Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsrechte aus Betriebsvereinbarung; Erlaßvertrag
Leitsatz (amtlich)
- Die nach § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG für Betriebsvereinbarungen vorgeschriebene Schriftform ist gewahrt, wenn die Betriebsvereinbarung auf eine schriftliche, den Arbeitnehmern bekannt gemachte Gesamtzusage des Arbeitgebers verweist. Der Text der Gesamtzusage muß weder in der Betriebsvereinbarung wiederholt noch als Anlage angeheftet werden.
- Der Betriebsrat kann seine nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG erforderliche Zustimmung zu dem Verzicht eines Arbeitnehmers auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung formlos erteilen. Er muß aber unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß er mit dem Verzicht einverstanden ist. Es genügt nicht, daß sich der Betriebsrat aus der Angelegenheit heraushalten will und “eine neutrale Haltung” einnimmt.
Normenkette
BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung, § 3; BetrVG § 77 Abs. 2, 4; BGB §§ 125-126, 182 ff.
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Oktober 1995 – 2 Sa 196/95 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26. Oktober 1994 – 3 Ca 3703/94 – wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger bei Eintritt eines Versorgungsfalles Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem Leistungsplan der Versorgungsbestimmungen der … H… KG, S…, vom 11. November 1981 in Höhe von monatlich 472,44 DM zu zahlen.
- Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger und der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein streiten über die Wirksamkeit eines mit der früheren Arbeitgeberin geschlossenen Teilerlaßvertrages.
Der am 2. Juli 1947 geborene Kläger war vom 2. April 1962 bis 31. Juli 1994 bei der H… KG beschäftigt. Sie gewährte sämtlichen Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe der “Versorgungsbestimmungen vom 11. November 1981”. Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat unterzeichneten am 11. November 1981 ein Schriftstück mit der Überschrift “Betriebsvereinbarung”, das wie folgt lautet:
“Zwischen der Geschäftsleitung der Firma H… KG und dem Betriebsrat derselben Firma wird über die Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eine Betriebsvereinbarung geschlossen.
Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung sind die neuen Versorgungsbestimmungen, die mit Wirkung vom heutigen Tage in Kraft treten und die bisherige Versorgungsordnung vom 15. Dezember 1959 ersetzen.
Für Fragen, die sich aus der Anwendung dieser Versorgungsbestimmungen ergeben, wird ein Versorgungsausschuß gebildet, der aus vier Mitgliedern besteht, zwei dieser Mitglieder werden von der Geschäftsleitung und die beiden anderen vom Betriebsrat gestellt.”
Im Jahr 1989 geriet die Arbeitgeberin in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie konnte den beklagten Pensions-Sicherungs-Verein nicht dazu bewegen, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen. Daraufhin wurden durch Betriebsvereinbarung vom 14. September 1989 “alle zum Stichtag 31. Dezember 1988 verfallbaren Versorgungsanwartschaften auf die Hälfte des zugesagten Rentenanspruchs reduziert”. Gleichzeitig vereinbarten die Betriebspartner, daß diese Regelung weder für Beschäftigte, die bis zum 30. Juni 1990 ihren Arbeitsplatz verlören, noch für den Fall gelten solle, daß die Gesellschaft bei Scheitern des Sanierungskonzepts bis zum 30. Juni 1990 Vergleichs- oder Konkursantrag stellen müsse.
Bereits im August 1989 hatte die Arbeitgeberin sämtliche im Betrieb anwesenden 263 Arbeitnehmer mit unverfallbaren Versorgungsanwartschaften gebeten, einer 50 %igen Kürzung ihrer unverfallbaren Anwartschaften zuzustimmen. In Abteilungsversammlungen legte sie den Arbeitnehmern vorformulierte “Einverständniserklärungen” vor. An diesen Versammlungen nahmen Betriebsratsmitglieder teil. Ob sie als betroffene Arbeitnehmer oder als Repräsentanten des Betriebsrats anwesend waren, ist zwischen den Parteien streitig. Etwa 230 Arbeitnehmer unterschrieben die Erklärung, die folgenden Wortlaut hatte:
“Mir ist durch die Betriebsversammlung am 11.8.1989 bekannt, daß sich mein Arbeitgeber, die Firma … H… KG zur Zeit in existenzbedrohenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet.
