Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrechtliches Vorzugsrecht der BA;. Auslegung eines Antrags auf Verurteilung zur Anerkennung einer Forderung. Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
Beschäftigt ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungsbefugnis die Arbeitnehmer des Schuldners weiter, so werden Ansprüche auf Arbeitsentgelt begründet, die nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO als Masseverbindlichkeiten gelten. Beantragen die Arbeitnehmer Insolvenzgeld, so entfällt das Vorzugsrecht. Ein Übergang des Vorzugsrechts auf die Bundesanstalt für Arbeit ist damit ausgeschlossen.
Orientierungssatz
1. Die Auslegung von Klageanträgen kann noch in der Revisionsinstanz voll überprüft werden.
2. Hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungsbefugnis Arbeitnehmer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschäftigt, so gehen deren Entgeltansprüche mit der Beantragung von Insolvenzgeld nach §§ 183, 187 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit über. Nach § 401 Abs. 2 BGB tritt die Bundesanstalt für Arbeit als neue Gläubigerin auch in Vorzugsrechte ein, die mit den Entgeltansprüchen verbunden sind. Das Vorzugsrecht des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO dient jedoch nur dem Schutz der Vertragspartner, die wegen der Inanspruchnahme durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ein mit dem Schuldner bestehendes Dauerschuldverhältnis erfüllen. Es geht unter, wenn die Arbeitnehmer für die von dem vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Arbeitsentgeltansprüche Insolvenzgeld beantragen. Die Bundesanstalt für Arbeit kann deshalb für die nach § 187 SGB III auf sie übergegangenen Entgeltansprüche kein Vorzugsrecht geltend machen.
3. Art. 87 EG (vor der Änderung durch den Amsterdamer Vertrag: § 92 EG-Vertrag) steht einer Auslegung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht entgegen, nach der kein Vorzugsrecht der Bundesanstalt für Arbeit begründet wird.
Normenkette
BGB §§ 133, 398, 401, 412, 611; EG Art. 87; InsO §§ 26, 38, 55; KO § 59; SGB III §§ 183, 187
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. Februar 2000 – 12 Sa 1512/99 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, Forderungen der Klägerin vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen.
Am 11. Februar 1999 ist der Beklagte vom Amtsgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und zugleich der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden. Der Beklagte beschäftigte zwischen dem 11. Februar und dem 31. März 1999 die in der Anlage zur Klageschrift namentlich aufgeführten Arbeitnehmer der Schuldnerin weiter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlte die Klägerin auf Antrag der Arbeitnehmer der Schuldnerin für die der Insolvenzeröffnung vorausgegangenen drei Monate 119.969,71 DM Insolvenzgeld. Davon gewährte sie 58.997,30 DM für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die vom 11. Februar bis 31. März 1999 begründet worden sind. Die Klägerin meldete bei dem Beklagten am 11. Mai 1999 aus übergegangenen Entgeltansprüchen eine Forderung in Höhe von 119.969,71 DM an. Davon bezeichnete sie 58.997,30 DM als „Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO”. Der Beklagte erkannte die Ansprüche als Insolvenzforderung „gemäß § 38 InsO” an. Die Anerkennung von Masseverbindlichkeiten lehnte er ab.
Mit der am 12. August 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 58.997,30 DM als Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 2 InsO anzuerkennen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die von der Klägerin als Masseverbindlichkeiten geltend gemachten Ansprüche auf 58.997,30 DM Arbeitsentgelt vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen.
