Entscheidungsstichwort (Thema)
Personen- und verhaltensbedingte Kündigung - Fragebogenlüge
Leitsatz (amtlich)
Die Falschbeantwortung des Fragebogens wegen einer Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (Stasi) rechtfertigt nicht ohne weiteres eine verhaltensbedingte Kündigung, § 1 Abs. 2 KSchG. Es kommt vielmehr auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles, u.a. auch darauf an, wie lange die Tätigkeit für die Stasi zurückliegt und wie schwerwiegend sie war (im Anschluß an Senatsurteil vom 20. August 1997 - 2 AZR 42/97 n.v. und Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 -).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 6. Juni 1996 - 1 Sa 73/95 - aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1. August 1976 zuletzt als Grundschullehrerin für den beklagten Freistaat tätig, und zwar mit den Fächern Mathematik, Deutsch und Sport. Die Frage nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für Nationale Sicherheit der DDR (im folgenden: MfS/AfNS) hat die Klägerin im Personalfragebogen vom 29. April 1991 verneint. Dem Beklagten ist am 27. Januar 1994 ein Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Gauck-Behörde) zugegangen, aus dem hervorgeht, daß eine Person mit dem Mädchennamen und dem Geburtsdatum der Klägerin in den überprüften Unterlagen als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) geführt wurde. Der Deckname dieser Person lautet "C ". Der Zeitraum der Erfassung datiert vom 30. März 1973 bis 25. Juni 1975. Die Unterlagen umfassen mehrere handschriftliche und mit dem Namen "I M " unterzeichnete Berichte, eine mit demselben Namen unterzeichnete Berufung und verschiedene Treffberichte von Stasi-Mitarbeitern. Der Beklagte hat die Klägerin am 14. Februar 1994 zu dem Vorwurf angehört, für das MfS gearbeitet zu haben. Nach dem Gesprächsprotokoll gab die Klägerin an, daß sie von einer Tätigkeit für das MfS nichts wisse; der damalige Direktor am Institut für Lehrerbildung habe sie beauftragt, für Untersuchungen der Kriminalpolizei Berichte zu schreiben. Die Klägerin räumte dabei ein, den in den Akten befindlichen Bericht vom 12. Dezember 1973 geschrieben zu haben; sie habe diesen Bericht mit einem falschen Namen unterschrieben, damit ihr später keine Nachteile entstünden. Mit Schreiben vom 7. April 1994 hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich mit der Begründung aufgekündigt, es lägen Hinweise auf eine Zusammenarbeit der Klägerin mit dem MfS vor und die Klägerin habe die Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS in der Anlage zum Personalfragebogen wahrheitswidrig verneint; deshalb sei das für die Tätigkeit im Schuldienst unverzichtbare Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben, so daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei.
Die Klägerin hat bestritten, inoffizielle Mitarbeiterin des MfS gewesen zu sein; auch habe sie die Frage nach einer solchen Tätigkeit wahrheitsgemäß verneint. Ihr sei ledigich erinnerlich, daß sie während ihrer Ausbildung am Institut für Lehrerbildung im Jahre 1973 - und zwar noch vor ihrem 18. Geburtstag - zum Direktor bestellt worden sei, wobei eine weitere Person anwesend gewesen sei, die ihr als Mitarbeiter der Kriminalpolizei vorgestellt worden sei. Bei dem Gespräch sei es um Ordnung und Sicherheit, um Stärkung des Sozialismus, um den Klassenfeind und um Belange innerhalb der Schule gegangen. Sie habe schließlich auf ausdrückliche Aufforderung durch den Direktor zwei Berichte geschrieben, die sie dem Direktor für polizeiliche Ermittlungen übergeben habe. Sie bestreite mit Nichtwissen, daß es sich dabei um die in den Unterlagen der Gauck-Behörde befindlichen Berichte vom 12. November 1973 handele. Von einer Berufung durch das MfS sei ihr nichts bekannt; die vorgelegte Urkunde sei nicht von ihr unterschrieben worden, vielmehr handele es sich um ein zusammengesetztes Papier verschiedener Schriftstücke, das in der gewünschten Form kopiert worden sei. Richtig sei nur, daß sie sich von Anfang an zu dem Bericht vom 12. November 1973 bekannt habe, den sie aber für den Direktor, der selbst inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen sei, geschrieben habe. Wie ihr der Landesbeauftragte des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit gutachterlicher Äußerung vom 19. Juni 1995 bestätigt habe, habe sie angesichts der Tatsache, daß die Kontakte über ihren Vorgesetzten in dessen Dienstzimmer gelaufen seien, die Tatsache einer Mitarbeit für das MfS nur schwerlich erkennen können.
Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß die angeblich relevante Zusammenarbeit 20 Jahre zurückliege, daß der Kontakt nach den Unterlagen abgebrochen worden sei, weil er nichts mehr brachte, und daß sie nach der Wende ihren Dienst ordnungsgemäß versehen und sich Weiterbildungsmaßnahmen unterzogen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 7. April 1994 nicht aufgelöst wurde,
2. den Beklagten zu verurteilen, sie, die Klägerin, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Kündigung sei aufgrund der Tätigkeit der Klägerin für das MfS und wegen der wahrheitswidrigen Beantwortung im Fragebogen aus Gründen in der Person und im Verhalten gerechtfertigt. Die Klägerin habe über Westkontakte von Mitstudenten und deren Verhältnis zur Kirche berichtet. Ihre wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach der Zusammenarbeit mit dem MfS lasse einen grundsätzlichen Mangel an persönlicher Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst erkennen. Daß die Klägerin den Bericht vom 12. November 1973 angeblich für den Direktor geschrieben haben wolle, werde schon durch dessen Inhalt und durch die Tatsache widerlegt, daß die Klägerin mit dem falschen Namen "C " unterzeichnet habe. Die Klägerin habe auch die Berufung selbst unterzeichnet (Beweis: Gauck-Akten, Sachverständigengutachten).
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 7. April 1994 nicht aufgelöst wird; insoweit ist die Entscheidung rechtskräftig geworden. Die weitergehende Klage - wegen der ordentlichen Kündigung - hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin auch die Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 7. April 1994.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO), weil der Senat noch nicht abschließend über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 7. April 1994 entscheiden kann.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei aus personen- und verhaltensbedingten Gründen nach § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt. Der Beklagte behaupte nämlich zu Recht, daß die Klägerin für das MfS tätig gewesen sei. Wenn jedenfalls einer der in den Unterlagen des Bundesbeauftragten befindlichen Berichte vom 12. November 1973 unstreitig von der Klägerin gefertigt und mit dem Decknamen unterzeichnet worden sei, so müsse davon ausgegangen werden, daß die Klägerin auch die weiteren sechs handschriftlichen Berichte selbst gefertigt und mit dem gleichen Decknamen unterzeichnet habe. Aus dem Inhalt der Berichte, insbesondere wegen der Mitteilungen über Kontakte von Mitstudenten zu Westverwandten oder über deren kirchliche Bindungen lasse sich entnehmen, daß die Einlassung der Klägerin widerlegt sei, die Berichte dienten kriminalpolizeilichen Untersuchungen. Es könne aber dahinstehen, ob die Kündigung wegen der Tätigkeit der Klägerin für das MfS aus Gründen in ihrer Person gerechtfertigt sei, denn jedenfalls sei sie aus Gründen im Verhalten wegen wahrheitswidriger Beantwortung des Fragebogens gerechtfertigt.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zu Recht eine nicht ausreichende Sachverhaltsaufklärung.