Dem Betriebsrat des Unternehmens liegt eine ausführliche Dokumentation vor, die die bedrohliche Lage des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze eindeutig belegt.
Neben einer Reihe sofortiger und tiefgreifender Sanierungsmaßnahmen auf dem Personal- und Sachkostensektor müssen auch die laufenden Belastungen für das Unternehmen durch die in der Vergangenheit zugesagten Pensionen nachhaltig und umfangreich verringert werden, wenn das Unternehmen gerettet werden soll.
Zu diesem Zweck leiste ich als meinen einmaligen persönlichen Beitrag zur Unternehmenssanierung meinen unwiderruflichen Verzicht gegenüber der Firma … H… KG sowie gegenüber dem Pensionssicherungsverein in Köln
in Höhe von 50 % der Rentenleistungen,
wie sie zum 31.12.1988 durch einen externen Gutachter ermittelt wurden.
Dieser Verzicht gilt jedoch nicht für den Fall,
- daß ich im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen bis zum 30.6.1990 meinen derzeitigen Arbeitsplatz verlieren sollte,
- daß die Gesellschaft bei Scheitern des Sanierungskonzepts nach dem 30.6.1990 nicht fortgeführt werden kann.”
Am 18. August 1989 unterzeichnete auch der Kläger eine solche Erklärung. Er gehörte damals dem Betriebsrat an. Einige Arbeitnehmer stimmten nur einer 20 %igen Kürzung ihrer unverfallbaren Versorgungsanwartschaften zu.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, seine Verzichtserklärung sei sowohl individual- als auch kollektivrechtlich unwirksam. Die getroffene Vereinbarung verstoße gegen § 3 BetrAVG. Außerdem fehle die für die Wirksamkeit des Verzichts erforderliche Zustimmung des Betriebsrats nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. Jedenfalls liege kein dahingehender ordnungsgemäßer Beschluß des Betriebsrats vor. Ebensowenig habe der Betriebsrat die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nötige Zustimmung erteilt. Er habe sogar den Arbeitnehmern von der Unterzeichnung der Verzichtserklärung abgeraten.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein verpflichtet ist, an den Kläger bei Eintritt eines Versorgungsfalles Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem Leistungsplan der Versorgungsbestimmungen der H… KG, S… , vom 11. November 1981 in Höhe von monatlich 472,44 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe in der Vereinbarung vom 18. August 1989 wirksam auf einen Teil seiner Versorgungsanwartschaft verzichtet. § 3 BetrAVG gelte nicht für Vereinbarungen im laufenden Arbeitsverhältnis. Der Erlaßvertrag verstoße auch gegen keine betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG sei nicht anwendbar, weil der Kläger nicht auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung verzichtet habe. Die Versorgungszusage beruhe auf einer Gesamtzusage. Das am 11. November 1981 von der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat unterzeichnete Schriftstück enthalte nur die Ankündigung einer Betriebsvereinbarung. Zumindest habe der Betriebsrat konkludent den Erlaßverträgen zugestimmt, zumal er beschlossen habe, die verfallbaren Versorgungsanwartschaften durch Betriebsvereinbarung zu beschneiden. Ein etwaiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sei gewahrt. Der Betriebsrat sei bei allen Gesprächen beteiligt worden und umfassend über die schlechte wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberin informiert gewesen. Er habe die Notwendigkeit des Sanierungskonzepts eingesehen und mit der Arbeitgeberin eine Regelungsabrede getroffen, daß er das geplante Vorgehen dulde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat über die Stellungnahme des Betriebsrats Beweis erhoben und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein hat nach § 7 Abs. 2 BetrAVG für die geltend gemachten Versorgungsanwartschaften einzustehen. Der zwischen dem Kläger und seinem früheren Arbeitgeber geschlossene Teilerlaßvertrag ist unwirksam, weil die nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats fehlt.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Friedrich, Dr. Schwarze, Born
Fundstellen
Haufe-Index 893893 |
BB 1998, 56 |
DB 1998, 267 |
FA 1998, 61 |
JR 1998, 396 |
NZA 1998, 382 |
RdA 1998, 123 |
SAE 1998, 192 |
ZIP 1998, 218 |
AP, 0 |