1. Die von der Klägerin auf „Anerkennung” einer Masseverbindlichkeit erhobene Klage ist nach der Auslegung des Senats als Feststellungsklage zu verstehen. Sie ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
a) Dem Wortlaut ihres Klageantrags nach verlangt die Klägerin eine „Anerkennung” als Masseverbindlichkeit. Indes ist für das Verständnis eines Klageantrags nicht an dem buchstäblichen Wortlaut der Antragsfassung zu haften. Vielmehr hat das Gericht den erklärten Willen zu erforschen, wie er aus der Klagebegründung, dem Prozeßziel und der Interessenlage hervorgeht. Die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) sind auch für die Auslegung von Klageanträgen anzuwenden(BAG 8. Juni 1960 – 4 AZR 132/59 – BAGE 9, 273; BGH 1. Februar 1996 – I ZR 50/94 – NJW-RR 1996, 1190). Dabei ist im Zweifel die Auslegung zu wählen, die dem Inhalt des mit der Klage verfolgten materiellen Anspruchs entspricht(BGH 1. Dezember 1997 – II ZR 312/96 – BGHR ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 Auslegung 2).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze muß der Klageantrag so verstanden werden, daß die Klägerin die gerichtliche Feststellung der geltend gemachten Forderung als Masseverbindlichkeit begehrt. Das ergibt sich aus der Klageschrift und der weiteren Prozeßgeschichte. Danach ist unstreitig, daß die Masse nicht zur vollständigen Berichtigung aller Masseansprüche ausreicht. Deshalb verfolgt die Klägerin ihr Klageziel nicht im Wege der ansonsten möglichen Zahlungsklage. Ihrer Interessenlage entspricht es, eine gerichtliche Feststellung über das Bestehen des Rechts zur Vorwegberichtigung zu erhalten, um neben den anderen Massegläubigern anteilig berücksichtigt zu werden. Da der Beklagte sich bei der vorgerichtlichen Anmeldung geweigert hat, das geltend gemachte Vorzugsrecht anzuerkennen, soll er durch eine gerichtliche Feststellung dieses Rechts dazu angehalten werden, die Klägerin bei der Masseverteilung zu berücksichtigen. Das haben die Vorinstanzen und auch die Klägerin als Ziel der Klageerhebung angesehen. Eine entsprechende Klarstellung hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung ausdrücklich vorgenommen.
c) Das Revisionsgericht ist zu dieser Auslegung befugt. Denn die Auslegung eines Klageantrages kann ebenso wie die Auslegung sonstiger Prozeßhandlungen noch im Revisionsverfahren voll überprüft werden(BAG 22. Mai 1985 – 4 AZR 88/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 6; BGH 23. November 2000 – IX ZR 155/00 – ZIP 2001, 124). Dabei hat das Gericht auch etwaige Klarstellungen des Antragstellers in der mündlichen Revisionsverhandlung noch zu berücksichtigen(BGH 7. Mai 1991 – XII ZR 44/90 – NJW 1991, 2629; Senat 9. Mai 1995 – 9 AZR 552/93 – AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 22 = EzA BUrlG § 7 Nr. 100, zu I 1 der Gründe).
d) Für die begehrte Feststellung der Masseverbindlichkeit besteht ein rechtliches Interesse. Zwar kann ein Massegläubiger seinen Erfüllungsanspruch im Wege der Leistungsklage durchsetzen. Steht aber – wie hier – fest, daß die Masse nicht zur vollständigen Berichtigung aller Masseansprüche ausreicht, so hat die Rechtsprechung stets ein Interesse an der Feststellung eines konkursrechtlichen Vorrangs bejaht(Senat 11. August 1998 – 9 AZR 135/97 – AP KO § 60 Nr. 8 = EzA KO § 60 Nr. 6; BAG 31. Januar 1979 – 5 AZR 749/77 – BAGE 31, 288). Daran ist auch nach Ablösung der KO durch die InsO für die Feststellung eines insolvenzrechtlichen Vorzugsrechts festzuhalten.
2. Die Klage ist unbegründet.
Nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO gelten Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis als Masseverbindlichkeiten, wenn sie ein vorläufiger Insolvenzverwalter – wie hier – für das von ihm verwaltete Vermögen durch Inanspruchnahme der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer der Schuldnerin begründet hat. Trotz Übergangs der Forderungsinhaberschaft hat aber die Klägerin nicht die Rechtsstellung einer Massegläubigerin im Sinne von § 53 InsO erhalten. Denn mit der Beantragung von Insolvenzgeld war das den Arbeitnehmern zustehende insolvenzrechtliche Vorzugsrecht erloschen, so daß es mit dem Forderungsübergang nach § 187 Satz 1 SGB III nicht auf die Klägerin übergehen konnte.
a) Die vom Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter in Ausübung seiner Verwaltungsbefugnis vom 11. Februar bis 31. März 1999 beschäftigten Arbeitnehmer haben in der hier unstreitigen Höhe Ansprüche auf Arbeitsentgelt erworben. Diese Forderungen sind nach § 187 Satz 1 SGB III auf die Klägerin übergegangen. Die Arbeitnehmer haben Insolvenzgeld beantragt. Ihre innerhalb der Drei-Monats-Frist im Sinne von § 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III entstandenen Forderungen haben die Anspruchsvoraussetzungen für Insolvenzgeld erfüllt. Nach § 398 Satz 2, § 412 BGB ist die Klägerin mit dem gesetzlichen Forderungsübergang an die Stelle der bisherigen Gläubiger getreten. Nach § 401 Abs. 2 BGB erhält der neue Gläubiger nicht nur die Inhaberschaft über die Forderungen, sondern auch das Recht, alle damit verbundenen Vorzugsrechte im Insolvenzverfahren geltend zu machen.
b) Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht sind zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin könne kein Vorzugsrecht im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 2, § 53 InsO geltend machen. Nach dem Gesetzgebungsverfahren der InsO sei davon auszugehen, daß für die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld kein Vorzugsrecht der Bundesanstalt für Arbeit begründet werden sollte. Der masseanreichernde Effekt der KonkursausfallgeldVorfinanzierung habe noch mehr als nach altem Recht für die Sanierung von Unternehmen nutzbar gemacht werden sollen. Bei der Schaffung des Vorzugsrechts für die vom vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungsbefugnis begründeten Verbindlichkeiten sei eine § 59 Abs. 2 KO entsprechende Rangrückstufung versehentlich unterblieben. Diese unbewußte Lücke müsse im Wege der teleologischen Reduktion des § 55 Abs. 2 InsO geschlossen werden.
c) Die von der Klägerin erhobenen Rügen der fehlerhaften Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO und des § 401 Abs. 2 BGB haben keinen Erfolg.
Die Gerichte für Arbeitssachen sind zur Entscheidung nach „Gesetz und Recht” (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet. Dazu gehört, daß die Gerichte bei der Feststellung des Inhalts einer Norm nicht am Gesetzeswortlaut haften bleiben, sondern alle anerkannten Auslegungsmethoden anwenden(BVerfG 19. Juni 1973 – 1 BvL 39/69 – BVerfGE 35, 263, 279 f.). Die teleologische Reduktion von Vorschriften gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen(vgl. BVerfG 7. April 1997 – 1 BvL 11/96 – AP GG Art. 100 Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 2). Die Vorinstanzen haben in Anwendung dieser Auslegungsmethode den Inhalt des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zutreffend festgestellt.
aa) Entgegen dem von der Revision herangezogenen Schrifttum(Eickmann HK-InsO § 55 Rn. 27) steht § 401 Abs. 2 BGB einer teleologischen Reduktion des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht entgegen. § 401 Abs. 2 BGB enthält die allgemein gültige Regel, ein mit der Forderung verbundenes Vorzugsrecht gehe auf den neuen Gläubiger über. Dieser Grundsatz schließt Ausnahmen nicht aus. So war nach § 59 Abs. 2 KO für den Fall des Übergangs von Entgeltansprüchen auf die Bundesanstalt für Arbeit der konkursrechtliche Vorrang der alten Gläubiger ausdrücklich nicht vom Forderungsübergang erfaßt. Eine vergleichbare Rückstufungsregel gilt nach neuem Recht für das Kurzarbeitergeld nach § 181 Abs. 4 SGB III (nach altem Recht: § 71 Abs. 4 AFG).
bb) § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO enthält eine verdeckte Regelungslücke.
Eine derartige Lücke liegt vor, wenn das Gesetz zwar eine vom Wortlaut her anwendbare Regelung enthält, diese aber nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht paßt und deshalb einer Einschränkung bedarf(BAG 9. Januar 1986 – 2 AZR 163/85 – AP KSchG 1969 § 24 Nr. 1). Ob eine Lücke planwidrig ist, muß vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht beurteilt werden(Canaris Die Feststellung von Lücken im Gesetz 2. Aufl. S 170).
Weder aus den Gesetzesmaterialen der InsO noch aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften der InsO mit den insolvenzrechtlich bedeutsamen Bestimmungen im Sozialgesetzbuch Drittes Buch ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber die mit dem Wegfall der Rangrückstufungsvorschrift des § 59 Abs. 2 KO verbundenen Auswirkungen auf die Insolvenzrechtspraxis gesehen und sich bewußt für ein Vorzugsrecht der Bundesanstalt für Arbeit entschieden hat.
