Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS. Falschbeantwortung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626; KSchG § 1
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 15.05.1996; Aktenzeichen 10 (4) Sa 96/96) |
ArbG Zwickau (Urteil vom 20.10.1995; Aktenzeichen 10 Ca 3162/94 PL) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. Mai 1996 -10 (4) Sa 96/96 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt, sowie über die Frage, ob diese Kündigung gegebenenfalls in eine wirksame ordentliche Kündigung umgedeutet werden kann.
Die im Jahre 1941 geborene Klägerin war seit 1960 als Lehrerin im Schuldienst der ehemaligen DDR tätig. Das Arbeitsverhältnis wurde seit dem Wirksamwerden des Beitritts zum Beklagten fortgesetzt. Am 10. Februar 1991 gab die Klägerin folgende Erklärungen ab:
„Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet?
nein
Haben Sie gelegentlich oder unentgeltlich, über mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte, zu denen Sie als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane, als Leiter oder auf Grund gesellschaftlicher Funktionen verpflichtet waren, für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR gearbeitet?
nein”
Am 24. Februar 1994 ging beim Beklagten der Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) ein. Danach war die Klägerin für den Zeitraum vom 25. März 1981 bis zum 6. Juli 1987 als inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration/konspirative Wohnung unter dem Decknamen „R.” erfaßt. Grundlage war die von der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam unterzeichnete Verpflichtungserklärung vom 25. März 1981. In dieser Erklärung heißt es u.a.:
„Unsere Unterstützung kommt darin zum Ausdruck, daß wir zeitweilig ein Zimmer unserer Wohnung zur Verfügung stellen. Über unsere Verbindung zum MfS und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme verpflichten wir uns, gegenüber Jedermann strengstes Stillschweigen zu wahren. Für die Zusammenarbeit mit dem MfS wählen wir uns den Decknamen „R.”
Wir wissen, daß wir bei Bruch der Verpflichtung die Arbeit des MfS gefährden und zur Verantwortung gezogen werden können.”
Am 6. und 18. Mai 1994 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Kündigung persönlich angehört. Dabei gab die Klägerin an, daß die Verpflichtungserklärung nicht, wie es ihr Wortlaut ausdrückt, an ihrem Wohnort „S.” geschrieben, sondern anläßlich der Vorbereitung eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts in Vietnam von ihr nach dem Diktat eines Mitarbeiters des Ministeriums für Volksbildung im Hause dieses Ministeriums geschrieben und von beiden Eheleuten unterschrieben worden sei.
Nachdem der beim Oberschulamt Chemnitz gebildete Bezirkspersonalrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zugestimmt hatte, kündigte der Beklagte, vertreten durch den Präsidenten des Oberschulamtes, das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 15. Juni 1994 unter Bezugnahme auf Abs. 5 Ziff. 2 EV fristlos.
Mit der am 23. Juni 1994 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin das Fehlen eines Kündigungsgrundes geltend gemacht. Sie hat bestritten, für das MfS tätig gewesen zu sein. Sie habe keine Berichte abgegeben und keine Auskünfte über ein Treffen beim sogenannten „Freitag-Abend-Club” erteilt. Ihr sei nicht bewußt gewesen, unter dem Decknamen „R.” registriert und geführt worden zu sein. Sie habe keine Geldzuwendungen oder Auszeichnungen erhalten. In ihrer Wohnung seien keine Treffen vom MfS durchgeführt worden. Zudem habe der Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten.
Die Klägerin hat beantragt:
- Es wird festgestellt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Juni 1994 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden ist.
- Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 17. Juni 1994 hinaus als Grundschullehrerin bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, ihm sei aufgrund der Verstrickung der Klägerin mit dem Machtapparat des MfS die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar. Die Klägerin habe eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet und ihre Wohnung tatsächlich für konspirative Treffen des MfS bereitgestellt. Darüber hinaus habe sie dem Führungsoffizier Berichte erstattet. Sie habe eine Zuwendung in Höhe von 35 Mark erhalten. Des weiteren habe die Klägerin bereits von 1976 bis 1979 während eines dienstlichen Aufenthalts in Indien Mitarbeiter des MfS unterstützt.
Hilfsweise hat der Beklagte geltend gemacht, die außerordentliche Kündigung sei in eine ordentliche Kündigung umzudeuten. Dies sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin über ihre Verpflichtungserklärung und ihre Tätigkeit für das MfS unwahre Angaben gemacht habe.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 15. Juni 1994 nicht außerordentlich, sondern ordentlich mit Ablauf des 31. Dezember 1994 aufgelöst worden sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Klägerin der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Beklagten zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Auf die Beschwerde des Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 21. November 1996 die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche wirksam. Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung fehle es sowohl an den Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV als auch des § 626 BGB. Die Klägerin sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht für das MfS tätig geworden. Allein die Abgabe der Verpflichtungserklärung erfülle noch nicht die Voraussetzung einer Tätigkeit im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV. Eine tatsächliche Nutzung eines Zimmers der Wohnung der Klägerin durch das MfS sei aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht festgestellt. Ebensowenig habe die Beweisaufnahme ergeben, daß die Klägerin Mitarbeitern des MfS Auskünfte erteilt habe. Auf die Unwahrheit der Erklärung vom 10. Februar 1991 könne die außerordentliche Kündigung nicht gestützt werden, denn der Beklagte habe vom maßgeblichen Kündigungssachverhalt spätestens am 18. Mai 1994 Kenntnis erlangt und nicht innerhalb von zwei Wochen die Kündigung ausgesprochen.
Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch ordentliche Kündigung aufgelöst worden, denn es liege kein Sachverhalt vor, der eine soziale Rechtfertigung der Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz ergebe. Die Klägerin habe den Fragebogen nicht falsch beantwortet, denn sie habe nicht für das MfS gearbeitet. Allein die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zugunsten des MfS rechtfertige die Kündigung nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz, weil es an konkreten Störungen des Arbeitsverhältnisses fehle.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitgegenständliche Kündigung weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Kündigung vom 15. Juni 1994 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht außerordentlich aufgelöst hat. Die Voraussetzungen des Kündigungsgrundes des Abs. 5 Ziff. 2 EV liegen nicht vor. Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 14. Dezember 1995 (– 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) entschieden hat, ist die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung als inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration (IMK) ohne die tatsächliche Bereitstellung der Wohnung zu Zwecken des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) keine Tätigkeit im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV. Das Landesarbeitsgericht hat eine tatsächliche Bereitstellung der Wohnung der Klägerin zu Zwecken des MfS nicht festgestellt. Revisionsrechtlich erhebliche Rügen hat der Beklagte nicht vorgebracht. Soweit er geltend macht, die Klägerin habe ihre Wohnung dem MfS bereitgestellt, würdigt er lediglich die vom Landesarbeitsgericht berücksichtigten Tatsachen abweichend. Einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts zeigt er hingegen nicht auf.
Sollte der Beklagte annehmen, bereits die allgemeine Bereitschaft zur Nutzungsüberlassung stelle eine Bereitstellung der Wohnung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senats dar, würde er deren Bedeutung verkennen. Der Senat hat vielmehr mit der Entscheidung vom 14. Dezember 1995 verdeutlicht, daß allein die Verpflichtung zur Bereitstellung der Wohnung den Tatbestand des Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht erfüllt. Vielmehr muß eine tatsächliche Bereitstellung der Wohnung hinzutreten. Im Streitfall muß diese von den Tatsacheninstanzen festgestellt werden. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
II. Die außerordentliche Kündigung ist nicht gemäß § 626 BGB gerechtfertigt. Unabhängig davon, ob die Klägerin durch die Abgabe der Verpflichtungserklärung Zweifel an ihrer persönlichen Eignung für den Beruf einer Lehrerin begründet hat oder nicht und durch die Beantwortung der Fragen im Erklärungsbogen vom 10. Februar 1991 gegen ihre Wahrheitspflicht verstoßen hat oder nicht, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, daß der Beklagte aus diesen Vorgängen keinen wichtigen Grund mehr herleiten kann, weil ihm bei Ausspruch der Kündigung der maßgebliche Sachverhalt länger als zwei Wochen bekannt war (§ 626 Abs. 2 BGB). Diesbezüglich hat der Beklagte keine Rügen vorgebracht.
III. Das Landesarbeitsgericht hat weiterhin im Ergebnis zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Juni 1994 auch nicht ordentlich aufgelöst worden ist. Die Kündigung ist weder als personen- noch als verhaltensbedingte Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes sozial gerechtfertigt. Insbesondere ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin habe die in der Erklärung vom 10. Februar 1991 gestellten Fragen zutreffend beantwortet. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht im Sinne der gestellten Fragen für das MfS „gearbeitet”. Sie konnte dementsprechend wahrheitsgemäß beide Fragen mit „nein” beantworten. Wird weiter von der Feststellung des Berufungsgerichts ausgegangen, die Klägerin habe über die Abgabe der Verpflichtungserklärung hinaus keine Tätigkeit zugunsten des MfS entfaltet, begründet allein die Abgabe dieser Verpflichtungserklärung zur Bereitstellung einer konspirativen Wohnung keine rechtlich durchgreifenden Zweifel an der persönlichen Eignung der Klägerin für den Beruf einer Lehrerin. Im Zeitpunkt der Kündigung lag die Abgabe der Verpflichtungserklärung bereits 13 Jahre zurück. Sie läßt nicht den sicheren Schluß zu, die Klägerin habe ihre Haltung zum DDR-Unrechtsregime unverändert beibehalten. Die hiervon abweichende Überzeugung des Beklagten beruht auf einer Zusammenschau der Verpflichtungserklärung und der nach Ansicht des Beklagten wahrheitswidrigen Angaben im Erklärungsbogen vom 10. Februar 1991. Wird jedoch von den Feststellungen des Berufungsgerichts ausgegangen, bleibt allein die Verpflichtungserklärung als im Ergebnis unzureichende tatsächliche Basis einer negativen Eignungsbeurteilung, denn weitergehenden Sachvortrag zur Begründung der negativen Prognose hat der Beklagte nicht gehalten.
IV. Da die Revision des Beklagten hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages zurückgewiesen wird, bedarf es keiner weiteren Entscheidung über die vorläufige Weiterbeschäftigung, denn mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts endet die Rechtshängigkeit des Kündigungsschutzantrags.
C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Brückmann, Morsch
Fundstellen