Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckungstitel und tarifliche Verfallklausel
Normenkette
BGB § 812
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 18.02.1993; Aktenzeichen 13 Sa 1275/92) |
ArbG Hannover (Urteil vom 13.05.1992; Aktenzeichen 5 Ca 436/91) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Februar 1993 – 13 Sa 1275/92 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung eines Betrages von 35.000,– DM, nachdem sie eine in dieser Höhe durch gerichtlichen Vergleich festgelegte Leistungspflicht durch Doppelzahlung versehentlich zweimal erfüllt hat. Der Beklagte beruft sich demgegenüber auf Verfall gemäß tariflicher Ausschlußklausel.
Der Beklagte war vom 1. Juli 1981 bis zum 30. Juni 1988 bei der Klägerin in deren Niederlassung in Hannover als Oberbauleiter (Leiter der Spezialtiefbauabteilung) beschäftigt. Die Parteien hatten vertraglich die Anwendung des Rahmentarifvertrages für technische und kaufmännische Angestellte des Baugewerbes (RTV) vereinbart. Nachdem der Beklagte gegenüber der Klägerin durch Auskunfts- und Leistungsklage Ansprüche auf Gewinnbeteiligung geltend gemacht hatte, beendeten die damaligen Prozeßparteien den Rechtsstreit am 28. November 1990 durch folgenden gerichtlichen Vergleich (Arbeitsgericht Hannover – 9 Ca 449/89 –):
Zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung verpflichtet sich die Beklagte, an den Kläger 35.000,– DM zu zahlen.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 1990 an die Personalabteilung der Hauptverwaltung bat der Beklagte selbst um Überweisung des Vergleichsbetrages. Unabhängig davon bat sein damaliger Prozeßbevollmächtigter mit Schreiben vom 14. Dezember 1990 den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, die Zahlung des Vergleichsbetrages an den Beklagten zu veranlassen. Daraufhin überwies die Hauptverwaltung dem Beklagten den Vergleichsbetrag am 29. Dezember 1990. Weiter übersandte auch die Niederlassung Hannover dem Beklagten einen Scheck vom 27. Dezember 1990 über 35.000,– DM, mit dem das Konto der Klägerin am 7. Januar 1991 belastet wurde. Mit Schreiben vom 24. Juli 1991 forderte die Klägerin den Beklagten erstmals zur Rückgewähr des überzahlten Betrages auf. Der Beklagte weigerte sich und machte geltend, der Rückzahlungsanspruch sei verfallen.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte könne sich nicht auf die tarifliche Ausschlußklausel des § 13 RTV berufen. Bei dem Rückzahlungsanspruch aufgrund der Doppelleistung handele es sich nicht mehr um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Zumindest verhalte sich der Beklagte rechtsmißbräuchlich, weil er sofort erkannt habe, daß der Vergleichsbetrag ihm versehentlich doppelt gutgebracht worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 35.000,– DM nebst 12 % Zinsen seit dem 2. August 1991 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgebracht, der Rückzahlungsanspruch stehe mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung und werde deshalb von § 13 RTV erfaßt. Die Klägerin sei auch bereits im Januar 1991 in der Lage gewesen, den Irrtum zu entdecken und den Anspruch innerhalb der Ausschlußfrist geltend zu machen. Er, der Beklagte, handele nicht rechtsmißbräuchlich, weil er nicht gegen eine ihm obliegende Rechtspflicht verstoßen habe. Das Arbeitsverhältnis sei lange beendet gewesen, der abgeschlossene Vergleich enthalte eine umfassende Erledigungsklausel. Eine nachvertragliche Treuepflicht, die Klägerin auf die Doppelzahlung hinzuweisen, habe nicht bestanden. Die Doppelzahlung sei der Klägerin auch sogleich erkennbar gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, jedoch den Zinsanspruch auf 4 % reduziert. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Beklagte muß der Klägerin den überzahlten Betrag zurückerstatten.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen angenommen: Zwar erfasse die Ausschlußklausel des § 13 RTV alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit ihm in Verbindung stehen; diese Voraussetzungen lägen für den Klaganspruch jedoch nicht vor. Zweck tariflicher Ausschlußklauseln sei es, Klarheit zwischen den Beteiligten zu schaffen. Dieser Zweck sei durch den gerichtlichen Vergleich vom 28. November 1990 mit seiner umfassenden Erledigungsklausel erreicht gewesen. Zwischen den Parteien habe nunmehr Klarheit darüber bestanden, daß nur noch der Anspruch aus dem Vergleich offen sei. Die Rechtsbeziehungen der Parteien seien nunmehr auf einen Vollstreckungstitel reduziert worden. Die Klägerin mache mit ihrer Klage weder einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis noch einen Anspruch, der damit in Verbindung stehe, geltend, sondern einen davon losgelösten Anspruch aus doppelter Erfüllung eines Vollstreckungstitels. Dieser Anspruch unterfalle nicht der tariflichen Ausschlußklausel.
Dieser Begründung ist beizupflichten.
II. Der aus rechtsgrundloser Bereicherung (§ 812 BGB) folgende Rückzahlungsanspruch der Klägerin unterfällt nicht der tariflichen Ausschlußklausel des § 13 RTV.