1. Es ist schon fraglich, ob das Berufungsurteil nicht deshalb aufgehoben werden muß, weil es offensichtlich nicht binnen fünf Monaten seit Verkündung (6. Juni 1996) von allen Richtern unterzeichnet der Geschäftsstelle übergeben worden sein kann, so daß im Anschluß an die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. u.a. Urteil vom 8. Februar 1994 - 9 AZR 591/93 BAGE 75, 355 = AP Nr. 23 zu § 72 ArbGG 1979 und Senatsurteil vom 13. September 1995 - 2 AZR 855/94 - AP Nr. 12 zu § 66 ArbGG 1979, m.w.N.) der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO - so denn diese Rüge erhoben worden ist - vorläge. Die Revisionserwiderung weist zutreffend darauf hin, daß zwar nach der Aktenlage das Urteil erst am 27. Dezember 1996, also mehr als sechs Monate nach Verkündung mit den Richterunterschriften versehen zur Geschäftsstelle gelangt ist, daß darauf aber die Revision nicht gestützt werde. Richtig ist, daß mit der Revisionsbegründung zwar geltend gemacht wird, was an sich dem Wortlaut des § 551 Nr. 7 ZPO genügt, daß das Urteil als solches ohne Tatbestand und Gründe anzusehen sei; dies wird allerdings mit der Verletzung der §§ 50 Abs. 1, 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG begründet, wonach ein Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, vor Ablauf von drei Wochen, vom Tage der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben ist. Bei dem insoweit offensichtlich vorliegenden Verstoß handelt es sich jedoch nur um einen solchen gegen Ordnungsvorschriften (vgl. etwa GK-ArbGG/Dörner, Stand: November 1996, § 60 Rz 33; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 60 Rz 11; Hauck, ArbGG, § 60 Rz 12), womit der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO nicht gegeben ist (vgl. BAG Urteile vom 24. Mai 1965 - 3 AZR 287/64 - BAGE 17, 172 = AP Nr. 10 zu § 850 h ZPO und vom 7. Dezember 1983 - 4 AZR 394/81 - BAGE 44, 323 = AP Nr. 82 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Auf den allein rechtlich relevanten Sachverhalt, nämlich die Versäumung der Fünf-Monats-Frist (§§ 552 ZPO, 72 Abs. 5, 64 Abs. 6 ArbGG) als äußerste Grenze für die Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle, was die Annahme eines Urteils ohne Gründe rechtfertigt (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 27. April 1993 - GmS OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 = AP Nr. 21 zu § 551 ZPO), wird die Revision indessen nicht gestützt. Das ist auch außerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht mehr nachholbar, § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 - 4 AZR 133/93 - AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk). Auch dürfte die Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14. September 1994 - 5 RJ 62/93 - AP Nr. 38 zu § 551 ZPO) zutreffend sein, daß der Verfahrensmangel nur ausreichend bezeichnet ist, wenn in der Revisionsbegründung der Zeitpunkt der Niederlegung des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle angegeben wird; es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, sich selbst aus den Vorprozeßakten die entsprechenden Daten herauszusuchen. Eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des § 551 Nr. 7 ZPO liegt deshalb nicht vor.
2. Die materiellen Rügen der Revision, das Landesarbeitsgericht habe den Sachverhalt nur ungenügend gewürdigt, es sei nicht bewiesen, daß sie, die Klägerin, für das MfS gearbeitet habe, zumal die Berufungsurkunde nicht im Original vorgelegt worden sei, jedenfalls sei ihr solches nicht bewußt gewesen, so daß von einer vorsätzlichen Falschbeantwortung des Fragebogens nicht die Rede sein könne, führen ohnehin zur Aufhebung des Berufungsurteils.
a) Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. Urteil vom 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und Urteil vom 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, zu II 2 a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil nicht stand.