(1) In dem Allgemeinen Teil ihrer Begründung heben die Verfasser des Gesetzentwurfs zur InsO als folgenschwersten Mangel des alten Konkurs- und Vergleichsrechts hervor, „daß es den Beteiligten einen funktionsfähigen rechtlichen Rahmen für die Sanierung notleidender Unternehmen verweigert” (BT-Drucks. 12/2443 S 73; Kübler/Prütting Das neue Insolvenzrecht RWS Dokumentation Nr. 18 2. Aufl. S 86 ff.). Erklärte Reformziele waren deshalb die Sicherstellung einer kostendeckenden Masse und die Schaffung eines effizienten gerichtlichen Sanierungsverfahren im Rahmen eines einheitlichen Insolvenzverfahrens (Smid InsO Einleitung Rn. 4), um die Sanierung einer größeren Zahl von Unternehmen als bisher zu ermöglichen (BT-Drucks. aaO S 77; Kübler/Prütting aaO S 88). Die Einräumung eines Vorzugsrechts zugunsten der BA ist mit dieser gesetzgeberischen Zielvorstellung unvereinbar. Um ein effizientes Sanierungsverfahren im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen, hat das neue Recht den „starken” vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO für den vorläufigen Weiterbetrieb eingeführt. Macht indes der Verwalter von seiner Verwaltungsbefugnis durch Inanspruchnahme der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer Gebrauch, so führt das bei Annahme eines Vorzugsrechts der Bundesanstalt regelmäßig zur Masseunzulänglichkeit und als deren Folge zu einer Zerschlagung des Unternehmens(vgl. Moll/Müller KTS 2000, 587, 593 f.).
(2) Im Allgemeinen Teil der Begründung des Regierungsentwurfs wird ausdrücklich die Abschaffung von Vorrechten der Bundesanstalt für Arbeit angesprochen:
„… wird vorgeschlagen, die Konkursvorrechte des § 61 Abs. 1 KO und vergleichbare Vorrechte in anderen gesetzlichen Vorschriften ersatzlos zu streichen. Dies betrifft namentlich die Vorrechte des Fiskus, der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit …”(BT-Drucks. 12/2443 S 90)
Geplant war somit die ersatzlose Streichung aller Vorrechte der BA. Damit ist die Einräumung eines Vorzugsrechts nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht vereinbar.
(3) Zu den Auswirkungen der Neuordnung auf die für das Insolvenzgeld nach § 359 SGB III umlagepflichtigen Unternehmer führt der Allgemeine Teil der Begründung des Regierungsentwurfs an:
„… hält sich die Mehrbelastung der umlagepflichtigen Wirtschaftsunternehmen in engen Grenzen”. (BT-Drucks. aaO S 96)
Wäre die Konsequenz eines sich aus § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ergebenden Vorzugsrechts der Bundesanstalt gesehen worden, hätte es an dieser Stelle nahegelegen, die sich durch die Einräumung des Vorzugsrechts ergebenden Entlastungen hervorzuheben.
(4) Zur Rechtsstellung des „starken” vorläufigen Insolvenzverwalters wird in der Begründung zu § 26 des Regierungsentwurfs ausgeführt:
„Er hat ein Unternehmen des Schuldners, wenn der Geschäftsbetrieb nicht schon vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters eingestellt worden ist, grundsätzlich während des Eröffnungsverfahrens fortzuführen. Im Einzelfall kann es allerdings im Interesse der Gläubiger geboten sein, ein Unternehmen, das erhebliche Verluste erwirtschaftet und bei dem keine Aussicht auf Sanierung besteht, schon im Eröffnungsverfahren ganz oder teilweise stillzulegen; dies soll mit Zustimmung des Insolvenzgerichts zulässig sein.”(BT-Drucks. aaO S 117)
Danach ist Ziel der neuen Regelung, die Fortführungsmöglichkeiten für das Unternehmen zu erhöhen. Die Erreichung dieses Ziels wird aber vereitelt, wenn wegen der Beantragung von Insolvenzgeld übergeleitete Entgeltansprüche regelmäßig die Masse so belasten, daß Massearmut zu besorgen ist.
(5) Die Einräumung des Vorzugsrechts für Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen nach § 55 Abs. 2 InsO wird in der Begründung zu § 64 des Regierungsentwurfs wie folgt erläutert:
„…
Absatz 2 dient dem Schutz der Personen, die Geschäfte mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen oder ihm gegenüber ein Dauerschuldverhältnis erfüllen, das sie mit dem Schuldner vereinbart hatten. Die Vorschrift steht im Einklang mit § 63 Abs. 2 und den anderen Vorschriften, nach denen durch einstweilige Sicherungsmaßnahmen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Wirkungen der Verfahrenseröffnung vorverlegt werden können (vgl. insbesondere die §§ 25, 26 des Entwurfs). Sie gilt nicht nur für vertragliche, sondern auch für gesetzliche Verbindlichkeiten, die der vorläufige Verwalter im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit begründet. Soweit beispielsweise Forderungen aus Veräußerungsgeschäften, die der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen einer Unternehmensfortführung tätigt, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Masseforderungen werden, gilt dies auch für die Umsatzsteuerforderungen aus diesen Geschäften.” (BT-Drucks. aaO S 126)
Danach ist Ziel der Regelung der Schutz der Vertragspartner, die von dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis zur Erbringung von Leistungen zugunsten der Insolvenzmasse in Anspruch genommen werden. Ihr Vertrauen in die Gegenleistung soll durch das Vorzugsrecht geschützt werden. Diese Erwägungen treffen auf das Verhältnis des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Bundesanstalt nicht zu.
