jedoch gleichermaßen bei einem berechtigten Verhalten des Arbeitnehmers, das zur Suspendierung der Haupt pflichten im Arbeitsverhältnis führe, wie die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik zeige. In diesem Fall sichere die Vorschrift die Wahrnehmung arbeitskampfrechtlicher Rechte durch Beibehaltung eines tarifvertraglichen Anspruchs. Gleiches gelte für den später geschaffenen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub bzw. Erziehungsurlaub. Seine Inanspruchnahme bleibe unberührt von Überlegungen, welche weiteren negativen finanziellen Folgen neben dem Verzicht auf Vergütung die gesellschaftspolitisch erwünschte Entscheidung für Kinder und deren elterliche Betreuung in den ersten Lebensmonaten haben könnten.
4. Der Senat sieht nach wiederholter Überprüfung seiner Auffassung keinen Anlaß zur Änderung seiner Rechtsprechung. Im wesentlichen hat der Senat Überlegungen der Beklagten bereits in seinen oben genannten Urteilen beantwortet. Soweit die Revisionserwiderung weitere, vom Senat noch nicht abgehandelte Argumente enthält, vermag sie eine Änderung der Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen.
a) Der Hinweis der Beklagten, die Tarifvertragsparteien hätten wohl kaum einvernehmlich die Fortzahlung der Jahressonderzahlung trotz arbeitskampfbedingter Fehlzeiten gewollt, und deshalb sei die Tarifauslegung des Senats fehlerhaft, überzeugt nicht. Die Beklagte übersieht, daß der Senat das Beispiel der suspendierenden Abwehraussperrung zunächst nur gebraucht, um nachzuweisen, daß es bei Schaffung der Tarifnorm Ruhenstatbestände außerhalb von Gesetz und Vereinbarung gegeben hat und daß deshalb dem Wortlaut des Tarifvertrages nicht zwingend der Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen ist, sie hätten alle Ruhenstatbestände erfassen wollen. Erst bei der Überprüfung seines mit der Wortlautinterpretation gefundenen Zwischenergebnisses anhand des Schutzzwecks der Norm hat der Senat gleichsam als zusätzliches Ergebnis gemeint, die Tarifvertragsparteien hätten bei ihrer Formulierung auch die arbeitskampfbedingten Fehlzeiten ausgenommen. Dabei wird nicht übersehen, daß die Tarifvertragsparteien bei der Formulierung des Tarifvertrages nicht an die Folgen eines Arbeitskampfes gedacht haben könnten. Doch ihnen war bekannt, daß Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führen und daß diese Folgen mangels gesetzlicher Regelung nicht kraft Gesetzes eintreten. Das gilt auch dann, wenn der freiwillige Entschluß des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers, den Beschlüssen ihrer Organisation zu folgen, außer acht gelassen wird. So ist das etwaige Fehlen eines Subsumtionsschlusses unbeachtlich. Im übrigen hat der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß seine Tarifauslegung lediglich zu dem Ergebnis führt, das Tarifvertragsparteien regelmäßig spätestens mit den Bestimmungen eines Maßregelungstarifvertrages erreichen (vgl. BAG Urteil vom 4. August 1987 – 1 AZR 488/86 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
b) Eine freiwillige Vereinbarung von Arbeitsvertragsparteien, dem Arbeitnehmer einen Sonderurlaub zur Erziehung eines Kindes zu gewähren, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erziehungsurlaub nicht gegeben sind, rechtfertigt aus den bereits genannten Gründen ein unterschiedliches Ergebnis. Die Tarifvertrags Parteien haben mit der Formulierung „kraft Gesetzes oder Vereinbarung” gerade diejenigen Arbeitnehmer nicht begünstigen wollen, die das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wünschen und deren Wunsch vom Arbeitgeber erfüllt wird. Auf das Motiv des Wunsches wie Ferienreise während eines Sonderurlaubs, längerer Aufenthalt in der Heimat, verlängerter Erziehungsurlaub, Betreuung kranker Verwandter u.a.m. kommt es nicht an. Die Inanspruchnahme eines gesetzlich geregelten Anspruchs kann mit diesen Sachverhalten nicht verglichen werden. Anderenfalls stellte sich ebenso die Frage, warum nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der gesetzliche und tarifliche Erholungsurlaub nicht anspruchsmindernd wirkt, der vereinbarte Sonderurlaub hingegen die Höhe der Jahressonderzahlung schmälert.
5. Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 291, 288 BGB. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Röhsler, Schneider, Dörner, Ostkamp, Hilgenberg
Fundstellen