b) Es fällt zunächst auf, daß das Landesarbeitsgericht die allein noch im Streit stehende ordentliche Kündigung, die das beklagte Land ausweislich des Kündigungsschreibens und des Prozeßvortrages sowohl auf Gründe in der Person der Klägerin wie auch in deren Verhalten gestützt hat, zunächst einleitend (Entscheidungsgründe S. 6) unter beiden Gesichtspunkten als sozial gerechtfertigt bezeichnet, nach näheren Ausführungen zu den nach seiner Auffassung relevanten Berichten als Tätigkeit für das MfS jedoch auf die nur drei Monate umfassende Berichtstätigkeit und das jugendliche Alter der Klägerin abstellt und es nunmehr ausdrücklich dahingestellt bleiben läßt (S. 7 unten, 8 mitte), ob wegen dieser Tätigkeit die Kündigung aus Gründen in der Person gerechtfertigt sei; es kommt alsdann zum Ergebnis, daß die Kündigung wegen der Falschbeantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS "jedenfalls aus Gründen im Verhalten der Klägerin" gerechtfertigt sei. Bereits dieser Widerspruch fällt auf; es fehlt insoweit schlicht an einer tragenden Begründung für die Annahme im Obersatz, die Kündigung sei personenbedingt.
c) Das Landesarbeitsgericht geht, was den verhaltensbedingten Kündigungsgrund angeht, - wenn auch unausgesprochen - davon aus, daß das beklagte Land die Klägerin nach einer früheren Tätigkeit für das MfS und der Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS fragen durfte und die entsprechenden Fragen von dieser grundsätzlich wahrheitsgemäß beantwortet werden mußten. Das ist rechtlich zutreffend (vgl. Senatsurteile vom 13. September 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; vom 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; so auch BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 -). Wegen der Begründung wird auf die vorgenannten Entscheidungen verwiesen. Das Landesarbeitsgericht berücksichtigt aber bei der Annahme eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes durch Falschbeantwortung des Fragebogens mit der Begründung, nach Einschätzung der Richter habe jedem Bürger der DDR die Brisanz eines Kontaktes zur Stasi klar vor Augen gestanden, nicht ausreichend die von ihm selbst festgestellten Besonderheiten des Einzelfalles, nämlich daß es sich nur um eine knapp dreimonatige Berichtstätigkeit innerhalb der Erfassungszeit vom 30. März 1973 bis 25. Juni 1975 im noch dazu jugendlichen Alter - die Klägerin war im Berichtszeitraum (Oktober bis Dezember 1973) gerade 18 Jahre alt und Studentin am Institut für Lehrerbildung in K - handelte. Derartige Umstände sind wesentlich mit zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 20. August 1997 - 2 AZR 42/97 - n.v., zu II 2 d aa der Gründe). Wenn das Landesarbeitsgericht recht apodiktisch annimmt, jedem Bürger der DDR habe die Brisanz eines Kontaktes zur Stasi klar vor Augen gestanden, wird dies der Situation der Klägerin als Studentin von 18 Jahren nicht gerecht, der das Landesarbeitsgericht andererseits selbst attestiert, sie habe sich im jugendlichen Alter nur schwer dagegen wehren können, daß ein Vorgesetzter die gegebene Abhängigkeit ausnützte, um sie für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Daß es bei der Würdigung der nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts angenommenen Falschbeantwortung auf die speziellen Belange der Klägerin ankam (vgl. dazu u.a. Senatsurteile vom 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, zu II 2 b bb der Gründe und vom 6. Februar 1997 - 2 AZR 51/96 - n.v., zu II 3 a der Gründe) macht gerade deren Sachvortrag deutlich, sie sei von dem damaligen Direktor des Instituts für Lehrerbildung zu sich bestellt und im Beisein eines Mannes, der ihr nicht als Mitarbeiter der Stasi vorgestellt worden sei, zu Berichten für polizeiliche Ermittlungen der Kripo aufgefordert worden.