(6) Auch aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen des Insolvenzgelds im Sozialgesetzbuch Drittes Buch mit den Vorschriften der InsO ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß im Verhältnis zum alten Recht die Rechtsstellung der Bundesanstalt im neuen Insolvenzverfahren verbessert werden sollte.
Die Bestimmungen über das Insolvenzgeld (§§ 183 f. SGB III) knüpfen an die Vorgängerregelungen des Konkursausfallgelds an(vgl. Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks. 13/4941 S 148). Zweck des Konkursausfallgelds war es, die Konkursmasse von vorkonkurslichen Personalkosten zu entlasten. Das war der Grund für die Rangrückstufung in § 59 Abs. 2 KO. Der finanzielle Spielraum des Konkursverwalters sollte erklärtermaßen nicht eingeengt werden, weil er die wegen der Beantragung des Konkursausfallgeldes übergehenden Entgeltansprüche als Masseschulden begleichen müßte(vgl. Ausschußbericht BT-Drucks. 7/2260 S 2; so auch BSG 22. März 1995 – 10 RAr 1/94 – BSGE 76, 67). Zwar bestand nach der Grundsatzentscheidung in der InsO, alle Vorrechte abzuschaffen, an und für sich kein Bedürfnis mehr für die Aufnahme einer Rangrückstufungsvorschrift zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit. Denn wenn diese Insolvenzgeld für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung gewährt, erhält sie für die übergegangenen Entgeltansprüche nur die Stellung einer Insolvenzgläubigerin nach § 38 InsO. Es ist aber bei der Ausarbeitung der InsO übersehen worden, daß im Falle der Bestellung eines „starken” vorläufigen Insolvenzverwalters Entgeltansprüche als Masseverbindlichkeiten begründet werden, die bei Forderungsübergang den Eintritt der Bundesanstalt in die Rechtsstellung einer Massegläubigerin bewirken. Dieses Versäumnis hat zwischenzeitlich die Bundesregierung zu einer Gesetzesvorlage veranlaßt(vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze BR-Drucks. 14/01). Nach Art. 1 Nr. 7 des Entwurfs soll nach § 55 Abs. 2 InsO als Abs. 3 eingefügt werden: „Gehen nach Absatz 2 begründete Ansprüche auf Arbeitsentgelt nach § 187 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch auf die Bundesanstalt für Arbeit über, so kann die Bundesanstalt diese nur als Insolvenzgläubiger geltend machen …”. Die Gesetzesänderung wird damit begründet, im Interesse der Sanierung erhaltenswerter Unternehmen müsse in der Frage des Vorzugsrechts für Klarheit gesorgt werden. Ansonsten würden die auf die Bundesanstalt übergehenden Entgeltansprüche in vielen Fällen einen Großteil der Masse aufzehren. Diese Konsequenz sei bislang „nicht deutlich genug” gesehen worden. Damit räumt das die Gesetzgebung vorbereitende Fachministerium ein „Versehen” bei der Vorbereitung der InsO ein. Da nach Art. 12 des Entwurfs keine rückwirkende Klarstellung beabsichtigt ist, wird das Gericht nicht der Notwendigkeit enthoben, über diese Rechtsfrage zu entscheiden.
(7) Für eine planwidrige Regelungslücke spricht, daß ein Vorzugsrecht der Bundesanstalt zu erheblichen Haftungsproblemen für den mit Verwaltungsbefugnis handelnden vorläufigen Insolvenzverwalter führen würde. Da der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungsbefugnis in vollem Umfang das Haftungsrisiko nach § 61 InsO zu tragen hat, müßte er im wohlverstandenen eigenen Interesse davon Abstand nehmen, die Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen(vgl. Weis in Hess/Weis/Wienberg InsO 2. Aufl. § 55 Rn. 211). Das Haftungsrisiko kann er nur ausschließen, wenn er alle Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freistellt. Die dadurch eintretende vorübergehende Betriebseinstellung entspricht nicht dem gesetzgeberischen Ziel, mit der Bestellung des „starken” vorläufigen Insolvenzverwalters die entscheidenden Schritte für die Sanierung einleiten zu können.