1. Tarifliche Ausschlußklauseln, die – wie vorliegend § 13 RTV – für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” und für „Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen”, gelten, erstrecken sich allerdings auch auf Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlten Arbeitsentgelts (vgl. dazu nur Senatsurteile vom 26. April 1978 – 5 AZR 62/77 – AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 728/77 – AP Nr. 6 zu § 70 BAT; sowie vom 4. September 1991 – 5 AZR 647/90 – DB 1992, 1095 f.; BAG Urteil vom 13. Juni 1991 – 6 AZR 395/89 –, n.v.). Dabei ist unerheblich, ob die Rückzahlungsansprüche aus Überzahlungen während oder aus solchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses herrühren (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT; Senatsurteil vom 4. September 1991, a.a.O., zu II 1 der Gründe).
Tarifliche Ausschlußklauseln sollen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienen. Sie haben den Zweck, innerhalb einer bestimmten Frist Klarheit zwischen den Beteiligten darüber zu schaffen, ob noch Ansprüche aus ihren Rechtsbeziehungen erhoben werden. Der Gläubiger soll angehalten werden, die Begründetheit und die Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Er soll daher den Schuldner innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist darauf hinweisen, ob und welche Ansprüche im einzelnen nach seiner Meinung noch bestehen. Der Schuldner dagegen soll sich seinerseits darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr weiter in Anspruch genommen zu werden (vgl. dazu BAG Urteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP Nr. 67 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 3 a der Gründe, mit Hinweis auf Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 367; BAGE 37, 274, 282 = AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969, zu III 2 c der Gründe; BAGE 40, 258, 260 f. = AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 1 a der Gründe; BAG Urteil vom 29. Mai 1985 – 7 AZR 124/83 – AP Nr. 92 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu I 2 b der Gründe; sowie aus neuerer Zeit Senatsurteil vom 21. April 1993 – 5 AZR 399/92 –, für die Amtliche Sammlung des Gerichts bestimmt, zu II 1 der Gründe).
In bestimmten Fällen bedarf es der Geltendmachung einer noch offenen Forderung durch den Gläubiger allerdings nicht mehr, etwa dann, wenn der Schuldner die Forderung anerkannt hat. Ein solches Anerkenntnis muß nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, es kann auch in eindeutigem schlüssigen Verhalten des Schuldners liegen. So muß nach seit langem gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Entgeltforderung nicht noch einmal schriftlich geltend gemacht werden, wenn der Schuldner die in einer schriftlichen Vergütungsabrechnung ausgewiesene Entgeltforderung des Gläubigers streitlos stellt. Dann ist nämlich der Zweck der tariflichen Ausschlußklausel erfüllt. Da zwischen den Parteien nun keine Unklarheit mehr über die Höhe einer noch offenen Forderung besteht, ist die sonst erforderliche schriftliche Geltendmachung seitens des Gläubigers überflüssig.
2. Die Rechtsfolge der Entbehrlichkeit einer schriftlichen Geltendmachung muß erst recht gelten, wenn die Parteien nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bestimmte Restansprüche in einem gerichtlichen Vergleich festlegen. Dann besteht bei Berücksichtigung von Sinn und Zweck einer tariflichen Ausschlußklausel überhaupt kein Grund mehr für die schriftliche Geltendmachung einer aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Forderung. Die Ausschlußklausel hat sich durch Zweckerreichung verbraucht. Das war die Rechtslage, wie sie vorliegend zwischen den Parteien durch den Vergleichsabschluß vom 28. November 1990 eingetreten ist.
Durch den Vergleich wurde eine abschließende Regelung über einen noch offenen Streitpunkt aus dem seit 2 1/2 Jahren beendeten Arbeitsverhältnis getroffen. Durch diese, mit Vollstreckbarkeit ausgestattete Regelung wurde endgültige Klarheit zwischen den Parteien geschaffen. Spätestens damit war aber auch der Zweck der tariflichen Ausschlußklausel des § 13 RTV erreicht. Bei den Ansprüchen aus dem Vollstreckungstitel handelte es sich zwar dem inneren Zusammenhang nach immer noch um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, der äußeren Form nach beschränken sich die Rechtsbeziehungen der Parteien jedoch nur noch auf ein Vollstreckungsverhältnis. Für Ansprüche auf Rückgewähr eines auf den Vollstreckungstitel versehentlich überzahlten Betrages ist die tarifliche Ausschlußklausel des § 13 RTV aber nach ihrem Sinn und Zweck jedenfalls dann nicht mehr anzuwenden, wenn – wie hier – der Zahlungsempfänger die Überzahlung sogleich bemerkt.
Die Klägerin brauchte daher, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, den Klaganspruch nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 13 RTV geltend zu machen.
III. Die Frage, ob der Beklagte sich – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – rechtsmißbräuchlich verhalten hat und auch aus diesem Grunde zur Rückgewähr des überzahlten Betrages verpflichtet ist, braucht bei der dargestellten Rechtslage nicht mehr erörtert zu werden.
Unterschriften
Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Dr. Rost, Heel, Krogmann
Fundstellen