Das Landesarbeitsgericht sieht diese Einlassung zwar aufgrund des Inhalts der Berichte als widerlegt an, geht aber außerdem nicht auf die von der Klägerin vorgelegte (und durch Sachverständigen zu Beweis gestellte) Darstellung des Landesbeauftragten des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom 19. Juni 1995 ein, die von der Klägerin in den Berichten vom 12. November 1973 gegebenen personenbezogenen Informationen und Einschätzungen trügen keinen denunziatorischen Charakter und, da die Kontakte über den Vorgesetzten in dessen Dienstzimmer - nach Darstellung der Klägerin eines inoffiziellen Stasi-Mitarbeiters - gelaufen seien, dürfte die MfS-Mitarbeit für die Klägerin vordergründig nur sehr schwer erkennbar gewesen sein. Die Nichtberücksichtigung des dieser Beurteilung des Landesbeauftragten zugrundeliegenden Sachverhalts wird mit der Revision ausdrücklich gerügt. Träfen diese Umstände und Wertungen im Falle der Klägerin wirklich zu, erschiene die Falschbeantwortung auch deshalb in einem anderen Licht.
d) Schließlich verliert das Landesarbeitsgericht kein Wort zu der angeblich von der Klägerin unterzeichneten Berufung durch die Staatssicherheit; dies möglicherweise deshalb, weil der Einwand der Klägerin nicht zu widerlegen war, die Urkunde sei nicht von ihr unterzeichnet, es handele sich um ein zusammengesetztes Papier verschiedener Schriftstücke, die in der gewünschten Form kopiert worden seien. Obwohl das Landesarbeitsgericht die Originalunterlagen der Gauck-Behörde ausweislich des Akteninhalts beigezogen hat, teilt es zum Ergebnis der Einsichtnahme in die Berufungsurkunde weder im Protokoll vom 6. Juni 1996 noch im Urteil etwas mit. Der Revisionsbegründung, die ausdrücklich auch auf diesen Punkt gestützt wird, kann insoweit nur der vom beklagten Land in der Revisionserwiderung nicht bestrittene Hinweis entnommen werden, bei dem angeblichen Original habe es sich lediglich um eine Fotokopie der Unterlage gehandelt. Wäre tatsächlich nicht als bewiesen anzusehen, daß die Klägerin die Berufungserklärung eigenhändig unterschrieben hat, würde der Begründung und Annahme einer Zusammenarbeit der Klägerin mit dem MfS ein wichtiges Element fehlen.
Davon abgesehen wäre in diesem Zusammenhang folgendes zu bedenken (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 13. März 1997 - 2 AZR 506/96 - n.v., zu II 3 a der Gründe): Der Beklagte geht im Kündigungsschreiben und in der Kündigungsbegründung davon aus, es liege eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Stasi in Form der Berufung vor. Er geht damit wohl ohne weiteres davon aus, die Klägerin habe sich mit der undatierten, angeblichen Unterschrift unter diese Berufung verpflichtet, den DDR-Unrechtsstaat zu unterstützen, und zwar unter Einhaltung der Regeln der Konspiration. Davon ist in dem fraglichen, mit "Berufung" überschriebenen Text nicht die Rede, wenn dort allgemein auf die Ehrenpflicht der Bürger der DDR hingewiesen und der Klägerin das Vertrauen ausgesprochen wird, die Organe für Staatssicherheit zu unterstützen. Die teilweise vom jeweiligen Unterzeichner handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen, in der DDR seinerzeit üblichen Verpflichtungserklärungen, wie sie u.a. Gegenstand der Beurteilung des Senats in dem erwähnten Urteil vom 13. Juni 1996 waren, weisen wesentlich eindeutiger aus, daß der Betreffende für das MfS tätig zu werden versprach und lassen damit Rückschlüsse auf eine final gesteuerte Handlungsweise des Unterzeichners zu. Ähnliches läßt sich vorliegend entgegen der pauschalen Gleichsetzung durch den Beklagten - das Berufungsurteil schweigt sich hierzu aus - nicht ohne nähere Berücksichtigung der Umstände entscheiden, wie es zur Unterzeichnung der Erklärung, wenn die Unterschrift von der Klägerin stammt, gekommen ist. Auch die entsprechenden Berichte der Führungsoffiziere hat das Landesarbeitsgericht bisher nicht ausgewertet.