(8) Für die Annahme einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten des Übergangs des Vorzugsrechts auf die Bundesanstalt fehlt es an einem einleuchtenden vernünftigen Grund. Die am Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO haftende Anwendung führt zu einer unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Berücksichtigung der von der Bundesanstalt erbrachten Insolvenzgeldleistungen. Wird Insolvenzgeld für Entgeltansprüche erbracht, die in Ausübung der Verwaltungsbefugnis begründet worden sind, erhält die Bundesanstalt die bevorzugte Stellung als Massegläubigerin. Wird Insolvenzgeld für Entgeltansprüche erbracht, die von einem „schwachen” Verwalter und damit vom Schuldner begründet worden sind, erhält die Bundesanstalt die Stellung einer Insolvenzgläubigerin. Eine sachliche Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung ist nicht ersichtlich.
cc) Die festgestellte planwidrige Regelungslücke ist entsprechend der Regelung des § 59 Abs. 2 KO und der „Klarstellung” in Art. 1 Nr. 7 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze zu schließen. Nur mit dieser Einschränkung seines Anwendungsbereichs entspricht der Normtext des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO dem aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren Regelungsplan des Gesetzgebers. Bestätigt wird dieses Ergebnis dadurch, daß dann der Gleichklang zur insolvenzrechtlichen Behandlung von Kurzarbeitergeldleistungen wiederhergestellt wird(vgl. Berscheid BuW 2000, 605).
dd) Die mit der vermeintlichen Mehrbelastung der umlagepflichtigen Unternehmen begründeten Bedenken der Revision greifen nicht durch. Sofern eine wirtschaftliche Mehrbelastung der umlagepflichtigen Unternehmen überhaupt eintritt, ist sie Folge der Grundentscheidung des Gesetzgebers, mit der InsO die in der KO zugunsten der Bundesanstalt vorgesehenen Rangklassen abzuschaffen. Diese gesetzgeberische Absicht wird verwirklicht, wenn der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO eingeschränkt wird(siehe dazu auch die Begründung zu Art. 1 Nr. 7 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze).
ee) Diese Auslegung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ist auch mit dem Europäischen Recht vereinbar.
Mit der Gewährung von Insolvenzgeld wird das Ziel verfolgt, die Masse von Arbeitsentgeltansprüchen zu entlasten. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn das Vorzugsrecht in § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO eingeschränkt wird. Weder Insolvenzgeld noch Einschränkung des Vorzugsrechts stellen sich als unerlaubte Beihilfe im Sinne von Art. 87 EG dar. Ein notwendiges Begriffsmerkmal der staatlichen Beihilfe im Sinne des EG-Vertrags ist ihr selektiver Charakter(EuGH 17. Juni 1999 – C-75/97 – EuGHE I 1999, 3671). Die Entlastung der Masse geschieht hier nicht selektiv. Die Möglichkeit, Insolvenzgeld in Anspruch zu nehmen, ohne daß die insolvenzgeldgewährende Bundesanstalt ein Recht zur vorzugsweisen Befriedigung aus der Insolvenzmasse erhält, besteht gleichermaßen für Unternehmen aller Branchen, die insolvent werden und deren Sanierung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungsbefugnis eingeleitet wird(vgl. Zwanziger ZIP 2000, 595, 596).
II. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Düwell, Kreft, Vermerk: Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Düwell, Schwarz, Hintloglou
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.04.2001 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BAGE, 241 |
BB 2001, 2530 |
DB 2001, 2729 |
NJW 2002, 1364 |
NWB 2001, 4390 |
EWiR 2001, 1063 |
FA 2002, 151 |
FA 2002, 27 |
KTS 2002, 178 |
NZA 2002, 90 |
ZAP 2002, 75 |
ZIP 2001, 1964 |
AP, 0 |
DZWir 2002, 57 |
EzA |
InVo 2002, 100 |
MDR 2002, 114 |
NZI 2002, 118 |
NZI 2002, 48 |
PERSONAL 2002, 61 |
ZInsO 2001, 1171 |
AuS 2001, 58 |
info-also 2002, 42 |