Leitsatz (redaktionell)
1. Die Innehaltung einer im Interesse des gekündigten Arbeitnehmers gewährten Frist durch den Arbeitgeber bedeutet keinen Verzicht auf das Recht zur fristlosen Entlassung, wenn die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung Ausfluß eines außerordentlichen zur fristlosen Entlassung berechtigenden Kündigungsrechts war.
2. Betriebsratsmitglieder, die gewerbliche Arbeitnehmer sind, können aus jedem wichtigen Grund fristlos entlassen werden.
3. Der grobe Verstoß eines Betriebsratsmitglieds gegen seine Amtspflichten rechtfertigt nicht ohne weiteres auch die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber. Der normale Weg einen solchen Verstoß zu ahnden, besteht darin, daß der Ausschluß des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat beantragt wird.
4. Nur dann, wenn das Verhalten des Betriebsratsmitglieds nicht nur eine Amtspflichtverletzung, sondern zugleich und daneben einen schweren Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis enthält, ist auch ein wichtiger Grund zu seiner fristlosen Entlassung gegeben.
5. Wiederholte parteipolitische Agitation im Betrieb, die den Betriebsfrieden ernstlich und schwer gefährdet, kann die fristlose Entlassung eines Betriebsratsmitglieds rechtfertigen.
6. Soweit das Gesetz das Recht gibt, Betriebsratsmitglieder fristlos zu entlassen, verstößt die Kündigung nicht gegen das Verbot, den Betriebsrat oder seine Mitglieder in der Ausübung ihrer Tätigkeit zu stören.
7. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung und das Verbot, jemanden wegen seiner politischen Anschauungen zu benachteiligen, sind Ordnungssätze für das soziale Leben, die unmittelbare Bedeutung auch für den Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben.
8. Das Recht der freien Meinungsäußerung findet seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Hierzu gehören im Verhältnis der einzelnen Bürger zueinander auch die Grundregeln über die Arbeitsverhältnisse.
9. Zu diesen Grundregeln gehört auch das Pflichtengebot, sich so zu verhalten, daß der Betriebsfrieden nicht ernstlich und schwer gefährdet wird, und daß die Zusammenarbeit im Betrieb mit den übrigen Arbeitnehmern, aber auch mit dem Arbeitgeber für diese zumutbar bleibt.
10. Zu den allgemeinen Gesetzen, die die Meinungsfreiheit einschränken, gehört auch das Verbot für den Betriebsrat, sich im Betrieb parteipolitisch zu betätigen.
11. Das Diskriminierungsverbot des GG Art 3 Abs 3 ist nur dann verletzt, wenn die Sonderbehandlung gerade und nur wegen eines der dort genannten Gründe erfolgt. Das ist nicht der Fall, wenn einem Arbeitnehmer wegen parteipolitischer Agitation im Betrieb gekündigt wird.
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 09.03.1954; Aktenzeichen 354/53 III) |
Fundstellen
Haufe-Index 437152 |
BAGE 1, 185 (LT1-11) |
BAGE, 185 |
NJW 1955, 606 |
NJW 1955, 606 (LT1-11) |
AP § 13 KSchG (LT1-11), Nr 2 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 4 (LT1-11) |
AR-Blattei, ES 530.9 Nr 4 (LT1-11) |
BArbBl 1955, 461 (LT1-11) |