3. Das Landesarbeitsgericht wird nach alledem unter Berücksichtigung der oben angestellten Überlegungen in der Sache erneut verhandeln und entscheiden müssen.
a) Dabei wird es ggf. auch näher auf die angeblich von der Klägerin stammenden übrigen Berichte inhaltlich einzugehen haben, was bisher nicht detailliert geschehen ist. Wenn auch das Landesarbeitsgericht wohl zu Recht annimmt, diese Berichte ließen nicht erkennen, daß sie für die Kripo geschrieben seien, so dürfte doch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Berichte vom 1. Oktober 1973, 30. Oktober 1973, 14. Dezember 1973 und 16. Dezember 1973 weitgehend inhaltlich nichtssagend sind, während den beiden Berichten vom 12. November 1973 erhebliche Bedeutung zukommen könnte. Dies zu würdigen, ist jedoch Sache des Landesarbeitsgerichts.
b) Überhaupt nicht berücksichtigt hat das Landesarbeitsgericht bisher die Tatsache, daß für 1974 und 1975 keinerlei Berichte der Klägerin vorliegen und daß der Abverfügung vom 25. Juni 1975 wörtlich zu entnehmen ist, die Klägerin habe keine operativ relevanten Informationen geliefert. Andererseits hat das Berufungsgericht die Berichte der Führungsoffiziere, soweit die Klägerin durch sie eventuell belastet wird, bisher nicht ausgewertet.
c) Hinsichtlich der entlastenden Umstände wäre auch dem Zeitfaktor wesentliches Gewicht beizumessen; persönliche Haltungen können sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Laufe der Zeit ändern; auch die gesellschaftliche Ächtung von Fehlverhalten verliert sich mit der Zeit (vgl. u.a. BAG Urteil vom 17. Juli 1997 - 8 AZR 677/95 - n.v., zu II 2 b der Gründe). Die Rechtsordnung trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Auch das Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht künftig vor (§ 19 StUG i.d.F. des Dritten StUÄndG vom 20. Dezember 1996 - BGBl. I S. 2026), daß Mitteilungen über den Akteninhalt grundsätzlich dann unterbleiben, wenn keine Hinweise vorhanden sind, daß nach 1975 eine inoffizielle Tätigkeit für die Stasi vorgelegen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 8. Juli 1997 (- 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 -) daraus geschlossen, daß Tätigkeiten für das MfS, die vor 1970 abgeschlossen sind, keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben. Weiter zurückliegende Vorgänge sollen danach nur dann Bedeutung erlangen, wenn sie besonders schwerwiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen. Wenn diese Rechtsprechung auch auf den vorliegenden Fall mit einer angeblichen Tätigkeit für das MfS im Jahre 1973 nicht ohne weiteres übertragen werden kann, so ist doch dem grundsätzlichen Anliegen Rechnung zu tragen, daß eine weit zurückliegende MfS-Tätigkeit je nach den Umständen des Einzelfalles im milderen Licht zu sehen ist (vgl. dazu Senatsurteile vom 10. Oktober 1996 - 2 AZR 552/95 - n.v., zu II 4 der Gründe und vom 20. August 1997 - 2 AZR 42/97 - n.v., zu II 2 b und d der Gründe) und daß auch die Nach-Wende-Tätigkeit bei einer Gesamtbeurteilung nicht unberücksichtigt bleiben darf.
4. In Abhängigkeit der Aufhebung des Urteilsausspruchs zur Feststellungsklage unterliegt auch der Weiterbeschäftigungsanspruch der Zurückverweisung.
Unterschriften
Etzel Bitter Bröhl Nipperdey Kuemmel-Pleißner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 04.12.1997 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1998, 752 |
DB 1998, 2175 |
FA 1998, 134 |
FA 1998, 185 |
NZA 1998, 474 |
RdA 1998, 190 |
VIZ 1998, 284 |
ZAP-Ost 1998, 228 |
ZTR 1998, 281 |
AP, 0 |
AuA 1998, 255 |
RDV 1998, 171 |